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Laufberichte

Landschaft, Geschichte und Kultur

05.06.05
Autor: Klaus Duwe

Pisa = Schiefer Turm. Was soll ich über den Torre Pendente noch sagen?


Er war nicht als solcher geplant. Er sollte wie alle Türme gerade stehen. Weil er aber auf Schwemmsand gegründet ist, begann er sich schon gleich nach Baubeginn 1173 zu neigen. Der Bau wurde eingestellt und erst über Hundert Jahre später fortgesetzt  und 1352 fertig gestellt. Nachdem vor einigen Jahren die Schräglage des 56 Meter hohen Turms mit viel Aufwand reduziert werden konnte, beträgt sie heute nach unterschiedlichen Angaben um die vier Meter und damit in etwa so viel, wie im 19. Jahrhundert. 

Soviel zum Schiefen Turm. Jetzt zum Marathon, der dieses Jahr zum 7. Mal ausgetragen wird. Die Startunterlagen gibt es in dem ehemaligen Bahnhofsgebäude „Stazione Leopolda“ auf der Piazza Guerrazzi, wo auch eine kleine Verkaufsausstellung ist.  Die Anfahrt ist ausgeschildert. Wenn man ein paar Brocken englisch spricht, kommt man gut zurecht. Die Leute sind unheimlich zuvorkommend und freundlich. Sie freuen sich riesig, wenn jemand aus dem Ausland zu ihrem Marathon anreist. 

13 deutsche Teilnehmerinnen und Teilnehmer habe ich gezählt, darunter die marathon4you-Autoren Bernhard Sesterheim (mit Wolfram und Rudi aus seiner saarländischen Heimat), Wolfgang Schwabe und Martin Linek. Alle haben sie die Reise nach Pisa unabhängig voneinander geplant und erst aus der Teilnehmerliste von einander erfahren. Dazu sind Karlheinz Kobus (Trans-Australia-Footrace) und Klaus Neumann (12facher Comrades-Finisher) gestoßen, die man oft auf Marathons im In- und Ausland trifft, wenn sie nicht gerade an irgendwelchen extremen Läufen teilnehmen. Fast ein Firmenausflug also.

Auf 18:30 Uhr ist das Pastaessen terminiert, das man in Italien natürlich keinesfalls auslassen darf. Dafür gibt es ein Bon „per te e la tua famiglia“ – für Dich und Deine Familie. Sehen will den Bon aber niemand. Die Nudeln sind Klasse und die Soße sehr pikant. Wir holen mehrmals Nachschlag und die Küchenhelferinnen haben eine Riesenfreude daran, dass es uns so gut schmeckt. Dazu gibt es Rot- oder Weißwein (all you can drink!) und Obst. Das Mineralwasser bringen sie uns flaschenweise an den Tisch. Nebenan sitzen Läufer einer Olivenölfirma. Sie stellen uns ein ganzes Tablett mit in Öl getauchtem Weißbrot auf den Tisch. Dazu präsentieren junge Musiker ihr internationales Repertoire.  Alles unter blauem Himmel und strahlender Sonne. Kein großer Trubel, aber eine prächtige Stimmung und eben italienische Atmosphäre.  Wenn morgen nicht der Lauf wäre, der eine oder andere würde hier versacken. 

Der Pisa Marathon ist kein Citylauf. Eher ein Landschaftsmarathon durch die Provinz mit Zieleinlauf in Pisa. Gestartet wird in Pontedera. Dorthin fahren ab 6:30 Uhr Busse von der Piazza Guerrazzi und vom Fußballstadion „Arena Garibaldi“. Ich bin mit dem Auto angereist und entscheide mich deshalb für das Stadion. Es liegt mitten in einem Wohngebiet, aber nur ungefähr 500 Meter von der Piazza Miracoli entfernt, wo der Zieleinlauf ist. Außerdem gibt es dort ausreichend Parkplätze. 

40 Minuten ungefähr dauert die Fahrt, dann sind wir in Pontedera. Dort rollte übrigens 1946 die erste Vespa vom Band und ist noch heute der Firmensitz von Piaggio. An einem Parkhaus ist Sammelpunkt der etwa 670 gemeldeten Aktiven. Es gibt zu trinken und die Kleiderbeutel können aufgegeben werden. Dann schlendern wir langsam zum Start in der Ortsmitte. Neugierig werden wir von den Bewohnern bestaunt. Viele sind kurz nach 8 Uhr noch nicht auf den Beinen. 

Um 8:30 Uhr fällt dann der Startschuß. Wir laufen eine Runde durch den Ort und kommen wieder am Startplatz vorbei. Freundlicher Applaus begleitet uns. Wir laufen über die Arno-Brücke und dann links Richtung Calcinaia durch eine nach oben teilweise geschlossene Pinienallee, dadurch schön im Schatten. Vor mir sehe ich die Pacemaker 4:15 und hinter mir die mit Zielzeit 4:30 Stunden. So kann es von mir aus bleiben. Die Straße fällt etwas ab und es ist sehr gut zu laufen. Rechts sind die Berge, links das flache Land mit Wiesen, Reben und Olivenbäumen. 

Das Feld ist längst weit auseinander gezogen. Bei km 7 sind wir noch immer in dieser Allee, laufen jetzt aber rechts und machen einen Abstecher nach Vicopisano (km 10) am Fuße des Monte Pisano. Der „Umweg“ lohnt sich, schon von Weitem ist die imposante Burg mit der Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert zu sehen. An der Wiederherstellung der Burg im 14. Jahrhundert war auch der berühmte Baumeister Filippo Bruneschelli beteiligt, der unter anderem die riesige Kuppel des Doms Santa Maria del Fiore in Florenz konstruierte. 

Vor der Burg ist bereits die dritte Verpflegungsstelle mit Schwämmen und kühlem Wasser. Zu trinken gibt es Mineralwasser, etwas Isotonisches, dazu Bananen, Äpfel und Rosinen. Wir laufen durch den Ort, dann geht es zurück wieder durch eine Allee und daher teilweise im Schatten. Außer uns Marathonis und den vielen Hilfskräften scheint an diesem frühen Sonntagmorgen niemand unterwegs zu sein. Kaum Menschen an den Straßen, auch von den sonst so zahlreich anzutreffenden Radfahrern ist nichts zu sehen. Es ist einfach noch zu früh für italienische Verhältnisse. Nur von einem Sportplatz her dringt etwas Lärm. Die Jugendkicker nutzen den noch nicht so heißen Morgen für ihr Match.

Bei Km 12 laufen wir durch St. Giovanni alla Vena, es geht wieder über den Arno und kurze Zeit später in Fornacette (km 14 – 1:26 Stunden) rechts ab und auf der Hauptstraße Richtung Pisa nach Cascina. Hier geht es schon etwas lebhafter zu. Nicht aber wegen uns Marathonis, es ist Flohmarkt und die Händler haben entlang der Hauptstraße ihre Stände aufgebaut. Weil sie in uns keine potentiellen Kunden erkennen, schenken sie uns auch wenig Beachtung. Lebhafter und lauter geht es inzwischen an der einen oder anderen Kreuzung zu, wo die Polizei mit Trillerpfeifen, lautem Rufen und eifrigem Gestikulieren die Straßen für die Läufer verkehrsfrei hält. Das klappt auch alles, das Palaver und Gehupe gehört einfach dazu.

Wir passieren die schöne Chiesa di San Benedetto (km 18) und in Cascavola erreichen wir die Halbdistanz (2:09 Stunden). Jetzt verlassen wir die Hauptstraße nach rechts und laufen auf einer Nebenstraße direkt auf die Berge zu. Die Straße steigt auf gut 5 Kilometer permanent an. Es ist nicht steil, aber die Steigung, die pralle Sonne und die bereits 22 gelaufenen Kilometer sind spürbar. Viele gehen inzwischen und ich bin praktisch nur am Überholen.

Bei Kilometer 24 erreichen wir Caprona und sehen vor uns die Burgruine Verruca auf einem irren Felsen. Es geht nach Calci. Inmitten grüner Olivenhaine sehe ich wie ein Schloß vor mir das Karthäuserkloster (Certosa di Calci). Aber zunächst machen wir noch einmal einen weiten Bogen um den Ort und kommen dann direkt zum Kloster, wo es zuvor noch eine frische Dusche gibt, die kein Marathoni auslässt.
Die Gründung des Klosters geht auf das Jahr 1366 zurück. Schon bald war es eines der wichtigsten und reichsten der gesamten Toskana. Das Innere wurde im 18. Jahrhundert komplett restauriert und mit Werken wichtiger Künstler ausgestattet. Seine barocken Fresken gehören zu den bedeutendsten und schönsten der Region. Heute ist das Kloster ein Nationalmuseum.

Nach dem Ort geht es links auf einem schmalen, geteerten aber sehr unebenen Weg leicht abwärts. Es kommt auch etwas Wind auf, was auf der nassen Haut eine sehr erfrischende Wirkung hat. Bei km 28 schaue ich zur Uhr: 2:55 Stunden insgesamt und 1:29 für die zweiten 14 Kilometer. Damit bin ich für meine Verhältnisse gut und sehr gleichmäßig unterwegs.

Bei km 30 erreichen wir La Gabella. Wir laufen auf einer halbseitig gesperrten Verkehrsstraße in der prallen Sonne. Die Hitze wird jetzt doch sehr unangenehm und ich nutze jede Gelegenheit, mich zu erfrischen. Eben überhole ich drei junge Leute, Anfang bis Mitte 20, ihren Trikots nach sind sie Fußballer. Was hat sie auf die Idee gebracht, statt 90 Minuten hinter dem Ball herzujagen, über 4 Stunden durch die pralle Sonne zu laufen? An der nächsten Erfrischungs- und Verpflegungsstelle in Mezzana (km 32) nehmen sie eine ausgiebige Dusche.

Wie elend sehe ich wohl aus? Mir fällt nämlich auf, dass die Anfeuerungen und Aufmunterungen der Passanten und Hilfskräfte deutlich zunehmen. Manche rufen meine Namen, der sich aus italienischen Mündern ganz fremd anhört: „Klause, forza, forza“. Ich freue mich, als kämen die Zurufe von Tausenden. Wie die letzten Kilometer hier stelle ich mir einen Lauf durch die Wüste vor: immer von Wasserloch zu Wasserloch.

Inzwischen steigt die Straße wieder etwas an. Noch 8 Kilometer. Zum Glück kommt gleich eine Pinien-Allee und ich kann etwas im Schatten laufen. Denkste, der Schatten fällt auf die für den Verkehr offene Straßenseite. Ich laufe in der Sonne, sehe jetzt aber bereits wieder eine Verpflegungsstelle. Trinken, Erfrischen, ein paar Rosinen im Gehen, dann laufe ich weiter.  Die Strecke gibt hier für das Auge nicht viel her.  Dafür türmen sich vor mir wie zu einem Gewitter die Wolken auf.

Dann erreichen wir aber die ersten Häuser von Pisa und ich habe einen herrlichen Blick auf das Aquadukt. Eben holen mich die Pacemaker mit Zielzeit 4:30 Stunden ein. Einen Läufer haben sie im Schlepp. Ich schaue auf die Uhr und bin am Rechnen. Da stimmt was nicht, die sind doch viel zu schnell. Trotzdem hänge ich mich dran. Noch 6 Kilometer. Wieder  eine Verpflegungsstelle. Ich kann sie nicht mehr zählen. Wieder das Ritual: Trinken, Erfrischen, ein paar Rosinen im Gehen, weiterlaufen. Die Pacemaker sind weg.

Kilometer 38, es geht durch eines der vielen Stadttore in die Altstadt. Auf den unebenen, großformatigen Betonplatten ist schlecht zu laufen. Aber wenigstens ist in den engen Gassen Schatten. Schon bald laufen wir aber am Ufer des Arno entlang der bunten Häuser wieder in der Sonne. Es geht  etwas aufwärts und über die Ponte della Fortezza überqueren wir den Fluß. Auf der anderen Seite geht's zurück. Wieder ein Ristoro. Hier stehen jetzt meine Pacemaker und machen Pause. Sie haben wohl gemerkt, dass sie zu schnell unterwegs sind. Mittlerweile sind sie unter sich.

Km 40,   rechts die gotische, reich dekorierte Chiesa Santa Maria della Spina aus dem 13. Jahrhundert. Sie  wirkt wie ein Fremdkörper vor den Häusern am Arno-Ufer. Tatsächlich stand sie ursprünglich auch weiter weg und tiefer. 1871 wurde sie demontiert und hier neu aufgebaut.

Wieder ein Anstieg hoch zur Ponte di Mezzo, über den Arno, ein kurzes Stück am Ufer entlang, und dann wieder in die schattige Altstadt zur Piazza dei Cavalieri mit der „Scuola Normale“. So normal wie der Name sagt, ist die Schule aber nicht. Sie trägt nämlich noch den Zusatz „Superiore“ und ist die 1810 gegründete Eliteuniversität von Pisa. Die Tradition der Universität Pisa ist jedoch viel älter. So begann der geniale Physiker Galileo Galilei („und sie bewegt sich doch“), der auch in Pisa geboren wurde, dort seine Universitätslaufbahn.

Letzter Kilometer. Gleich bin ich auf der Via Santa Maria. Die Straße ist komplett abgesperrt. Die Bars und Ristoranti rechts und links sind gut besucht. Der Blick jetzt ist atemberaubend und unbeschreiblich: die aus weißem Carrara-Marmor gebaute Basilika Santa Maria Assunta (1063 – 1118), das Baptisterium, die größte Taufkappelle der christlichen Welt, und schließlich das Wahrzeichen von Pisa und vielleicht von ganz Italien, der Schiefe Turm.

Noch einmal rechts herum, und der Zielbogen liegt vor mir. 4:29 Stunden, 1:34 für das letzte Drittel. Wie nebensächlich. Ich schwebe ein, werde namentlich begrüßt und man bedankt sich, dass ich aus Deutschland zum Marathon nach Pisa gekommen bin.

Ich habe zu danken, für den herrlichen Lauf, die perfekte Organisation und für die herzliche Gastfreundschaft. Mille Grazie. Ciao.

Streckenberschreibung:

Punkt-zu-Punkt-Kurs, teilweise etwas hügelig und mit einigen langgezogenen Steigungen. Alles auf asphaltierten Straßen. Sehr abwechslungsreich.

Logistik:

Startunterlagen gibt es im ehemaligen Bahnhofsgebäude „Stazione Leopolda“ auf der Piazza Guerrazzi. Dort ist auch die Pasta-Party mit Live-Musik.

Bustransfer zum Start in Pontedera von „Stazione Leopolda“ und "Arena Garibaldi" aus.

Zeitnahme:

Champion-Chip

Verpflegung:

alle 2 - 5 Kilometer Getränke (Wasser, Iso) Bananen, Rosinen und Schwämme.

Auszeichnung:

Medaille, Funktions-Shirt gibt es mit den Startunterlagen

 

Informationen: Pisa Marathon
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