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Laufberichte

Run in the sun

12.11.06
Autor: Klaus Duwe

Immer mehr Deutsche entdecken den Lauf am Lago Maggiore

 

Dass ich ein Schönwetterläufer bin heißt noch nicht, dass ich nur bei schönem Wetter laufe. Wenn ich allerdings die Wahl zwischen Novembernebel, Wind und Regen und sonnigen 18 Grad habe und dafür nicht um die halbe Welt reisen muss, ziehe ich das vor.

 

Am Sonntag habe ich diese Option, der Marathon im Tessin steht in der Terminliste. Lago Maggiore, allein der Name verspricht schon südliches Flair mit Sonne, Bergen, Palmen und Wasser. Wenn man nicht gerade schwimmen will, kommt man wieder voll auf seine Kosten. Am Samstag ist es noch ziemlich bewölkt, aber der Wetterdienst verspricht für Sonntag Sonne und Temperaturen bis 18 Grad.

 

Die Veranstalter des Tessiner Marathon rechnen im Sportcentrum von Tenero unter diesen Voraussetzungen mit einem neuen Teilnehmerrekord, denn bereits im Vorfeld haben sich über 1.200 Läuferinnen und Läufer für den Halbmarathon und Marathon angemeldet. Aus Erfahrung weiß man, dass insbesondere die italienischen Nachbarn ein sehr spontanes Völkchen sind, die nichts von langer Planung halten und erst mal abwarten: bin ich fit, hab ich Lust und wie wird das Wetter!

 

Ganz anders die Deutschen. Fast 300 Aktive stehen in den Meldelisten, damit stellen sie nach den Italienern (379) das stärkste Ausländer-Kontingent und ganz nebenbei in diesem Jahr auch wieder den Sieger (Stefan Schneble in 2:29:30 Stunden, er gewann bereits 2000 und 2002). 

 


In Tenero konzentriert man sich ganz auf den Sport, ein Rahmenprogramm oder eine Pastaparty gibt es nicht. Mit den Startunterlagen, die man sich bereits am Samstag ab 15.00 Uhr im Sportzentrum abholen kann, gibt es ein T-Shirt und einen Beutel mit einer Banane, einem Sportgetränk und einem Riegel. Aber nicht gleich aufessen, das ist für morgen, denn eine Zielverpflegung gibt es ebenfalls nicht.


Also freue ich mich auf das Marktrestaurant in Locarno, von dessen vorzüglichen Nudelgerichten ich schon im letzten Jahr geschwärmt habe. Auch diesmal suche ich mir die frischen Zutaten aus, mit denen der Koch dann vor meinen Augen die Soße zubereitet. Ohne mir eine zweite Portion bestellt zu haben, verlasse ich das Lokal nicht.


Mein Quartier habe ich wieder im Hotel Montaldi in der Nähe des Bahnhofs. Beim Frühstück ist unschwer zu erraten, wer von den zahlreichen internationalen Gästen wegen des Marathons hier ist: fast alle tragen Laufschuhe und einer hat schon sein Laufhemd mit der Startnummer an. 

 


Die Fahrt nach Tenero dauert nur ein paar Minuten. Rund um das Sportzentrum und das gegenüberliegende Einkaufszentrum der Coop gibt es ausreichend Parkplätze. Ein kleines Café gibt es auch, wo die von weit her Angereisten ein kleines Frühstück einnehmen. Der erwartete Ansturm der Nachmelder findet tatsächlich statt, die zuständigen Damen kommen ganz schön ins Schwitzen.

 


Draußen ist es allerdings noch ganz schön frisch, 5 Grad, aber die Sonne strahlt vom fast wolkenlosen Himmel. Nur über dem Wasser hält sich noch etwas leichter Nebel. Viele drehen auf dem herrlich angelegten Gelände ausgedehnte Aufwärmrunden und erst als der Sprecher ankündigt, dass pünktlich um 9.15 Uhr, also in 10 Minuten gestartet wird, versammelt sich das Läuferfeld unter dem Startbogen.


Zuerst starten die Marathonis zusammen mit den schnellen Halbmarathon-Läuferinnen und –Läufern. Der Rest startet in zwei weiteren Blocks jeweils 15 Minuten später. Auf die Sekunde genau knallt der Startschuss und das Rennen beginnt.

 


Die erste Schleife führt in die fruchtbare Magadino-Ebene. Abgeerntete Maisfelder, Wiesen und große Gewächsanlagen wechseln sich ab. Rechts ist ein kleiner Flugplatz, links hat man einen wunderbaren Blick in das weite Tal und auf die Berge. In einiger Entfernung sind vereinzelte Bauernhöfe zu sehen. Es ist ruhig, Zuschauer sind keine unterwegs und die Läufer drücken so auf’s Tempo, dass kaum gesprochen wird. Nur deren Schritte und Atem sind zu hören. Bis auf einen kurzen Anstieg nach einer Unterführung bei Kilometer 3 ist die Strecke vollkommen flach und durchgängig asphaltiert.


Gleich bei der ersten Verpflegungsstelle gibt es das volle Programm aus dem Sortiment der Sponsoren Coop und Rivella: Wasser, Tee, Marathon-Getränk, Riegel, Bananen und Zitronen.

 


Nach vier Kilometern geht es nach einer scharfen Linkskurve zurück Richtung Tenero. Die später gestarteten „Halben“ erreichen hier die Letzten des Marathonfeldes. Ich laufe ganz auf der rechten Seite, um nicht überrollt zu werden. Dabei halte ich mein Tempo und büße auch durch die Hektik nichts von meiner Gelassenheit ein.

 

Nach 9 Kilometern sind wir zurück am Sportzentrum werden von vielen Zuschauern beklatscht. Es geht vorbei am Einkaufszentrum und auf ein paar Nebenstraßen kommen wir zum Lago Maggiore (km 10,5). Auf dem teilweise schmalen, von Palmen und bunten Kastanien- und anderen Laubbäumen gesäumten Uferweg geht es weiter, immer dem tiefblauen See entlang. Rechts stehen prachtvolle Villen und Appartementhäuser.

 


Im Tessin hatte die Kastanie eine ganz besondere Bedeutung und wurde als der Baum schlechthin bezeichnet. Die Römer brachten die Kastanie aus Asien nach Europa. Im Tessin konnte man unter 57 Sorten unterscheiden, die auf verschiedenen Höhen wuchsen und noch heute 20 % der Waldfläche decken. Viele Menschen im Tessin ernährten sich bis in die 1940er Jahre zeitweise hauptsächlich von Kastanien.


Auf dem Uferweg geht es munter zu. Die Halbmarathonläuferinnen und –läufer bestimmen das Geschehen. Während jetzt auch die etwas Langsameren auf die letzten Marathonis aufschließen und überholen, kommen uns die Ersten schon wieder entgegen.

 


Locarno (km 14) wird erreicht, an Straßencafés und feudalen Hotels geht es vorbei immer entlang der Muralto-Parkanlagen, wo Pflanzen aus der ganzen Welt zu finden sind. Vorbei am Casino laufen wir jetzt direkt auf einen der schönsten Plätze im Tessin zu, der Piazza Grande. Alle Straßen und Gassen der Altstadt sind auf diesen von Laubengängen mit Geschäften, Restaurants und Cafés umgebenen Platz ausgerichtet. Früher lag er einmal direkt am See. Aber die Maggia schwemmte immer mehr Geröll und Erde in den See und so wuchs die Stadt immer mehr in den See hinein.


Locarno hat heute etwa 15.000 Einwohner und war schon im Mittelalter recht wohlhabend. Die Stadt wurde durch die Mailänder Familien Visconti und Rusca gegen die Schweizer verteidigt, bis sie Anfang des 16. Jahrhunderts doch an die Eidgenossen fiel und 1803 Teil des selbständigen Kantons Tessin wurde. 1925 trat Locarno in den Mittelpunkt der Weltpolitik, als die Außenminister Belgiens, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Polens und der Tschechoslowakei die Locarno-Verträge aushandelten, die Deutschland den Beitritt in den Völkerbund ermöglichten und zunächst wesentlich zur Entspannung in Europa beitrugen.


Kurz vor der Piazza laufen wir links und erreichen kurz darauf das Castello Visconteo (Burg der Viconti). Das muss einmal eine riesige Anlage gewesen sein, denn das, was heute noch zu sehen ist, soll nur einem Fünftel der ursprünglichen Burg entsprechen. Die Unterhaltskosten waren aber so gigantisch, dass man schon im 16. Jahrhundert mit dem teilweisen Abriss begann und dafür an gleicher Stelle Wohnhäuser errichtete.


Durch eine Unterführung erreichen wir einen großen Platz, den wir vollständig umrunden. Dann sind wir wieder in der Stadt, laufen über teils gesperrte teils „verkehrsberuhigte“ Straßen Richtung Lago Maggiore und sind dann schnell wieder in den Parkanlagen und auf dem Uferweg zurück nach Tenero. Der Gegenverkehr hat deutlich nachgelassen, und ich habe noch mehr Zeit und Muße, die herrliche Landschaft, den See und die vielen Sehenswürdigkeiten zu bestaunen und dabei den Lauf zu genießen.

 


Auffallend ist die Chiesa San Quirico, deren romanischer Glockenturm einst als Wachturm konzipiert war. Die heute noch erhaltene Kirche  wurde im 18. Jahrhundert im barocken Stil erbaut, aber im Inneren sind noch Reste und Gemälde einer bereits 1313 erwähnten Kirche erhalten. Gleich daneben gibt es eine Kaserne (Cà di Ferro), in der im 16. Jahrhundert Söldner geschult wurden. Die dazu gehörige Kapelle stammt aus dem Jahr 1630.


Zwei Kilometer vor dem Sportzentrum ist noch einmal eine Verpflegungsstelle. Danach erreichen wir die Sportanlagen, wo für die „Halben“ links der Zieleinlauf ist, rechts geht es für die Marathonis auf die zweite Runde. Ich bin weit und breit der Einzige, für den der Lauf noch nicht zu Ende ist, entsprechend lautstark werde ich beklatscht.


Erst als ich nach der nächsten Getränkestelle freie Sicht über die Magadino-Ebene habe, sehe ich 8 Läuferinnen und Läufer vor mir. Hinter mir ist keiner, der Italiener, der kurz zuvor noch in Sichtweite war, hat wohl bei der Halbdistanz Schluss gemacht. Langweilig ist mir dennoch nicht. Im Gegenteil, ich hänge meinen Gedanken nach, schaue auf die Berge und genieße die Sonne. Die Temperaturen sind mittlerweile sehr angenehm, es geht kaum ein Wind. Was will ich mehr?


Als ich am Sportzentrum vorbei bin, habe ich bereits vier der Konkurrenten überholt. Auf der Höhe des Einkaufszentrums hört die Läuferin vor mir wohl meine Schritte, sie dreht sich um, erkennt einen alten Mann und will es nicht zulassen, von diesem überholt zu werden. Sie zieht das Tempo an, kann den Überholvorgang damit aber nicht verhindern, sondern nur verzögern. Als ich vorbei bin, gibt sie den Kampf auf und läuft wieder ihr Tempo. Der nächste Läufer ergibt sich kampflos, vielleicht kriegt er auch gar nichts mit, denn er ist total verkabelt und schaut genussvoll zum Himmel. Dabei geht sein Kopf wie im Takt immer hin und her.


Die Strecke am See entlang ist dann durch die entgegenkommenden Marathonis wieder etwas belebter. Nachdem ich meine Schleife durch Locarno beendet habe und wieder auf dem Rückweg bin, kommen mir die Letzten entgegen. Eine junge Läuferin wird von zwei Bikern begleitet, die abwechselnd auf sie einreden. Sie scheint davon eher genervt als motiviert zu sein.

 


Da ist Romana besser dran, sie hat zwar auch ihr Tempo reduzieren müssen, ist aber noch immer gut unterwegs. Wenig später hole ich Lisa ein, sie zeigt gerade eine kleine Unsicherheit bezüglich der Streckenführung. Ich bringe sie auf den richtigen Weg und erfahre, dass Romana ihre Schwester ist und dass sie heute gemeinsam ihren ersten Marathon laufen. Bis km 35 waren sie zusammen, dann musste die etwas Jüngere zurück stecken. „Es war ausgemacht, dass jede ihren Rhythmus läuft, und wenn es nicht anders geht, eben alleine,“ erklärt mir Lisa ihre vernünftige Absprache. Im Ziel erfahre ich noch, dass sie sich den Marathon zu ihrem 50. Geburtstag  selbst zum Geschenk  macht. Herzlichen Glückwunsch,  Euch beiden! Das habt Ihr toll gemacht.


Am Besten finde ich aber, dass Romana und Lisa gleich nach ihrem ersten Marathon neue Pläne schmieden und künftig wohl öfters in den Finisherlisten auftauchen werden.


Streckenbeschreibung

Rundkurs durch Magadino-Ebene und anschließendem Pendelkurs nach Locarno am Lago Maggiore entlang, zweimal zu durchlaufen


Starterpaket

T-Shirt, Verpflegungsbeutel mit Getränk, Banane und Riegel

 

Logistik

Parkplätze ausreichend in der Nähe des Sportzentrums, dazu Duschen und Umkleidemöglichkeiten


Zeitnahme

Data Sport 

 

Informationen: Maratona Ticino
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