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Laufberichte

Zäher Ringer

 

 

Beim folgenden Anstieg zum Martinstor verliere ich den Blickkontakt zu Lionel. Der Kerl trocknet mich wie schon auf einer unserer seltenen Trainingsrunden gnadenlos ab. Nur: Heute geht es über die doppelte Distanz, und ich frage mich, ob er das so durchhält. Ich wünsche es ihm.

An einem der zentralsten Punkte der Stadt, früherem Handels- und Treffpunkt der Freiburger, berühren sich der fünfzehnte und der sechzehnte Kilometer der Strecke an einer Ecke. An der Kreuzung der Salz- und Kaiser-Joseph-Straße befindet sich der Bertoldsbrunnen, ein abstraktes Reiterstandbild auf einem vier Meter hohen Steinsockel in ein einem flachen Wasserbecken. Gewidmet ist er, der Name deutet es an, den Herzögen von Zähringen.

Weiter geht es zum Theater, wo es musikalisch großes Kino gibt. Mein zweiter musikalischer Favorit des Line-Ups greift in die Saiten. Elektrifizierte Geige und E-Cello, zusammen mit Schlagzeuger und Persussionist/Keyboarder, allesamt Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Freiburg, das sind  Exil 46. Hätte ich nicht eine Mission zu beenden, würde ich zum zweiten Mal einfach stehen bleiben und zuhören.

Bis zum Bahnhof ist es nicht mehr weit und wenn man den kurzen Aufstieg zur Wiwili-Brücke – der blauen Brücke – geschafft und die Herz Jesu Kirche im Blickfeld hat, dann sind es nur noch gut drei Kilometer bis zur Halbzeit. Oder bis ins Ziel, worüber nicht wenige Halbmarathonis froh sind, an welche ich vorbeiziehe.

 

 

Das gereichte Wasser hinter der Brücke und das am grünen Rondell bei der Tennenbacherstraße angebotene alkoholfreie Weizen sind mehr als genug Überbrückung, denn die nächste vollständige Verpflegungsstelle ist schon einen Kilometer vor dem Wendepunkt und wird mich mit Gel versorgen.
Hinter einem Ambulanzfahrzeug liegt ein junger Läufer in schwarzen Kleidern und Tatoo am Oberarm. Ein kurzer Schreck durchfährt mich, dann bemerke ich eine deutlich vollere Haarpracht als beim Sohnemann. Der scheint also immer noch gut unterwegs zu sein.

Bei der Weiche, wo die Harten nach rechts auf die zweite Runde abbiegen, kommt er mir beschwingt entgegen. Alles im grünen Bereich!

Die Staffelläufer lassen nur noch einen kleinen Korridor zwischen sich und den Absperrgittern in der Mitte der Begegnungsstrecke. Sie können kaum auf ihren Start warten. Aller sportlicher Ehrgeiz in Ehren: Bei einer Halbmarathonzeit in diesem Bereich kommt es doch auf ein paar Sekunden mehr oder weniger nicht drauf an…

Die zweite Runde erscheint mir nicht nur wegen den ermüdeten Beinen und den zunehmenden Schmerzen länger. Es fehlen im Vergleich zur ersten die Läufermassen, welche ablenken und den Blick anderswohin richten, womit die Entfernung bis zur nächsten Straßenbiegung vergessen geht. Immerhin gibt es Gesellschaft durch die Staffelläufer, wenngleich deren Vorbeipreschen nur bedingt motivationsfördernd ist. Diejenigen auf dem ersten Streckenabschnitt haben auch nur sieben Kilometer zu bewältigen.  Anders sieht es auf dem letzten Streckendrittel aus, wenn ihnen ein knappes Drittel der Marathonstrecke schon gleich in den Knochen steckt wie dem alten Mann neben ihnen, der zuvor schon die beiden anderen Drittel abgespult hat.

 

 

Ich erfreue mich an den Musikgruppen mit Marathon-Stamina. Schön, dass sie ihre Ausrüstung noch nicht abbauen und ihnen das Material nicht ausgeht. Nicht so wie beim Verpflegungsposten bei Kilometer 37, der auf dem isotonisch Trockenen sitzt. Kann es mal geben, sollte es aber nicht, zumal es nicht das erste Mal ist, dass mir das in Freiburg passiert. Das letzte Mal war es gravierender, als es bei einer Wasserstation auf dem letzten Streckendrittel für 5-Stunden-Läufer kein Wasser mehr gab (bei 27°). Als Ultraläufer weiß ich, dass alkoholfreies Bier sowieso das beste Iso ist „wo gibt’s“ und dass mein Magen das auf die Dauer besser verträgt als Laborgetränke, so freue ich mich auf das Alkoholfreie beim Rondell und hoffentlich dann im Ziel.

Noch ein wenig Aufmerksamkeit auf dem Kopfsteinpflaster, dann die blaue Brücke und die Sache ist gegessen. Nach dem „g’scheiten Iso“ setze ich zum Endanflug an, ziehe noch etwas an und bin gespannt, wo und in welcher Verfassung ich Lionel im Ziel antreffen werde.

Im Ziel warte ich noch kurz auf „Farbenbruder“ Andreas, dann lasse ich mir die gediegene, wohlverdiente Medaille umhängen und gehe schnurstracks zu Lionel, der weiter vorne auf seinen alten Mann wartet. Mit väterlich stolz geschwellter Brust gratuliere ich ihm zu seiner neuen PB. Fast 40 Minuten schneller als das erste Mal und beinah 37 Minuten unter seiner angestrebten Maximalzeit. Der Kerl ist zäh. Wäre er es nicht, würden auch nicht Krafttraining und Freefight zu seinen beiden sportlichen Hauptbetätigungen zählen. Zugegeben, Freefight ist schon noch einmal eine andere Stückelung der Währung als Ringen. Aber in der Zähringerstadt Freiburg kann man ihm attestieren, dass er auch beim Laufen ein zäher Ringer ist.

Ich bin zwar nicht viel nach ihm ins Ziel gekommen, doch im Gegensatz zu ihm würde ich morgen nicht am Training teilnehmen, zumal Thaibox-Techniken auf dem Programm stehen.

Für diejenigen, welche die Auswirkungen eines Schnapszahl-Geburtstags in meiner Altersklasse kleinreden wollen, kann ich nur den Rat geben, den Geburtstag mit einem Marathon zu feiern. Dann fühlst du dich bereits am Abend des Feiertags fünf Jahre älter.

 

 

Alles in allem war Freiburg wieder ein sehr schöner Marathontag und hoffentlich der Einstieg in eine abwechslungsreiche Laufsaison. Trotzdem möchte ich erwähnen, dass ich den Unmut des Läufers verstehen kann, der bei der Zielverpflegung Wasser als einziges Getränk dürftig findet, besonders wenn ein abgeschlossener Anhänger der Sponsor-Brauerei noch dort steht, die Tische davor aber schon aufgestapelt sind. Und das bei einer Zielzeit von unter viereinhalb Stunden. Man kann sich denken, was es da für die Frühankömmlinge auch noch gegeben hat.

Die Imbissstände beim Zielbereich zeigen deutlich, dass der große Reibach um die Zeit im Trockenen ist. Ein Imbiss nach der angenehm heißen Dusche im Duschmobil liegt noch drin, doch bereits bei der versuchten Rückgabe der Pfandflasche heißt es: „Sorry, die Kasse ist schon weg, wir haben kein Geld mehr…“ Schade, denn zu diesem Zeitpunkt ist der Hauptact auf der Zielbühne, Nicole Scholz & Band noch voll im Einsatz.

Auch der Aushang der Ranglisten des Marathons hört bei 4 Stunden und ein paar Zerquetschten auf – ich meine, da liegt noch etwas drin. Dem Schüler, der 95% der Aufgabe perfekt löst, und den Rest dann noch vergeigt, teile ich das jeweils auch mit. Da kann auch ich ein zäher Ringer sein.

 

 

 

 

Marathon-Impressionen

(Klaus und Margot Duwe)

 

 

 

 

Marathonsieger

 

Männer

 

1 Hoffmann, Benedikt (GER)     TSG Heilbronn     02:23:04     
2 Benz, Ulrich (GER)     Biohandel Rinklin 02:39:52     
3 Wagner, Simon (GER)     LG Rems Welland 02:42:26 

Frauen

1 Mann, Svenja (GER)     LSG Karlsruhe     03:02:11     
2 Hellstern, Ann-Katrin (GER)     Sportpark Freiburg 03:10:16     
3 Köhler, Miriam (GER)     LG Brandenkopf 03:13:52 

814 Finisher

12
 
 

Informationen: Mein Freiburg Marathon
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