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Laufberichte

Der 7Gebirgsmarathon setzt sich ab

 
Autor: Joe Kelbel

Ab 1920 dehnte Frankreich seine Besatzung über die zugestandene Rheingrenze nach Osten aus und finanzierte Separatisten, die Rückendeckung vom Kölner Oberbürgermeister Adenauer bekamen. Die Separatisten zogen plündernd durch die Zone. Am 14. November 1923 versammelten sich in der Aegidienberger Gaststätte Cremerius, jetzt „Hotel Am Markt“ Einwohner der umliegenden Gemeinden, um den Widerstand gegen die Plünderer zu organisieren. Der „Aufstand im Siebengebirge“  begann am Folgetag mit der Vertreibung der Separatisten ins Schmelztal, unserem heutigen Laufrevier.

Es gab erste Tote, die Reichsabtrünnigen richteten ihren Stützpunkt im Jagdhaus im Schmelztal ein, jetzt passenderweise ein Swinger Club, nahmen Einwohner als Geiseln, stellten sie an Pfähle in die Schusslinie der von Aegidienberg anrückenden Bürgerwehr, die trotzdem 14 Separatisten aus Kevelaer erschossen, wo ich  am 8. Januar meinen 350ten Marathon laufen werde.

Auf Druck der amerikanischen Besatzungsbehörden, schickte Frankreich marokkanische Truppen nach Aegidienberg.  Mohamad Ahansal war also nicht der erste Marokkaner, der hier gelaufen ist. Mit der Schlacht von Aegidienberg endete die Idee einer Rheinischen Republik, dessen Grenze entlang der heutigen A3 gezogen werden sollte.

Aegidienberg hat nun eine eigene Ausfahrt an der A3, doch die Fahrt vom Rhein hinauf durch das Schmelztal ist schöner. Direkt hinter dem Swinger Club beginnen die hohen Abraumhalden des mittelalterlichen Bergbaues.  Ich frage mich, ob man in einen Swinger Club auch als Einzelner reingelassen wird. In der  Kurve steht ein Hirsch, ein echter. Vollbremsung, ich muss mich besser konzentrieren. Wir schauen uns eine gefühlte Ewigkeit in die Augen, dann gibt der Klügere nach.

Nachsichtig sind auch die Ordnungskräfte, zumindest hinsichtlich der Parkplatzwahl, sofern man es nicht übertreibt. Das Bürgerhaus am Marktplatz ist nicht übertrieben, reicht,  um sich dort umzuziehen und die Klamotten auf der Zuschauerbühne zu deponieren.

 

 

Der Siebengebirgsmarathon ist der schönste aller Wintermarathons in Deutschland. Mehrfach werde ich angesprochen, ich solle dies unbedingt erwähnen. Wenn sich die Halbmarathonläufer (Start 9 Uhr)  zum Startort begeben, wird es ruhiger in der Halle, die Schlange vor dem Klo lichtet sich, bis irgendwann auch wir Marathonläufer Richtung Start (10 Uhr) dackeln.

Der ist am Gangsportzentrum, das nicht nach uns, sondern nach den Pferden benannt ist. Aegidienberger nennt man die Pferderasse, die eine fünfte Gangart, das Tölten, eine Art Ultraschlappschritt beherrscht. Wir tölten in die Peter Staffel Straße ein. Peter Staffel wurde mit 18 Jahren  das erste Opfer der Separatisten im Steinbruch von Himberg.

Kurz vor dem Startschuss erscheinen aus dem Hintergrund Max und Moritz (Max Kirschbaum und Moritz von der Heide), womit die diesjährigen ersten zwei Plätze feststehen. Frank wird Platz fünf erkämpfen.

Los geht’s! Wie immer viel zu schnell. Wir sind in einer Höhe von 281 Metern, da fällt das Atmen schon schwer. Ich muss dranbleiben, um richtige Läuferfotos zu ergattern. Dann biegen wir auf die Hauptstraße ein. Hinter dem Marktplatz gegenüber dem „Hotel Am Markt“, dem ehemaligen Hauptquartier der Reichstreuen,  geht es die Friedensstraße hinab, die ihren Namen nach der Separatistenschlacht erhielt. Hinter der Friedhofsmauer haben in einem Massengrab die Separatisten ihre Ruhe gefunden.

 

 

Ruhig liegt nun das Siebengebirge vor uns. Ein toller Blick, dann geht es in den Wald und zurück zum Startgelände. Im Schmelztal ist die erste Verpflegungsstelle  (km 5). Wer zu viel Kleidung dabei hat, der kann diese hier deponieren.  Wir kommen bald wieder,  es geht erstmal hinauf Richtung Löwenburg(455 m).

Der zweite VP ist unterhalb des Gasthofes Löwenburg, das einmal der Pferdestall der Burgherren der Löwenburg werden sollte. Wenige Meter weiter, beim Aufstieg zum Lohrberg ist der schönste Aussichtspunkt des Siebengebirges, mit Blick auf den Drachenfels, den Rhein, Bad Godesberg und den Post Tower in Bonn. Sogar der Kölner Dom ist sichtbar.

Es geht hinunter zur Magarethenhöhe, dem Startort ehemaliger Ablasswanderungen. Der Ablasshandel, die Erlösung von Not und Sünde durch Geld und Laufen, war der Hauptgrund, weswegen sich Luther aufregte. Ziel der Sünder war eine uralte Kapelle auf dem Petersberg, wo Breschnew 1973 das geschenkte Mercedes-Coupé verschrottete. Leonid bekam den Wagen der S-Klasse von Daimler geschenkt, damit er vom Gästehaus auf dem Petersberg Ausflüge unternehmen konnte. Er musste jeden Abend zurück in den „Sicherheitstrakt“ vom Petersberg, aber die Kurven waren ihm zu eng. Nach Totalschaden bekam er sogleich das Mercedes Cabrio, das ersatzweise zur Verfügung stand. Auf dem Petersberg halfen ihm Polizeibeamten aus dem Wagen, weil er nicht mehr laufen konnte.

Wir können immer noch laufen, jetzt wieder hinauf zur Löwenburg, die wir nun umrunden. Zunächst kommen wir an einem Graben vorbei, aus dem das Baumaterial für die Burg gewonnen wurde und nun ein beliebter Grillplatz ist. Genau bei km 14 ist ein ausgeprägter Hohlweg erkennbar, der aus dem 12. Jahrhundert stammt und die Verbindung zum Rheinufer bildete.  Die Löwenburg war nie wirklich bewohnt, weil Ritter Roland vor Fertigstellung schon in den Kreuzzug zog. Als man ihn für gefallen hielt, ging seine Verlobte ins Kloster der Ursulinen auf die Rheininsel Nonnenwerth.  Als Roland aus dem Heiligen Land zurückkam, war sie schon mit Jesus verheiratet, wie man das Gelübde interpretierte. Roland erbaute eine neue Burg oberhalb von Nonnenwerth, um seine Geliebte sehen zu können. Von der Burg ist nur ein großer Fensterbogen geblieben, der Rolandsbogen.

In der Ruine des Turmes der Löwenburg machte man jüngst einen seltsamen Fund: unzerbrochene Trinkgefäße aus Siegener Ton. Die Wissenschaft rätselt, warum sie noch heil sind. Meine Erklärung ist einfach: Der Türmer, so nannte man den Hausmeister einer Burg, verdiente sich ein Zubrot durch den Verkauf von Wein. Dann begann das dunkle Mittelalter und man brachte sein letztes Geld lieber zur Bittkapelle auf den Petersberg.

 

 

Wir überqueren das Schmelztal und die Halbmarathonmarke. Markant ist der Berg Himmerich, Riesenschiss genannt. Der Sage nach klopften einst Riesen ihre Spaten ab, als sie den Rhein aushoben. So entstand das Siebengebirge. Der Himmerich besteht also aus einem anderem Material, das sich hervorragend als Baumaterial nutzen ließ. Das wurde mittels eines Bremsberges ins Mucher Wiesental befördert, wobei sicherlich auch Bremsspuren entstanden.

Der nächste VP ist an der Kapelle „Das Auge Gottes“, auf deren Sims geschrieben steht : „Gottes Auge sieht alles“. Hier am VP drückt das Auge mal ein Auge zu, denn es soll Holzdiebe und nicht Genussläufer beobachten.

Und wieder die Bitte, ich soll doch erwähnen, wie schön dieser Lauf ist, dass er sich von allen anderen Winterläufen absetzt. Ich hatte mich 1969 abgesetzt.  Wir wohnten direkt an der Mehlemer Fähre und ich bin für umme rüber nach Königswinter. Heutzutage würde man keinen  Fünfjährigen auf die Fähre lassen, aber der Fährmann kannte mich. Ich stand fast jeden Tag in Lederhosen an der Fährstation und träumte von der weiten Welt. Sogar auf Postkartenmotiven bin ich erhalten geblieben. Das Brot, das ich an die Möwen verfüttern sollte, habe ich selbst gegessen.
Ende der Träumerei, wir kommen nach zwei Kilometer zu einer der vier Abschussrampen der V1, die 1944 angelegt wurden, um die Brücke von Remagen (Ludendorffbrücke) zu schützen. Doch die Amis waren schneller, standen 600 Meter vor dieser Anlage. Damit die weltweit einmalige Raketentechnik nicht in deren Hände fällt, verlegte man die Anlage nach Berlin, wo sie aber auch zu spät ankam. Wir laufen nun auf asphaltieren Wegen, die angelegt wurden, um die Bauteile für die Raketenabschussrampen zu transportieren.

 

 

Ulrich gibt nun auf diesen sauberen Wegen Gas, er läuft seinen 400ten und ist happy über seine 400er Startnummer. Beim VP von Steffi, der Motivationstrainerin, wird Uwe lautstark begrüßt, er hat heute Geburtstag.  Ich verliere viel Zeit, weil ich Genussläufer bin. Wir feiern auch noch die zwei Läufer, die ihren 100ten laufen, eine Anzahl Marathons, die einfach unmenschlich ist.

Bei Kilometer 40 steht, wie alle Jahre, Stefan Winker mit seiner Ratsche und Trommelund feuert uns an. Die Frau von Uwe wartet auf den Geburtstagsläufer, dann separiere ich mich von den beiden und setze mich ab.

An der Ortseinfahrt zu Aegideinberg steht eine Geschwindigkeitsmessanlage: „ Sie fahren 11 Kilometer pro Stunde“ Das halte ich auch die letzten 2 Kilometer durch und staune über mich selbst.

Zieleinlauf in die  Aegidienberger Festhalle. Grandiose Stimmung, von allen Seiten erzählen mir lachende Gesichter von neuen persönlichen Bestzeiten und den gewonnenen Sportsocken. Ich freue mich, einen der schönsten Winterläufe zum xten Mal freudig absolviert zu haben. Der 7 Gebirgsmarathon separiert sich eindeutig von allen anderen Läufen in dieser Jahreszeit. Einsame Klasse. Lange sitzen wir noch bei dem Getränk, mit dem ich groß geworden bin. Dann separiere ich mich. Ich möchte wissen, ob im Swinger Club Separatisten noch willkommen sind.

 

Informationen: Siebengebirgsmarathon
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