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Laufberichte

Himmelswege, Sternstunden der Jahrtausende

04.09.11
Autor: Joe Kelbel

Auch wenn der eine Turm der Marktkirche ein bisschen schief ist, ich muss da hoch. Es sind die Hausmannstürme. Der Hausmann war derjenige, der hier oben Ausschau hielt, dass nichts anbrennt in der Stadt, schließlich haben die alle hier in Halle (Hal= keltisch=Salz) mit Feuer hantiert, um die Sole einzukochen. Von oben herrlicher Blick auf den Marktplatz mit dem Meldebüro im Rathaus und nach Süden, wo das Mitteldeutsche Chemieareal die morgige Laufstrecke markiert.
Die Marktkirche ist prächtig. Totenmaske von Luther. Orgelkonzert 12:00-12.30 Uhr, alsolutes Muss. Halle gefällt mir, muss ich denn wirklich morgen wieder laufen?

Macher des Mitteldeutschen Marathons ist André Cierpinski,  Sohn von Waldemar Cierpinski, dem zweifachen Olympiasieger im Marathon. Waldemar wäre wohl dreifacher Olympiasieger geworden, hätte die DDR die Olympischen Spiele in Los Angeles 1984 nicht boykottiert. Der Boykott war die Antwort der sozialistischen Staaten auf den Boykott der westlichen Staaten der Olympischen Spiele in Moskau 1980 aus Protest gegen den Einmarsch in Afghanistan 1979.

Falk Cierpinski, der andere Sohn vom Waldemar (Marathonbestzeit: 2:13:30) kümmert sich darum, dass die Schülerstaffeln motiviert sind. Er fragt mich, ob man so kurz nach den 100 Meilen in Berlin schon wieder laufen kann. Man kann, mit einer Großpackung Hallorenkugeln. Das ist die Ossivariante der Mozartkugel mit 448 kcal.

Der Mitteldeutsche Marathon wird in Anlehnung an den Lauf von Marathon im antiken Griechenland als Punkt-Zu-Punkt Kurs zwischen den Städten Spergau und Halle durchgeführt.

Um 7:22 geht die Regiobahn nach Süden, nach Merseburg, von dort geht ein Shuttlebus zum Startort Spergau. Wir sind nur eine Handvoll Marathonläufer, die meisten reisen mit dem Auto an, nehmen dann nachmitttags den Shuttlebus zurück nach Spergau. Alles ganz locker und entspannt.Um 8:05 bin ich dort und hole mir erstmal ein paar Tips von Waldemar Cierpinski (PB 2:09:55). Alles läuft stressfrei ab, er hat viel Zeit für mich, das tut gut. Was die Cierpinskis laufend leisten, ist ein anderer Sport, als ich ihn betreibe. Der Unterschied ist vielleicht so wie zwischen Tennis und Federball.

Spergau ist ein Vorort von Bad Dürrenberg. In der Jahrhunderthalle (2000 eröffnet) kann man sich auch noch seine Startunterlagen abholen. Gegenüber die Bockwindmühle. Im Kurpark steht mit 900 Metern das größte Gradierwerk Europas ( Salzgewinnung über Reisig-Äste).

1934 fand man im Kurpark ein ungewöhlich reich ausgestattetes Grab aus der Mittelsteinzeit. Ein Frau und ein Säugling wurden aufrecht, in gehockter Haltung begraben. Die Frau ist enthauptet worden. Mehr als 100 Skelettreste von Bibern, Hirschen, Kranichen, Rehen, Wildschweinen, Wisent, Schildkröten und Muschelschalen  lagen dabei. Das Grab ist mehr als 7500 Jahre alt, die Originalstücke liegen in o.g. Museum.

Auf meinem Reisen nach Neu-Guinea (ich habe am  lonely planet, travel survival kit für Irian Jaya mitgearbeitet), habe ich das Schmuckverhalten der dortigen Steinzeitmenschen studiert. Demnach muss diese Frau von Bad Dürrenberg einen sozialen Status gehabt haben, der wirklich astronomisch alles andere zur damaligen Zeit weit in den Schatten stellte.

Start 9 Uhr, überwiegend Staffelläufer. Es geht in einem Dreieckskurs zunächst nach Kirchfährendorf, dann Wengelsdorf. Ruhige kleine Dörfer, sehr schön, sehr nett, sehr angenehm zu laufen. Warum das steinzeitliche Skelett in Bauchlage bestattet wurde? Vielleicht sollte er nicht mehr die Oberfläche sehen.

 Ja, Leute, ich bin viel gelaufen, Indonesien, Borneo, Afrika, Australien, im Ultraläufertempo. Auf den Sundainseln habe ich Dinge gesehen, die nie beschrieben wurden, hatte viel Material an die Senkenbergische Gesellschaft in Frankfurt geschickt. Aber man  muss nicht alle Geheimnisse ins Museum stecken, und so wurden schon unter kaiserlicher Anordnung viele Gräberfelder für spätere Generationen versteckt. Es ist zu früh, die meisten Funde sind auf Notgrabungen zurückzuführen (Autobahn, ICE-Trassen und Raubgräberei)

Zurück nach Spergau, dahinter beginnen schon die Leunawerke, einer der größten Standorte der chemischen Industrie in Deutschland, die Laufstrecke ist nicht schön, lässt aber Zeit für Gedankengänge. Die Leunawerke wurden im ersten Weltkrieg gegründet. Die BASF  stellte zunächst bei Ludwigshafen aus Amoniak Sprengstoff her. Um vor französischen Luftangriffen sicher zu sein, wählte man einen zweiten Standort in Mitteldeutschland aus, wo reichlich Braunkohle vorhanden ist. Im zweiten Weltkrieg wurde hier synthetisches Benzin durch Kohleverflüssigung hergestellt. Die Bombardierung der Leunawerke vom Mai 1944 war ein entscheidener Schlag der Alliierten.

Ein Läufer erzählt mir, dass dieses Gebiet zu DDR-Zeiten durch Umweltverschutzung arg gebeutelt war, eine stinkende Gegend. Nun ist alles sauber.

Im Vorort von Leuna, in Rössen befindet sich ein gewaltiges Gräberfeld aus der Jungsteinzeit (4500 v Chr), interessanterweise wurden hier die Toten als „ostorientierte Rechtshocker“ bestattet.

Ich merke, dass ein Olympiasieger die Streckenführung geplant hat: Waldemar war es wichtig, eine schnelle Strecke zu kreieren, darum geht es meistens schnurgerade auf langen Wegen entlang des Industriegebietes oder durch die ewig langen Straßendörfer. Meine Füße klatschen auf das Kopfsteinpflaster, ich kippe mir jede Menge Wasser über meinen Steinzeitschädel, aber ich laufe gut, sehr gut.

Ein kleiner Abstecher führt uns nach Göhlitzsch, berühmt wegen seiner Steinkammer (3600-2700 v. Chr). Die Kammer wurde schon 1750 entdeckt. Das besondere an diesem Grab sind die markanten, wundervollen, farblichen Verzierungen. Auch wenn alle Gräberfelder unter den Begriff „Steinzeit“ geführt werden, so liegen doch mehrere tausend Jahre zwischen den Grablegungen, also mehr als zwischen uns und den Römern. Das sind komplett andere Steinzeitkulturen.

Merseburg. Von dieser Burg zog Heinrich I in die Schlacht gegen die Hunnen und legte damit den Grundstein für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. In der Bibliothek des Domes liegen die beiden einzigen Schriftzeugnisse germanischer Herkunft: Die Merseburger Zaubersprüche, unbedingt im Internet nachlesen! 20 Kilometer westlich von hier liegt Nebra, der Fundort der Himmelsscheibe. Auf der anderen Seite des Sees stehen zwei bedeutende Menhire.

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Informationen: Mitteldeutscher Marathon
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