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Laufberichte

Schnell durch die Traumschleife

 
Autor: Joe Kelbel

Erstmal stehe ich vor verschlossener Tür. Aus dem bunten Kohlbeet vor der Stadthalle könnte ich mir eine Suppe kochen und die kühle Nacht bis zum Start überbrücken, ich bräuchte aber Suppenfleisch. Im Supermarkt treffe ich Andreas: Joe, du hast die falsche Ausschreibung erwischt.

Und tatsächlich, diese Veranstaltung nennt sich jetzt SaarschleifenLand Marathon, findet zum ersten Mal statt, ist aber der dritte SaarschleifenLand-Lauf und reiht sich in die bisherigen Austragungen des Saarschleifen Marathons ein, hat aber einige Änderungen.  Also erhalte ich morgen früh vielleicht meine Startnummer. Grund für das Durcheinander ist die Abgelegenheit von Merzig, dem Austragungsort, die für kleine Konkurrenzstreitigkeiten sorgt.

Metz, Luxemburg, Trier und Saarbrücken, all dieses Städte sind 50 Kilometer von Merzig entfernt, nur die Saarschleife ist näher: 10 Kilometer. Und um die geht es: die Traumschleife, das paradiesische Must-Have-Seen Deutschlands steht im Mittelpunkt vieler Laufveranstaltungen. Ich bin gespannt: Insgesamt viermal, aber an beiden Flussufern entlang geht der Marathon, um dann den finalen Run zurück nach Merzig anzugehen.

 

 

Die Saarschleife ist ein Kuriosum: Der Taunusquarzit zwingt die Saar zu einer 360 Gradwendung. Nun ist der Taunus 200 Kilometer weit weg, aber einst gab es hier eine längere Küste entlang des Urkontinents Laurussia bis zum Taunus, wo diese Quarzitart zuerst beschrieben wurde. Sie entstand am Strand, als säuselnde Wellen permanent Mineralien in den Sand brachten. Größere Hotels gab es an diesem Strand nicht, sodass sich Fossilienfunde auf Schnecken und primitive Fische beschränken.  

Ein Hotelfund ist erfolgreich, nicht in Strand- aber in Startnähe.  Das liegt daran, dass hauptsächlich regionale Läufer am Marathon teilnehmen. Etwa 100 sind es, darunter etwa 20 Läufer, die um die Saarländische Meisterschaft kämpfen werden. Auf die Kohlsuppe habe ich verzichtet, kann trotzdem kaum schlafen. Um 7 Uhr ist die Tür geöffnet, ich erhalte meine Startnummer.

8:30 Start. Zweihundert Meter durch den Stadtparkt, dann auf den ehemaligen Treidelpfad der Saar, der hier Leinpfad genannt wird. Zunächst ein glatter Radweg, der zum Überpacen einlädt. Die Saar fließt hier nach Norden, mündet vor Trier in die Mosel.

 

 

Ich habe mich auch gefragt, was ein Tierpark in Merzig soll, aber in diesem Park gibt es Streicheltiere. Nur die Berberaffen, die sollte man nicht streicheln. Hinter dem Tierpark ist der ehemalige Schlachthof, nun ein Restaurant für exotische Gerichte ohne Affenfleisch.

Kohlpharma hat vielleicht das Kohlbeet vor der Stadthalle gespendet, das ich dann doch nicht geplündert habe. Die Firma wurde in dem Jahr gegründet, als ich das erste Mal  in Merzig war. Damals stand dort noch ein runtergekommenes Gebäude mit einer Art Diskothek.  Die ganze Nacht lief nur „Sex Machine“ von James Brown, die ganze Nacht! Das war der Grundstein meiner sportlichen Einstellung. Ach so, Kohlpharma ist der mit Abstand größte Importeuer von Medikamente aus der EU, wenn sie preisgünstiger als in Deutschland sind. Also profitieren auch Läufer von diesem Ibuprofen-Importeur.

Merzig hat einen Hafen, deshalb verlassen wir das Ufer.  Das gibt einen ersten Vorgeschmack auf die 400 Höhenmeter, die wir in den folgenden Stunden bewältigen müssen.

Auf der anderen Seite der Saar wird es uriger, die alte Saar mündet dort in die begradigte Saar, flankiert von unzähligen Kiesgruben. Dort ist ein verwunschenes Naturschutzgebiet, in dem die Biereiche steht. 1956 machte ein Zeitungsredakteur einen Aprilscherz: Es wäre ein Kasten Bier unter der 300 Jahre alten Eiche deponiert. Die Merziger stürmten sofort die Wildnis. Seitdem wird das Biereichen-Fest abgehalten. Auf unserer Seite ist nun die Ponter Hausbrauerei, die kleinste Brauerei des Saarlandes. Man braut Ponter Hell, Schwarzer Abt und Ponter Weizen.

Weizenfelder gibt es nicht entlang unserer Lauftrecke, hier ist es zu nass.  Wir hangeln uns an Altarmen der Saar entlang, die durch ein kompliziertes Grabensystem entwässert werden. Ein kleiner Schwarm Bekassinen, die man nur noch in der Bretagne grillen darf, dreht seine Runden über den nebligen Schwaden, die das warme Wasser der Saar in die kühle Morgenluft sendet.

Nach 10 Kilometern sind wir schon in der Saarschleife. Rechts von hier, hinter dem Bergrücken aus Taunusstrand, fließt die Saar nach Süden. Oben auf dem Rücken ist die Burg Montclair. Rechts im Nebel, ich werde sie erst auf dem Rückweg sehen, sind die Kirche St Gangolf und Reste eines Klosters. Gangolf war ein wundertätiger Ritter aus dem Burgund, der vom Liebhaber seiner Frau getötet wurde. Am Grab von Gangolf gingen die Wunderheilungen weiter, worauf seine Frau spottete: „Gangolf verbringt ebenso Wunder, wie mein Hintern Lieder singt“. Kaum hatte sie das ausgesprochen, ertönen aus ihrem Hintern unanständige Geräusche. Fortan war das immer so, sobald sie nur ein Wort sagte.

 

 

Der Anstieg unterhalb der Kirche St. Gangolf ist anstrengend aber laufbar. Die Halbmarathonläufer haben hier ihren Wendepunkt. Mit einem Hintern geht es weiter, denn der Fels gehörte einst Poppo von Babenberg (geb. 986), einem Österreicher. Abgesehen von seinem Namen ist der Mann interessant, weil er mit dem Mönch Simeon von Trier ins Heilige Land gereist ist. Gut, das haben viele gemacht, aber Simeon, der im damals muslimischen Syrakus auf Sizilien geboren wurde, ließ sich 1030 in die Porta Nigra in Trier einmauern, lebendig. Nicht aus religiösen Gründen, er wollte nur nicht mehr laufen: Laut seinem „blog“, den seine Fans 1022 anlegten, hat Simeon 25.000 Kilometer zurückgelegt.  Da kann man sich schon mal einmauern lassen. Ich habe bisher ca. 17.000 Kilometer wettkampfmäßig zurückgelegt und möchte am liebsten in eine Brauerei eingemauert werden.

Gegenüber, oberhalb der Außenschleife, 160 Meter höher im dichten Nebel ist der  felsige Aussichtspunktes Cloef, von dem alle Fotos der Saarschleife gemacht werden. Cloef hört sich französisch an, ist aber keltisch (Klöff= Kliff). Das französische clé (Schlüssel) stammt auch vom keltischen ab, bedeutet Einkerbung (Kliff).  

Zahlreiche Staatsoberhäupter und Politiker feierten sich vor diesem Aussichtspunkt: Adolf, Oskar, und Gerhard, der sich gerichtlich gegen die Behauptung wehrte, er würde sich die Haare färben. Jacques Chirac, Lech Kaczyński und natürlich Angela. Wir dagegen laufen demütig staunend und mit ungefärbten Haaren, aber mit Blick auf die zahlreichen urwaldartigen Altarme, die von Seerosen bedeckt sind.

Von der anderen Flussseite hört man wundersame Töne, die von den Felswänden des Tales verstärkt werden. Es ist Charly, der mit seinem Alphorn die Traumschleife akustisch füllt. Mit riesen Schritten läuft Martin Schedler an ihm vorbei, wieder den Fluss hinauf. Mit gewaltigem Abstand wird Martin  die Meisterschaft in 2:42 Std gewinnen. Ich bin nicht ganz so schnell, habe Probleme mit dem Schotter, der meine Fußsohlen strapaziert.

Es dauert eine Weile, bis wir die Innenschleife umrundet haben. Die Streckenführung geht nun über die Staustufe Mettlach.  Ich bekomme Appetit auf Mettbrötchen. Es gibt alle 5 Kilometer Verpflegung: Cola, Iso, Wasser, Honigkuchen und Brezel. Eine Schleusenkammer ist leer, hinter der Wand steht die Saar 11 Meter höher.

Kurzer Blick rechts nach Mettlach mit der Brücke, wo letztes Jahr der Marathon drübergeführt wurde. In Mettlach steht das älteste Bauwerk des Saarlandes. Trier mit seiner Porta Nigra und dem eingemauerten Simeon ist in Rheinland Pfalz. Im Saarland, in Mettlach steht der Alten Turm (676), der ab 990 als Grabkapelle der Ottonen diente. Die Ottonen stellten die ersten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutschen Nation, das so genannt wurde, weil die Kaiser sich verpflichteten, den Papst in Rom zu beschützten (Kaiser= Caesar).

Nun sind wir auf der linken Flussseite, laufen flussaufwärts die Außenseite der Saarschleife entlang. Über uns das Örtchen Orscholz, wo um 800 ein Typ namens Orko eine Burg erbaute, um zu beobachten, wer unten langläuft. Nach Orko ist das Örtchen also benannt.

75 Bunker um Orscholz sicherten  diesen Abschnitt des Westwalles. Im März 1945 starben 80 % der hier stationierten Wehrmachtssoldaten beim Einmarsch der Alliierten, die auf dem Weg in das Industriegebiet des Saarlandes waren. Die Bunker auf dem Bergrücken der gerade absolvierten Innenschleife sind zugänglich, da der Bergrücken und die Burg Montclair im Besitz der Familie von Boch sind. Viele Läufer haben Erfahrungen mit Boch, und zwar mit Villeroy & Boch.  Es sind garantiert bessere Erfahrungen als mit Dixi. Da ich das große Latrinum habe, weiß ich, dass „Dixi“ lateinisch ist und „ich habe gesprochen“ bedeutet, was eindeutig auf die furzende Frau vom Gangolf bezieht.

Der Hauptsitz von Villeroy & Boch ist in die ehemaligen Benediktinerabtei von Mettlach, der Alte Turm ist im Park daneben. Für Nichtläufer gibt es noch ein wunderbares Programm: Die Burg Montclair (der klare Berg) ist bewirtschaftet. Interessant ist die Sammlung der Bullen. Das sind in diesem Fall keine Tiere, sondern Siegel des Mittelalters. Von der Burg führt ein Weg hinunter zur Saar, der auf unsere Laufstrecke mündet. Dann überquert man mit der einzigen Saarfähre den Fluss, und rastet am alten Fährhaus, unserem Wendepunkt. Anschließend wandert man durch das Steinbachtal, den Saarsteilhang hinauf zum Felsenaussichtspunkt Cloef. Dahinter ist der Aussichtsturm und ein Baumwipfelpfad.  

 

 

Wir Läufer kommen nun zum wildromantischen Steinbachtal, ein großes Naturschutzgebiet. Hier gibt es noch Steinkrebse, die unglaublich klares Wasser brauchen. Mit acht Zentimeter Größe lohnt sich die Jagd nach den Panzertieren nicht, zumal man sie nachts suchen muss.

Am Wendepunkt Altes Fährhaus sehe ich, dass ich von Ewald verfolgt werde. Wir beide sind letztes Wochenende den Seensteiglauf (151 km) gelaufen und haben nun mit der Geschwindigkeit, die man auf dieser schnellen Strecke laufen muss, unsere Probleme. Keine Probleme haben die vielen Angler. Ich frage, ob sie auch Sport machen würden.  Sie sind aber nicht gut drauf.

Ewald ist gut drauf, er überholt mich. Ich stelle meine Tätigkeit als Fotograf weitgehend ein und hänge mich an ihn ran. Auf den Schotterwegen sind minimale Abkürzungen über die Spurrinnen, in den doch zahlreichen Innenkurven eine Herausforderung. Erst als wir St. Galgolf passieren, gibt es die Möglichkeit für mich, auf glattem Asphalt loszulegen. Die Strecke wird mental fordernd, als wir am Start/Zielgelände vorbei laufen und noch eine südliche, ewiglange Schleife laufen müssen.

 

 

Weit entfernt von meinen Bestzeiten, aber glücklich, weil total erschöpft, komme ich ins Ziel vor der Stadthalle, wo gerade die Siegerehrungen stattfinden. Noch am Bahnhof stehend, lausche ich, wer alles auf das Siegertreppchen gerufen wird. Ob ich auch gerufen werde? Weiß ich nicht, die Bahn kommt. Hier geht’s schnell!

 

Fazit:

Wunderschöne, naturbelassene, autofreie Traumschleife.  Gehört noch vor New York und Boston in den Laufkalender eines jeden Deutschen.  

 

Informationen: SaarschleifenLand-Marathon
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