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Laufberichte

Laufen statt saufen

01.01.11

Ich ziehe weiter und folge meiner Strategie, mich nach einem verhaltenen Anfang Position um Position nach vorne zu arbeiten, bis das Ende der Stange erreicht ist. Wer jetzt noch überholt, gehört zum Feld der später gestarteten Kurzstreckler und schießt mit horrendem Tempo an mir vorbei.

Beim Kloster Fahr, dieser Aargauer Enklave im Kanton Zürich, werden wir im großen Stil fotografiert.  Während es hier blitzt und blitzt, wird das Feuerwerksgedonner weniger und weniger. Nach weiteren zwei Kilometern ist der nächste Wendepunkt erreicht. Im Schatten der Brücke der Zürcher Westumfahrung wechseln wir auf einem Fußgängersteg wieder ans linke Limmatufer. An dieser Stelle ist die Zwischenzeitmessung, bei welcher die beiden diensthabenden jungen Damen nicht nur ihres Amtes walten. Ihre Anfeuerungsrufe übertönen das Gepiepe der Messmatte bei Weitem.

Auf der zweiten Runde wird mir bewusst, dass ich mich noch mit niemandem unterwegs unterhalten habe. Liegt es am kompetitiven Charakter des Anlasses oder daran, dass in der Dunkelheit und im Widerschein der Stirnlampen nicht zu erkennen ist, ob die Läufer um mich herum gesprächsbereit sind und es ihnen mir gegenüber gleich ergeht? Zumindest einer Antwort auf diese Frage gibt bei der zweiten Verpflegungsstelle der Sportskamerad, der mich kurzerhand wegpflügt, weil ich mir völlig ehrgeizlos erlaube, nach dem ersten gereichten Becher Iso stehen zu bleiben und mir noch einen zu genehmigen. Nach meinem gemütlichen Halt klebe ich ihm nach kürzester Zeit wieder an den Fersen, dann lasse ich ihn im Dunkel der Nacht hinter mir verschwinden und widme mich ungestört meinen Gedanken, denen ich in Ermangelung von Gesprächspartnern nachhange. Ohne Blick auf die Uhr passiere ich die 20km-Marke.

Auf der dritten Runde ist das Feld ausgedünnt, die Marathonis sind nun mehr oder weniger alleine unterwegs. Trotzdem wird nichts aus einer lockeren, unverkrampften Runde, in welcher ich es einfach laufen lassen und meinen Gedanken nachhangen kann. Die ungewohnte Startzeit mitten in der Nacht ist zwar für meinen Schlafhaushalt kein Problem, meine Verdauung interpretiert aber die nächtliche Aktivität etwas falsch und sorgt für Beschwerden. Es ginge ganz gut ohne… 

Auf der anderen Seite der Limmat sehe ich das dringend benötigte blaue Rettungshaus. Wäre ich beim Strongman oder einer anderen Veranstaltung dieser Art, könnte ich mich mit einer Flussquerung hinüberretten. Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als weitere fünf Kilometer durchzuhalten. Trotzdem gelingt es mir immer wieder, einen weiteren Läufer zu versägen. Zudem sehe ich nach dem erneuten Wechsel auf die Schlieremer (so ist es lokalidiomatisch korrekt) Seite auf der anderen Seite der Limmat den hellen Scheinwerfer eines Fahrrads. Ich rechne mir aus, dass dies das Spitzenfahrzeug ist, eine Überlegung, die meinen Ehrgeiz anstachelt. Bei allem Grummeln und Brummen im Bauch: ich lass mich doch nicht überrunden…

Keinen Moment zu spät erreiche ich anfangs vierte Runde das lang ersehnte Plastikkabäuschen. Der Steiner versägt keinen mehr, den Steiner verschlägt es politisch und auch sonst ganz korrekt in die Büsche. Erst jetzt kommt meine Superlampe zum Einsatz und erleuchtet die Enge der Nothaltbucht ziemlich grell. Von außen betrachtet muss das Dixi-Klo aussehen wie eine XXL-Himmelslaterne kurz vor dem Abheben. Nichts da, ich bleibe mit beiden Beinen auf der Erde, entledige mich der Altlasten des vergangenen Jahres und nerve mich darüber, dass ich so viel Zeit vergeige. Ausgerechnet heute, da ich mich aufs Laufen konzentrieren kann und nicht fotografieren muss. Dies übernehmen Klaus und Margot vom Streckenrand aus mit der großen, für nächtliche Aufnahmen besser geeigneten Fotoausrüstung.

Meine zusätzliche Motivation ist nun, den einen oder anderen, der während des Boxenstopps an mir vorbeigezogen ist, wieder einzuholen. Die Stirnlampe bleibt nun eingeschaltet, damit ich jede Unebenheit sehen und die Ideallinie laufen kann. Ich bin ganz entzückt von meiner Neuanschaffung am letzten Tag des vergangenen Jahres. Das Ding ist in der Helligkeit stufenlos verstellbar und kann ebenso stufenlos entweder die unmittelbare Umgebung taghell ausleuchten oder im Abstand von fünfzig Metern jegliches lichtscheues Gesindel aufschrecken. Da soll mal ein entgegenkommender Automobilist versuchen, das Fernlicht nicht auszuschalten, der wird sich wundern. Dieses Wunder kann ich mir für später im Jahr aufsparen, auf diesem Fußweg sind wir unter uns.

Ich steuere den letzten Verpflegungsposten nochmals an, koste erstmals von dem angenehm unklebrigen Gel, bedanke mich bei den Helfern fürs Ausharren und verabschiede mich. Zum letzten Mal geht es unter der alten Eisenbahnbrücke durch, wo ein kurzes zerfurchtes Stück Asphalt nochmals höchste Konzentration erfordert. Auf der Gegenseite wird es ein ruppiger Anstieg über das alte Geleis sein. Ich weiß, dass nun das Schild mit der 40 nicht mehr weit entfernt ist und versuche das Tempo mindestens zu halten. Zügig, aber immer noch mit ein bisschen Reserve, nähere ich mich der Weiche, welche mich zurück zur Sporthalle führt. Durch das Startzelt hindurch in die Halle hinein verlangsame ich, um das gute Gefühl, eben wieder einen Marathon geschafft zu haben, intensiv auf mich wirken zu lassen. Nach dem Überschreiten der Ziellinie werde ich von Klaus vor die Linse genommen und mit seinen besten Wünschen fürs 2011 und seinen Gratulationen zum ersten einer hoffentlich wieder großen Anzahl von Marathons und Ultras in diesem Jahr  begrüßt.

Zum ersten Mal seit dem Start schaue ich auf die Uhr und bin ein wenig überrascht. Nicht im positiven Sinne. Dass mir der Boxenstopp fünf Minuten geraubt hat, ist mir klar. Abgesehen davon war ich gefühlsmäßig gleich unterwegs wie im vergangenen Jahr.  Das Gefühl täuscht, der Schein trügt, ich habe weitere fünf Minuten eingebüßt. Das muss daran liegen, dass ich um Mitternacht von einer Sekunde auf die andere mindestens fünf Jahre gealtert bin, je nach Lesart auch zehn. Obwohl es beim Neujahrsmarathon keine Kategorieneinteilung gibt, gehöre ich seit ein paar Stunden zur M50. Das hört sich aber weit schlimmer an als es sich anfühlt!

Da man im Alter besonders darauf achten soll, dass man nicht zu kalt hat, mache ich mich auf zum Duschen. Während andere im Kaffesatz lesen, sagt mir ein Schritt unter die Dusche, dass sich das Jahr in dieser Hinsicht noch steigern wird. Nicht, dass das Wasser kalt wäre. Aber als bekennender Warmduscher reicht mir das, was mir die Halb- und Viertelmarathonis übrig gelassen haben, nicht aus, um mich auf postmarathonale Betriebstemperatur zu bringen.

Auf der Heimfahrt bleiben die Hände trotz allen Heizbemühungen kalt, in mir drin macht sich jedoch eine wohlige Wärme, ein Gefühl der Zufriedenheit breit. Ich brauche keinen Champagner in Kristallgläsern zu Hummer auf goldgeränderten Tellern. Laufen und dabei adäquat verpflegt zu werden, danach in der Festwirtschaft Würstchen auf einem Pappteller und ein heißer Kaffee im Plastikbecher serviert zu bekommen – mehr brauche ich wirklich nicht, um die Ankunft des neuen Jahres zu feiern. Und die Aussicht, am Neujahrstag nicht mit einem Kater aufzuwachen, ist eine gute. Nicht mit einem, sondern mit zwei Katern. Einer wird muskulärer Art sein, der andere ist getigert und gibt mir jeweils mit seinen Krallenattacken auf meine Füße zu verstehen, wann seinem Ermessen nach Zeit zum Aufstehen ist. Und bereits am Abend des Neujahrstages werde ich das erste Mal im Jahr auf den Hund kommen. Wenn mich die großen braunen Augen treuherzig anschauen und mir zu verstehen geben, dass sie ihren Neujahrslauf noch nicht gehabt haben.

Marathon-Sieger
Männer
1. Joos Dirk, D-Friedrichshafen         2:51.26,9     
2. Wyss Rafael, Dulliken                     2:52.01,2   
3. Schiller Jörg, D-Frauenau               2:56.51,6  

Frauen

1. Müller-Amstad Astrid, Grafstal        3:15.52,8    
2. Hugelshofer Yvonne, Maur              3:28.43,6   
3. Hildebrand Carmen, Hedingen      3:38.33,4

 

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Informationen: Neujahrsmarathon Zürich
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