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Laufberichte

Adelaide Marathon: Upside down

04.09.15 Special Event
 

Stockdunkel ist es, als ich um 6h früh vor das Hotel trete. Es liegt am Beginn der Ausgehmeile. Jede Menge Taxis sind dabei, die Nachtschwärmer aufzusammeln. Weg von der Hindley Street ist es beinahe gespenstisch ruhig. Am erleuchteten Adelaide Convention Center vorbei überquere ich den River Torrens, der hier eher wie ein kleiner Stausee aussieht. Vom linken Ufer her spiegelt sich die Schokoladeseite der Stadt im Fluss, die Riverbank. Dieses Motiv wird immer gezeigt, wenn im Fernsehen über Neuigkeiten aus Adelaide berichtet wird.

Ich gehe runter ans linke Ufer und finde ein 34km- und 14km-Schild. Das sind die ersten Hinweise, dass es heute doch einen Marathon geben wird.

Vor 23 Stunden bin ich nach ruppigem 6-Std-Flug aus Singapur hier gelandet. Eines der vielen kleinen Kinder an Bord hat immer geschrieen wie am Spieß, an Schlaf war nicht zu denken. Dann in der Stadt Hochnebel, die oberen Stockwerke der höchsten Häuser der Stadt waren in den Wolken verschwunden, 8 Grad und Regen, recht unwirtlich. Die Startnummer war in einem 30 qm-Sportgeschäft abzuholen, zwei Schuhkartons reichten dafür aus.

Und jetzt bin ich 5 Gehminuten vom Adelaide Oval entfernt, dort soll der Start um 07h00 erfolgen. Es ist mucksmäuschen still. Unglaublich. Erst als ich unmittelbar davor stehe, sehe ich, dass ein paar Stände aufgebaut werden. Obwohl es heuer der 36. Adelaide-Marathon ist, ist die Hauptshow der Halbmarathon. Der wird um 07h50 gestartet, man hat also noch Zeit. Das Spielfeld des Football-Stadions liegt im Flutlicht, ein paar weitere Starter finden sich ein.

Stephen läuft seit 30 Jahren jährlich 5 Marathons, heute seinen 150. Er hat ein „W“ vor seiner Startnummer, das steht für „Warrior“ und heißt, dass er hier schon mindestens 10 Marathons gelaufen ist. Die paar mit einem „L“ voran haben bereits 25 Adelaide-Marathons absolviert, das sind Legenden. Schnell wird es heller. Ich bin erstaunt, dass schließlich fast 500 Marathonis am Start stehen.

Prominentester Zaungast ist Steve Moneghetti, die Langstreckenlauflegende Australiens. Unter anderem ist er Sieger des Berlin-M 1990 in 2:08:16,  M-Goldmedaillengewinner bei den Commonwealth Spielen 1994 und 1997 in Athen WM-Dritter beim Marathon. Vorgestern hatte er eine Vortrag gehalten, AUS$ 15,- Eintritt, da war ich aber noch im Anflug.

Pünktlich um 7h wird gestartet. Es ist mein erster Marathon auf der südlichen Halbkugel, somit der erste, den ich kopfüber laufe. Mit Blick auf die St.Peter’s-Cathedral (1904 fertig gestellt) geht es los, bald ein Rechtsknick und es geht die King William Road rauf Richtung City. Adelaide, Hauptstadt von South Australia (1,2 Mio EW) ist eine australische Stadt, die einmal nicht aus einer Gefangenen-Kolonie hervorgegangen ist. Man feiert heuer 175 Jahre Adelaide. Die Stadt wurde benannt nach Adelheid von Sachsen-Meiningen, ab 1830 Königin von Großbritannien, weil dann Ehefrau von König William IV.  Kaum eine Brücke in der Stadt, ein Park, eine Straße, eine Kirche deren Name nicht mit Victoria, George, Albert, Andrew, William, Elizabeth, King oder Queen beginnt.

Nach einem km ein Rechtsknick ums Parlament von South Australia, nun geht es wieder bergab. Links ein Gässchen: „Bernath Place“ und es geht wieder rauf, am Gesundheitsamt vorbei, sieht aus wie eine Käsereibe. Bei km2 geht es wieder bergab.
Nun wird mir endlich warm, es hat 8 Grad. Nach 3km verlassen wir die Fahrbahn und laufen auf einem Radweg. Da ist es fast ein bisschen zu eng. 15min bis hierher, das ist für mich zu schnell. Mein heutiges Frühstück besteht aus einem PowerGel-Beutel 10min vor dem Start.  Einen zweiten habe ich noch dabei. Vom Veranstalter ist an den Labestellen nur Wasser und „Endurance“ zu erwarten. Kein Obst, kein Brot, kein Salz, nichts Bissfestes, nur Flüssiges. So viel weiß ich.

Was ich nicht weiß: wie komme ich mit so wenig Treibstoff aus? Ab km4 geht es in den Bonython Park, prächtige Platanen stehen da. Ein paar 100m geht es rein, dann U-turn. So kann man gut seine Mitläufer begutachten. Dieser Stich in den Park wird bei der zweiten Runde deutlich kürzer sein.  Dann geht es über ein Bächlein, das Streckenprofil wird wellig. Schön zum Radeln und Spazieren, eher anstrengend zu laufen. Bei km6 ist mein Tank leer, ich spüre richtig, wie die Kraft weg ist, ab nun wird es beschaulicher. Ein Tunnel unterquert die Eisenbahn, ein leichter Anstieg, die tief stehende Sonne blendet und es geht links über die Wehr die dafür verantwortlich ist, dass der River Torrens ein Stück flussaufwärts so eine spiegelglatte Oberfläche hat.

Ruderer haben das Training aufgenommen, die Bohlen über die Wehr sind vom Morgentau noch nass und rutschig. Km7, ein schwarzer Schwan lässt sich von uns Läufern nicht aus der Ruhe bringen. Es geht links auf breiter Asphaltstraße wieder stadtauswärts. Die Straße ist bombiert, das taugt mir weniger. Tory spricht mich an. Sie ist schon Kilimanjaro, Chinesische Mauer und Antarktis-M gelaufen, letzterer ist ihr sehr teuer gekommen! Das ist wenig überraschend. Zu ihrem Glück fehlt ihr nur noch ein Marathon in Südamerika, dann hat sie alle 7 Kontinente belaufen.

Regenbogen Loris machen sich kreischend bemerkbar. Diese kleinen bunten Papageien jagen sich laut kreischend durch die Lüfte. Man hört sie immer wieder und sieht sie auch. Einmal huschen zwei davon in Kniehöhe knapp an mir vorbei. Dabei hört man Elstern, die hier in unterschiedlichen Pfeiftönen auf sich aufmerksam machen.

Der Gegenverkehr hat eingesetzt. Die auf der anderen Straßenseite sind 5km vor mir.
„Drink Stop Ahead“ und Anstieg ab km8:  Northern Adelaide, die bessere Wohngegend hier. Die Strecke oben ist winkelig, fast an jeder Kreuzung und Kurve steht ein Streckenposten mit Slow/Stop-Schild, je nach Seite. Ganz schön personalintensiv dieser Marathon. Und fast an jeder Abzweigung ändern sich die Anforderungen: es geht rauf, rechts, runter, links, wieder rauf…  Km 11, ein ausgebranntes Auto steht am Straßenrand, das passt so gar nicht zu der Gegend.

Bei km12 haben wir zur linken Hand einen Golfplatz, noch spielt da keiner. Rechts kommt mir ein Güterzug entgegen, er fährt nicht besonders schnell, aber viele Minuten  lang ist der. Hört der irgendwann einmal auch wieder auf? Die ersten Halbmarathonis und 10km-Läufer kommen mir ebenfalls entgegen, die sind 50min nach uns gestartet.

Bei km13 bin ich wieder am River Torrens nun geht es an seinem rechten Ufer auf einem welligen Radweg stadteinwärts. Links ein ausgedehnter Park, rechts kommt langsam die Schokoladeseite der Stadt in Sicht, nun von der Sonne beleuchtet. Das km14 Schild kenne ich schon von heute früh, nun bin ich ganz nah am Start und nun sind auch viele Leute hier, wir werden angefeuert. Es geht unter der neuen Riverbank Bridge durch an deren Ende sich ein glitzernder Wasserfall in den gestauten Fluss ergießt. Sieht echt gut aus. Der Wind fährt durch und versprüht das Wasser.  Dann haben wir ein paar Höhenmeter zu bewältigen. Da oben sind diverse Spielfelder, es wird eifrig trainiert. Football und Bogenschießen beispielsweise.

Km15 nach 1h28, wir laufen einen weiten Bogen. Rechts die Albert Bridge, wieder regeln Streckenposten den Straßenverkehr. Nach weiteren 2km kommen wir in den Botanischen Garten. Prachtvolle Bäume stehen da, darunter einige Gummibäume mit 20m, 30m Kronendurchmesser und mehr. Beachtlich ihre Wurzeln, die hoch aus dem Boden ragen. Den Schatten, den diese Bäume spenden, nimmt man gerne in Kauf. Super, was da alles blüht, dabei ist noch Winter. Es ist mehr ein Winter, wie man ihn von der andalusischen Küste kennt. Nie Frost und tagsüber mindestens 15 Grad. Außerdem geht Ende August der Winter bereits dem Ende entgegen. Wozu brauchen die ein Palmenhaus? Es stehen doch jede Mengen Palmen im Freien rum.

An der nächsten Labe nimmt mir ein junger Mann meine Kamera aus der Hand und knipst mich während ich mich versorge. Links die Uni, weiter am Zoo vorbei, nun bin ich auf der anderen Seite der Albert Bridge, muss rechts runter. Ein Mädchen vom Streckenpersonal bietet aus einer Schüssel Wine Gums an, eine Art Gummibären. Also doch ein bisschen was Bissfestes. Und dann unter der Albert Bridge durch, Kopf einziehen, hier ist es niedrig! Am linken Flussufer Richtung Start, ein Schild warnt davor, den Pelikanen zu nahe zu kommen, die können nämlich beißen.

Dann bei „Half Way“ rechts vor uns das Adelaide Oval, nach ein paar hundert Meter wird eine Durchgangszeit genommen. Bei km22 fängt die zweite Runde an.

Im Adelaide Festival Center wird von 22. – 29.8. „Faust“ gegeben, das Musical!
Ich habe „Faust“ schon in vielen Variationen gesehen, einmal in Erfurt sogar im Marionettentheater, aber als Musical?

Es geht wieder rauf zum Parlament, rechts in die North Terrace, an der Railway Station, dann am Käsereibehaus vorbei und bei km25 wieder in den Park.

Bei km27, wieder über die Wehr. An den Labestellen sieht man keinen Becher am Boden, dabei sind heute zu den 500 Marathonis auch 450 Läufer über die 10km sowie 1.100 Halbmarathonis versorgt worden. Dennoch ist bereits alles wieder blitzsauber.  Das Laufen auf der nach links hängenden Straße tut meinem rechten Knöchel auf Dauer nicht gut. Die Bänderdehnung ist also doch noch nicht ganz ausgeheilt.

Als ich nach der Haken schlagenden Auf- und Abstrecke im Wohngebiet wieder an der Wehr bin, krallt sich mit weit ausgebreiteten weißen Schwingen und gelbem Schopf ein Kakadu an die Platane vor mir und schnäbelt in einen Spalt rein. Super, das gefällt mir, das hat doch etwas Paradiesisches. Rosa-Graue Galah, eine Kakadu-Art, fliegen auch rum, machen im Gegensatz zu den Rainbow Lorikeets aber keinen Lärm dabei.

Bei km39 im Botanischen Garten überholt mich der 4h30-Schrittmacher. Egal, ich muss da einen Baum knipsen, den habe ich vor 22km das erste Mal gesehen. Dann wieder am Zoo vorbei, unter der Albert Bridge durch und wenig später auch unter der Kings Bridge. Noch 1km, ein paar Höhenmeter rauf zum Festival Center, da an der Fassade entlang bis zum Beginn der Riverbank Bridge, darauf in weitem Bogen mit leichtem Gefälle zum Ziel. Man fühlt sich wie auf einer Showtreppe, wie sie früher in jeder Samstag-Abend-Sendung zu sehen waren. Die Sonne scheint, der Wind zerstäubt die Wasserfontänen, „GREAT WORK“ wird mir entgegen gehalten, ich werde ins Ziel gepeitscht und habe den Zieleinlauf ganz für mich alleine. Herrlich! My very first upside down Marathon!

Ich bin 42,2km mit dem Kopf nach unten gelaufen. Es hat geklappt und es war gar nicht schwierig. Sogleich bekomme ich die schöne Finisher-Medaille und lasse mich knipsen.

Ziellabe kann ich keine ausfindig machen, so hole ich mir meinen Kleiderbeutel, und finde dann doch ein paar Kartons mit Bananen. Ein Läufer, mit dem ich am Start geplaudert hatte, kommt auf mich zu, gibt mir die Hand und sagt: „Thank you for coming over.“ – „Gern geschehen!“

Das meiste hat sich hier wohl abgespielt, derweil ich auf der Strecke war. 50min nach mir der Start der kürzeren Distanzen, d.h., die sind dann praktisch alle vor mir schon wieder fertig. Entsprechend sind die mit ihren Angehörigen längst am Heimweg, als ich ins Ziel komme. Kinderläufe gab es auch.

Weitere zwei Stunden später ist fast alles weg geräumt und kein Mensch käme auf die Idee, dass da heute Vormittag 2.000 Läufer ihren Bewerb gelaufen sind.                      Nur die Zeitnehmung steht einsam da, die Uhr läuft noch immer.

Ums Startgeld von AUS$ 120,- EURO gab es:

Netto-Zeit mittels RFID an der Startnummer

Eine abwechslungsreiche Strecke mit viel Natur und reichlich Höhenmetern, 8 -17  Grad,  Sonne und viel Wind

Labestellen ca. alle 4km, nur mit Flüssigem

Eine sehr schöne Finishermedaille

476 Marathonfinisher

 

 


 
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