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Laufberichte

In Jesolo sind die Nächte lang

07.06.08
Autor: Klaus Duwe

„Dort geht es nach Jesolo“, sagt mir mein Geschäftsfreund und zeigt ostwärts. „Aha“, denke  ich und frage: „Muss ich das kennen?“ Ungläubig schaut er mich an. Mein ehrlicher Blick verrät ihm, dass ich ihn nicht auf den Arm nehmen will und er erklärt mir, dass außer mir wohl schon jeder Deutsche hier gewesen ist. Jedenfalls würden das die Einheimischen behaupten und deshalb ihre Gegend auch „Teutonengrill“ nennen.

Das war vor ungefähr 20 Jahren, ich hatte in der Nähe von Venedig zu tun und  war eingeladen, die Lagunenstadt und die Inseln Murano und Burano per Privatyacht zu erkunden. Meine Urlaube verbrachte ich bis dahin immer in den Bergen, meist in den Dolomiten. Meer und Strand verband ich mit Untätigkeit und Langeweile  - nichts für mich.

Irgendwann, ein paar Jahre später, ich sitze in Sexten fest, Kälteeinbruch mit Schnee auf den Bergen mitten im Sommer. Nichts ist’s mit Drei Zinnen und Paternkofel. Gelangweilt sitze ich im Gasthof und blättere in der Tageszeitung. Zufällig finde ich in der Rubrik „Ferien“ die Anzeige eines Hotels an der Adria. Dem Wetterbericht auf der letzten Seite ist zu entnehmen: Dolomiten: Anhalten der kalten Witterung – Adria: Sonne, 28 Grad.

Ich zeige es meiner Frau. Ohne dass ich ein Wort sage, errät sie meinen Plan und nickt mir zu. Eine Stunde später sitzen wir im Auto, um über Cortina an die Adria zu düsen, genauer gesagt nach Jesolo. Drei Tage genießen wir Sonne, Meer und die köstliche Küche. Dann geht es zurück in die Berge, wo es inzwischen wieder Sommer ist.


Seither sind wir fast jedes Jahr ein paar Tage in Jesolo. Meine Begeisterung für den Ferienort hat noch einen deutlichen Schub bekommen, seit ich laufe. Jesolo ist ein Paradies für Läufer. Wer einmal in den Morgen- oder Abendstunden barfuß dem 15 Kilometer langen Strand entlang gelaufen ist, oder seine Trainingseinheit auf der fast ununterbrochen parallel zum Meer verlaufenden Promenade absolviert hat, weiß was ich meine. Dabei ist das Erfrischungsbad, das man zwischendurch im seichten Meer nehmen kann, das größte Vergnügen.

Abends  um 8, wenn anderenorts die Bürgersteige hochgeklappt werden, geht Jesolo in die zweite Runde. Die Autos werden aus der Durchgangsstraße verbannt und man hat die längste Fußgängerzone Europas, behauptet jedenfalls der Werbetexter. Bis lange in die Nacht wird in den Kneipen, Restaurants und Cafés bei Live-Musik gefeiert oder in den vielen Boutiquen, Schmuck- und Krimskramsläden eingekauft, was die Kreditkarte aushält.

Warum ist man hier erst letztes Jahr auf die Idee gekommen, einen Marathon zu veranstalten? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass man alles richtig gemacht hat:

Der Termin:

Anfang Juni ist es ideal. Es ist Sommer, aber dennoch nicht sooo heiß, nicht überlaufen, fast noch ruhig.

Die Startzeit:

Am Abend. Nirgendwohin passt ein Nachtmarathon besser, als nach Jesolo.

Die Strecke:

Alles drin: Das Land, das Meer, die Stadt.

Die Startnummern bekommt man auf der Marathonexpo in der Nähe der Piazza Brescia zusammen mit einem kleinen, praktischen Rucksack. Per Shuttle kommt man nach Cavallino, wo der Start ist. Wer mit dem Auto anfährt, findet mühelos einen Parkplatz. Wenn Jesolo eine einzige Hotelsiedlung ist, ist Cavallino das Gegenstück für Camper. Allerdings sind die Plätze großflächig verteilt, der Ort selbst ist erfreulich ursprünglich geblieben und hat nichts von einer Touristenhochburg.


Den Start hierher zu verlegen, ist eine gute Idee. Die Bevölkerung nimmt großen Anteil am Marathon und schmückt den Ort mit bunten Fahnen. In einem großen Verpflegungsbereich gibt es, appetitlich präsentiert, Obst, Riegel und verschiedene Getränke. Mit vielen Worten und großen Gesten wird das Ereignis von der zahlreich vertretenen Prominenz gewürdigt. Viel mehr interessiert das Läufervolk aber das Polizeiauto, das sich an die Spitze der Fahrzeugkolonne postiert hat. Es ist ein Lamborghini Gallardo Coupé. „Bella macchina“, stöhnen die Italiener da nur. Ordnungskräfte müssen her, um die Läufer pünktlich hinter die Startlinie zu bugsieren. Wen’s interessiert: Im Laden kostet das Gerät gerade mal schlappe 180.000 Euro. 


24 Grad zeigt das Thermometer an, dunkle Wolken ziehen auf, es könnte eine Abkühlung geben. Um 20.30 Uhr erfolgt der Start. Gut gelaunt beginnen die Marathonis und die „Halben“ das Rennen. Die Strecke führt zunächst fast 6 Kilometer immer in der Nähe eines der vielen Kanäle entlang, die die Gegend hier so fruchtbar machen. Nach 6 Kilometern wird die Laufrichtung geändert und bei km 14 ist man zurück in Cavallino. Jetzt läuft man Richtung Jesolo und wenig später ist an einer Überführung die einzige Steigung zu „überwinden“.


Bei Kilometer 19 dann endlich das Meer. Die Strandpromenade ist hell erleuchtet, man sieht und riecht und vor allem, man hört das Meer. Natürlich sind die Liegen längst verweist und die Sonnenschirme „eingefahren“. Trotzdem herrscht reger Betrieb, denn viele Urlauber aus den angrenzenden Hotels lassen sich das Rennen nicht entgehen. Nur kurz ist diese Passage, dann geht’s zur Piazza Nember und in die längste Fußgängerzone Europas. Viele Zuschauer applaudieren den verschwitzten Läuferinnen und Läufern. Gleich nach der Piazza Aurora werden die Marathonis von zwei hübschen Mädels lautstark eingewiesen: „Quaranta-due sinistra“, Zweiundvierzig links. Damit man sie ja nicht übersieht, stehen sie auf Stelzen und halten eine Tafel mit der Aufschrift „42“ hoch.


Die meisten laufen aber geradeaus zur Piazza Mazzini und dort ins Ziel des Halbmarathon. Kaum lichtet sich dort das Feld der Finisher, wird aus der Gegenrichtung schon der Marathonsieger erwartet. Fast eine halbe Stunde verspricht der Sprecher der großen Zuschauermenge den Zieleinlauf des Champions in wenigen Minuten. Die Mädels fällt bald das Zielband aus den Händen. Dann ist es doch so weit, unter großen Applaus spurtet Metto Philemon Kipkering (2:41:21) aus Kenia  ins Ziel. Nur wenige Sekunden später folgt Ivano Novello als Zweiter (2:41:38). Den dritten Platz belegt Andrea Rigo.

Vor lauter Freude, Interviews und Schulterklopfen wird beinahe der Zieleinlauf der Siegerin verpasst. „Una Donna, una Donna“, ruft der Sprecher plötzlich, als man am wehenden Haar 50 Meter vor dem Ziel unschwer eine Frau erkennt. Im Nu ist das Zielband gespannt und Marija Vrajic (CRO - 2:58:49) hat einen  würdigen Zieleinlauf.

Man könnte die Szene jetzt als chaotisch kommentieren. Man kann aber auch schmunzelnd feststellen, dass immer alles klappt, manches buchstäblich in letzter Sekunde. Anderes geht sogar erfreulich schnell über die Bühne. Die Siegerehrung zum Beispiel. Kaum sind die ersten Drei im Ziel, stehen sie auch schon umjubelt auf dem Treppchen.

Derweil ist das große Feld der Hobbyläufer praktisch auf einer zweiten Schleife durch Jesolo unterwegs. Ostwärts geht es auf den großen Verkehrsstraßen (Via Kennedy, Via Martin Luther King) bis zum Canale Paretta, dem man gut zwei Kilometer folgt. Das Wetter hat gehalten, die dunklen Wolken haben sich verzogen. Auch um Mitternacht fällt das Thermometer nicht unter 20 Grad. Auch in den Randbezirken sind die Straßen ausreichend beleuchtet, eine Stirn- oder Taschenlampe wird nicht benötigt.

Jetzt wird Jesolo Pineta (km 33),  das andere Ende der immer ab 20.00 Uhr für den Verkehr gesperrten und zur Fußgängerzone umfunktionierten Straße erreicht. Dieser Abschnitt am äußersten östlichen Ende ist nicht so sehr belebt. Die Kneipen- und Zuschauerdichte nimmt aber mit jedem Kilometer westwärts zu.

Die Verpflegungsstelle bei km 40 an der Piazza Marconi ist noch einmal komplett bestückt (verschiedene Getränke, Obst, Kekse) und wird und viel genutzt. Statt das Wasser zu trinken, kippt ein Läufer einem Mädchen das Wasser über den Kopf. So schnell kann er nicht schauen, wie ein zweites Mädchen umgekehrt gleiches tut. Alle habe eine Riesefreude. Bevor die Neckerei jedoch in eine Wasserschlacht ausartet, ergreift der Marathoni die Flucht.


Wo spielt sich auf der 15 Kilometer langen Fußgängerzone am meisten ab? Wo sind die tollsten Geschäfte, schönsten Restaurants, Cafés und Kneipen? Via Bafile! Hier ist auch nach Mitternacht noch Hochbetrieb. Bunter Lichter links und rechts leuchten die Straße aus, Live-Musik, von italienischen Schnulzen bis Rock, unterhält die Gäste und Zuschauer und macht den Läufern auf den letzten Kilometer Beine. Das ist Jesolo bei Nacht. Es ist einmalig, alleine dafür lohnt es sich, 42 Kilometer zu laufen. 42 Kilometer – die meisten Zuschauer können es nicht fassen. Entsprechend euphorisch sind ihr Applaus und ihr Respekt.

Der Zieleinlauf ? Made in Italy. Die Piazza Mazzini gleicht einer Openair-Disco. Lichtblitze,  buntes Scheinwerferlicht und das Gekreische und Geklatsche der Zuschauer sorgen für eine einmalige Atmosphäre. Und dann der wortgewaltige Sprecher: „Fantastico“, „Bravo“ und „Bravissimo“, ist aus dem Wortschwall immer wieder heraus zu hören. Stolz lassen sich die Finisher mit der Medaille schmücken und in den Versorgungsbereich geleiten.

Ich mache mich auf den Weg ins Hotel, das draußen, ungefähr bei km 35 in Pineta direkt an der Laufstrecke liegt, die ich überqueren muss. Noch ist jede Kreuzung mit Helfern gesichert. Gerade habe ich mein Auto abgestellt, kommt der Besenwagen. Stolz marschiert Paolo Zanta vor ihm her. In dem Tempo braucht er noch mindestens eine Stunde. Die Streckenposten machen jetzt Feierabend. Buona notte …

 

Informationen: NightMarathon
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