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Laufberichte

Laat man loopen

 

Moin Moin! Dode Laufhose im Nordwesten Niedersachsens? Nuemmer! Die Oldenburger Region bietet über das ganze Jahr verteilt zig Volksläufe, viele davon sind gar Teil einer Lauf-Serie. Angefangen mit der Sandkruger Schleife, dem Schortenser Straßenlauf, dem Großenkneter ZehnMeilenLauf, dem Everstener Brunnenlauf, dem Friesencross…min Jung, nur um einige beim Namen zu nennen! Doch nicht erst seit vorgestern läuft die Übermorgenstadt zur Jahreshöchstform auf, nee, vun wegen: dann herrscht Marathon-Ausnahmezustand in der Innenstadt Oldenburgs, un dat kriegst Du als Läufer zu spüren, dor kannst op af!

Dat Ollnborger Land is een Plattdüütschland…aber bevor ich als Ex-Ostfriese mit meinem kümmerlichen niederdeutsch für noch mehr Verwirrung sorge, springen wir besser mal mitten ins Geschehen. Irgendwo zwischen Ems und Weser befindet sich meiner einer also gerade im Stadtzentrum von Oldenburg. In wenigen Minuten fällt der Startschuss für die Marathonläufer. Um mich herum herrscht wahre Marathon-Stimmung am und um den Streckenrand. Die Menschenmasse ist dem Lauffieber verfallen: neben Hannover und Braunschweig macht die drittgrößte Stadt des Landes Niedersachsens hinsichtlich Zuschauer und Atmosphäre alles richtig! Der Oldenburger Marathonverein (OMV) bietet verschiedene Lauf-Disziplinen: Kinderlauf, 5-km-Volkslauf, 10-km-City-Lauf, Halbmarathon und Marathon. Seit 2012 wird zudem ein Team-Marathon angeboten, bei dem sich zwei Läufer die 42,195 km teilen.

Gegen 10 Uhr fällt der Startschuss, denn dann starten 10 km, Halbmarathon, Teammarathon und Marathon gemeinsam. Unbeirrt kämpfe ich mich durch die äußerst euphorische Zuschauermenge Richtung Theaterwall, dem Startbereich. Ich komme zügig voran, und wenn ich notfalls über eine Absperrung klettern muss. Geiht nich, givt nich! Dann stehe Ich mitten auf der Strecke, ununterbrochen kommt mir ein Schwung Läufer entgegen. Wie das?

Erleichtert erkenne ich, dass sich der Läuferstrom bloß Richtung Startlinie bewegt. Gebremst werden wir jedoch von zwei starkmödigen Footballspielern der Oldenburg Knights, welche  niemanden  durchlassen. Passt schon, ich will ja nicht unbedingt gleich an vorderster Front mit Vorjahressieger Manuel Meyer um die Wette laufen, odder? Ich umrunde also den Startbereich und steuere den orangefarbenen Ballon des Pacemakers mit der Finisher-Zeit „4:00“ an. Kaum eingereiht und ein letztes Mal meiner Frau sowie meinen beiden Töchtern zugewunken, scheppert auch schon die Stimme des Moderators aus dem Megaphon. Ich spüre die kollektive Anspannung aller Läufer kurz vor dem Pistolenschuss: laat man endlich loopen hier! „5…4…3…2…1!“ PENG!

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Oldenburg sowohl in der Innenstadt als auch in den einzelnen Stadtteilen viele Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Schimpft mich meinetwegen einen Ex-Ostfriesischen Kulturbanausen, aber die durchgehende, immense Begeisterung und der unerhörte Charme der Zuschauer am Streckenrand fasziniert mich für die Dauer der ersten Marathonrunde.

Normalerweise gerate ich nicht so schnell ins sweten. Ich staune  daher nicht schlecht, als ich bei 23 Grad und windigen Verhältnissen anfange zu ölen. Ich bilde mir gar ein, an diesem wunderbaren Herbstwetter die Salzluft des Oldenburger Hafens zu schmecken, während der Läuferstrom gerade auf den Pferdemarkt zusteuert, einem großen Platz und radialen Verkehrsknotenpunkt nördlich der Innenstadt.

Die schnelle und ebene Marathonstrecke führt im weiteren Verlauf durch die Stadtteile Donnerschwee, Nadorst, Bürgerfelde, Wechloy, Bloherfelde und Everste. Auffällig sind die vielen Grünanlagen und Wälder während des Laufs. Die Wallanlagen ziehen sich wie ein grüner Gürtel um die Innenstadt und laden zum Erholen ein. Im Stadtgebiet selbst befinden sich eine Vielzahl von kleineren Seen und Teichen sowie kleinere Fließgewässer. Sogar Ruhebänke und Liegewiesen locken zum Fofteihn maken ein.

Während der ersten vierzehn Kilometer gibt es bei mir bloß Wasser – etwas anderes krieg ich nicht runter, nicht einmal etwas zu essen wie ein Stück Apfel oder Banane. Am Horizont kilometerlanger Baumalleen, unweit des Drögen-Hasen-Teichs, erblicke ich eine Jungfrau, die ein prachtvolles Horn in Händen hält. Von weitem schreit sie mir bereits zu: „Wasser, so trinket HIER!“ entgegen. Erhitzt und durstig nähere ich mich und entreiße ihr den kühlen Trunk. „Trinket nur, lieber Herr, es wird Euch nicht schaden, sondern Euch und dem ganzen Land Oldenburg zum Besten gereichen. Trinkt Ihr aber nicht, so werdet Ihr den Lauf nicht überleben.“ Ich gaffe sie bloß an und entgegne: „Liebes Mädel, hör gut zu, ich werde nicht so blöd sein wie einst Graf Otto mit seinem Gefolge auf Jagd im Barnefürsholz. Also: Nich lang schnacken, Kopp in´n Nacken!“ Daraufhin kippe ich das Horn auf Ex und galoppiere weiter.

„Wasser HIER!“.Freudestrahlend hält mir die Helferin den Becher entgegen. Blöde Tagträumerei beim Laufen, sollte ich mir echt mal abgewöhnen. „Ich nehme zwei Becher. Kann Ich denn später mit Kreditkarte zahlen?“, entgegne ich und ernte schiefes Grinsen. Damit wir uns im Übrigen nicht falsch verstehen:  das Wunderhorn gibt es tatsächlich und ist Teil der Sagenwelt rund um Oldenburg.

Die Zuschauer sind absolute Stimmungsmacher und motivieren die Teilnehmer mit al-ler-bes-ter Stimmung am Streckenrand! Hier wird leidenschaftlich gejubelt, geklatscht, gefeiert, getobt, gegrillt und ges...trunken. Beinahe viel zu schnell ist die erste Runde vorbei und ich laufe unweit des Staatstheaters regelrecht euphorisch über die Ziellinie. Ein Helfer winkt mir zu. „Immer geradeaus, auf geht’s!“.

Hier wehen keine Windhexen über asphaltierte Wege. Duttwies Herbstlaub ist es, der über menschenleere Haupt – und Seitenstraßen umher gewirbelt wird. Für einen Moment erinnert mich die Szenerie an eine Geisterstadt. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel, ich habe mal wieder einen Mords-Durst und kein Verpflegungspunkt weit und breit. Ich vermisse die Zuschauer. Haben sich sämtliche Oldenburger in Ihre Wohnungen zurück gezogen? Wie ausgestorben nun der Streckenabschnitt um Pferdemarkt und Wallring. Fahrzeuge des THW und DRK stehen einsam am Straßenrand, einzig die Helfer warten auf die Marathonis. „Kopf ausschalten und weiterlaufen“, denke ich grimmig.

„Ey, Du lahme Snickenmuus, bist ja voll dammelig. Beweg Dich!“, ruft mir Friese Jonte entgegen, während er mit seiner Bierpulle wedelt. Ein Fidifumfei. Der Kerl bringt mich wenigstens wieder zum Schmunzeln. Kilometer achtundzwanzig. Gänzlich einsam fühle ich mich nicht, denn in einigen Stadtteilen ist vereinzelt noch gut was los. Kinner‘s laufen mir entgegen und wollen abklatschen. Vier Männer in Bademäntel gucken mir stumm hinterher. Hofeinfahrtstor-Trommel-Wettkämpfe zwischen Nachbarn. Fensterbank-Sitzer. Quäl-Dich-Du-Sau-Schilderhochhalter. Fahnenschwenker. Middenmang as blots dorbie.

Glückliche Kühe beim Wiederkäuen beobachten und dabei gedankenverloren an den Vortag des Marathons denken? Jupp, so bin ich. Während ich also irgendwo bei Kilometer vierunddreißig an einer Weide vorbeilaufe und einsam und allein auf weiter Flur die grüne Lunge genieße,  spule ich den gestrigen Tag im Geiste nochmals Daumenkinoartig ab: Mit der Family per Auto von Hannover nach Oldenburg. Anschließend Abholung der Startunterlagen in den Schlosshöfen. Danach geht’s Richtung Schlosspark mit Blick auf Schloss Oldenburg, der ehemaligen Residenz der Grafen, Herzöge und Großherzöge.

Neben einer Marathon-Infotafel hat ein Helferteam einen kleinen Stand aufgebaut. Ich unterhalte mich kurz mit Erik aus dem Orga-Team. „Der Andrang ist schon recht groß. Es stehen ja seit Zusammenlegung mit dem traditionellen City-Lauf im Jahr 2010 fünf Laufstrecken zur Auswahl. Zwar konnten wir im Vorjahr mit über viertausend Läufern – davon über dreihundert Marathonläufer -  einen neuen Teilnehmerrekord verbuchen; aber im Vergleich zur Konkurrenz natürlich immer noch eher verhaltene Marathon-Teilnehmerzahlen. Mit etwa fünf Mal so vielen Läufern über die halbe Distanz  ist neben dem 10 Km Lauf der Halbmarathon natürlich die beliebteste Disziplin.“

Auf meine Frage hin, wie das Ganze organisatorisch bewerkstelligt wird, erzählt er mir eine kleine Anekdote: „Ich kann mich an einen Läufer erinnern, der auf uns zukam und den Marathon abschließend eher kritisch bewertete. Als er von uns aber erfuhr, dass die gesamte Laufveranstaltung ausschließlich von einem Team ehrenamtlicher Helfer organisiert wird, fiel ihm die Kinnlade herunter und er ruderte mit seiner Kritik zurück. Wir sind wirklich dankbar für alle Anregungen und haben für Kritik immer ein offenes Ohr.“ Rückblickend verstehe ich nun, warum die meisten Zuschauer während der zweiten Marathonrunde fehlten. Vielleicht sollten die größten Starterfelder künftig nicht unbedingt zur selben Uhrzeit ausgetragen werden?

Ich werde vom Hupen eines Autos aus meinen Gedanken aufgeschreckt. Höhe Quellenweg will ein Anwohner mit seinem Mercedes vorbei. Im Innenstadtbereich haben die Veranstalter mit der Vollsperrung des Kfz-Verkehrs alles voll im Griff; allerdings lassen sich Situationen wie diese trotz Straßensperren in den einzelnen Stadtteilen kaum verhindern - diverse Schleichwege sind anscheinend überlastet. An diesem Rennsonntag ist alles möglich: im Dobbenviertel will diesmal ein Reisebus an den Teilnehmern vorbei. Wer diesen durchgelassen hat, ist mir ein Rätsel. Während ich das Ganze locker nehme und den Touristen im Bus zuwinke, reagiert ein Marathoni hinter mir dagegen gnatzig: „Das ischa nicht zu blasen!“

Dann die nächste Überraschung kurz vorm Zieleinlauf: der Pacemaker mit seinem „04:30“ Finisherballon will sich leise an mir vorbeischleichen. „Hey, nix da, Dich wollte ich eigentlich zurücklassen!“ Grinsend entgegnet er:„Wenn Du die letzten beiden Kilometer mit mir schritt hälst, schaffen wir es sogar in 04:27 ins Ziel. Los geht’s“. Man gut, das die Jagd nach einer neuen Bestzeit nicht mein heutiges Credo ist.

Mit seinem Ackerschnacker kündigt ein Marathoni seinen Zieleinlauf bei den Liebsten an. „Ich lauf gleich durch, wo seid ihr?“. Das hat Stil. Vor mir das Tor, ich mobilisiere nochmal alles. Dann fällt mir auf, dass wir durch den Startbereich laufen, nur in umgekehrter Richtung. Ein Helfer dirigiert uns weiter: „Einmal um die Kurve, dann seid ihr im Ziel!“ Kein Problem, weiter geht’s. Dann erneut ein Tor mit der Aufschrift „100m“. Ich will mich schon freuen, als dahinter ein drittes auftaucht. Ich muss lauthals loslachen! Schlossplatz nun bereits in Sichtweite, die Ziellinie zum greifen nahe. Nun aber: ich zücke menen Knipskassen und drücke mehrmals ab.

Ein Mädel der United Knights Cheerleader (UKC) hängt mir die hübsche Medaille um den Hals, danach torkele ich zusammen mit dem Läuferstrom in das benachbarte Zielverpflegungs-Zelt. Was ich da sehe, haut mich ehrlich gesagt um: Kaffee, Kuchen, Brot, Gebäck, Obst! Eine Läuferin stopft sich gerade heißhungrig einen fetten Berliner zwischen die Kusen – zwei Bissen, weg isser. Boah, dat is nich to glöven! Ein anderer hält drei Riesenbrezel in der Hand. Ich lasse gleich ein ganzes Brot mitgehen und verlasse das Zelt auf der gegenüberliegenden Seite. Draußen warten weitere Brotladungen. Ich hoffe inständig, dass die restlichen Brote bei den Tafeln landen.

Ich setze mich auf eine Bank, ruhe mich etwas aus und lasse dabei das drum herum auf mich einwirken, während die Glückshormone über den bestandenen Marathon noch nachwirken. Mir gegenüber sitzt Jens Martens mit der Startnummer 118, er scheint ebenfalls happy. „Diese Erfahrung musste ich einfach machen“,  beginnt er zu erzählen, und wischt sich dabei den Schweiß von der Stirn. „Ich hatte mal hundertvierzig Kilo auf der Waage, ich habe eisern trainiert für diesen einen Tag. Nun ist es geschafft.“ Ich staune nicht schlecht, zumal er einen mehr als schlanken Eindruck auf mich macht. „Und? Blut geleckt?“, hake ich nach. „Nein, einmal reicht vollkommen! Mir genügt es, dieses persönliche Ziel überhaupt erreicht zu haben.“ – „Sag niemals nie“, entgegne ich und mache noch ein Siegerfoto von ihm.

Ich verabschiede mich von Jens und winke meiner Tochter zu. Eine Metallabsperrung trennt die Athleten von Ihren Angehörigen. Ich komme mir vor, als hätte ich grad Knastausgang. Mit leiser Stimme reiche ich Ihr eine Brezel und schaue mich verstohlen um: „Hier Süße, lass es Dir  schmecken! Aber…pssst!“ Tatsächlich spielt sie die Komödie mit und entfernt sich verschwörerisch mit Ihrem Roller. Dann geht’s Richtung Ausgang. Der Helfer winkt mich durch. „Nimm mit, was Du tragen kannst. Wenn Du erst einmal draußen bist, kommst leider nicht mehr rein.“

Gibt es etwas noch Schöneres als einen überstandenen Marathonlauf? Nu kloor! Die Huusfru und die Kinners wiederzusehen und fest an sich zu drücken! Es war ein wirklich toller Tag im Nordwesten Deutschlands. Ich hoffe, die Oldenburger behalten Ihren wundervollen Charme und die gemütliche Ausstrahlung bei. Na dann man tau!


Plattdeutsche Begriffe

laat man loopen   lass ruhig laufen
nuemmer    nimmer
dor kannst op af   da kannst dich drauf verlassen
starkmödig    entschlossen
sweten     schwitzen
Fofteihn maken   Pause machen
duttwies    haufenweise
snickenmuus    Schnecke
dammelig    langsam
Fidifumfei    ein komischer, eigenwilliger Kauz
Kinner‘s    Kinder
Middenmang as blots dorbie  Mittendrin, statt nur dabei!
Kusen     Zähne
gnatzig     schlecht drauf sein
Das ischa nicht zu blasen!  Das gibt es doch nicht!
Ackerschnacker   Handy
Knipskassen    Fotoapparat
dat is nich to glöven!   Das ist kaum zu glauben!    

 

 

 

Informationen: Oldenburg Marathon
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