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Laufberichte

Einfach Kult – der New York Marathon 2010

07.11.10

Das lange Warten ist letztlich halb so schlimm, schon weil man es vorher weiß und sich darauf einstellen kann und es einfach auch zum NYM-Erlebnis dazu gehört, zum anderen weil es American Breakfast in Form von Kaffee und Tee, Bageln und Powerbar-Riegel gibt. Rockmusik hallt über das Gelände, sogar eine Bühne mit Live-Entertainment gibt es. Aber die steht in der sogenannten Open Area, in die ich gar nicht vordringe, sondern gleich Zuflucht in meinem „blauen“ Startblock suche. Mehrere Großzelte sind aufgebaut, in denen die Läufer wie Sardinen gedrängt Nestwärme suchen. Betrachtet man das Heer der in Folien, Plastikbeutel, Altkleidung oder auch Schlafsäcke gehüllten Läufer, teilweise auf Pappdeckeln und Isomatten am Boden liegend und sitzend, hat die Szenerie durchaus etwas von einem Flüchtlingslager, wenn auch mit dem großen Unterschied, dass hier alle freiwillig da sind und, den frostigen Temperaturen zum Trotz, viel Spaß zu haben scheinen. Jedenfalls vermitteln trotz Bibbern die vielen gut gelaunten, hier quasselnden, dort lachenden Gesichter diesen Eindruck.

Beliebtester Treffpunkt sind jedoch die endlosen Reihen von Mobil-WCs; über 1.700 sollen es sein, die über das gesamte Startgelände verteilt sind. Auch hier erwarten mich die obligatorischen Warteschlangen. Kein Wunder: Nervosität, Kaffee oder vorbeugende Überhydrierung treiben viele nicht nur einmal zu diesen heute weniger stillen Örtchen.  Aber wir haben ja soooo viel Zeit.

Die aber vergeht im stetigen Bemühen, irgendwie warm zu bleiben, dann doch recht schnell. Die Sonne steigt langsam höher und spendet zumindest ein kleines bisschen mehr Wärme. Mehrsprachig werden per Lautsprecher immer wieder Anweisungen und Infos gegeben. Als Starter der zuerst startenden Wave 1 muss ich mich bis 8:10 Uhr, also schon 1,5 Stunden vor dem Start von meinem Kleiderbeutel trennen und bis 8:55 in dem von hohen Gittern umzäunten Corral 10 einchecken. Wie Raubtiere in einem Käfig müssen wir hier ausharren. Als gegen 9 Uhr die Corrals geschlossen und die diese trennenden Absperrseile entfernt werden, verdichtet sich der Läuferstrom jedoch in Richtung Startlinie und wir können ein weites Stück Weg nach vorne rücken.   

In dichter Kette parkende Doppeldeckerbusse mit offenem Oberdeck, besetzt von Presse und Zuschauern, begrenzen die letzten 200 Meter vor der Startlinie. Hinter dem Startbogen türmt sich bereits die Silhouette der Verrazano Narrows Bridge auf. Die Spannung steigt. Kleidungsstücke und Wärmefolien fliegen durch die Luft und so manchem Opfer an den Kopf. Der Boden verkommt immer mehr zur Müllhalde. Grußworte von New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg und Racedirektorin Mary Wittenberg unterbrechen die laut schallende Musik, die amerikanische Nationalhymne ertönt. Dann wird es merkwürdig still. Nichts passiert.

Plötzlich: ein lauter Böllerschuss, Rauch steigt aus der Startkanone auf. Zu den aus den Lautsprechern donnernden Klängen von Frank Sinatras “New York, New York” setzt sich der Tross der ersten 15.000 Starter langsam in Richtung Startbogen in Bewegung. Keine zwei Minuten muss ich warten, bis sich der Startbogen auch über mir wölbt. Das Überschreiten der Sensorenmatte löst nicht nur die Nettozeitmessung aus, sondern wirkt gleichzeitig wie ein Impuls zum Wechsel vom Geh- in den Laufschritt. Innerlich wie äußerlich befreit eile ich wie die Tausenden um mich herum dem gigantischen Brückenbogen entgegen. 

 

Über die Verrazano Narrows Bridge

 

Bereits die beiden ersten Meilen bzw. gut drei Kilometer sind wie ein Paukenschlag. Gleich als Intro erwartet uns der zumindest optisch wohl spektakulärste Streckenabschnitt des NYM: Die Querung der Verrazano Narrows Bridge. Diese größte US-amerikanische Hängebrücke, 1964 errichtet, verbindet Staten Island und Brooklyn. Auf einer Distanz von 1298 Metern freischwebend und bis zu 70 m über dem Wasserspiegel überspannt die Brücke doppelstöckig die „Narrows“ genannte Meeresenge zwischen beiden Stadtbezirken. Immerhin 50 Höhenmeter sind es auch, die wir vom Fuß der Brücke bis zu deren Scheitel überwinden müssen. Aber diesen Anstieg spürt hier und jetzt ohnehin noch kaum einer, so abgelenkt sind wir von der grandiosen Kulisse. Eher schon spüren wir, wie die vielen Tausend Läuferbeine selbst diese titanische Brückenkonstruktion erbeben lassen. Fantastisch ist der Blick auf die Skylines des fernen Financial Districts von Manhattan und des nahenden Brooklyn sowie das im Sonnenlicht gleißende Meer auf der anderen Seite. Als Läufer der blauen Gruppe habe ich das Privileg, die Brücke auf der oberen Ebene rechtsseitig zu queren. Die „Orangen“ besetzen die linke Brückenseite, nur die „Grünen“ müssen in den Keller, also auf der unteren Etage laufen. Wie der gesamte Laufkurs ist auch die Brücke komplett für den Verkehr gesperrt. Und sie bietet so viel Platz, dass trotz des Andrangs von Anfang an die Möglichkeit besteht, den eigenen Laufrythmus zu finden.   

Hubschrauber brummen durch die Luft, um aus der Vogelperspektive per Kamera jene Bilder rund um die Welt zu schicken, die zum bildlichen Synonym des NYM und dessen Gigantismus geworden sind: Die Szenerie unübersehbarer Menschenmengen, die sich über diese riesige Brücke wälzen. Viele machen Fotostopps, um diese unvergleichliche Szenerie für sich festzuhalten und auch ich kann nicht an mich halten, immer wieder die Kamera zu zücken, um den zwischen den mächtigen Pylonen und Stahltrossen dahin strömenden Läuferfluss digital zu verewigen. 

Mit Erreichen des Brückenscheitels nach einer Meile geht es im Galopp auf der anderen Brückenseite hinab, direkt hinein nach Brooklyn.

 

Brooklyn

 

Fast die Hälfte des Marathonparcours führt durch Brooklyn. Die Bezeichnung „Stadtbezirk“ sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass Brooklyn mit 2,5 Mio. Einwohnern selbst die Dimensionen einer Metropole hat und zumindest bis 1898 eine eigenständige Stadt war. Als Stadt an anderer Stelle gelegen würde Brooklyn sicher mehr Beachtung geschenkt, so aber steht Brooklyn im übermächtigen Schatten Manhattans.

Das Kennenlernen Brooklyns vollzieht sich vor allem auf einer Straße: der Fourth Avenue. Diese führt uns 6 Meilen bzw. 10 km immer geradeaus. Rein architektonisch betrachtet sind diese Meilen die pure Monotonie, auch wenn die Stadtteile mit so schönen Namen wie Bay Ridge oder Sunset Park etwas anderes suggerieren. Backsteinbau reiht sich an Backsteinbau, alle drei- bis vierstöckig, hier ein Laden, dort ein Fast Food, zur Abwechslung mal eine Tankstelle. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Zehntausende säumen die Straße und bereiten uns einen grandiosen Empfang. Mit  „Welcome to Brooklyn“ werden wir begrüßt. Und diese Herzlichkeit, diese Begeisterung setzt sich über all die Meilen fort. Die Menschen winken, johlen, halten Plakate mit Grußbotschaften. Die Häuser sehe ich zwar, aber wahr nehme ich vor allem die Menschen um mich herum, die mich leichten Fußes über den Asphalt tragen. Uniformierte Polizisten sichern die Strecke und halten die Zuschauer im Zaum.

 
 

Informationen: New York City Marathon
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