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Laufberichte

Passatore Florenz - Faenza

26.05.12

Der Bieler Hunderter ist Legende ("Irgendwann musst Du nach Biel"). Das italienische Gegenstück, der Passatore, dagegen zumindest bei uns nahezu unbekannt. Dabei ist das ebenfalls ein Traditionslauf über hundert Kilometer und hat bereits vierzig Jahre "auf dem Buckel".

Vor allem aber ist er in allem ein wenig anders als Biel, lockerer, fröhlicher, bunter, chaotischer - wie man es eben einem Lauf in Italien jederzeit zutraut. Vielleicht ist er auch etwas schwerer, obwohl dort ebenfalls sehr gute Zeiten gelaufen werden! Trotzdem sind jeweils gerade mal ein paar Handvoll Deutsche am Start. Nun, Florenz ist auch einiges weiter weg für uns in Deutschland. Im Zeitalter der Billigflieger aber kann das kein Argument mehr sein, den Passatore nicht zu laufen.

Vor 40 Jahren war ich ein Jüngling, der Motorradfahren im Kopf hatte, nicht aber das Laufen. Ein paar unternehmungslustige Italiener aber starteten damals das Projekt "100 chilometri del Passtore Firenze-Romagna (Faenza)”. Sicher ein Wagnis zu der Zeit, aber manche Dinge muss man ganz einfach beginnen, um zu sehen, ob sie funktionieren. Wie weitsichtig das damals war, zeigt sich daran, dass dieser Lauf auch heute noch beinahe zweitausend Läuferinnen und Läufer bewegt, trotz der vielen Konkurrenz, die in den letzten Jahren aufgekommen ist.

Beachtliche 337 Finisher finde ich in der Ergebnisliste von 1973 und eine Siegerzeit von 7h51min, der Letzte brauchte 21h45min. Im Jahr darauf waren es bereits 740 Finisher, dann 971 und 1980 war der Höhepunkt mit 1647 Finishern erreicht. In den Folgejahren pendelten sich die Zahlen auf etwa tausend ein. Allerdings muss man wissen, dass bei diesem Lauf immer viel mehr am Start waren, als im Ziel, der "Schwund"  unterwegs war jedes Jahr enorm, immer kamen viel weniger als die Hälfte an! Erst seit etwa 2004 besserte sich das. Dieses Jahr, zum 40er Jubiläum, waren 1.900 am Start, von denen immerhin 1.626 den Lauf beendeten. Ach so, die Bestzeit liegt aktuell bei 6h25min und das Zeitlimit ist auf 20 Stunden festgelegt.

Ich hatte vom "Passatore" das erste Mal gehört, als Bernhard Sesterheim ihn Anfang der 2000er Jahre gelaufen ist und alle, die ich in den Folgejahren befragte, lobten ihn in den höchsten Tönen. Nun endlich kann auch ich sagen, "Ich war dabei!", lobe ihn ebenfalls und eine Wiederholung ist durchaus wahrscheinlich.

Samstag um 15 Uhr war Start mitten in Florenz. Dort, rund um die Piazza della Signora, dort wo der weltberühmte David von Michelangelo steht (eine Kopie, das Original steht in der Galleria dell' Accademia ein paar Straßen weiter), hatten sich schon Stunden zuvor Massen von Läuferinnen und Läufern samt Angehöriger breit gemacht. Man zog sich um, nahm noch ein letztes Vesper zu sich, lag auf dem Boden für ein letztes Nickerchen, tauschte Erfahrungen aus, spazierte durch die Gassen und Plätze, bekämpfte seine Nervosität - kurz man verstärkte das gewohnte Durcheinander, auf das man in Florenz auf Schritt und Tritt trifft, machte es ein wenig bunter und trotzdem hatte ich den Eindruck, dass uns eigentlich niemand registrierte.

Was mir hier bereits auffiel: keine Ordner, keine Absperrungen, keine Polizei, keine Regulierungen, alles durcheinander und doch wohlgeordnet. Wie anders erlebt man das bei eigentlich jedem größeren Lauf in Deutschland!

Ein paar der ganz wenigen deutschen Teilnehmer hatte ich getroffen, als ich in einer Schlange vor den sieben Dixis wartete. Mit dabei Hans Drexler, vielen bekannt unter seinem Pseudonym "Schneggi". Er war bereits mehrmals bei diesem Lauf und versorgte mich sofort mit Tipps. Auch Gerhard Penzel war da, ein Veteran, was den Passatore betrifft und auch er wusste, was alles zu beachten war. Die vielen Autos, die man auf der Strecke antreffen würde, seien nicht der normale Verkehr, sondern Begleitfahrzeuge von Läufern. Nun, ich würde ja sehen.

Start war auf der Via dei Calzaioli. Pünktlich setzten sich die 1900 in Bewegung und bereits nach knapp zwei Minuten kam auch ich über die Zeitmessmatten. Es ging die Straße entlang zum Dom, wir umrundeten das imposante, geschichtsträchtige Gebäude und bewegten uns weiter Richtung Nordost aus dem historischen Kern der Stadt hinaus.

Angelika wie immer vorneweg, ich mit Hans etwas langsamer, aber mitten in der Menge. Eine ganz neue Erfahrung, war ich doch sonst kurz nach dem Start immer so ziemlich am Schluss des Feldes. Nun, die Teilnehmer wussten natürlich um die Länge der Strecke und gingen das Rennen entsprechend zurückhaltend an, gut so! Hans kannte offensichtlich jede Menge der Teilnehmer, rannte hin und her und parlierte italienisch. Dann machte er mich auf Marco Gelli aufmerksam, den Läufer mit der Startnummer 100, der in strammem Schritt marschierte, mit einer Fahne über der Schulter, auf der von 1974 an alle Jahreszahlen bis 2011 vermerkt waren. Alle Läufe des Passatore hat er mitgemacht, lediglich der erste fehlt ihm. Auch dieses Jahr kam er nach 18 Stunden im Ziel an und wird sicher noch ein Plätzchen für die Jahreszahl 2012 auf dem Tuch finden.

Die ersten vier Kilometer in der Stadt verliefen ziemlich eben und kurzweilig, bis es dann langsam aufwärts ging Richtung Fiesole. Mit einem Mix aus Joggen und Gehen bewegten wir uns aufwärts. Ganz weit hinten in der Ferne sah ich die Fahrradbegleiter, die dem Feld folgten. Angelika hatten wir eingeholt und trafen auf Birthe, die wir vom Transalpin 2010 her kannten. Sie wollte heute gut durchkommen, musste sie doch vergangenes Jahr den Lauf wegen zu großer Hitze zu Beginn und Kälte auf dem Pass abbrechen. Heute lief sie flott, aber respektvoll und kam dann auch weit vor uns im Ziel an. Die Temperatur war dieses Jahr mit etwa 25 Grad auch richtig angenehm.

Vorbei ging es an prachtvollen Toscanischen Villen, die malerisch am Hang lagen, eingebettet in schöne Gärten mit Zypressen, Kiefern, Büschen, Laubbäumen, Blumenrabatten, Rasen und Olivenbäumen. Genau so hatte ich mir das vorgestellt, die Gegend entsprach absolut jedem Klischee, das ich von der Toscana im Kopf hatte. Dazu kamen noch die schönen Ausblicke hinunter nach Florenz, die spektakulärer nicht hätten sein können. Der Lauf begann ja richtig vielversprechend.

Nur die Verpflegungsstelle, die wir passiert hatten, trübte kurz das Bild. Gerade mal ein Tisch, um den herum sich Trauben von Läufern drängelten, kein Durchkommen! Nun ja, an der nächsten würde ich dann eben an etwas zu Trinken kommen, bis dahin musste meine Trinkflasche herhalten.

Seit Kilometer vier ging es aufwärts, mal stärker, mal ein paar Serpentinen, ab und an riet die Vorsicht zum Gehen, meist joggten wir, langsam, aber konstant. Die Autos, die uns entgegen kamen, oder auch überholten, störten nicht. Die letzten Ausblicke hinunter auf die Stadt und wir waren in Fiesolo (km 7). Die Verpflegungsstelle dort war genauso umlagert wie die vorige, aber ich drängelte mich diesmal an den Tisch und ergatterte einen Becher. Das konnte ja heiter werden.

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