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Laufberichte

Maratona di Reggio Emilia – Sono passati vent'anni

13.12.15 Special Event
 

„Cosa? Sono gia passati vent’anni?“ fragt sich Paolo Manelli, Präsident der Ausrichtergesellschaft des am 13.Dezember bereits zum 20. Male ausgetragenen Marathons in und um der rund 170.000 Einwohner zählenden norditalienischen Stadt Reggio Emilia in der Region Emilia Romana in einem Presseinterview. Er hat sich nicht verzählt, denn im Jahre 2001, als ich hier meinen bisher vierten Marathon während eines Wintereinbruchs mit Neuschnee, Wind und Kälte finishte, fand dieser Lauf bereits zum sechsten Male statt.

Das 20-Jahres-Jubiläum ist ein würdiger Anlass, die heurigen italienischen Marathonmeisterschaften für Vereine mit dem Jubiläumslauf in Reggio Emilia zu kombinieren. Auch internationale Teilnehmer dürfen sich daran beteiligen, wenn sie die formalen Vorschriften erfüllen. Man weiß aber, dass es speziell in Italien Siebzigjährige gibt, die an guten Tagen auch unter 3:30 laufen. Mich hat 2001 ein  fünfundzwanzig Jahre älterer Kollege wenige Kilometer vor dem Ziel überholt. Heutzutage ist meine Form um nichts besser, mein Ziel derzeit ist es, unter 5 Stunden zu bleiben.

Wer sich bis zum 28. Februar registriert hatte, zahlte nur 28 Euro Startgeld. Doch ich habe wie so oft den letzten Anmeldetag am 6. Dezember versäumt (42 Euro Gebühr) und wollte eigentlich gerne in Sfax laufen. Doch für Tunesien gibt es wegen terroristischer Anschläge derzeit eine Reisewarnung des Außenministeriums. So schreibe ich ein Email an Maria von der Organisation, weil alle 3500 Startplätze inzwischen vergeben sind. Auch den Präsidenten des Club Supermarathon Italia, Paolo Francesco Gino, kontaktiere ich, der für mich ein gutes Wort einlegt.

Für die 820 km von Wien nach Reggio Emilia brauche ich am Vortag des Marathons mit dem Auto neun Stunden. Wie 2013 buche ich ein DZ für die Einzelnutzung im ca. 2,5 km vom Zentrum der Stadt entfernten Hotel Cristallo, das genügend Parkplätze anbietet. Ich kenne den Weg zum Palazzo dello Sport nahe beim Start- und Zielbereich am Corso G. Garibaldi, wo nun, als ich eintreffe, großes Gedränge herrscht. Die Startnummern werden im 1.Stock ausgegeben – für all jene, die bereits registriert sind. Es dauert, bis Maria sich meiner annimmt. Ich zeige ihr einen Ausdruck der Mailkorrespondenz. Eine Kopie eines gültigen ärztlichen Attests (jenes für den Milano-Marathon im April 2015) und meine Runcard beschleunigen das Procedere. Die erhöhte Nachmeldegebühr in Ausnahmefällen beträgt 50 Euro. Im Laufe des heurigen Jahres mit bisher 36 Marathons in 12 Ländern läppert sich einiges zusammen. Man lebt seinen Sport, „vivi la tua passione“ – und man zahlt dafür.

Mit der Startnummer gehe ich ins Erdgeschoss, wo die Messestände sind. Dort werden gegen Vorlage der Nummer mit integriertem Chip von timing data service Funktionsshirts ausgegeben. Die Größen S, M, L, XL und XXL stehen zur Auswahl. Einige Läufer probieren ihr Leibchen an, die Damen sind da sehr entgegenkommend. Eine ältere Helferin an der Ausgabestelle erinnert mich dran, den Bon für eine Nachmarathon-Pasta im Wert von über 4 Euro im Startsackerl nicht verfallen zu lassen. 2013 hat man am Vortag die Pasta serviert, ich werde aus Zeitgründen morgen nicht essen gehen können.

Am Stand des Clubsupermarathon Italia treffe ich Paolo, er wird die Serie „10 Marathons in 10 Tagen“ in Orta bei 7 Stunden Öffnungszeit auch 2016 wieder organisieren. Ich bin heuer nur einen davon gelaufen.

An diesem Wochenende scheinen im Hotel Corallo ausschließlich Läuferinnen und Läufer untergebracht zu sein. Ein ganzer Bus steht am Parkplatz, Dutzende Kollegen erscheinen am Renntag ab 6 Uhr beim Frühstücksbuffet. Der Cafe latte macchiato macht mich munter, die deftige Salami richtig hungrig. Es wird wie 2013 ein Late-Check-Out bis 15 Uhr angeboten, 65 Euro für die Übernachtung in einem Doppelzimmer mit Einzelnutzung sind preisgünstig.

Gegen 8 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Startbereich. An den Wänden der Bahnunterführung haben begabte Sprayer ausdrucksstarke Images erzeugt. Im Vergleich zur blinden „Zerstörungskunst“ auf Eisenbahnwaggons oder an Lärmschutzwänden in Wien sind diese Wandbilder richtig gut.

Das Wetter entspricht der Jahreszeit, es ist kalt, aber trocken. Tagsüber soll es bewölkt bleiben. Ich habe mehrere Shirts in der Tasche, umziehen kann man sich im Palazzo dello Sport, wo man auch (ohne jegliche Aufsicht) seinen Kleiderbeutel ablegen kann. Ohne Handschuhe und Winterstirnband werde ich heute nicht starten. Die schwarze Laufjacke mit dem M4Y-Logo war für mich schon letzten Sonntag in Horneburg sehr hilfreich, auch heute soll sie den kalten Wind abhalten.

Trotz Morgenfrost und zu erwartenden Temperaturen um 6 Grad in der Stadt und Kälte in höheren Regionen – der Kurs steigt von 50 auf 150 Meter an und fällt nach der Halbdistanz wieder– trifft man auf leichtbekleidete Läufer in luftiger kurzer Hose und Singlet, die fröstelnd dastehen, denn der übliche überstülpbare Kälteschutz bringt im Stehen nichts. Die Eliteläufer dürfen sich aufwärmen, Spitzenleute sind heute aber nicht dabei, da spart man auch beim Jubiläum. Der bisherige Rekord bei den Männern liegt bei 2:12:20, aufgestellt 2011 von Lahcen Mokraj (MAR), bei den Frauen lief die Italienerin Stefania Benedetti im Jahre 2007 mit 2:35:28 bisherige Bestzeit.

Wie 2013 spielt auch heuer die Militärmusik in Tarnanzug mit Pathos und unter akustischer Anteilnahme vieler Läuferinnen und Läufer sowie der Zuschauer die Nationalhymne Italiens. Auch für mich gehört die Fratelli d’Italia zu den schönsten Hymnen, die ich im Ohr habe. Bei der kommenden Fußball-EM ist Italien ja nicht ein Gegner von Österreich, sonst hätte man sich vor dem Anpfiff glatt vom weichen Fauteuil erheben müssen.

Vorne stehen die Spitzenläufer, dahinter sind unterschiedliche Sektoren, in denen sich die Starter nach ihrer angegebenen oder zumutbaren Finisherzeit hineinbegeben. Pacemaker bis 6 Stunden sind aufgeboten, eine Laufzeit, die Paolo, il Presidente, anstrebt, wie er mir gestern sagte.

Ich möchte das Geschehen im vordersten Feld bildlich festhalten, daher warte ich mit hochgestreckten Armen und Camera-ready an der Begrenzung bis zum Startschuss. Die Schnappschüsse gelingen, ich habe keine Eile, da tds die Nettolaufzeit im Ergebnis herausrechnet. Ich komme sogar noch in die 4:30er-Gruppe.

Der Marathonkurs führt  vom Corso G. Garibaldi in die via Emilia San Pietro und dann nach einer Wende durch die Stadt wieder zurück. Die Gassen sind viel zu schmal für das dichte Läuferaufkommen, man kommt nur langsam voran. Gleich zweimal laufen wir durch den Start- und Zielbogen, vorbei an vielen hinter den Absperrungen stehenden Zuschauern. Nach ca. 3 ½ Kilometern verlassen wir die Altstadt von Reggio Emilia, die erste von insgesamt acht Versorgungsstellen kommt in Sicht. Ich freue mich, dass es wie vor zwei Wochen in Florenz auch hier warmen Tee gibt. Gleich nach der Labe steigt der Marathonkurs leicht an, die Umgebung von Reggio Emilia mit kleinen Ortschaften ist hügelig.

Beim Frühstück im Hotel sind mit heute zwei gut trainiert wirkende Typen Anfang 50 mit sportlicher Kahlrasur am Haupte aufgefallen. Als ich mich bei Kilometer 6 umdrehe, läuft einer der beiden nur 50 Meter hinter mir, mit dicker Jacke und Haube gegen die Kälte geschützt. Das ist nun schon der zweite Läufer vom Hotel, dem ich im Rennen begegne.

Nach dem Gedränge in den engen Gassen der Altstadt auf den ersten Kilometern haben die schnelleren Läufer nun Gelegenheit, davonzuziehen bzw. das Tempo zu erhöhen. Läuft man mit einer 6er-Zeit konstant dahin, schafft man 10 km/h. Peilt man in derselben Zeit 11 km an, ist eine Kilometerzeit von 5:30 Minuten zu erbringen. Aber man bedenke folgendes: Die Kraftanstrengung für diesen Schnitt ist ungleich höher als der Distanzgewinn. Um einen Kilometer auf einer Strecke von 10 Kilometern aufzuholen, muss man sich ganz schön abmühen.

Das Wetter heute ist wenig einladend für einen Marathon, möchte ich anmerken. Vor zwei Jahren hatten wir traumhaften Sonnenschein, heute ist es bewölkt, in Schattenlagen kalt, auf den Wiesen und Äckern liegt Reif. Und meine Kameralinse ist andauernd beschlagen. Die Feuchtigkeit lässt sich nicht abwischen, weil meine Handschuhe, die Jacke und das Shirt auch leicht nass sind. In meiner Bauchtasche habe ich trockene Taschentücher verstaut, sie sollten für eine Zeitlang Abhilfe schaffen.

Nach sieben Kilometern verlassen wir das Stadtgebiet von Reggio Emilia und erreichen Coviolo, mit ca. 2300 Einwohnern ein Vorort und zur Kommune gehörig. Vorbei an wenigen Häusern führt der Marathonkurs auf asphaltierten Wegen weitgehend durch Agrarland, vereinzelt sieht man auch Weingärten. Gefallen finde ich diesmal weniger an der Landschaft als an einer Läuferin, die ein rotes Kurzarmshirt über ein schwarzes Longsleeve und ein gelbes ausladendes Stirnband trägt. Sie läuft locker und hat das Gehabe einer Dame mit einem angenehmen Parfumduft. Als ich sie knipse, lächelt sie freundlich. Bis zur Halbdistanz könnte ich mich in ihrer Nähe bewegen, vielleicht ergibt sich auch ein Gespräch.

Ich laufe der 4:30-Gruppe wie so oft schon im heurigen Jahr dicht hinterher. Bei der 10 km-Marke zeigt meine GPS-Uhr 62 Minuten an. Ich gönne mir ein Keks und trinke warmen Tee. Wir erreichen San Rigo, ein weiterer ländlicher Vorort der Kommune Reggio Emilia. Das Läuferfeld ist weit auseinandergezogen, sowohl nach vorne als auch nach hinten. Ich denke, dass die Langsamsten nach 1:20 Stunden bereits zwei Kilometer zurückliegen. Einige Hundert Meter in Laufrichtung erblicke ich die zweite Station, wo nun bei 12,5 Kilometer (und davor auch schon bei 7,5 km) Schwämme ausgegeben werden. Gut gemeint, aber bei diesen Temperaturen entbehrlich. Infolgedessen nehmen die wenigsten Läufer einen von den Helfern mit einer Santa Claus Mütze am Kopf an.

Mia bella Signora mit dem roten Shirt läuft gut 200 Meter vor mir, die 4:30er haben sich etwas weiter abgesetzt. Die Tafel mit der 14 km-Anzeige taucht auf, gleich danach sind wie 2013 auf einem Zaun Transparente angebracht. Neben der italienischen Fahne ist auch eine slowakische zu sehen. Mit Slogans wie „Lunga vita al podismo“, „20 anni sempre con voi“, oder „Maratona immensa passione“ drücken die Fans ihre Wertschätzung für den hiesigen Marathon aus. Gleich darauf folgt ca. 100 Meter vor der 15 km-Zeitnahme die nächste Labestelle. Ich nehme Tee und ein Keks. Die üblichen Positionskämpfe finden heute nicht statt, meine Kollegen um mich herum sind alle mit sich beschäftigt, die Kälte setzt allen zu.

Die leichte Steigung des Marathonkurses spürt man beim Laufen kaum, doch das eigene Tempo wird geringfügig langsamer. Ich habe vergessen, bei Kilometer 15 auf die Uhr zu schauen – heute mache ich mir keinen Stress. Aber ein Mann, vermutlich Mitte Sechzig, mit einer Laufjacke in Neongelb und gelber Haube fällt mir auf. Er überholt ständig und geht dann wieder. So kommt es, dass ich ihn immer wieder einhole. Ich nehme mir vor, ihn bei der nächsten Gelegenheit auf die „Run-Walk-Run“-Methode von Jeff Galloway anzusprechen.

Wir nähern uns Montecavolo, mit 3500 Einwohnern ein weiterer Vorort von Reggio Emilia und mit 144 Metern über den Meeresspiegel der höchste Punkt der Strecke. Wenn ich denke, dass man bei Bergmarathons in unseren Breiten auf 2000 und 3000 Metern hinauf muss, dann sind diese „Höhen“ hier beim Marathon nicht wirklich als nennenswert zu bezeichnen. Mit Bedauern registriere ich aber, dass die Dame in Schwarz-Rot irgendwo eine kleine Pause eingelegt hat oder auch davongesprintet ist. Direkt im Ort befindet sich wieder eine Schwammstation, kaum jemand bleibt stehen oder nimmt einen entgegen. Eine ältere Helferin gratuliert den Läufern, sie ist unterbeschäftigt. Ich sage „Buongiorno, Mama Natale“. 

Bei Montecavolo wendet der bislang nach Süden führende Marathonkurs und geht in nördliche Richtung. Nahe der Ortschaft Rubbianino befindet sich die 20 km-Anzeige. Die Halbmarathondistanz mit einem die Straße überspannendem, luftgefülltem Durchlaufbogen erreichen wir dann in dem anschließenden Vorort Ghiardello. Mit 2:17 bin ich nun schon etwas zurückgefallen, aber heute möchte ich einmal im Schongang laufen. Eine Laufzeit wie in Florenz mit 4:52 netto sollte auch so möglich sein. Mein Optimismus ist berechtigt, denn der Marathonkurs hat nun teilweise ein Abwärtsfälle mit einigen Zwischenanstiegen. Gleich nach der Zeitnahme folgt ein Anstieg zur Labe, wo es diesmal Apfel-, Bananen-,Orangen-  und Zitronenstücke als Vitaminstoß und die üblichen Getränke – Wasser, Iso, „falsches“ Cola und Tee gibt. Ich verweile wie die meisten Läufer  an der Versorgungsstelle und stärke mich.

Der Marathonkurs führt nun in ländlicher Umgebung auf ziemlich ramponierten Straßen wieder nach Süden. Endlich bietet sich die Gelegenheit, den „Run-and Walk“-Spezialisten anzusprechen. Er erzählt mir, dass er bereits 71 sei und heuer den 30. (Ultra-)Marathon des Sables über 230 Kilometer in Marokko gefinisht habe. Das zeichnet ihn aus. Sechs Etappen sind in sieben Tagen zurückzulegen: fünf Etappen zwischen 20 und 40 km und eine Etappe von ca. 80 Kilometern, die die Läufer an einem Stück in knapp zwei Tagen (40 Stunden) absolvieren müssen. Daher ist der Marathon für ihn wohl nur ein Trainingslauf.

Bei Kilometer 28 dreht der Kurs und geht nordöstlich in Richtung Reggio Emilia weiter. Bei den Anstiegen marschieren viele, ich versuche bei den Abwärtspassagen das Tempo etwas zu erhöhen. Als die 30 km-Labstelle in der Ferne erkennbar ist, beflügelt mich das zusätzlich. Wegen einiger kleinerer Anstiege bin ich mit den 3:20 Stunden bei der 30 km-Anzeige eigentlich zufrieden.

Schon ab Kilometer 28 und nun auch nach 30 Kilometern fahren uns Läufern immer wieder Autos nach, obwohl die Marathonstrecke eigentlich gesperrt ist. Die Autos fahren einfach drauflos, erst bei möglichen, aber gesperrten Abzweigungen halten Kontrollposten die Lenker auf. Selbst dann schaffen es einige Autos, weiterzufahren. Da die Straßen nach rechts abschüssig sind, laufe ich wegen meiner Verletzung im linken Knöchel so weit links wie möglich, doch wenn die Autos mit überhöhter Geschwindigkeit einem hinterherfahren, weicht man besser aus.

Nach der Ortschaft Ghiarda folgt wieder ein Lichtblick, als ich mich nach Autos umschaue: Die schon erwähnte Läuferin in rot/schwarz nähert sich von hinten. Sie ist also doch nicht davongezogen, sondern wohl irgendwo stehengeblieben. Aber nun kommt die Dame unaufhaltsam näher, kein Zweifel, sie hat Reserven und wird mich in Kürze einholen. Als wir zur Ortstafel von San Rigo kommen – der Marathonkurs verläuft einige Kilometer bis knapp vor Coviolo entlang der Route bis zur Halbdistanz – ist es soweit. Wir lächeln uns zu, dann läuft sie auf einer Aufwärtspassage knapp vor der Schwammstation an mir vorbei. Just als ich die Kollegin knipsen will, blockt die Digicam. Ich hoffe zu diesem Zeitpunkt, dass vielleicht doch das eine oder andere Foto herzeigbar ist.

Bis zur 35 Km-Anzeige ist der Marathonkurs ziemlich wellig, es geht hinauf und hinunter, über Hügelkuppen und unter Unterführungen. Gerade diese Passage habe ich aus dem Gedächtnis verloren, obwohl der Kurs 2013 nach meiner Erinnerung zumindest bis Kilometer 35 gleich verlaufen ist. Mein Ziel ist es, knapp unter 4 Stunden zu bleiben – mit 3:58 geht es sich aus.

Wir sind nun schon wieder im Stadtgebiet von Reggio Emilia, denn Baragalla ist ein Wohnviertel im Süden der Stadt mit viel Grün im und um dem welligen Parco il Noce, der in einer ca. 2 km langen Schleife durchlaufen wird. Jetzt spüre ich doch den Kräfteverschleiß – die 9 Stunden Autofahrt gestern mag zudem einiges an Substanz gekostet haben. Es kommen nun mehr und mehr Läufer nach und bewegen sich an mir vorbei. Darunter auch ein Kollege des Wüsten-Ultraläufers, der mich nach der Uhrzeit fragt. Am linken Ufer des seichten Torrente Crostolo geht es entlang bis zum 40 km-Punkt. Meine Uhr zeigt 4:39 Stunden an. Das passt schon.

Wir queren die Brücke über den Fluss und sind bald darauf auf dem leicht fallenden Marathonkurs wieder in der Altstadt von Reggio Emilia. Auf den letzten zwei Kilometern treffe ich zahlreiche Läufer, die ich in den vergangenen Jahren bei einer der vielen Marathons in Italien schon gesichtet habe. Darunter ist einer, der gehbehindert ist und Sportschuhe in einer geschätzten Größe von plus 50 trägt. Er war auch heuer in Orta dabei, aber er läuft nicht, sondern geht wie ein Clown mit im spitzen Winkel nach außen gedrehten Füßen.  Das sieht komisch aus, aber er scheint einen festen Platz in der heimischen Läufercommunity einzunehmen.

Knapp vor dem Ziel komme ich noch mit einer weiteren Kollegin ins Gespräch – die Rückseite ihrer eigenwilligen Laufdress weist hautfarbene Querstreifen auf, sodass ich für einen Augenblick glaube, sie ist trotz der Winterkälte im sexy Outfit unterwegs. Ich laufe zu ihr auf und sage „andiamo!“ Leider kann sie nicht mithalten. Mit meiner heute so bockigen Kamera versuche ich ihren Zieleinlauf als Ausdruck für ein freudiges Finish fotografisch festzuhalten.

Nach 4:54:02 Stunden beende ich den 20. Marathon in Reggio Emilia, in Florenz war ich vor zwei Wochen um zwei Minuten „schneller“. Mit solchen Laufzeiten rangiert man bei größeren Marathons um ein paar Hundert Plätze vor den Allerletzten. Bei Läufen, die nur 5 Stunden offen sind, wie bspw. in Bratislava, Laibach oder Bad Füssing muss man ordentlich kämpfen, um die Cut-off-Zeiten einzuhalten. Daher nehme ich das Wort „Genusslauf“ bei einem Marathon nur allzu ungern in den Mund, weil meine Laufzeiten leider immer länger werden und eigentlich eine Auszeit zur Regeneration angebracht wäre. Das Marathonsammeln kann zur Sucht oder lieben Gewohnheit führen, man kommt schwer davon los.

Nach dem Zieleinlauf bekomme ich eine völlig neu gestaltete Medaille. Statt einer Wärmefolie erhalten die Finisher am Ausgang ein von Enervit gesponsertes Handtuch, in das in roter Schrift das 20-Jahres-Jubiläum eingestickt ist.

Am Weg zum Palazzo dello Sport kommen mir hunderte Finisher entgegen, die dort ihre Kleidertasche und das nach dem Marathon zu beziehende Goodiepaket abholten. Ich hätte nicht damit gerechnet, meine abgestellte Tasche inmitten Hunderter anderer unberührt wieder vorzufinden.

Von der Halle zum Hotel Corallo sind es mehr als zwei Kilometer durch die weihnachtlich geschmückte Altstadt von Reggio Emilia. Um 15 Uhr treffe ich dort ein, eine halbe Stunde später nach einer ausgiebigen Dusche fahre ich ab. Mehr als 800 Kilometer an einem Sonntag bei Nebel, Kälte und nassen Fahrbahnen liegen vor mir. Was macht man nicht alles, um einen weiteren Marathon in seine Statistik eintragen zu können?

Was spricht für eine Teilnahme am Marathon in Reggio Emilia?
 
Zunächst das sehr gute Preis-Leistungsverhältnis: Im Startgeld (25 bis 42, bei der Expo 50 Euro) enthalten sind ein sehr schickes Funktionsshirt, eine edle Medaille und ein prall gefülltes Goodie-Package mit allerlei kleinen Aufmerksamkeiten. Für langsame Läufer (wie mich)sind sechs Stunden Öffnungszeit der Strecke ein Bonus, da kann nichts schiefgehen.

Acht Labestationen widmen sich den Läufern, die in Reggio Emilia bestens versorgt werden. An sieben Standorten werden Schwämme verteilt (im Winter eher gut gemeint als nötig, meine ich). Die Zeitnahmefirma tds verwendet einen integrierten Chip, der an der Rückseite der Startnummer in Form von zwei mit Schaumgummi geschützten, vertikal angeordneten Plättchen angebracht ist. Es kommt immer mehr in Mode, dass man auf den kostenpflichtigen Championchip verzichtet und wie in Reggio Emilia oder Florenz am Schluss des Marathons Startnummer und Chip behalten (oder auch wegwerfen) kann.

Umziehen kann man sich in der geräumigen Sporthalle nahe dem Start- und Zielbereich, dort kann man auch seine Tasche deponieren, die allerdings unbeaufsichtigt bleibt. Und dort holt man sich am Vortag und (wenn man registriert ist) auch noch bis knapp vor Rennbeginn die Startnummer ab. Die Laufergebnisse sind bereits nach dem Rennen auf der homepage von tds einsehbar, eine Urkunde ist als pdf downloadbar.

Die Marathonparty findet nach dem Rennen in einem Lokal nahe dem Zielbereich statt. Das war 2013 anders und besser. Man will sich vor dem Lauf stärken und nicht danach ungeduscht bis in den frühen Abend zuwarten, um ein Nudelgericht auszufassen.

Einige Österreicher und Deutsche neben anderen Nationen haben in Reggio Emilia am 20. Jubiläumsmarathon teilgenommen. Auch anderen Kollegen ist kein Weg zu weit für einen Marathon. Vivi la tua passione!

Sieger Herren:
1.Jaouad Zain (MAR) 02:16:56
2.Jean Baptiste Simukeka (RWA) 02:17:14
3.Giovanni Gualdi ( ITA) 02:17:59

Ranking bei den Frauen:
1.Catherine Bertone ( ITA)  02:34:54 
2.Marija Vrajic (CRO)  02:43:59
3.Nikolina Sustic (CRO ) 02:48:33  

3005 Finisher (404 Frauen)

 


 
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