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Laufberichte

Ein Lob der Jugend

 
Autor: Joe Kelbel

Es gibt kaum einen Stadtmarathon, der mehr junge Läufer zum Mitmachen motiviert als der in Freiburg.  Hier braucht man keinen Bambinilauf, um aufgeregt an der Startlinie zu stehen. Der Campus liegt direkt am Start/Zielgelände, vom HBF sind es wenige Minuten mit der Strassenbahn, und vor allem: Die Startzeit ist mit 11:15 Uhr sehr studentenfreundlich. 

Michèl, der Friedensfranzose, früher als Jakobiner verkleidet, ist jetzt Obelix. Ganz geil! Er wurde in den 50ern aus der französichen Kaserne in Konstanz zum Krieg nach Algerien abkommandiert. Da desertierte er. Legendär 1989 sein Friedenslauf von Paris über Bonn nach Berlin. 850 km insgesamt, 60 km pro Tag. Nächstes Wochenende wird er uns beim Bonn Marathon motivieren. 

 

 

„Über 100 Flüchtlinge helfen bei der Startnummernausgabe und an den Verpflegungsstellen“, so heißt es in der Pressemitteilung des Freiburg Marathons. Tatsächlich muss ich jetzt die jungen Helfer loben. Hier ist das jüngste Helferteam versammelt, das ich je bei einem Marathon erlebt habe! Die Nachmeldung geht ruckzuck, man gibt dafür selbst seine Daten im PC ein, und erhält eine Startnummer mit Namensaufdruck. Bei der Kleiderbeutelabgabe werde ich eingehend gemustert: „Ich will nur sicher gehen, daß Startnummer und Chip befestigt sind“ sagt die junge Dame, solche Fürsorge ist auch neu für mich.  

 

 

Auf dem Behindertenparkplatz des Messegeländes stehen die Pinkeleinrichtungen, die eher für Männer gedacht sind. Wer sich konzentrieren kann, erledigt das Geschäft auf der deckungslosen Madisonallee, was ich hiermit verurteile! In Madinson (Wisconsin) wird öffentliches Pinkeln mit 50 Dollar bestraft. Madinson ist Partnerstadt von Freiburg und trägt den Spitznamen Mad Town. Wohl, weil Wisconsin badisches Siedlungsgebiet ist. Andreas, der Sprecher erwähnt beiläufig, dass das Badnerlied momentan die Hitlisten von Wisconsin sprengt. Da schallt es schon aus den riesigen Lautsprechern:  

„D’rum grüß ich dich mein Badnerland,
du edle Perl’ im deutschen Land, deutschen Land.
frisch auf, frisch auf; frisch auf, frisch auf;
frisch auf, frisch auf mein Badnerland.“

Und dann bringt Andreas den Patzer des Tages: „ Hallo Frankfurt, seid ihr alle wach?“ Ein Gröhlen geht durch die 8000 Läufer. Lachend laufe ich dann auch aus dem ersten Block los, obwohl ich da nicht hingehöre. Renne viel zu schnell, bin damit aber in guter Gesellschaft Das macht man in Freiburg so! Natürlich bekomme ich bald Wadenkrämpfe, ich bin halt nicht viel vernünftiger als viele der Staffelläufer.  

 

 

Zunächst geht es  direkt auf den  alten Zollhof am Güterbahnhof zu. Letzter Lichtblick, denn auf dem folgenden Gelände wird schwer gebaut. Danach aber geht’s vorbei am Holzofenhaus, wo Band Nr 4 spielt. Man muss aufpassen, daß man nicht das Kilometerschild mit der Nummerierung der Bands verwechselt. Hier also die Band „Abracadabra“. Noch sieben Tage habt Ihr Zeit, die beste Band zu voten (www.marathon-freiburg.com/voting). Aber wartet noch, ich habe einen Tipp. 

Überall leuchten die Farben des Hauptsponsors, die Rothausbrauerei.  Auf deren Webseite muss man zunächst bestätigen, dass man über 16 ist, so, als hätte man eine unanständige Seite aufgerufen, und bekäme bald eine Abmahnung von einer Kanzlei.

Dabei bedeutet Rothaus nicht, dass man eine rote Laterne im Fenster hat. Der Name geht auf die Familie Roth zurück. Man wollte den Schwarzwäldern das Schnapstrinken abgewöhnen. Wegen der winzigen Flaschengröße dieser Brauerei hat sich also weltweit die „Minibar“ durchgesetzt. Jedenfalls ist der Name „ Tannenzäpfle“ eine Anspielung auf die kleine Flasche. 

Wir Restgermanen wundern uns ja über die alemannische Verniedlichungs-Endung „le“. Es ist eigentlich keine Verniedlichung, es stammt aus dem Sprachgebrauch einfacher Leute, die nicht zwischen männlichen und weiblichen Artikel unterscheiden konnten und mit diesem Anhängsel alles zum Neutrum machten. Zum Trost, ihr Badener, im Niederdeutschen ist es ein „je“, oder „tje“, in der Schweiz ein „li“ und in Österreich ein „erl“.  Einzige Ausnahme im Hochdeutschen ist die  „Notrufsäule“ und „Kelbel“! 

Ein Weibchen prangt auf dem Etikett der  Miniflasche. Es ist „Birgid Kraft“ in traditioneller Schwarzwaldkleidung. Sie hält zwei Bier, weil die Tannenzäpfle so klein sind. Birgid Kraft heißt nicht zufällig so. Es ist ein Wortwitz und heißt in Wahrheit „ Bier gibt Kraft“. 

Ein Strassenschild bei km 6 aus Emaille, in Süterlin geschrieben, weckt meine Aufmerksamkeit: Tivolistraße, Ecke Mozartstraße. Wir sind im schönen Stadtteil Neuburg, was kaum ein Freiburger kennt, weil sie es zu Herdern rechnen. Jedenfalls hat man die alten Jugendstilhäuser wiederaufgebaut. Typisch sind die riesigen Magnolienbäumen und die zartrosa Kirschblüten. Hier kann man sich wohl fühlen. 

Lob an die Jugend: Hier gibt es Verbindungshäuser und ein Burschenschaftler ist „früh“ aufgestanden, um uns mit einem Kasten warmen Ö-Bier auszuhelfen. Im Ziel haben sich die alten Knacker bei mir ausgeheult: „ Ich dachte, ich schlage erst in der zweiten Runde zu, aber da war der Kasten Bier schon leer!“ 

Merke: Beim Marathon muss man schnell sein oder zumindest vor Joe laufen! 

 

 

Schnell ist Michèl, der französische Spasspräsident. Er wechselt seine Standorte in hohem Tempo. Hohes Tempo hat auch Jochen, der Vanman, der an der Talstation der Schloßbergbahn steht. Blitzschnell findet er die Namen der Läufer heraus und kündigt sie an. Mikatiming sei‘s gedankt. 

Wir laufen nun direkt auf den Sitz des Schwarzwaldvereines zu, den Gastwirte 1864 im Gebäude des Renzscher Felsenkellers gründeten. Mindestens seit damals also gehören Wandern und Bier zusammen. Das war so wichtig, daß 1933 ein Reichswanderführer über dieses Naturgesetz wachte. 

Hätte es den Reichswanderführer zur Römerzeit gegeben, würden wir jetzt nicht an der Dreisam entlanglaufen müssen. Die Römer hatten einfach Angst im Schwarzwald, badeten lieber in den warmen Thermen in Baden-Baden und tranken Rebensaft. Deshalb behielt dieser Fluss seinen keltischen Namen „Tragisama“ (die sehr Schnelle), woraus Dreisam wurde. 

Der Schnellste ist Pumuckl heute nicht, eben er schon wieder. Und zwar vor dem Hostel, in dem wir übernachtet haben. Noch ehe wir unsere Heldentaten der letzten Nacht besprochen haben, ziehen die 3:30er Pacemaker vorbei. Eigentlich ziehen alle vorbei. Also fetze ich wieder los. Das geht bis km 11 gut, dann zieht schon Martin der 4:00 Std Pacer an mir vorbei. Er läuft wie immer im Schottenrock, was ihm bei diesen frühlingshaften Temperaturen den entscheidenen Vorsprung vor dem Pace-Kollegen Zeljko bringt, der mich erst bei km 12 überholen kann - direkt vor dem zugesprayten Blitzerautomaten. Egal, ich habe endlich wieder eine gute 10 km-Zeit und das baut mich auf. Es werden Zeiten kommen, da versäge ich Euch alle! 

Am Fritz-Horch-Weg wabern gewaltige Grillschwaden durch die Blütenpracht einer großen Japanischen Kirsche. Fritz Horch war ein Freiburger Friedenspfarrer, sein zeitgleich lebender Namensvetter August Horch gründete die Audi Werke (Audi = lateinische: Horch!). Die Hindenburgsstraße ist die meistbefahrene Straße Freiburgs, von Radfahrern. Bis 1927 hieß sie noch Geleitstrasse, weil wichtige Personen und Kaufleute ab hier von der Stadt Freiburg Begleitschutz erhielten. Hätte ich jetzt auch gerne. Ich werde zunehmend langsamer.

 

 

Über die Fabrikstrasse wechseln wir wieder auf die rechte Dreisamseite. Einst stand hier eine “Fabrik für modernes Schulgestühl“. Das war die Bauart, die wir rausrissen, weil sie unglaublich rückenunfreundlich  war, weil wir keine Halterung für Tintenfässer brauchten und weil unsere Beine längst doppelt so lang waren, wie die unserer preussischen Großväter. Deswegen fiel meine Abifeier aus. Wir haben damals Revolution gemacht. Ein Lob an die heutige Jugend, die das nicht braucht.  

Nun laufen wir aufs Schwabentor (13.Jahrh) zu. Auf der Außenseite ist der Heilige Georg, der Drachentöter und Schutzpatron Freiburgs zu sehen. Das Georgskreuz ist Bestandteil vieler Flaggen und Wappen, so darf man sich nicht wundern, wenn Freiburg, England, Georgien, Malta, Mailand und viele mehr die gleichen Flaggen haben. Durch das linke Tor kommen uns die Läufer entgegen, die schon durch die Altstadt gelaufen sind. 

Fies, ganz fies ist der riesige Schwenkgrill mitten auf unserer Laufstrecke. Lieber Gernot, es mag sein, dass es in München, deinem zweiten Orgarevier, ungegrillte Weißwurst an der Strecke gibt. Aber entweder es gibt hier Steaks für die Läufer an der Strecke, oder der Griller kriegt die Auflage für ne Dunstabzugshaube. Ich bin auch nur ein Mensch und halb verhungert. Alles was mir jetzt angeboten wird, sind Bananenstücke! Ich laufe jedes Wochenende, muss bei Kräften bleiben. Aber abgesehen davon ist Dein Lauf absolut top! 

Die Zähringer bauten ihre Städte nach einem einfachen Prinzip: Ein Strassenkreuz und drumherum vier Viertel, wobei Viertel immer vier sind. Interessant, dass es schon damals  eine  Trennung von Kirche und weltlicher Regierung gab. Rathaus und Kirche liegen nicht im selben Viertel. 

 

 

Nach einem Schlenker durch die Altstadt geht es wieder durchs Schwabentor hinaus. Oben, am Tor ist jetzt das große Gemälde des Kaufmannes mit Fuhrwerk zu sehen, der Freiburg kaufen wollte. Seine Frau soll den Inhalt der Fässer ausgetauscht haben. Leute, denkt nach!  Die Fässer waren voller Gold!  Heute residieren hier eine  Goldschmiede und ein Schuhgeschäft.

Über die Wallstrasse kommen wir zu einem wahren Prachtbau. „Höhere Mädchenschule“ steht im Giebel. Mich überkommt ein flashback: Habe ich hier nicht 1891 der wohlgeformten Susi aufgelauert?  

Wir laufen durchs  Martinstor und wieder hinein in die Altstadt. Rechts am Turm der Doppeladler des Heiligen Römischen Reiches. In der Innenseite wird an die Hexenverbrennung (1599) erinnert. Im 1901 angefügten Torbau residiert McDonalds. Es riecht schon wieder nach Gegrilltem. Es ist 13 Uhr, ich gebe der Versuchung nach. 

Am Bertholsbrunnen spielt die Band Terricafò, Flüchtlinge aus Gambia, Togo und Ghana. Der Bertolsbrunnen, ein „zeitloser“ Brunnen von 1965, ist der Mittelpunkt der Altstadt. Der ursprüngliche Brunnen wurde zerbombt. Er war Bertold, dem dritten Zähringer Herzog gewidmet. Übrigens wurde Freiburg schon 1940 bombardiert. Allerdings von deutschen Flugzeugen, die Freiburg für Colmar hielten. 

Es wird jetzt schwierig, die Freiburger Bächle fließen entlang der Laufstrecke. Sie sind schon so manchem Spätheimkehrer zur Falle geworden. Ich habe meinen gestrigen Heimweg von der Hausbrauerei Feierling gut überstanden. Erst heute Morgen erfahre ich, dass derjenige Fremdling, der in ein Freiburger Bächle fällt, eine  Freiburgerin heiraten wird. Jetzt werde ich scharf! 

Ihr müsst unbedingt das Bandvoting mitmachen und dann Nr 32 „Exil 46“ anklicken. Damit votet ihr für meine Traumfrau Friederike Hess-Gagnon. Sie wurde zwar in Stuttgart geboren, spielt aber Violine am Theather Freiburg und hat mich mit ihren Fingern begeistert. Ich habe selbst mal  Geige gespielt, 19 Jahre lang. Meine berühmteste Komposition war „Der Omega-Mann!“ Das Stück wurde 1983 am Rodderberg uraufgeführt, fünf Jahre bevor Friederike  ihren ersten Violinunterricht nahm!  Ist das was?

Sie hat bei diesem Marathon eindeutig den besten Eindruck und die beste Musik gemacht! Wenn Friederike nächstes Jahr im Startbereich spielt, dann wird nochmal ein Streckenrekord aufgestellt! Wirklich! 

Vor der blauen Brücke sind Sanitäter im Einsatz, ein zweites Sanifahrzeug kommt von der Stefan Meier Straße her. Stefan Meier war einer der 94 Abgeordneten von 444, die am 24. März 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten. Er war zwar Politiker, hatte aber auch ein Tabak-Whisky- und Rumgeschäft, das noch immer unter seinem Namen in der Rathausgasse 26 geführt wird. Auf der Rampe der blauen Brücke sitzen Zuschauer, die uns wirklich nach oben peitschen. Sehr gut!

Die blaue Brücke heisst offiziell Wiwili Brücke. Wieder ein komischer Name, diesmal aber nicht keltischen, sondern mittelamerikanischen Ursprungs. Wiwili ist eine  Partnerstadt von Freiburg und liegt in Nicaragua. Auf der Brücke sind zwei Gedenktafeln, die  an die Freiburger Entwicklungshelfer Berndt Koberstein und Alprecht Pflaum erinnern, die in Wiwili von den Contras ermordet wurden. 

Vom Freiburger Münster sieht man auf unserer Tour nicht viel. Aber auch die Doppeltürme der katholischen Herz-Jesu-Kirche im Stadtteil Stühlinger sind eine wahre Pracht und liegen genau  in Laufrichtung. 1897 geweiht, erinnert die Kirche stark an den Limburger Dom. Und das ist ein Wunder, denn der Baumeister war Max Meckel, der auch den Limburger Dom baute. Das Motiv ist so etwas wie das Wahrzeichen des Freiburger  Marathons. Die Brücke ist für den Verkehr gesperrt. Dazu passen zwei Läufer, die von einem Autohändler gesponsert werden und mit Trikots mit Ford Mustang Motiv unterwegs sind. Klasse!

 

 

Auf der Beubarungsstraße spielt die Band „Silhoutte Dream“, obendrüber steht „Getränke Brüstle“. Den Namen kann ich mir gut merken. Hier sehe ich auch Pumuckl das letzte Mal. Er bleibt am Brüstle (neutrum!) hängen, ich glaube sie heißt Kerstin. Wieder passend: Vor mir läuft eine junge Hebamme, „Lolle“ wird sie genannt. Ich lese den Text und grinse meinem Laufkumpel rechts zu. Der aber hat sichtlich zu kämpfen und kann nicht mehr lachen. Dann gibt es Bier, Rothaus Bier, alkoholfrei. Na also, geht doch! 

Die Brücke über die Gleise an der Kaiserstuhlstraße ist ein letzter Stimmungshöhepunkt,  links läuft jetzt der Großteil der jungen Läufer den Halben zu Ende, rechts ist noch eine belebte Staffelwechselstelle. Da muss ich mich durcharbeiten und bin endlich in meiner stillen, einsamen zweiten Runde. 

 

 

Ich verabschiede mich von der Freiburger Jugend. Ihr ward mir gute Laufkameraden und habt mich auf Schnelligkeit getrimmt. Ich hoffe, Euch nächste Jahr wiederzusehen. Macht es gut und trainiert noch ein wenig! Wir sehen uns dann beim Marathonle.

Es bleiben mir auf der zweiten Runde noch junge Staffelläufer, die alles rausholen wollen, um ihr Team weiter nach vorne zu bringen. Das gelingt nicht allen. Ich versäge einige. 

 

 

Marathonsieger

 

Männer

 

1 Hoffmann, Benedikt (GER)     TSG Heilbronn     02:23:04     
2 Benz, Ulrich (GER)     Biohandel Rinklin 02:39:52     
3 Wagner, Simon (GER)     LG Rems Welland 02:42:26 

Frauen

1 Mann, Svenja (GER)     LSG Karlsruhe     03:02:11     
2 Hellstern, Ann-Katrin (GER)     Sportpark Freiburg 03:10:16     
3 Köhler, Miriam (GER)     LG Brandenkopf 03:13:52 

814 Finisher

 

 

Informationen: Mein Freiburg Marathon
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