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Laufberichte

Ach du grüne Neune!

13.06.15

Das Silo ist bald erreicht, eine kleine Schleife durch den wunderbar verträumten Poschwitzer Park mit einem Tümpel folgt. Personenkontrolle. Kurz danach der Hinweis auf das Tierheim und die Anlage von Südost-Fleisch. Beide haben aber, wie sich gleich herausstellt, nichts miteinander zu tun. Wir sind „Am weißen Berg“, doch es ist hier recht flach. Ein winziges Stückchen Industrie, Feuerwache, Kleingartenanlage und dann mein persönliches Highlight: Wie aus dem Nichts öffnet sich am 15,8-km-Verpflegungspunkt der Blick auf die Türme der Altstadt. Wunderbar. Trinken und Schauen. Dann schnurstracks nach unten.

Zwischen den Gebäuden der Spielkartenfabrik ASS Altenburg hindurch. Hier findet sich auch die Lösung der Fahnenfrage am Rathaus: In der Skatstadt  werden schon seit 1509 Spielkarten produziert, wenigstens sind aus dieser Zeit noch Karten erhalten. Die Altenburg-Stralsunder Spielkartenfabrik war auch schon zu DDR-Zeiten im Westen ein Begriff. Allerdings wohl eher wegen der Produkte des in Leinfelden bei Stuttgart ansässigen „Ablegers“.

Hinter dem Gebäude des Lindenau-Museums geht es steil bergauf. Viele Transparente, von Unterstützern der Teilnehmer auf der Marathonmesse gefertigt, verbreiten Durchhalteparolen wie „Nach der Qual ein Bier nach Wahl“. Trommelgruppe und Cheerleader geben ihr Bestes. Und auch der Marathon4you-Chef und seine Frau feuern an. Wir sind auf dem Schlossberg. Vor der Orangerie ein Kinderfest im Rahmen des Lauftags. Dann durch die schmale Jungferngasse nach unten und sofort wieder bergauf. Meinen Tipp, hier doch eine große Fußgängerbrücke zu bauen, um sich das Auf und Ab zu sparen, kommentiert niemand. Dafür lernen wir Sina und Silvio vom SV Lerchenberg Altenburg kennen. Sina kommt direkt an ihrer Wohnung vorbei. Der Ehemann winkt vom Balkon.

Vor uns die Roten Spitzen: Die beiden unterschiedlich gestalteten Backsteintürme sind das Wahrzeichen Altenburgs und gehörten einst zur Marienkirche der Augustiner-Chorherren. Sie soll von Friedrich Barbarossa geweiht worden sein. Dann am Kunstturm vorbei, einem 1845 errichteten Wasserturm.

Jetzt jagt eine Sehenswürdigkeit die nächste. Vor dem Café im Paul-Gustavus-Haus mit seiner skurrilen 50er-Jahre-Einrichtung viel Remmidemmi. Ein privater Förderverein kümmert sich um die Renovierung des Ensembles. Der nächste Turm gehört der ehemaligen Postdirektion (zu vermieten). Links am Landestheater vorbei. Es wurde bis 1871 von Otto Brückwald erbaut, der nach den Vorstellungen von Richard Wagner und Vorschlägen Gottfried Sempers auch das Bayreuther Festspielhaus errichtete. Vor uns das Schloss, seit 976 auf einem Felsen aus purpurnem Stein (Porphyr) entstanden und ehemalige Residenz der Herzöge von Sachsen-Altenburg. Am Aufstieg stehen drei Buben in Kostümen, wie man sie von Spielkarten her kennt. Der vierte fehlt, er ist wohl oben im Spielkartenmuseum.

Die Schlosskirche wird gerade renoviert. Durch das Triumphtor hinein in die Anlage. Vor dem Burgplatz geht’s schon wieder rechts durch das Torhaus hinaus. Folgerichtig auch wieder nach unten. Querung der Rosa-Luxemburg-Straße, in die schmale Glockengasse, über den Brühl, einen Haken und dann der Zielbereich am Markt: Hier ist natürlich die Hölle los, zumal ja auch noch andere Laufwettbewerbe über kürzere Strecken hier enden. Diverse Bands und etliche Zuschauer konzentrieren sich in diesem Bereich. Kurz vor dem Ziel geht es auf die zweite Runde. Ich freue mich schon darauf, meine vorherigen Eindrücke zu vertiefen.

Jetzt wird es insgesamt ruhiger – und auch irgendwie wärmer. Interessanterweise erscheinen die Anstiege nun länger und anstrengender. Das Freibad lockt. Hätte ich mich doch nicht vorher im Internet über die Vorzüge dieser Einrichtung informiert! Die Frösche im Tümpel halten Mittagsruhe. Dafür sparen die Mädels an der nächsten Abzweigung nicht mit aufmunternden Worten. Am Bismarckturm, 1915 als Aussichtsturm fertiggestellt, fetzige Musik vom Band. Mir fallen jetzt erst die Wohnblöcke hinter den Bäumen des Stadtparks auf. So abgeschieden ist das also gar nicht. Ein Zuschauer, den wir hier schon vor gut zwei Stunden gesehen haben, klatscht beharrlich weiter Beifall. Das nenne ich ausdauernd.

Die zahlreichen Verpflegungsstellen sind nach wie vor bestens bestückt. Vielerlei Obst, Riegel, Kekse, Wasser, Apfelschorle und Iso von Anfang an. Auch Altenburger Dunkelbier (mit Alkohol) weirden angeboten; ein Standbetreuer ermahnt seinen Kollegen, die Läufer nur ja auf den Unterschied zum gleichfarbigen Colagetränk hinzuweisen. Cola würde mich reizen. Aber Herbert Steffny hatte uns gestern gewarnt, dass die aufmunternde Wirkung des Koffeins nur kurz anhältund daher erst ab km 35 empfohlen. Ich probiere lieber seinen Tipp mit der Salzprise im Iso-Drink. Salz gibt es nämlich auch. Und natürlich warten an einigen Stellen die bekannten blauen Häuschen.

Kurz vor dem „Höhepunkt“ an der B93 erscheint eine größere Läuferschar direkt vor uns. Womöglich die Marathon-Spitzengruppe, die wir im Begriff sind einzuholen? Leider nein, es sind die 13,3-km-Sportler, die uns ab hier ein Stück weit begleiten. Dazu muss auch Herbert Steffny mit einem kleinen Läufertrupp gehören, den wir aber leider nirgends erkennen können. Immerhin haben wir nun neue Mitstreiter und viele frühzeitig ausgepowerte unfreiwillige „Geher“ zu überholen. Wobei wir uns leider auch oft solidarisieren und mitmarschieren. Es ist einfach zu heiß und zu steil.

In einer Unterführung stehen zwei Hondas, aus denen laute Rockmusik ertönt. Hatte ich mich immer gefragt, warum man im Kofferraum diese riesigen Subwoofer samt glitzernden Endstufen haben muss, so bin ich jetzt von deren Nutzen voll überzeugt. Die 13,3er nehmen eine Abkürzung, sie haben nur noch drei Kilometer vor sich. Wir dürfen noch mal auf die Schlachthof-Silo-Schleife.

Wenn schwarze Katzen gemächlich den Laufweg kreuzen, weiß man, dass man langsam ist. Die private Verpflegungsstelle im Anstieg zur  Poschwitzer Höhe nutze ich zu einer Rückenbehandlung aus der Gießkanne. Furchtbar kalt. Wieder so ein Tipp von Herbert: Warum trinken und schwitzen, wenn man die kühlende Feuchtigkeit auch von außen auf Hemd und Haut bringen kann? Schon logisch. Nicht bedacht hatte ich hingegen, dass mir das Wasser jetzt in den Schuhen steht. Aber egal, es sind „nur“ noch 7 Kilometer. Ich beglückwünsche die Streckenposten am Teich zu ihrem schattigen, kühlen Kontrollplätzchen. Die Feuerwehrler haben sich in ihre Basis verzogen. Die wissen wahrscheinlich schon, was auf sie zukommt. Es braut sich nämlich ein Gewitter zusammen. Ich genieße noch einmal ausgiebig die Verpflegungsstelle mit Aussicht. Ein Läufer nimmt eine Dusche. Als ich mich zum Weitermachen aufraffe, ist Judith deutlich voraus. Die wird es doch nicht wagen, mich abzuhängen? Langsam kämpfe ich mich heran. Ich als großer Berglaufmeister werde sie schon wieder einfangen.

Das Lindenau-Museum werden wir heute im Zuge der Museumsnacht (Eintritt für Medailleninhaber frei) noch besichtigen. Berühmt ist es vor allem für seine Sammlung italienischer Tafelmalerei aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Und viele Gipsabgüsse von Plastiken und Reliefs aus der griechischen und römischen Antike, der italienischen Renaissance und von klassizistischen Werken gibt es hier. Zu verdanken ist das alles dem Naturwissenschaftler, Staatsmann und Mäzen Bernhard August von Lindenau (1779-1854). Links nebenan befindet sich das naturkundliche Museum Mauritianum, 1908 errichtet und benannt nach Prinz Moritz, dem Ehrenpräsidenten der Naturforschenden Gesellschaft.

Hier gibt es neben ausgestopften Wildtieren aus aller Welt Schauriges zu entdecken: einen mumifizierten „Rattenkönig“. Er besteht aus 32 - vermutlich wegen eines Greifreflexes - an den Schwänzen unauflöslich verknoteten Ratten, die der Müller Steinbrück im thüringischen Buchheim anno 1828 beim Abriss seines häuslichen Kamins entdeckte. In Deutschland sind 31 Rattenkönig-Funde eindeutig belegt, das Altenburger Exemplar gilt als größtes der Welt. Der seltsame Name für dieses Phänomen entstammt wohl der mittelalterlichen Vorstellung, dass die Gemeinschaft der Nager von einem König regiert wird, der mit Krone und Zepter auf dem „Thron“ aus verknoteten Rattenschwänzen Hof hält.

Der steile Anstieg im Park bringt nicht den erhofften Anschluss an Judith. Dem Wasservorhang vor der Orangerie versuche ich durch die tiefer liegende Wiese auszuweichen. Keine gute Idee, denn jetzt habe ich pitschnasse Füße. Die gemächliche Schlossrunde bringt endlich unsere private „Wiedervereinigung“. Das imposante Schloss – derzeit mit einer Sonderausstellung über Martin Luthers Altenburger Weggefährten Georg Spalatin - wäre in der Museumsnacht übrigens auch zu besichtigen gewesen. Aber für einen erneuten Aufstieg nach den Museen am Fuß des Schlossbergs war die Müdigkeit dann doch zu groß.

Der Rennsteig-Express-Bus bietet mir eine Mitfahrt an. Aha, jetzt fällt es mir ein: Der beliebteste Marathon nicht nur  in Thüringen, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum, ist ja der Rennsteiglauf. Schon wieder gähnt uns eine Katze an. Ganz schön frech. Das anstrengende Auf und Ab aus der Endphase der ersten Runde wiederholt sich. Kurz vor dem Markt sehe ich leicht bekleidete brasilianische Schönheiten entschwinden. Keine Halluzination: Da haben wir wohl eine Tanzvorführung verpasst.

An jubelnden Zuschauern vorbei geht es Richtung Brüderkirche, erbaut 1905 in Jugendstil und Neobacksteingotik. Kurz vor dem Zieltor gibt es schon eine Rose für Judith und die gleichzeitig mit uns eintreffenden Walkerinnen. Außerdem erwartet uns als Lohn der viereinhalb Stunden währenden Anstrengung je eine Spielkarten-Sammelmedaille. Sie trägt in diesem Jahr das Grün-, Gras- oder Laub-Motiv mit (wenn ich das richtig deute) dem Wert Neun.„ „Ach du grüne Neune“, kann man da nur ausrufen. Wer abergläubisch ist und sich die Karten legen lässt, dem verheißt dieses Blatt nichts Gutes. Bleibt zu hoffen, dass der aufgeprägte Slogan „In Altenburg läuft`s besser“ einen positiven Ausgleich dazu schafft.

Übrigens besitzen viele Teilnehmer schon alle sieben Karten der  bisherigen Skatstadt-Marathons. Wir fachsimpeln noch eine Weile mit unseren Mitstreitern. Die Brauerei Altenburg hat zwecks Zielverpflegung ihr gesamtes Sortiment aufgefahren, und die Gulaschkanone beschert uns einen großen Teller Kartoffelsuppe. Auf einmal spritzt es in meinem Teller. Da hilft nur die Flucht unter das nächste Zeltdach, denn augenblicklich prasselt ein kräftiger Hagelschauer hernieder. Immer noch kommen Sportler ins Ziel. Ich höre, dass der Regen bei dieser Veranstaltung auch Tradition hat. Aber schon bald strahlt wieder die Sonne.

Dafür sorgt später ein Nachmittagsschauer für einen Großeinsatz der Feuerwehr. Die Straße vor unserem Hotel ist zeitweise überflutet und die Pumpen versuchen auch am Sonntagmorgen noch, den Keller leer zu bekommen. Der Vorteil eines Samstagslaufs besteht in der Möglichkeit, jetzt noch einen Sommertag am Sandstrand eines gefluteten Braunkohletagebaus zu verbringen. Bevor wir die Heimreise antreten, zieht es uns deshalb noch kurz zum idyllischen Haselbacher See. Da bin ich dann doch ein wenig neidisch auf die Sachsen und Thüringer. Gut, hohe Berge wie in unserer Heimat gibt es hier nicht, aber die kleinen Gemeinheiten vom welligen Marathonparcours stecken uns sicher noch eine ganze Weile in den Beinen.

Der Altenburg-Marathon bietet eine Kombi aus wunderschönem Stadt- und Landschaftslauf, die man ohne Leistungsdruck einfach genießen sollte.

 

Viele weitere Bilder vom Skatstadtmarathon findet ihr hier

 


Ergebnisse Marathon:

Herren:
1. Hoyer, Vincent (2:40:19)
2. Burkhardt, Steffen (2:57:54)
3. Helmert, Christian (3:15:43)

Damen
1. Meyer, Juliane (3:04:14)
2. Müller, Antje (3:45:41)
3. Hausner, Rosi (4:11:15)

111 Marathonläufer und 13 Marathonläuferinnen im Ziel.
Bei allen Wettbewerben zusammen finishten 3027 Sportler.

 

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Informationen: Skatstadtmarathon Altenburg
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