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Laufberichte

BIG 25 Berlin: Es läuft auch ohne Marathon

16.05.16 Special Event
 

Vor 35 Jahren hatte die französische Militärmacht in Berlin die Idee, einen Lauf durch die Innenstadt anzubieten. Die Polizei vertrat zwar die Auffassung, dass die Straßen den Autos vorbehalten sein sollten, aber das Militär genoss in Berlin Sonderrechte, sodass es zu einer Premiere mit 3.250 Läufern kam, welche die Strecke von 25 km zurücklegten. Der erste Citylauf Deutschlands war geboren. Im selben Jahr wurde auch dem noch jungen Berlin-Marathon erstmalig die Strecke durch die Straßen West-Berlins genehmigt.

Sechs Weltrekorde wurden in Berlin schon über die 25 km gelaufen. Es handelt es sich um einen der weltweit größten Läufe über diese Distanz. 1986 gewannen Ralf Salzmann und Herbert Steffny in 1:14:33. 

In diesem Jahr sollte der BIG 25 um einen Marathon erweitert werden. Leider gab es letztendlich mehr Bedenkenträger als Beführworter und so wurde der Plan, in der Hauptstadt einen zweiten Marathon zu platzieren, von den Behörden nicht genehmigt. 

Die Streckenführung, nach dem Fall der Mauer um die historische Mitte Berlins erweitert, zieht auch viele auswärtige und ausländische Sportler an, die hier bestes Sightseeing für wenig Geld bekommen. Für Judith und mich mal wieder die Gelegenheit, einen Besuch der Hauptstadt mit einem schönen Lauf zu verbinden. Der Berlin Marathon hat natürlich auch seinen Reiz, aber irgendwie schrecken mich die inzwischen komplizierten Anmeldeformalitäten dort ab. Positiv wäre die Möglichkeit, zu zweit an der Verlosung der Startplätze teilzunehmen. Aber muss ich wirklich ums Mitmachen betteln? Alternativ gibt es in Berlin noch einige andere Marathonveranstaltungen, über die M4Y auch schon berichtet hat. 

Das Pfingstwochenende bietet sich für einen Ausflug an. Leider kommt es von Freitag auf Samstag zu einem Temperatursturz, erkennbar an vielen Berlinern, die darauf nicht vorbereitet waren und bei knapp 15 Grad und kaltem Wind noch in T-Shirt und kurzer Hose unterwegs sind. Wenigstens regnet es nicht.

Auf der Dachterrasse des Karstadt-Sporthauses direkt am Bahnhof Zoo ist die Startnummernabholung eingerichtet. Beeindruckend, wie schnell sich diese Ecke baulich verändert. Fast jährlich wachsen neue Hochhäuser in den Himmel. Nebenan wird gerade die Fassade an den 119 Meter hohen Upper West Turm angebracht. Wo noch im vergangenen Jahr ein Nachkriegsbau mit schmuddeliger Passage war, klafft jetzt schon die nächste Baugrube. Karstadt gibt freundlicherweise einen kräftigen Rabatt auf sein Sortiment, sodass wir auch gleich die nächste Laufschuhgeneration günstig erstehen können.

 

Der Lauf

 

Start ist um 10:00 Uhr am Olympischen Platz vor dem Olympiastadion. Da kann man noch in Ruhe frühstücken und sich dann per S- oder U-Bahn auf den Weg machen.

Der Wind pfeift kalt über die Anlage. Wir sind viel zu früh da und suchen ein Plätzchen in den Sonnenstrahlen, die gelegentlich durch Wolkenlücken durchkommen, quasi wie in Vittorio de Sicas Film „Das Wunder von Mailand“. Wie in anderen Großsportanlagen auch, gibt es hier ausreichend Toiletten. Ganz schlaue Sportler ziehen sich gleich in den beheizten Räumen um.

 

 

Hinter dem Stadion auf dem Maifeld steht schon eine riesige Zeltstadt für das DFB-Pokalfinale Bayern München-Borussia Dortmund am 21.5. Aber das betrifft ja eine andere Sportart. Am Rande des Schwimmstadions eine Ausgrabung: Antik wirkende Säulen erinnern an einen Tempel aus Pompeji. Hier fand man vor einigen Jahren die Reste des Deutschen Stadions aus dem Jahr 1912, das für die abgesagten Olympischen Spiele 1916 errichtet wurde und den monumentalen Bauten der Nationalsozialisten weichen musste.

Als Kind fand ich in unserem Bücherschrank ein Olympiabuch über die Spiele von 1936. Die Tradition der Olympiabücher wird heute noch gepflegt. In dem Buch befanden sich 3D-Fotos von den Spielen. Man konnte die Bilder in ein aufklappbares Gestell stecken und befand sich dann praktisch mitten im Geschehen. Neben den grandiosen Siegen von Jesse Owens - der in Berlin erstmalig mit seinen weißen Teamkameraden im gleichen Zimmer wohnen durfte, was ihm in den USA nicht erlaubt war - wurde natürlich auch Marathon gelaufen: Es siegte der Koreaner und für die Besatzungsmacht Japan startende Sohn Kee-chung (Son Kitei) in 2:29:19 mit zwei Minuten Vorsprung vor dem Briten Ernie Harper. Einige aussichtsreiche deutsche Läufer waren von einem Ausscheidungswettkampf vor den Spielen zu sehr geschwächt, um vorne mithalten zu können.

Aber wir werden uns ja heute mit etwas weniger Kilometern begnügen. Der große Olympische Platz vor dem Stadion nimmt locker die 10.000 Sportler der Disziplinen 25 km, Staffel, Halbmarathon und 10 km auf. Die Startbereiche orientieren sich an den Meldezeiten. Wir unterhalten uns mit Gernot aus Zwickau, der ein Fan von M4Y ist und auch schon oft beim Berlin Marathon dabei war. Nach der Vorstellung der Topläufer geht’s los. Über die Olympische Straße laufen wir in Richtung Osten ins Neu-Westend. Ist doch logisch.

 

 

Platz zum Laufen gibt es auf den breiten Straßen genug, außerdem macht sich bezahlt, dass wir im richtigen Block gestartet sind. Eine Marathonallee gibt es hier auch. Die erste Trommelgruppe erwartet uns am Theodor-Heuss-Platz. Das 1960 von Dieter Hallervorden und einigen Kollegen gegründete Kabarett „Die Wühlmäuse“ im ehemaligen Kinosaal der britischen Streitkräfte liegt vor uns. Auf dem Platz die seit 1955 brennende Ewige Flamme für die Opfer von Flucht und Vertreibung.

Der schöne Blick auf die Läuferschar auf dem schnurgeraden Kaiserdamm mit dem Fernsehturm im Hintergrund zeigt uns, wie riesig groß diese Stadt ist und dass es jetzt konstant bergab geht. Wir schießen dahin. Bei Kilometer drei unter uns die Autobahn und der S-Bahn-Ring. Trennung von den 10.km-Läufern. Dann an der Deutschen Oper vorbei. Das renovierte Hochhaus der Technischen Universität am Ernst-Reuter-Platz vor uns. Oben ein Studierendencafé. Vor langer Zeit durfte ich da auch mal hinauf. Jetzt reicht es nicht mehr, Student zu sein: Man braucht einen Ausweis der TU Berlin. Links das Schiller-Theater. Wir sind auf der Straße des 17. Juni im Gedenken an den erfolglosen Arbeiteraufstand in der DDR anno 1953. Lange haben wir im Westen diesen Sommerfeiertag als „Tag der deutschen Einheit“ gewürdigt. Und jetzt haben wir den 3. Oktober dafür bekommen.

Der Landwehrkanal wird überquert. Berlin ist auch per Binnenschiff zu erreichen. Viele Seen und Wasserstraßen gibt es hier. Ein Eldorado für Hobbykapitäne. Und ich liebe diese Sandstrände. Bei uns zu Hause gibt es nur Kies. Vor uns strahlt die Bronzeskulptur der Göttin Viktoria, im Volksmund „Goldelse“ genannt, auf der Siegessäule von 1873. Gedacht wird dreier Siege über die Dänen, die Franzosen und die Österreicher. Meine Mutter wies hier immer vehement darauf hin, dass wir in München einen goldenen Friedensengel haben. 

Die Halbmarathonis drehen nach rechts in die Tiefen des Tiergartens ab. Wir laufen weiter Richtung Osten. Links taucht das Sowjetische Ehrenmal im Tiergarten auf. Analog zur Hauptgedenkstätte im Treptower Park wurde es zu Ehren der gefallenen sowjetischen Soldaten angelegt. Zur Zeit der Mauer konnte man hier sowjetisches Militär in West-Berlin sehen. Seit 1994 obliegt die Pflege der Anlage der Stadt Berlin. Dahinter die Kuppel des Reichstagsgebäudes. Vor uns als nächstes Highlight das Brandenburger Tor. Zuvor das Mahnmal „Der Rufer“: Der Nachguss der Bremer Plastik von Gerhard Marcks wurde 1989 zum 100. Geburtstag des Künstlers hier aufgestellt.

Vor uns am Boden symbolisiert eine Reihe von Kopfsteinen im Teer den Verlauf der Mauer. Die Älteren unter den Läufern haben vielleicht hier noch auf einer Aussichtsplattform gestanden und „nach drüben“ gesehen. Viele Fotos haben wir und die DDR-Grenzsoldaten von uns gegenseitig gemacht. Ich hatte einmal das „Glück“, das Ganze zur Abwechslung aus ostdeutscher Sicht zu erleben. Ein Verwandter meiner damaligen Freundin fuhr mit uns im Trabbi nach Ost-Berlin und dann standen wir auf der anderen Seite des Brandenburger Tors. Was mich wieder daran erinnert, dass ich mich mal erkundigen sollte, ob eventuell Stasi-Akten von mir existieren.

 

 

Rechts hinter der Trommelgruppe die amerikanische Botschaft und dann hinter dem Tor an der Straße Unter den Linden die Botschaft der russischen Föderation. Wie viel hat sich hier in den letzten 25 Jahren verändert! Unter uns fährt die Nord-Süd-S-Bahn, 1936 nach sechs Jahren Planungs- und Bauzeit fertig gestellt. Apropos: Judith und ich fragen uns, was der Aufdruck „Am 3. Juni 2012 eröffnet der modernste Flughafen Europas“ uns sagen will, der das Hemd einer Mitstreiterin ziert. Aber Spaß beiseite, ähnlich wie die Stadt Bielefeld - die manche für ein Phantom halten - gibt es dieses leerstehende Flughafengebäude wirklich. Auf unserer Rückfahrt haben wir es von der Autobahn aus gesehen. Jeder Tag, an dem der Flughafen nicht genutzt wird, kostet über 1 Million Euro. Zum Vergleich: Der Berlin-Marathon bringt der Stadt nach Einschätzung des Hamburger Wirtschaftswissenschaftlers Professor Wolfgang Maennig 35 Millionen Euro Einnahmen. 

Aber jetzt genug mit der Politik. Eine Touristengruppe auf Fahrrädern versucht den Läuferweg zu queren, was dank der breiter Straße auch ganz gut gelingt. Als nächstes Highlight umrunden wir den Gendarmenmarkt, frenetisch angefeuert von einer Mädchenschulklasse. Gemeinhin wird der Gendarmenmarkt mit dem Deutschen und dem Französischen Dom sowie dem Konzerthaus als schönster Platz Berlins bezeichnet. Dann ein bayerisches Lokal. Wir schwenken nach rechts auf die Leipziger Straße. Von nun an geht es also wieder nach Westen. Links die Friedrichstraße mit dem Checkpoint Charlie. Fast nichts mehr erinnert hier an den Todesstreifen. Wohnblöcke im Osten und Springer-Hochaus im Westen standen sich gegenüber. Hinter dem Haus verlief eine Mauer, wie überall in Deutschland, aber hier halt unüberwindbar. 

 

 

Achteckig der Leipziger Platz. Hier ist alles neu. Vor uns die Hochhäuser am Potsdamer Platz: Deutsche Bahn, Sony Center. Über die Ben-Gurion-Straße. Vor uns geht es in den Autotunnel unter dem Tiergarten hindurch. Wir müssen nach links, an der Philharmonie vorbei. Dann viele Botschaften: Österreich, ständige Vertretung Baden-Württembergs, Indien, Richard-Wagner-Denkmal, Südafrika, Türkei. Die italienische und die japanische Botschaft in den Gebäuden, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lange im Dornröschenschlaf lagen. Saudi-Arabien, Nordische Botschaften, Mexiko, Malaysia, Bahrain, Malta, Luxemburg, Monaco.

Ein schönes Sightseeing, wäre da nicht dieser plötzliche, aber kurze Regenschauer. Zurück über den Landwehrkanal, ins West-Berliner-Zentrum. Wittenbergplatz mit dem historischen U-Bahn-Empfangsgebäude, dahinter Kaufhaus KaDeWe, das größte Warenhaus auf dem europäischen Kontinent. Tauentzienstraße mit Blick auf die Reste der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Erinnerung an die Zerstörung durch den Krieg. 

Kurfürstendamm: Das berühmte Café Kranzler steht leer. Der Regen hat aufgehört. Kilometer 17.  Nach den vielen Fotostopps muss Judith wieder eingeholt werden. Meine Mitstreiter machen es mir nicht leicht und lassen mich nicht ohne weiteres vorbei. Wahrscheinlich bin ich aber einfach zu langsam. Dann sehe ich an der nächsten Kurve Judith weit vor mir. Durch die nicht so bekannte Leibnizstraße, unter der Bahn hindurch und dann wieder nach Westen über die Kantstraße. Citynahe Wohn- und Gewerbegebiete. Immer noch viele Zuschauer. Besonders die Spanier fallen mit ihren Fahnen auf. Der BIG 25 scheint auch auf ausländische Läufer eine große Anziehungskraft auszuüben. Am Lietzenseepark Kilometer 20 mit Staffelwechsel und Wasserstelle. Hatte ich noch großspurig zu Judith gesagt, dass ich bei einem Lauf über 25 Kilometer keine Verpflegung brauche, wäre ich jetzt über einen Traubenzucker recht froh. So als Powershot für den Endspurt. 

 

 

Was mir noch auffällt ist das Großaufgebot von Sanitätern bei diesem Lauf. Da braucht sich niemand Sorgen um seine Gesundheit zu machen. Hinter dem Autobahn- und S-Bahn-Ring taucht das ICC, das Internationale Congress Centrum, samt West-Berliner Funkturm auf. Rechts die großen Gebäude des Rundfunks. Der einundzwanzigste Kilometer hat es steigungsmäßig in sich. Da muss man sich durchbeißen und verliert trotzdem 10 bis 20 Sekunden. Am Theodor-Heuss-Platz ist die Halbmarathonmarke erreicht. Wir sind wieder auf bekannter Strecke. Die Trommelgruppe steht vor dem Regen geschützt an einer Häuserwand. Leicht bergauf weiter ins Westend. Judith und ich nun wieder vereint. Hinter den Bahngleisen ist der höchste Punkt der Strecke erreicht. Das Olympiastadion liegt direkt vor uns. Olympischer Platz. Die schlanken Türme sind nach den Ländern Preußen und Bayern benannt. Erst Kilometer 23, da fehlt also noch was. 

Ich informiere Judith, dass ich im Marathontunnel noch Zeit brauche, um die Trommler zu fotografieren. Sie soll auf mich warten. Ihr Vorschlag: „Dann lauf doch jetzt einfach schneller.“ Können vor Lachen. Ich gebe mir Mühe. Links am Stadion vorbei. Coubertinplatz, Jesse-Owens-Allee. Dann endlich nach rechts ins Olympiagelände. Es geht bergab. Gefühlte 200 Meter unterirdisch. Die Trommelgruppe lässt den Boden wackeln. Ich fummle an meinem Blitz. Judith winkt. Ich hinterher. Das Marathontor unter der Schale des olympischen Feuers entlässt uns ins Stadion. Sohn Kee-chung musste noch 150 Meter nach rechts. 100.000 Zuschauer jubelten ihm zu. Sein Sieg wurde erstmalig per TV in ausgewählte Fernsehstuben übertragen. 

 

 

Wir dürfen noch länger im Stadion laufen und müssen nach links. Vor 80 Jahren gab es hier noch keinen „Hertha-blauen“ Bodenbelag. Unser Finish ist live auf den Videoleinwänden zu sehen. Grinsend kommen wir ins Ziel, leider nicht mehr unter 2:10 Stunden. Wir müssen nach oben und dürfen nicht auf die Wiese. In den Genuss kommen nächste Woche andere Münchner. Die Schale für das olympische Feuer ist mit einer zusätzlichen Tribüne für das Pokalfinale umbaut. 

Einmal oben, nehmen wir eine sehr schöne Medaille in Empfang. Die Zielverpflegung besteht aus Äpfeln, Fruchtgel, verschiedenen Erfrischungsgetränken und Berliner Bier. Später stelle ich fest, dass es Alkohol enthielt. Duschmöglichkeiten gäbe es im schicken Grohe Duschtruck.

Ein wirklich schöner Lauf geht zu Ende. Das nenne ich Sightseeing vom Feinsten. Und so ein Finish im Olympiastadion ist nicht zu überbieten. Kurzum, der BIG 25 ist ein Event für jeden, der sich an den Berlin Marathon mit 42,2 km noch nicht herantraut oder kein Glück bei der Verlosung der Startnummern hat. 

 

 

Als Marathonis sind wir hart im Nehmen und laufen leicht alkoholisiert die fünf Kilometer ins Hotel. Nachmittags finden wir uns in der großen Partyzone beim „Karneval der Kulturen“ in Kreuzberg wieder. Ganz ohne Lederhose und Dirndl.

 

 

Ergebnisse 25 km Lauf 

 

Männer

1 Bett, Benard Kiplangat (KEN)        01:15:51
2 Ereng, Patrick Mugur (KEN)        01:16:18
3 Biratu, Gudeta (ETH)            01:18:10
4 Kosgei, Mathew (GER)            01:19:00

Frauen

1 Jelagat, Viola (KEN)            01:26:00
2 Tola, Helen Bekele (ETH)            01:28:32
3 Soboka, Urge Diro (ETH)            01:30:53

Finisher

4.030 25 km
1.448 Halbmarathon
2.757 10 km
     49 5*5 km Staffeln

 

Nächster Termin: 07.05.2017

 

 


 
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