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Laufberichte

Winter auf der Alb

 

Wir kommen immer höher und der Schnee bleibt schon auf dem Weg liegen. Jetzt kommt das Begegnungsstück hinauf zum Hohenstaufen, dem ersten der 3 Kaiserberge. Wenn es nicht so neblig wäre, hätten wir den markanten Berg, der wie ein umgekehrter Kelch – ein „Stauf“ - aussieht, schon von weitem gesehen. Auf dem Gipfel befindet sich die Ruine der ehemaligen Burg Hohenstaufen.

Begegnungsstrecken sind immer interessant, weil man sieht, wer vor einem läuft. Das hier ist aber noch besser. Die Techniken, mit denen die Entgegenkommenden den teilweise steilen Abstieg meistern lässt uns die Mühen des Aufstiegs vergessen: die einen in halsbrecherischem Tempo, die Arme weit von sich gestreckt, die anderen in vorsichtigem Abwägen jedes Schrittes.

Schon von weitem sehe ich Olaf. Er hat wieder einen Spruch auf Lager: „Führt mein Weg mich steil bergauf, bremse ich den Dauerlauf.“ Danke, danke. Ich muss lachen und er balanciert weiter nach unten. Ich durchquere die kläglichen Mauerreste der 1736 eingeebneten Burg. Damals wurde für Herzog Karl Alexander ein Festungsbau geplant, und die einst so gewaltige Anlage, immerhin Stammburg des Adelsgeschlechts der Staufer, platt gemacht. Der Neubau wurde nie ausgeführt.

Oben geht es links und dann rechts um einen Baum herum. Achtung, Startnummer gut sichtbar machen! Hier ist Videokontrolle. Sonst würden sich vielleicht ein paar müde Läufer den Aufstieg auf den 684 m hohen Gipfel sparen. Auf der Terrasse des kleinen Ausflugslokals stehen im Nebel ein paar Gestalten. Ob Schlachtenbummler, versprengte Wanderer oder Helfer des Laufs, kann ich nicht erkennen.

Für mich geht es jetzt auch bergab. Das Gefälle ist gerade so, dass man noch laufen kann. In Gedanken bin ich froh, dass Norbert mich zu den Trailschuhen überredet hat. So kann ich ohne Rutschgefahr Tempo machen. Überholen lass ich aber bleiben. Es kommen ständig Läufer entgegen. Das ist mir zu eng.

Erst als es wieder einspurig wird, kann ich gefahrlos an meinem Vordermann vorbeilaufen. Wir umrunden den Berg zur Hälfte und sind wieder auf freiem Feld weiter in östlicher Richtung. Es geht ein Stück auf dem Radweg an der L1075 entlang. Km 20. Eine Läuferin freut sich. Sie hat nur noch 5 km zu laufen. Beschwingt beschleunigt sie ihre Schritte und ist bald außer Sichtweite.

Die Straße macht einen Bogen nach links, unser Radweg geht weiter geradeaus den Berg hoch. Jetzt sind wir von links durch hohe Bäume vor dem Wind geschützt. Ich bin froh, als ein Schild die VP 4 ankündigt. Neben den bisherigen Leckereien wird jetzt auch Haferschleim angeboten. Zusammen mit heißem Tee und Salz ist das für mich das perfekte Kraftfutter.

Es geht ca. 5 km geradeaus auf freiem Feld. Erwin „Lionheart“, von weitem an seinem Lederhut gut zu erkennen, kommt mit Begleitung von hinten. Locker traben sie, im Gespräch vertieft, vorbei. Km 25. Wir kommen nach Rechberg. Eine Schleife links durch den Ort und dann geht es bergauf. Am Fuße des Anstiegs steht eine Musikkapelle. Leider spielen die gerade nichts (oder zumindest nichts Gemeinsames). Ich kann „Schneeflöckchen Weißröckchen“ heraus hören, das ein gelangweilter Trompetenspieler intoniert. Auch andere Musikanten probieren ihre Instrumente. Erst als wir schon die ersten Höhenmeter gemacht haben gelingt ein gemeinsames Spiel. Von den Tönen getragen, arbeiten wir uns höher.

Der Kreuzweg zur Wallfahrtskirche St. Maria auf dem Hohenrechberg, die Graf Bernhard Bero in den Jahren 1686/88 erbauen ließ, ist gerade ziemlich voll. Die Läufer zieht es bergauf. Finisher des 25 km-Laufs und ihre Begleiter kommen bergab. Olaf unterhält mich auf dem langen Anstieg mit Anekdoten aus seinem bewegten Läuferleben. Außerdem hat er seinen Spruch von vorhin erweitert: „Führt mein Weg mich steil bergauf, bremse ich den Dauerlauf. Ist es auch noch eisig glatt, werden meine Füße matt.“

Irgendwann sind wir oben auf 700 m Höhe. Die Kulisse gegenüber der Kirche könnte romantisch sein. Heute scheint mir der Zieleinlauf für die 25 km Läufer wenig attraktiv. Es ist nasskalt und der bevorstehende Abstieg zum Auto oder Transferbus ist sicherlich nicht lustig.

Wir aber bedienen uns an der gut bestückten VP5. Zwischen Kirche und Friedhof führt ein schmaler Pfad, dem wir nach unten folgen. Mit einem Handlauf gesichert, können auch weniger trittsichere Besucher den Pfad begehen. Nur nicht heute. Der Weg ist matschig. Immer wieder müssen wir an langsamen Personen, wahrscheinlich 25 km-Finishern vorbei, was auf dem engen Weg eine echte Herausforderung ist.

Ich bin froh, als wir unten sind. Dort wartet bereits der Shuttlebus um die „fertigen“ Läufer nach Schwäbisch Gmünd zurück zu bringen.

Wir sind wieder auf freiem Feld. Langsam werden das Geschneie und der kalte Wind unangenehm. Der letzte der Kaiserberge, der Stuifen, kündigt sich an. Es geht schon wieder bergauf. Zuerst auf einer bequemen Straße. Die Straße wird zum Weg und der Weg zum Singletrail durch den Schnee.

Und dann wird es steil. Wie man hier mit normalen Laufschuhen hochkommen soll, ist mir ein Rätsel. Im Nichts steht auf einmal das km 30 Schild. Kurze Zeit später bin ich oben auf dem höchsten Punkt des Laufs mit 724 m. Es geht wieder um einen Baum. Zwei Helfer notieren die Startnummer. Ich mache noch ein Bild von der nicht vorhandenen Aussicht. Und dann geht es wieder runter. Zur Belohnung gibt es unten die nächste VP. Im Gegensatz zu den beiden anderen Kaiserbergen ist der Stuifen nicht bebaut und nur zu Fuß erreichbar. Bis zum Jahr 1850 gab es dort auch keinen Wald. Der Berg war von Wacholderheide bedeckt. Die Aufforstung wurde aus Gründen des Hochwasserschutzes vorgenommen und wurde erst 1918 abgeschlossen.

Trotz „Winter-Wonderland“ stellt sich bei mir ein kleines Motivationstief ein. Ganz in der Ferne sehe ich einen Rettungswagen und Läufer, die mir scheinbar entgegen kommen. Der Zusammenhang klärt sich erst, als ich dort ankomme. Es ist ein Begegnungsstück. Wir laufen auf der rechten Seite der Straße hin und die schnelleren kommen auf der linken Seite zurück. Gerade sehe ich Erwin verschwinden, der das Stück schon hinter sich hat. Leider geht es wieder über freies Feld. Wind und Schneefall haben bisher nicht nachgelassen.

Dick vermummt versuche ich abzuschätzen, wie viel Vorsprung die Entgegenkommenden wohl haben. Erst als ich Kathi treffe, erkenne ich, dass mir hier bestimmt noch 3 km bevorstehen.

Ein weiterer Rettungswagen zeigt eine Kreuzung an. Wir laufen allein geradeaus und die Schnelleren kommen von rechts den Berg herunter. Zuerst bleiben wir noch auf der Straße. Dann geht es scharf rechts auf einem Singletrail durch tiefen Schnee den Berg hinauf. Fotogen erhebt sich die Reiterleskapelle am Berg. Der Sage nach befand sich im Februar 1621 Bauer Reuterle zu später Stunde auf dem Heimweg vom Leichenschmaus zu Ehren des verstorbenen Hauptmanns Roth. Plötzlich ritt der Verstorbene auf einem kopflosen Pferd begleitet von einer Meute von kopflosen Hunden an ihm vorbei und verfluchte ihn. Reuterle fiel in Ohnmacht. Als er im Morgengrauen wieder erwachte, betete er, und gelobte, für die Seelenruhe von Roth diese Kapelle zu bauen.

Die Sommerlinde hinter der Kapelle ist 100 Jahre älter als die Kapelle selbst. Sie dürfte um das Jahr 1600 gepflanzt worden sein um an diesem markanten Punkt als Wegweiser zu dienen.

Gefühlsmäßig laufe ich im Kreis. Da kommt ein Streckenposten. Er weist mich nach links und ruft: „Bis gleich!“ Als mir die ersten Läufer entgegenkommen, weiß ich, was das bedeutet: Noch eine Begegnungsstrecke. Diesmal ist der Wendepunkt ein Schild, um das herum gelaufen werden muss. Km 35. Schnell bin ich wieder beim Streckenposten und darf nun links den Weg fortsetzen. Die VP 6 steht einsam im Schnee. Eine Gruppe Jugendlicher hält hier die Stellung.

Es geht bergab. Gott sei Dank: die Straße hat mich wieder. Es kommen mir immer noch Läufer entgegen. Sturmvogel Sigrid Eichner, die Frau mit den weltweit meisten gefinishten Marathons, ist auch dabei.

Wir sind wieder im Wald. Auf einmal geht es bergab. Aber wie. Das ist genau mein Ding, nicht zu steil, breiter Weg und eeeewig langes Gefälle. Plötzlich steht Olaf auf dem Weg. Er hat einen der vom Schnee übervollen Äste, die schwer über dem Weg hängen in der Hand. Er wird doch nicht............!! Na klar, der will mich einschneien! Aber, ha, ha,  ich bin zu schnell unten durch. Hat nicht geklappt.

Ein bisschen Spaß muss sein. Ich habe meinen Spaß aber schon durch den wilden Ritt den Berg hinunter. Unten geht es flach bis zum Rechbach und dann auf dem Radweg bis Waldstetten. Km 40.

Schon von weitem rufen die Helfer, was ich gerne haben möchte. Etwas übermütig erbitte ich ein Bier. Sofort macht sich einer auf den Weg; ich soll kurz warten. Keine 2 Minuten später kommt er mit einer Flasche einer Schwäbischen Großbrauerei zurück und füllt mir einen Becher. Da auch Olaf gerade kommt, stoßen wir kurz an. Jetzt muss ich aber weiter.
Eigentlich bin ich kein großer Biertrinker. Aber auf den letzten Kilometern eines Ultralaufs hat es sich schon einige Male bewährt. Wenn ich viel Süßes zu mir nehme, fühle ich mich so „klebrig“. Das herbe Bier wirkt da neutralisierend und hat trotzdem die Kohlehydrate. Außerdem werden Kopf und Beine leicht und die Kilometer verlieren an „Gewicht“. Wie - nur noch 10 Kilometer?

Wir laufen durch Waldstetten auf dem Gehweg an der Hauptstraße. An jeder Einmündung steht ein Streckenposten und hält den Weg für die Läufer frei. Eine Steigung führt uns aus dem Ort. Hinter dem Ortsschild ist die 42,2 km Marke auf dem Gehweg aufgemalt.

Vor Strassdorf steht die vorletzte VP. Hier müssen wir über die Straße. Es geht um den Ort herum. Das letzte Stück wird noch einmal zur mentalen Herausforderung. Der Radweg zieht sich gleichförmig Kilometer um Kilometer in Halbhöhenlage durch herbstliche Streuobstwiesen. Der Schnee ist jetzt zu Nieselregen geschmolzen. Irgendwann sieht man rechts im Tal die ersten Häuser von Schwäbisch Gmünd. Unendlich lange laufen wir so immer in Sichtweite des nahen Ziels. Gut, dass es leicht bergab geht.

Wir erreichen die ersten Häuser; es geht runter; die letzte VP lassen die meisten Läufer aus. Nur noch 2 km. Ich hab Schwierigkeiten, die Strecke wieder zuerkennen, die wir ja heute Morgen schon in umgekehrter Richtung absolviert haben. Doch das Ziel kommt mit jeder Kurve näher. Der Streckenposten am Stadtpark verspricht die letzte Steigung. Die letzte Kurve in die Bocksgasse; das Ziel ist in Sicht.

Die Mädels mit den Medaillen gratulieren und eine nimmt meinen Chip ab. Im Ziel gibt es Erdinger. Wegen des Wetters haben sich die meisten Läufer in den Prediger zurückgezogen. Dort beginnt die Siegerehrung für den ECU und den Albmarathon, der der letzte Lauf für die ECU-Wertung ist.

Der Albmarathon ist exzellent organisiert. Mit der riesigen Schar topmotivierter Helfer macht das Laufen großen Spaß. Die anspruchsvolle Strecke ist ein Erlebnis, das sich Naturliebhaber nicht entgehen lassen sollten. Wir kommen wieder, vielleicht dann bei klarer Sicht.

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Informationen: Sparkassen Alb Marathon
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