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Laufberichte

Sri Chinmoy-Marathon in Györ

03.11.13 Special Event
 

Eine nasse Angelegenheit

 

Wenn ein Wiener in das nur eine Autostunde entfernte Györ fährt, dann sucht er dort zumeist eine Zahnarztpraxis oder ein Shopping Center auf und geht nachher gut essen. Vier überzeugte Lauffreaks vom 100 Marathon Club Austria haben sich stattdessen für einen Selbsterfahrungstrip der Sri Chinmoy-Bewegung über die Marathondistanz im Auwald nahe der Széchenyi István Universität für den 3. Nomber registriert.

Während mehr als fünfzigtausend Läufer beim 43.New York Marathon an den Start gehen und Millionen in aller Welt sich die Liveübertragung im TV und über das Web anschauen werden, steht für uns an diesem Sonntag Györ im Mittelpunkt des sportlichen Geschehens. Für mich speziell ist das lange Wochenende bisher gut verlaufen: Endlich konnte ich am Allerseelen-Tag im Garten den 30 Jahre alten, schon ziemlich morschen Weichselbaum – der Ausdruck „Sauerkirsche“ ist in Österreich nicht gebräuchlich – beschneiden und damit wieder einmal einer häuslichen Arbeit nachgehen. Nach dem Lehrbuch sollte man sich einen Tag vor einem Marathon körperlich eher schonen, aber diese Regeln beachte ich schon lange nicht mehr.

Für 4 Uhr früh habe ich den Handywecker eingestellt. Diesmal werde ich wie in früheren Jahren automatisch einige Minuten vor dem Wecktermin wach. Eine gute halbe Stunde für Körperpflege und Frühstück ist eingeplant. Um 4.45 Uhr hole ich unseren Rookie Josef, der in der Altersklasse M-60 in den letzten Wochen laufend Spitzenzeiten hinknallt und um 20 Jahre Jüngere im Club überflügelt, von der nahen U3-Bahnstation ab. Mit meinem Auto fahren wir über die Ostautobahn ca. 40 km bis zur OMV-Raststätte Göttlesbrunn, wo wir mit Werner, der aus Bad Vöslau kommt, um 5.40 Uhr verabredet sind. Das Car-Sharing der anderen Art bedeutet, dass ich meinen Wagen am Parkplatz stehen lasse und wir zu dritt mit Werner, der zudem Obmann-Stellvertreter im Laufclub Team Austria Unlimited ist, in seinem Wagen die verbliebenen 80 km nach Györ weiterfahren.

Start und Ziel des auf sechs Runden angesetzten Marathons ist ein Auwaldstück nahe des Széchenyi István Universitäts-Colleges. Am Programm stehen zudem ein Lauf über die Halbdistanz (21.097 m, 3 Runden und ein Minimaraton (7.032 m, 1 Runde).Ich bin heuer schon im Juli gemeinsam mit Ernst, Schriftführer in unserem Club, einen von der ungarischen Sri Chinmoy-Bewegung veranstalteten Bewerb über 42.195 km in Szombathely gelaufen. Ein ähnlicher Geländemarathon wäre auch hier zu erwarten, klärte mich Ernst auf, der schon einmal hier dabei war und daher lieber an diesem Tag in Lokouvice in Tschechien antritt.

Als wir knapp vor 7 Uhr eintreffen, sind schon viele Läufer anwesend. Ein Ordner weist uns einen Parkplatz auf der Wiese zu, die Autos stehen in zwei langen Reihen dicht nebeneinander. Doch so professionell die Logistik beim Einparken zunächst aussieht, so bescheiden stellt sich der Aufbau des Start- und Zielareals dar. Drei Zelte stehen dort –für die Zeitnehmung, die Registrierung und die Verpflegung. Der sonst häufig anzutreffende aufblasbare Torbogen, den man beim Start und Zieleinlauf durchquert, wird durch zwei Stangen mit einem aufgespannten Tuch, das den Marathon ankündigt, ersetzt. Es gibt keine Werbung für Sportartikel, keine Laufmesse, keine Sponsoren. Man läuft nur für sich, oder wie ich, für meine Statistik.

Wer sich mit der Sri Chinmoy-Laufbewegung, die das „Self-Transcendence“, das „Hinauswachsen über sich selbst“ propagiert, näher beschäftigt, wird vielleicht zukünftig die Bedeutung eines Marathons anders beurteilen. Der Begründer dieser transzendalen Laufphilosophie, Sri Chinmoy, Initiator internationaler Friedensläufe und 2007 in New York verstorben, versteht darunter, dass wir jedes Mal Freude verspüren, wenn wir über unsere bisherigen Errungenschaften hinauswachsen und dabei nicht mit anderen, sondern mit uns selbst wettstreiten. Er inspirierte seine Meditationsschüler, sich in allen Lebensbereichen wie auch in der Spiritualität neue und höhere Ziele zu stecken und über die eigenen inneren und äußeren Grenzen hinauszuwachsen.

Statt Gels und Riegel werden am Versorgungsstand belegte Brote mit allerlei Gemüse drauf, Gurken- und Apfelspalten, Melonenscheiben, selbstgebackene Kekse u.v.m. angeboten. Alle Helfer arbeiten ehrenamtlich, sind sehr engagiert und hilfsbereit. Dementsprechend niedrig sind auch die Startgebühren – 4000 Forint (ca. 12 Euro) bis zum 18.Oktober, für das Baumwoll-T-Shirt werden 800 Forint extra zugerechnet. Die Nachmeldegebühr, die Josef und Werner sowie Börni, der mit seiner Lebensgefährtin angereist ist und sich erst spät entschlossen hat, in Györ zu starten, beträgt 7700 Forint. Börni ist mit bisher absolvierten 107 Marathons ebenfalls Mitglied in unserem Club und kann auf Laufzeiten unter 3 Stunden am Anfang seiner Karriere zurückblicken.

Jeder von uns nutzt die verbleibende halbe Stunde bis zum Start um 8 Uhr auf seine Weise – Werner betreibt Oberarmzirkeltraining, Josef isst einen Riegel, Börni lässt sich mit dem Clubshirt fotografieren – und ich treffe auf einen alten Bekannten, der kein Wort Deutsch spricht und den ich seit Jahren bei diversen Marathons in den ehemaligen Oststaaten sehe. Das letzte Mal in Kosice beim 90. Peace Marathon, wo er Vorletzter wurde. András, dessen Markenzeichen der weiße Schlapphut ist, hat bereits 350 Marathon absolviert und zählt zu den eifrigsten Sammlern in Ungarn.

Knapp vor dem Start unterhalten wir uns noch über das Wetter, das abgesehen von der Morgenfrische an einem Novembertag in den kommenden Stunden trocken bleiben sollte. Die Vorschau kündigt für den späteren Tag eine vom Westen kommende Niederschlagsfront an, die gegen Mittag auch Ungarn erreichen soll. Ich entscheide mich für zwei Lagen oben und eine halblange Laufhose. Börni läuft im Singlet, Werner und Josef mit kurzen Ärmeln.

Nach einer Schweigeminute wird offenbar durch Handsignal, nur für die Vorderen sichtbar, das Startkommando erteilt. Ich befinde mich ganz hinten, die Zeitnahme erfolgt ohne Championship oder Transponder, sondern mit Durchlaufaufzeichnung. Geschätzte 150 Teilnehmer nehmen das Rennen in durch unterschiedliche Farben gekennzeichneten Startnummern auf: Rot für die 7 km, blau für den Halbmarathon und gelb für die 42,195 km.

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