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Laufberichte

Marburger Nachtmarathon: Veniant nox et lux Marburgensis

04.07.14

Bald darauf wird um 180 Grad gewendet und der inzwischen schon weit auseinandergezogene Pulk läuft die Universitätsstraße stadteinwärts in Richtung Rudolphsplatz und Biegenstraße. Der Kurs führt danach im rechten Winkel direkt in die Deutschhausstraße, an deren Ende die beiden Türme und ein Teil der bekannten Elisabethkirche zu sehen sind.

Bei der Anreise schleifte ich meinen schweren Koffer an der zu Ehren der Heiligen Elisabeth im 13. Jahrhundert vom Deutschen Orden auf deutschen Boden erbauten ersten gotischen Hallenkirche vorbei. Die Elisabethkirche wurde zum Symbol von Pilgern aus dem ganzen Land. Sie wurde zur Grablege der späteren hessischen Landgrafen. Während des Mittelalters war sie eine bedeutende Wallfahrtsstätte. Die farbigen Glasfenster zeigen das Leben der Heiligen Elisabeth, die sich um Bedürftige kümmerte und selbst mit 24 Jahren starb.  Spektakulär ist auch der mit Edelsteinen verzierte goldene Elisabethschrein. Heute ist die evangelische Gemeindekirche ein herausragendes Denkmal sakraler Baukunst und Ziel zigtausender Besucher im Jahr.

Der Zickzackkurs in Richtung Norden geht am Hotel Marburger Hof vorbei den Wehrdaer Weg entlang der Lahn, ein rund 245 km langer östlicher Nebenfluss des Rheins in Deutschland. Die Lahn fließt durch Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Wir sind bei Kilometer 4, doch früher als erwartet kommt die erste Labestation, an der ich vorbeilaufe und nun annehmen muss, dass wohl erst bei Kilometer 7 oder 8 die nächste Versorgungsstelle für die Läufer/innen aufgebaut sein wird. 

Ich denke an die Worte der Professorengattin, die seit 30 Jahren regelmäßig in Marburg urlaubt. Die Strecke ist zweifelsohne wellig, führt bis jetzt aber nicht über Hügel. Und es ist vor allem auch um 19 Uhr 30 noch brütend heiß, bis zur Dämmerung werden wir Kilometer 30 erreicht haben. Zwei Halbmarathonläuferinnen haben am Rücken ihres Shirts den Spruch „Atemlos durch die Nacht“ aufgedruckt, selbst wenn sie 2:30 Stunden für die Halbdistanz brauchen sollten, werden sie die Nacht nicht auf der Laufstrecke erleben. Mein Subtitel muss daher anders lauten, denn ich werde auch nach 5 Stunden nicht atemlos unterwegs sein, sondern eher in Gedanken neue Abenteuer planen. Mein Untertitel soll einen lateinischen Touch bekommen, schließlich habe ich etliche Jahre Latein am Gymnasium gelernt und er soll zu dieser Schulstadt passen. Ich rufe laut aus: „Veniant nox et lux Marburgensis!“ (Die Marburgische Nacht und das Licht mögen kommen …)

Bei der Cölberstraße überqueren wir die Lahn, der Kurs in Richtung Marburg zurück auf der anderen Seite des Flusses führt nun auf einen Rad- und Wanderweg in einer grünen Landschaft weiter. Ich laufe in meinem gewohnten 6 bis 6:15 min/km-Tempo, also ca. 9,5 bis 10 km/h. Wie angenommen kommt die nächste Labestation bei Kilometer 8 neben einer Schrebergartensiedlung. Es gibt Wasser und Iso, auf der anderen Seite des Radwegs auch Cola und Knabbergebäck.

Eine Läuferin aus der Gegend um Köln ruft mir nach und fragt, ob ich für M4Y unterwegs sei. Keine Frage, ja, aber nicht nur. Wir kommen ins Gespräch. Der Köln Marathon wird ab nun bereits im September veranstaltet, sie habe noch eine ermäßigte Startkarte anzubieten. Ich werde voraussichtlich am 14. 9. woanders laufen, wenn alles gut geht.

Ein Läufer mit schwarzem Trikot und der Aufschrift „Die Feldhasen“ fragt mich, wie das Fußballspiel ausgegangen sei. Ich entgegne, dass ich mit einem Sieg Deutschlands rechne, wir würden demnächst in Stadtnähe bald mehr erfahren. Am befestigten Ufer der Lahn bei Kilometer 10 jubeln die Menschen uns zu, man freut sich über den 1:0 Sieg. Wieder einmal sind die Franzosen wie wir Österreicher im Fußball an Deutschland gescheitert. Wir trösten uns mit den Erfolgen im Schiweltcup, auch bei der Olympiade der Köche schneiden die Ösis immer gut ab.

Ich muss mich orientieren, denn die Laufstrecke führt nun direkt am Universitätsstadion vorbei, wo der Zieleinlauf geplant ist. Es geht über den Hirsefeldsteg über die Lahn, auf dem ich auch gestern hin und zurück spazierte, als ich die Startnummer abholte. Hier bei Kilometer 11 erfolgt der Wechsel bei den Staffelläufern.

Laut Plan auf der Homepage des Veranstalters folgt nun ein Rundkurs, der dreimal zu durchlaufen ist. Nach der Überquerung einer weiteren Brücke geht es in eine Auelandschaft, zumindest durch viel Grün. Die Staffelläufer rücken kontinuierlich nach, sie können ein höheres Tempo gehen, wir Marathonis müssen unsere Kräfte einteilen.

Bei Gisselberg wird Kilometer 15 erreicht, hier ist auch eine weitere Labe aufgebaut. Unweit daneben applaudieren Einheimische den Läufern zu. Sie haben es sich vor ihren Häusern bequem gemacht, man achtet offenbar weniger auf das Fußballgeschehen. Bis zum Brasilienmatch um 22 Uhr sollte ich noch eine weitere Runde geschafft haben. Einige Läufer bleiben einfach stehen und unterhalten sich mit den Leuten dort. Ich wundere mich, denn mit einem bin ich mehrere Kilometer am Radweg bei der Gisselberger Straße quasi um die Wette  gelaufen – und jetzt bleibt er stehen und quatscht.

Der Kurs wird wieder etwas wellig, bei Kilometer 16 folgt ein kurzer Anstieg auf eine Brücke der B3, die die Lahn überquert, dann geht es wieder einige Höhenmeter hinunter in Richtung des Flusses. Die weitere Strecke verläuft teilweise auf Schotter, gut eingefugten Pflastersteinen, größtenteils aber auf Asphalt zumeist auf einem Radweg entlang der Lahn. Die letzte Labe vor der Halbdistanz befindet sich bei einer Unterführung, hier werden sogar Gelpäckchen angeboten.

Wir laufen an einem Campingplatz vorbei, die Leute schauen gebannt auf den überdimensionierten Schirm. Ich wäre eigentlich auch gerne beim Public Viewing mit Bierausschank, aber noch ist ein guter Kilometer bis zur Halbdistanz zurückzulegen. Bald wird sich das Feld lichten, denn die Halbmarathonläufer biegen nach rechts ins Stadion ab.

Es geht erneut über den Hirsefeldsteg, eine Frau scheint sich die Nummern der Läufer zu notieren. Für den Halbmarathon habe ich ca. 2:15 Stunden benötigt. Die Südrunde muss ich nun wie alle anderen vor und hinter mir, falls sie nicht aufgeben, noch zweimal durchlaufen. Das Feld hat sich ordentlich gelichtet, man sieht nur mehr vereinzelte Läufer auf der Strecke. Bald wird es dunkel werden. Ich laufe zumeist allein, manchmal überholt mich ein Staffelläufer, aber auch die sind längst alle weiter vorne. Als ich zum 2. Male nach Gissenberg komme, sind die beiden jungen Mädchen, die eine US-Fahne aufgespannt hatten, verschwunden. Ich frage eine Frau, die mit einer Fangruppe vor den Häusern auf Sesseln sitzt, wie das Match Brasilien gegen Kolumbien steht, sie weiß es nicht.

Auf den Feldern draußen ist es nun schon ziemlich dunkel, gegen 22:30 erreiche ich erneut das Stadion, wo die Siegerehrung des Halbmarathons schon vorbei ist und auch die des Marathon wohl vor meinem Eintreffen stattfinden wird. 31 Kilometer sind geschafft, 11 noch ausständig.

Zu meiner Überraschung sind noch einige Staffelläufer nach der Brücke auf meiner nun beginnenden dritten Runde zugegen. Diese drei oder vier Läufer rennen mir bald darauf davon. Es ist auf Waldstücken zeitweise so dunkel, dass man eine Stirnlampe gebraucht hätte. Ich laufe auf einen langsamen Walker auf, seine Lampe weist uns beiden den Weg. 2 km vor Gisselberg überhole ich ihn dann. Obwohl man auf den einsamen Wegen kaum was sieht, so muss man anführen, dass die Strecke an den Abzweigungen mit Helfern besetzt ist. Dadurch ist gesichert, dass keiner vom Weg abkommt.

Freudig stimmt mich der Anblick von Glühwürmchen. Selbst bei uns in Österreich, einem Land mit hohem Umweltschutzanspruch, sieht man sie nur und ganz selten in lauen Nächten. Ein romantisches Gefühl kommt in mir auf, ich erinnere mich an meine Jugendzeit. Glühwürmchen erzeugen durch Biolumineszenz Licht. Über einen chemischen Prozess bringen sie ihr Hinterteil zum Leuchten. Sie signalisieren so ihre Präsenz und Bereitschaft zur Arterhaltung. Mein Untertitel passt. „Nox et lux venerunt“ (Die Nacht und das Licht sind gekommen).

Auf den letzten 3 km kämpfe ich gegen zwei Läufer und eine Läuferin um die Plätze. Ich habe ja ziemlich Verspätung, doch seit dem Nachtmarathon in Mannheim weiß ich, dass mein Körper um 23 Uhr sich lieber entspannen würde als sich zu quälen. Daher laufe ich viel lieber am Tag als in der Nacht.

Vor den drei Mitstreitern um die Schlussplätze erreiche ich mit 4:57:42 noch unter 5 Stunden das Ziel. Der Platzsprecher Artur Schmitt unterbricht kurz die Siegerehrung und interviewt mich. Eine nette Geste.

Der 17. Marburg Marathon ist gelaufen, mit der Medaille am Hals marschiere ich zurück in die Unterkunft. Das Sammeln geht für mich weiter.

Marathonsieger:

Männer:
1.Dieter Kux: 2:55:23
2.Frank Merrbach: 2:56:53
3.Markus Müller: 2:56:54

Frauen:
1.Daniela Stander: 3:44:48
2.Jenny Wehmschulte: 3:47:19
3.Anja Schultheiss: 3:50:16

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Informationen: Nachtmarathon Marburg
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