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Laufberichte

Mehr als nur ein Marathon

09.05.10

Wer Prag nicht kennt und sich einen ersten gefühlsmäßigen Eindruck von der Stadt verschaffen will, der sollte sich Bedrich Smetanas „Vltava“ oder zu deutsch: „Die Moldau“ anhören.

Das berühmte romantisch-melancholische Werk, vom Komponisten als Tongemälde konzipiert, vermittelt ein Stimmungsbild der historischen Kulisse der tschechische Hauptstadt, wie es Bilder kaum besser vermögen. Die weitläufige Altstadt beidseits des trägen, breiten Flusses mit ihren prachtvollen Gotik-, Barock- und Jugenstilfassaden, ihren winkeligen Gassen und darin eingebetteten Highlights wie dem Altstädter Ring, der Karlsbrücke und dem Hradschin, um nur die berühmtesten zu nennen, bildet ein Ensemble, das einzigartig in der Welt ist.

Nur die neuzeitlichen Touristenschwärme sollte man dabei gedanklich ausblenden. Einerseits sorgt das damit reichlich in die Stadt fließende Geld dafür, dass die Altstadtarchitektur wieder im Hochglanz erstrahlt, andererseits nagen die Menschenmassen aus aller Welt und die damit einher gehende touristische Infrastruktur doch ein wenig am Charme des Gesamtkunstwerks Prag. Wenn Smetana das erlebt hätte, wäre seine Komposition vielleicht etwas anders ausgefallen.

Wie dem auch sei: Prag bietet auf alle Fälle eine fantastische Kulisse für einen City-Marathon. Dies muss sich wohl auch Carlo Capalbo gedacht haben, als er 1995 den Prague International Marathon (PIM) ins Leben rief. Bis heute ist die Leitung des PIM in italienischer Hand, was vielleicht auch einer der Gründe dafür ist, dass hier auffällig viele Italiener an den Start gehen. Überhaupt steht die Internationalität nicht nur im Namen des Marathons, sondern ist real existierend: Aus über 80 Ländern melden sich Läufer/innen an, der Ausländeranteil liegt bei etwa 60 %, die Homepage des PIM im Internet bietet Übersetzungen der Ausschreibung in rekordverdächtigen 12 Sprachen. Hinter den Italienern, die allein 10 % der Teilnehmer stellen, und den Franzosen (7 %) stellen die Deutschen trotz der räumlichen Nähe mit 6 % nur das drittstärkste Auslandskontingent. Und die Läufer aus dem ehemaligen „Bruderland“ Slowakei tauchen nach den Briten gar erst an fünfter Stelle auf. Diese Werte zeigen aber auch: Wie kaum ein anderer Marathon verkörpert Prag den paneuropäischen Gedanken.

Mit zuletzt 3.976 (2009) Finishern ist der PIM in Osteuropa die Nummer 1, bei gesamteuropäischer Betrachtung aber keiner der ganz „Großen“ der Marathonszene. Aber – so viel vorweg - er wird wie ein solcher inszeniert. Ein Mehr an Startern würde in Prag auch sicher nicht zu einem Mehr an Attraktivität führen. Allein schon das Startgelände in der Altstadt wirkt hier limitierend. Das ist den Veranstaltern zum Glück bewusst. Daher hat man dem Halbmarathon und dem 10er auch eigene (Groß)Veranstaltungen Ende März bzw. Mitte September gewidmet.

Immer wieder wurde seit 1995 am Streckenverlauf herum experimentiert. Einerseits will man eine schnelle Strecke mit wenigen Hindernissen bieten, andererseits natürlich die Schönheiten der Stadt präsentieren. Wenn man sich die Topographie Prags, vor allem im Bereich der historischen Stadtbezirke, anschaut, wird schnell klar, dass beide Ziele nur schwerlich zu vereinbaren sind. Hauptkritikpunkt war einst, dass weite Teile des Laufs auf einer endlosen Gerade durch die gesichtslose Vorstadt führen. Lange Geraden gibt es auch heute noch, aber der Kurs ist dennoch mittlerweile insgesamt sehr viel zentrumsnäher und abwechslungsreicher abgesteckt und verläuft in verschiedenen Schleifen entlang oder zumindest nahe der Moldau und gleich mehrfach durch die Altstadt. Er ist weiterhin sehr flach und damit – trotz einigen Kopfsteinpflasterpassagen –  absolut „PB“-tauglich. Die seit 2009 geltende großzügige Schlusszeit von 7 Stunden eröffnet andererseits auch weniger ambitionierten Läufern die Chance zu einem Prag-Erlebnis der besonderen Art.

Die Marathon Sport Expo

Zum vierten Mal seit 1980 führt mich mein Weg in die tschechische Hauptstadt. Erstmals stehen jedoch weder die Stätten Altprager Kaffeehauskultur (etwa die Cafes Europa, Slavia und Obecni Dum – das nur als Tipp am Rande!), noch das Austesten böhmischer Braukunst und Knödel im Vordergrund, sondern das besondere Lauferlebnis. Dass man beim Prag Marathon Wert auf stilvolles Ambiente legt, beweist schon die Auswahl der „Location“ für die Marathonmesse. Nicht in eine gesichtslose Allerweltshalle wird man geladen, sondern ins imposante, jugendstilgeprägte „Prager Historische Industriepalais“ am Stromovka-Park in der Moldauschleife nördlich der Innenstadt. Unter einem über 100-jährigen gewaltigen Gewölbe aus Stahl, Holz und Glas findet hier die dreitägige „Marathon Sport Expo“ und am Samstag Nachmittag zusätzlich in der Zentralhalle die Pasta-Party statt. Neben der Ausgabe der Startunterlagen lassen auch gut 60 Aussteller das kauffreudige Läuferherz höher schlagen. Dass ein Seitentrakt des Gebäudes vor zwei Jahren einem verheerenden Brand zum Opfer fiel, wird geschickt mit bemalten Planen kaschiert.

Gemäß dem Credo des Veranstalters, mehr als nur einen Marathon bieten zu wollen, wird ganztägig von Donnerstag bis Samstag ein buntes Programm mit viel Musik und Show, aber auch Vorträgen und Infos zu allen möglichen Themen rund ums Laufen geboten. Die Stimmung auf der Messe ist von guter Laune geprägt. Der feurige Auftritt einer brasilianische Tanztruppe, die geradewegs dem Karneval in Rio entsprungen zu sein scheint, und einer Sambaband reißt jeden mit und nicht nur bei mir wird die Pasta auf dem Teller kalt. Für den feineren Gaumen ist selbst eine Sushibar eingerichtet, aber die Masse der Läufer löst den Pastagutschein ein.

Auch vor der Halle ist permanent etwas los. Besonders unterhaltsam ist der am späten Samstag Nachmittag erstmalig ausgetragene “Pedigree Walk with dogs” über 4,5 km durch den Stromovka-Park: Ein ganzes Rudel Hunde aller Rassen und Größen wird mit Herrchen bzw. Frauchen, jeweils mit eigener Startnummer dekoriert, ins “Rennen” geschickt. So mancher Hund gerät da schon im Vorfeld ganz aus dem Häuschen. Fast schon filmreif ist der Versuch, einem unwilligen Zwergterrier eine Startnummer umzubinden. Das Chaos ist vorprogrammiert  - das kollektive Spaßerlebnis aber auch.

Aber das ist noch längst nicht alles: Um 18.30 Uhr sind die Marathonis am Samstag zum Open-Air-Konzert mitten auf dem Altstädter Ring im Herzen der Altstadt geladen. Auf einer riesigen Bühne und mit sattem Sound, Lightshow und zusätzlicher Großleinwand bietet die bekannte tschechische Band Blue Effect mitreißenden Gitarrenrock. Zwei- bis dreitausend Zuschauer lassen sich das nicht entgehen. Dazu lässt die tiefstehende Abendsonne die umliegenden  mittelalterlichen Fassaden in satten Farben erstrahlen – ein Fest für die Sinne und eine tolle Einstimmung auf den Marathon.  

 
 

Informationen: Prague Marathon
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