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Laufberichte

Auf der schönsten Küstenstraße der Welt

 

Zum neunten Mal findet heuer in der Nähe von Neapel der Coast-to-coast-Run statt, der über die Jahre seines Bestehens schon diverse Streckenänderungen erfahren hat. Mal wurde er als Marathon entlang der legendären Amalfiküste durchgeführt, mal als für mich weniger reizvoller Halbmarathon und in diesem Jahr als 54-km-Ultra bzw. 28-km-Panoramalauf. Sorrent, Massa Lubrense, Sant`Agata sui due Golfi und Positano sind die Etappen des langen Laufs.

Wir fliegen mit Alitalia über Rom nach Neapel. Der Landeanflug an den Häusern der Millionenstadt vorbei ist spektakulär. Per Bus geht es für 10 Euro anschließend nach Sorrent, wo sich Start und Ziel befinden und wo wir eine günstige Unterkunft gefunden haben. Die überschaubare Marathonmesse in der Touristeninformation hat glücklicherweise bis 21 Uhr geöffnet, sodass wir uns nicht abhetzen müssen.

 

 


Marathontag

 

Der Start steht um 7:00 Uhr an, also noch kurz vor Sonnenaufgang. Etwa weil man die Teilnehmer noch vor dem frühen Sonnenuntergang ins Ziel bekommen will?  Das Ziel ist sieben Stunden geöffnet, daran kann es also nicht liegen. Bei ernsthafterer Betrachtung liegt der zeitige Start wohl darin begründet, dass man die Straßen möglichst bald wieder freigeben möchte.

Judith und ich treffen recht knapp um 6:45 Uhr im Startbereich ein. Zu unfreundlich zeigt sich das Wetter an diesem Morgen. Immerhin hat der Regen aufgehört. Hier ist alles professionell organisiert - fast: Mit einer geliehenen Schere befreie ich die bislang verschlossenen Toilettenhäuschen von ihren Kabelbindern, um das Glück perfekt zu machen.

 

 

Über 130 Teilnehmer haben sich eingefunden, darunter auch der Russe Anton, mit dem wir ins Gespräch kommen. Die Startnummern tragen Namen und Nationalflaggen. Antons Deutsch ist auf jeden Fall besser als mein Russisch. Und schon geht es los. Eine kleine Runde durch Sorrent steht an. Überraschend viele Touristen waren hier gestern unterwegs, trotz des Dauerregens. In den kleinen Gässchen ist ein Andenkenladen neben dem anderen.

Die Stadt Sorrent, italienisch Sorrento, liegt auf einer Tuffsteinterrasse auf der Halbinsel von Sorrent am Golf von Neapel über schwarzen Steilklippen aus dunklem vulkanischem Gestein. Schon immer  ziehen spektakuläre Sonnenuntergänge sowie Orangen- und Zitronengärten Besucher aus aller Welt an.

Beliebt ist die rund 17.000 Einwohner zählende Stadt auch als Ausgangspunkt für Trips zu den Inseln Capri, Ischia und Procida oder zu den antiken Ausgrabungsstätten von Pompeji und Herculaneum. Berühmtester Sohn Sorrents ist der Dichter Torquato Tasso, (1544-1595), dessen Leben in Werken von Goethe und Lord Byron thematisiert wurde.

Wir umrunden den zentralen Corso Italia. Bei km 2 geht es dann auf der strada statale 145 Sorrentina bergauf. Hier bieten sich schöne Blicke auf Sorrent. Das Hotel Bristol klebt am Hang. Viele englische Hotel- und Pub-Namen lassen erahnen, wie beliebt diese Gegend bei Urlaubern aus dem Vereinigten Königreich ist. Am Lauf nehmen aber seltsamerweise keine Briten teil.

 

 

An jeder Ecke gibt es Neues zu sehen. Hotels und landwirtschaftliche Flächen wechseln sich ab. Am Beeindruckendsten sind jedoch die Ausblicke auf den Golf von Neapel. Die tiefstehende Morgensonne leuchtet die Gegenseite wunderbar an. Der Anblick des Vesuvs erinnert mich an den Filmtitel „Schnee auf dem Kilimandscharo“, denn der obere Teil des Kraterrands ist in winterliches Weiß getaucht. Für uns Mitteleuropäer ist es kaum vorstellbar, dass es im vermeintlich immer warmen Süditalien auch Schnee und sogar Skigebiete gibt. Bei dem frischen Wind schätze ich mich glücklich, noch eine Jacke mitgenommen zu haben. Die angekündigten 12 Grad sind noch lange nicht erreicht. Ich rufe laut: „Che bello l'Etna“. Der Läufer neben mir schaut geringschätzig drein, erwidert aber nichts. Nicht jeder ist so früh am Morgen zu einem Späßchen aufgelegt. Judith weist mich auf sein Shirt hin: Auf dessen Rücken steht „Etna Trail“.

Noch weiter entfernt sieht man zwei Inseln: Ischia mit dem hohen Vulkan und rechts daneben Procida, momentan in deutschen Zeitungsberichten als Geheimtipp gehandelt.

Oft bleiben Läufer stehen, um das Panorama mit ihren Smartphones zu fotografieren. Ich muss ein Stück gehen, da die Kamera ein technisches Problem hat, und stelle fest, dass Judith und ich noch von einigen Läufern verfolgt werden.
Dann taucht Capri auf. Unser Vermieter wollte uns gestern gleich den Prospekt mit den Fährverbindungen  in die Hand drücken. Aber die Insel haben wir im Oktober 2008 schon erwandert, samt Bad im Meer.

An den kleinen Verpflegungsstellen, die uns im Abstand von fünf Kilometern erwarten, gibt es Wasserflaschen, Iso-Getränke, Bananen und Äpfel. Und immer auch ein Toilettenhäuschen. Und an dieser Stelle mal keine Hinweise auf Iso, sondern auf Capri. So stolz sind die Menschen hier auf ihre Heimat, dass sie unentwegt „Capri“ ausrufen.

 

 

Die Vegetation ist beeindruckend: Immer wieder Palmen, dazwischen viele Olivenbäume. Teilweise ist der Boden mit Oliven übersät. Oder es sind Netze unter den Bäumen gespannt, um die wertvollen Früchte aufzusammeln. Häufig sieht man diese Holzpalisaden, die an urige Kneipen für Rucksacktouristen in tropischen Ländern erinnern. Erst später entdecke ich, dass damit Zitronenbäume vor der Sonne und dem Wind geschützt werden. Die hier angebaute Sorte nennt sich Femminello sfusato. Deren Schalen werden zum beliebten Limoncello-Likör verarbeitet, den es in den Ortschaften an jeder Ecke zu kaufen gibt.

Außerdem liegen oft Boote in den kleinen Gärten „vor Anker“, gut 200 Meter über dem Meer. Na ja, im Frühling geht's dann sicher wieder runter ins Wasser.
Judith habe ich nach meiner Pause bald wieder eingeholt und es hat sich nun ein lustiges Laufgrüppchen gebildet: Ein Trio aus Bologna sowie zwei Damen und ein Herr mit Laufhose vom Florenz-Marathon, der uns erzählt, dass er letzte Woche in der Toskana am Start war. Und wir vor zwei Wochen in Verona. Als ich dann noch auf unser nächstes Projekt hinweise, Lanzarote am kommenden Samstag, meint er lachend, dem habe er jetzt nichts mehr entgegenzusetzen.

Zuschauer sind bei diesem Lauf „Mangelware“. Nur in den vielen Dörfern sieht man ab und an Menschen, die meist aber mit sich selbst beschäftigt sind. Am Ende des Laufs werde ich feststellen müssen, dass mich außer den Helfern absolut niemand angefeuert hat. Manchmal wurden wenigstens meine Begrüßungen erwidert. Autos kommen gelegentlich in gemächlichem Tempo vorbei.

Bei km 13  sind wir auf der südlichen Seite der sorrentinischen Halbinsel angekommen. Die Sonne taucht alles in warmes Licht. Es bieten sich erste Blicke auf die Küste nach Süden samt malerischen Felsen im Meer.

Sant'Agata sui due Golfi liegt bei km 17 als größeres Dorf vor uns. Auf dem Sattel die Kirche Santa Maria della Neve. Neve, also Schnee, liegt hier auf 430 Metern Höhe noch nicht, aber auf den nächsten Bergen, die über 1.000 Metern hoch sind. Am anderen Ende der 3.000 Einwohner zählenden Gemeinde werden wir auf dem Rückweg direkt nach Sorrent abbiegen. Der 28-km-Panoramalauf zweigt hier direkt ab. Wir halten uns Richtung Positano. Noch einmal geht es nach oben. Bei km 20 ist mit 480 Metern die höchste Stelle unseres Laufs erreicht. Bis hierher kam man gut voran. Jetzt führt die Straße über Serpentinen zügig bergab. Spannenderweise sehen wir links unten wieder Sorrent. Wir halten die Ideallinie ein und müssen gelegentlich auf Autos achten, die die breite Straße rasant befahren. Ohren aufsperren hilft: Hört man nichts, kann man die Seiten gefahrlos wechseln.

 

 

Die Staatsstraße 163 Amalfitana ist erreicht. Links liegt eine Ebene mit dem Namen Piano di Sorrento. Rechts geht es für uns auf der Amalfitana weiter. Die beiden Führenden kommen uns entgegen. Marco Ferrrari hat die Zeit, mir einige gute Wünsche zuzurufen. Der folgende Autofahrer nutzt die Stelle zum Überholen, sieht mich vor sich und kann gerade noch bremsen.

Die Szenerie ändert sich: Wir kommen zur Amalfiküste. Steil fallen die Berge 600 Meter ins Meer ab. Es gibt Pinien und andere Nadelhölzer, dazwischen Oleander und gelegentlich auch noch Sträucher mit farbigen Blüten. Und es geht weiter leicht bergab. Die Straße ist hier wegen des Laufs für den Autoverkehr komplett gesperrt, wir können uns auf die wunderbare Landschaft konzentrieren. Erbaut wurde die in luftiger Höhe gelegene Küstenstraße in den Jahren 1832 bis 1850.  Auf fünfzig Kilometern verbindet sie die Ortschaften. Sie ist meist sehr schmal und daher für breite Fahrzeuge gesperrt.

Am VP35 vorbei. Der liegt allerdings links, so weit sind wir also noch nicht. „3 Kilometer bis zur Wendestelle“, ruft man mir zu. Judith liegt knapp vor mir. Dann geht es nach oben. Ein lokaler Gemüsehändler wartet an einem Aussichtspunkt vergeblich auf touristische Kundschaft. Hat er die vielen Plakate, die für den Lauf werben, nicht wahrgenommen? Hier werden auch die peperoncini piccanti aus der Gegend angebaut. Zeitmessung bei der Wendestelle kurz vor Positano. Mehrere hochrangige Polizisten warten hier auf uns. Ich rufe ihnen zu, dass ich aus Monaco di Baviera komme und gerne die Runde durch Positano gemacht hätte.

Kopfschütteln, denn vor einigen Tagen hat es nach einem Starkregen mehrere Erdrutsche gegeben. Aus Sicherheitsgründen entfällt die Schleife, die erst oberhalb des Orts verläuft, dann hinunter durch die Gassen zum Meer und hierher wieder hinauf. 1985 bin ich „il giro“ noch mit unserem Ford Fiesta abgefahren. Wer heute ans Meer möchte, muss an der Schranke zahlen. Hoffen wir mal, dass der Ort bis zum Sommer wieder in seinen malerischen Farben erstrahlt.

Natürlich wäre es traumhaft gewesen, die Strecke nach Amalfi weiterzulaufen. Im Auto nimmt man als Fahrer wenig von der Landschaft wahr, da die Straße meist sehr schmal ist und nach jeder Kurve ein Linienbus oder Lkw auftauchen kann. Aber als Läufer wäre es phänomenal.

Schnell laufe ich auf einen Aussichtspunkt, um noch einige Panoramabilder zu schießen. Das Fischerdorf Positano war in den Jahren 1933-1945 Zufluchtsort deutscher Künstler. 1950 entdeckten die Urlauber dieses idyllische Fleckchen. Heutzutage kommen im Sommer auf jeden der 4.000 Einwohner neun Touristen.
Dann wieder auf die Amalfitana, mit Sicherheit eine der schönsten  Küstenstrecken der Welt. Ich bin hellauf begeistert, wie ungestört wir hier laufen können. Leider hält sich das Wetter an die Vorhersage: Es beginnt zu schütten. Wir begegnen dem  Besenwagen, gefolgt von vereinzelten Fahrzeugen, denn die Sperre ist nun aufgehoben. Somit können wir die Ideallinie vergessen. Wir schrauben uns über die drei Spitzkehren weiter nach oben, Judith gibt das Tempo vor.

Hinter Colli di Fontanelle beginnt bei km 40 der Kilometer, der auf dem Hinweg so schön bergab führte. Ich kapituliere und baue Gehpausen ein. Meine Hände sind eiskalt. Dann endlich etwas Sonnenschein und es wird flacher. Die 6 Kilometer bis Sant' Agata auf breiter Straße sind nicht wirklich schön. Der Autoverkehr hat stark zugenommen, manchmal wird man mit sehr knappem Abstand überholt. Die Pfützen kann man nicht umgehen. Tapfer halten die Jungs vom VP 20 die Stellung. Anton überholt mich gut gelaunt. Positiv ist zu vermelden, dass unentwegt Autos der Polizia Municipale die Strecke abfahren. Vermutlich sollen die Autofahrer  dadurch etwas ausgebremst und die Läufer unterstützt werden. Ein Wagen der Gemeindepolizei überholt mich an einer Pfütze. Viel nasser kann ich eh nicht mehr werden.  

 

 

Endlich wieder Sant'Agata sui due Golfi. Wir biegen ab zum Golf von Neapel in Richtung Sorrent. VP 45: Eine Läuferin beschwert sich über das Wetter.  Der Posten meint beschwichtigend, dafür gehe es jetzt auf den letzten 9 Kilometern nur noch bergab, über 400 Höhenmeter, nahezu gleichmäßig  verteilt. Und wie recht er hat: Sanft „rollen“ wir auf nagelneu geteerter Straße nach unten. Dadurch ergeben sich beeindruckende Pace-Werte im 5-Minuten-Bereich pro Kilometer. Eigentlich habe ich keine Energie mehr, aber es muss sein. Ich bin auf einmal ein begnadeter Ultra-Läufer. Leider sind die um 9:00 Uhr gestarteten Läufer der Panoramic-Strecke schon weg. Etwa zwei von ihnen dürfte ich noch überholt haben, ansonsten bin ich allein auf weiter Flur. Aber verlaufen kann man sich beim Coast to Coast kaum. Immer auf der Hauptstraße bleiben, heißt die Devise. An den wenigen Kreuzungen stehen Streckenposten, die den Weg weisen. Markierungen gab es nur im ersten Viertel,  Hinweistafeln alle 5 km oder im Kilometer-Abstand am Boden.

Der VP50 ist fast abgebaut. Eine große Palette voller Wasserflaschen erinnert daran, dass es im Dezember hier auch wärmer sein kann. Ich erkläre der Standbesatzung, dass noch mindestens zwanzig Sportler nach  mir kommen.
Weiter. Schöne Obstgärten mit Hotels im „Winterschlaf“ und natürlich mit den obligatorischen Booten. Der Blick auf den Vesuv ist inzwischen vertraut.

Hinter mir höre ich Stimmen. Wahrscheinlich Radler. Dann werde ich vor dem Hotel Bristol von Elvezia und Fabiola überholt. Keine Chance dranzubleiben. Und ich bin wirklich nicht langsam. Die Straße ist mit farbigen Hütchen vom Gegenverkehr abgegrenzt. In Sorrent steht noch die Stadtrunde an. Leider mit ein paar Metern bergauf. Ich nehme mir vor, unter 5:50 Stunden zu bleiben, und gebe Gas. Noch ein Kilometer, jetzt wieder steil bergab. Auf der Piazza Tasso erwarten mich der riesige Weihnachtsbaum und ein Ordner, der mich auf den Corso Italia einweist.

Viele sonntägliche Bummler sind auf den schmalen Fußwegen unterwegs. Mir bleibt die komplette Straßenbreite. Ich reiße mir die Jacke vom Leib, damit der Sprecher meine Startnummer erkennen und mich ansagen kann. Die Passanten sind mit ihren Weihnachtseinkäufen beschäftigt.

Im Ziel werde ich von den zwei Chefs der Veranstaltung persönlich beglückwünscht. Judith ist schon seit 8 Minuten da. Es regnet wieder. Wir bekommen eine sehr schöne Medaille und eine Tüte mit Zielverpflegung. Aus Kisten kann man sich zusätzlich Mandarinen mitnehmen, quasi direkt aus dem Garten. Wir begrüßen noch ein paar bekannte Gesichter und machen uns dann schnell auf den Weg in die Unterkunft. Eine lange warme Dusche ist angesagt.

Fazit:

- Ein landschaftlich sehr schöner, gut organisierter Straßenlauf. Die Höhenmeter können gut laufend zurückgelegt werden. Die Amalfitana-Straße ist nur beim Ultra dabei.

- Für die günstige Teilnahmegebühr von 40 Euro erhält man einen Sportbeutel und eine langärmelige Funktionsjacke, außerdem Riegel, Tomaten in der Dose und Omega-3-Kapseln.

- Schade nur, dass heuer der Streckenteil durch Positano gestrichen wurde. Nicht ganz so günstig auch die recht frühe Aufhebung der Straßensperren für Autofahrer, besonders zwischen km 39 und 44.

Sieger Ultra:

1.    Stefano Velatta    3:28:44
2.    Marco Ferrari    3:31:51
3.    Marco Lombardi    3:43:48

Siegerinnen Ultra:

1.    Katarina Honkala Noora    4:15:00 (einzige TeilnehmerIn aus Finnland)
2.    Elide del Sindaco    4:34:29    
3.    Cristina Imbucatura    4:36:44

136 Finisher Ultra, darunter drei Deutsche
605 Finisher Panoramica (28 k)

 

Informationen: Napoli Running l Coast to Coast
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