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Laufberichte

Nymphomane Nixen, Zwerge und klagende Jungfrauen

17.10.09
Autor: Joe Kelbel

Vor 117.000 Jahren  wurde es deutlich kälter. Von Skandinavien breiteten sich die Gletscher aus.  19.000 Jahre brauchten sie bis weit südlich von Berlin. Dann begannen die Gletscher etappenweise zu schmelzen. Riesige Wasserfälle, Gletschermühlen genannt, durchbohrten das kilometerdicke Eis. Doch ein einziger gewaltiger Mahlstrom übertraf alles - er bohrte sich in tausendjähriger Arbeit weitere 30 Meter in den Untergrund.

Als die Gletscher weg waren, blieb ein 20 km langes, grandioses Tal mit tiefen, steilen Schluchten übrig. Aber in diesem Tal blieben noch lange Zeit große Eisbrocken  liegen. An ihnen sammelten sich Sedimente, die diese urtümliche Schlucht verstopften und eine Kette von Seen mit einer zeitentrückten Natur bildeten: das Schlaubetal.

Heute gilt das Schlaubetal als eines der ältesten Bachtäler Deutschlands und steht unter Naturschutz. Erlen, Buchen, Birken und die seltsamen Kiefern, deren Zweige wieder in den Boden wachsen, Schilfröhrichte, Wiesen und Moore sorgen für eine eigenartige Stimmung. Tiefe Canyons und alte Mühlen schufen ein Ambiente, in dem nymphomane Nixen und Jungfrauen geistern.

So wurde erst  2007 im „Amtsblatt Schlaubetal“ ein kurioses amtliches Verbot aufgehoben: Im Paragraf 11, Punkt "J" der 13-seitigen Liste an Vorschriften "zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" war bis dahin Freiluftsex im Tal verboten. Und so fragt sich heute mancher Marathonläufer, welch starkes Erregungspotential dieser Park besitzt, das die anderen 97 deutschen Naturparks nicht haben - wenn eine Behörde mit einem Antikopulationsedikt eingreifen muss?

6,5 Stunden Bahnfahrt nehme ich auf mich, um diesen Mythos  zu entschlüsseln. Binchen fängt mich schon in Berlin im Zug ab: „Joe, ich kenn´ das Tal, sei vorsichtig! Ich laufe lieber den Halben!“  Der Halbe vermeidet dieses Tal mit dem außergewöhlichen Erregungspotential, und langssam dämmert es mir, warum der Schlaubetalmarathon von zwei Frauen, Kathrin und Bianca, organisiert wird.

Kathrin holt uns  persönlich vom Bahnhof Eisenhüttenstadt ab. Soll  damit vermieden werden, daß ein Lämmchen  im Vorfeld verloren geht?  Keine 1,5 Kilometer vom Bahnhof ist die Inselhalle, das  Infrastrukturzentrum des Marathons. Die Startertüte ist prall gefüllt, aber sehr erfreulich: Stadtplan mit handgezeichneter Laufstrecke, Tagesausflugsplaner, Ferienregionsplaner, Tagesablaufplan für den Marathontag, und Freizeitprogramm für die Wartenden: von der Minigolfbahn bis zur DDR-Schauwohnung. Pasta und T-shirt sind inbegriffen, für den Thüringen-Chip (SPORT-ident) wird Pfand erhoben, aber den will ich eh für die nächsten Läufe ( z.B.Sondershausen, Thüringen-Ultra) behalten.

Es ist ruhig in der Inselhalle, es ist schön familiär, und ich lerne Bianca, die weitere Orga-Frau kennen.  Als eine Busladung mit 40 Läufern aus Dänemark eintrifft, wird es erst richtig gemütlich. Ja, das knallharte Skandinaviervölkchen  fährt  extra 900 Kilometer, um dieses sagenhafte Schlaubetal  zu entdecken! 

Zwei Kilometer entfernt vom Start/ Ziel der Inselhalle ist das Zentrum, dort gibt es Pizza, Pasta und, ungelogen, einen Imbissautomaten. Die Zeit vergeht wie im Fluge, jetzt nicht am Imbissautomaten, aber bei der Pizza. Für Späteinchecker im nahen Hotel Berlin gibts ein freudiges Willkommen. Das Hotel ist zwar keinen Kilometer entfernt von der Inselhalle, aber ich war überglücklich, daß Ralf (der morgen 3:19 laufen wird) mich armen Fußkranken chauffiert hat.

Wo die Schlaube entspringt, in den Wirchenwiesen, sind zwei  Quelltöpfe. Hier wohnte die Schlangenkönigin. Als ein Bauer in den Kellergewölben ihres Schlosses glänzendes Gold entdeckte, verschwand das Schloß und zurück blieb ein großes Goldstück, auf dem eine gekrönte Schlange zu sehen war. Ringelnattern gibt es hier noch ohne Ende,  statt Gold gibt es die Smaragdeidechse, den Hochmoor-Perlmuttfalter, Frauenschuh und Korallenwurz, Eisvogel, Brachpieper, Ziegenmelker, Raubwürger, Seeadler, und und und.

Wir starten samstags um 10 Uhr vor der Inselhalle, in Eisenhüttenstadt. Die ehemalige Wohnstadt und das Eisenhüttenkombinat wurden 1950 errichtet. Die neu errichtete Siedlung erhielt den Namen  Stalinstadt und erst 1961 (im Zuge der „Entstalinisierung) dann den Namen Eisenhüttenstadt. Die Arbeiter nannten sie Schrottgorod, heute wird sie schlicht „Hütte“ genannt.

Die 43,5 Kilometer lange Laufstrecke führt uns zunächst 3, 4 Kilometer durch die Stadt, über Felder und bei km 7 in den Kiefernwald. Die Wege sind geröllhaltig, sandig, morastig, je nachdem was die Gletscher hinterließen. Diese  Grundmoränenfelder sind wellig und teilweise schwer zu laufen, dazu kommt, daß es kilometerlange Kopfsteinwege (aus DDR-Zeit) gibt. Also eine anspruchsvolle Strecke mit insgesamt 417 Höhenmeter.

Erst in mehr als einer Stunde werden wir das Tal der Schlaube erreichen, von dem schon Theodor Fontane angeblich schrieb: „Wag es getrost, und du wirst es nicht bereuen, eigentümliche Freuden und Genüsse werden dich begleiten. Du wirst Entdeckungen machen, denn überall, wohin du kommst, wirst du … eintreten wie in jungfräuliches Land."

Bei Kilometer 14 stoßen wir endlich bei der Kieselwitzer Mühle auf die Schlaube.  Hier fand man  Skelette winziger Menschen. Es sollen die Heinzelmännchen der Niederlausitz sein, die Luttchen oder Ludki. Die winzigen Leute lebten auf den Sandhügeln, die die Gletscher hinterließen,  den Kontakt mit Menschen scheuten sie,  halfen aber gerne heimlich für ein Schüssselchen Milch. Man vermutet, daß dies ein unterwürfiges germanisches Völkchen war, welches nach der Besiedlung durch die Slawen (Wenden) noch einige Zeit überlebte.

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Informationen: Schlaubetal-Marathon
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