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Laufberichte

Eine windige Angelegenheit

06.12.09

Pünktlich um 11.10 heben wir mit Lufthansa in München ab. Knapp drei Stunden später dann die Landung am Aeroporto Lisboa/Portela. Dank Greenwich-Zeit wurde uns Mitteleuropäern eine Stunde „geschenkt“, es ist erst knapp nach 13 Uhr.

Die Stadt des Lichts, wie die Hauptstadt Portugals auch gerne bezeichnet wird, empfängt uns mit angenehmen Temperaturen, 17 Grad Celsius zeigt die Anzeigetafel, leichte Bewölkung, die Sonne blinzelt verstohlen hervor.

Es ist Samstag, der 5.12.2009, und morgen, am Nikolaustag geht hier die 24. Ausgabe des Maratona Cividade de Lisboa über die Bühne. Etwas spät für meine Laufgewohnheiten, um diese Zeit habe ich meine Wettkampfschuhe üblicherweise schon eingewintert. Da uns Österreichern aber ein verlängertes Wochenende ins Haus steht und ich seit Mai keinen „Langen“ gelaufen bin, wurde kurzerhand eine Familienfahrt geplant und so habe ich meine Frau und die vier Kinder im Schlepptau.

Mit dem Shuttlebus geht es Richtung Zentrum, nach ca. 20 Minuten erreichen wir den Praca do Comercio, einen großen, gepflasterter Platz mit Monument, gegenwärtig leider Baustelle. Hier kann man einen wunderbaren Blick auf den Rio Tejo genießen, der hier üppig in den Atlantik einmündet. Die große Vergangenheit Portugals mit seiner Entdecker- und Seefahrertradition ist allerorts spürbar. 

Unser Quartier haben wir im Stadtteil Bairro Alto gebucht, in der Travessa de Caldeira, auf einem der Lissaboner Hügeln. Start und Ziel sollten fußläufig erreichbar sein - so waren zumindest meine Überlegungen bei der Marathonplanung Anfang Oktober. Ha, die Rechnung habe ich aber ohne die Herrschaften vom Organisationskomitee gemacht. Die Streckenführung wurde nämlich kurzfristig geändert, Start und Ziel haben sich in den nördlichen Stadtteil verlagert. Aus dem früheren Pendelkurs entlang des Tejo-Ufers wurde nun eine 42,195 km-Schleife quer durch die Stadt. Auch recht, so sieht man mehr von Lisboa, ich denk’ positiv.

Die Startunterlagen samt T-Shirt erhält man im kleinen Leichtatletikstadion „Estadio de 1. Maio“, situiert im nördlichen Stadtteil Alvalade, mit der Metro (Ausstieg Station Roma) leicht zu erreichen. Hier befindet sich auch der (neue) Start- und Zielbereich. Die Marathon-Messe ist im Kellergeschoß des „Sportheimes“ untergebracht, 6 bis 7 Stände, für eine Hauptstadt doch sehr mickrig. Die Offiziellen sind der englischen Sprache mächtig, sehr freundlich, die Kommunikation kein Problem.

Die Sonne ist endgültig weg, der Abend bricht an. Großstadtflair, Lichterglanz, Weihnachtsbeleuchtung. Lisboa, eine der schönsten Hauptstädte der Welt, verrät mein Reiseführer. Großes Sightseeing ist heute naturgemäß nicht mehr drin. Wir fahren zurück in unser Quartier und genießen noch den nächtlichen Rundblick. Wir sind im 3. Stockwerk untergebracht.

Sonntag, 6.12.2009: Der Start ist für 9 Uhr angesetzt, verzögert sich aber um einige Minuten. Der Mann mit Mikrophon plappert unentwegt, ich verstehe nur Bahnhof. Leichter Nieselregen, die Temperatur vielleicht 13, 14 Grad Celsius. Wind. Höchstwerte von 17 bis 18 Grad verhieß uns der Wetterbericht - allerdings mit Regenbegleitung und starken Windböen. Die Sonne soll sich erst wieder am Montag blicken lassen.

Endlich geht die Post ab. Ich schätze mehr als 1.000 Starter. Eineinhalb Runden sind im Stadion zu absolvieren. Es wird eng. Dann raus aus dem Stadion und es wird breiter. Kein Gedränge und Geschiebe mehr. Ich suche den Mann mit dem 3 : 00 Fähnchen und schließe mich seiner Läuferschar an. Wir drehen großräumig eine Runde um das Stadion und werden dann Richtung Westen geschickt, durchqueren eine Parkanlage und laufen an der Universität vorbei. Der angekündigte Wind begrüßt uns heftig. Das wellige Streckenprofil – ein unscheinbarer Aushang im A4-Format bei der Marathon-Messe - war keine leere Versprechung, es geht rauf und runter. Da Lissabon auf 13 Hügeln (Rom bekanntlich nur auf 7) erbaut ist, habe ich auch eine ziemlich kupierte Streckenführung erwartet.

Mehr oder weniger attraktive Wohnbezirke wechseln einander ab. Stadtrand. Rechts das Stadion der Fußball-EM von 2004. Bei Kilometer 10 rund um einen Kreisverkehr und dann Richtungsänderung, es geht nach Süden. Der Kurs ist weiterhin wellig, die Anstiege langgezogen, Schnellstraßenidylle. Der Regen hält sich vornehm zurück, die Temperatur ist eigentlich angenehm zum Laufen, wenn nur der Wind nicht wäre. Unser Pacemaker ist ein lustiges Kerlchen und macht alles, um uns bei Laune zu halten. Er quasselt unentwegt, pfeift dann und wann ein Liedchen, hält kurz bei einem Schaufenster mit Damenunterwäsche (oder waren’s doch Damenschuhe?), er kennt offenbar jeden in der Stadt, ist gut drauf. Kilometerschnitt zwischen 4 :00 bis 4: 15. Fast zu schnell für dieses Auf und Ab.  

Vorbei geht’s am Parque Eduardo VII, eine großzügige, nach strengen geometrischen Gesichtspunkten angelegte Garten- und Erholungsfläche im Zentrum der Stadt. Es geht leicht bergab, man kann einen Ausblick auf die Unterstadt und die Bucht erhaschen. Kilometer 15 wird soeben passiert. Alle Kilometer sind ausgeschildert. Verpflegungsstände im (internationalen) 5 Kilometerrhythmus. Wasser im verschwenderischen Halblitergebinde. Dann Kreisverkehr Marques de Pombal und es geht weiter auf der Avenu da Liberdale, eine mit Palmen und hohen Bäumen gesäumte Prachtstraße. Lissabon wurde bekanntlich im Jahre 1755 durch ein schweres Erdbeben stark in Mitleidenschaft gezogen, ein Großteil der Gebäude wurde damals zerstört. Der Wiederaufbau, unter der Federführung eines französischen Architekten, eben Marques de Pombal, wurde bereits nach ersten modernen städtebaulichen Überlegungen durchgeführt. Die rasterartig angelegten Straßen und Plätze, die wir nun durchlaufen, sind Ausdruck dieser Bauphase.

Die Läuferschar strebt dem Praca do Comercio zu, dem früheren Freiluft-Empfangssalon der Stadt. Hier wurden gekrönte Häupter, die üblicherweise auf dem Seeweg anreisten, in Empfang genommen. Der Platz wird allerdings nicht durchlaufen, es wird scharf nach rechts abgebogen in die Rua do Arsenal, vorbei am Landwirtschaftsministerium. Kilometer 21 in Sichtweite. Meine Durchgangszeit bei Kilometer 21,1 ist knapp 1:27, würde ja grundsätzlich passen. Da die Halbmarathonteilnehmer aber pünktlich um 10.30 Uhr ins Rennen geschickt wurden und wir mit einiger Verspätung, sind die natürlich schon weg. Wir müssen also das Feld von hinten aufrollen, leider, das wollte ich eigentlich vermeiden.

Es kommt ein schnurgerader Abschnitt auf der Avenida 24 de Julho. Links Zug- und Straßenbahnschienen und der Rio Tejo, Blick auf das Südufer, rechts abwechselnd Wohn- und Betriebsgebäude. Architektonisch keine Höhepunkte. Meine Familie steht am Straßenrand, Anfeuerung. Unser portugiesischer Fremdenführer bahnt uns eine Schneise durch die hinteren Gruppen der Halbmarathonleute, brüllt dabei immer wieder Kommandos. Der Wind, der hier vom Atlantik herein bläst, wird spürbar stärker. Unsere Gruppe, ca. 8, 9, 10 Leute muss teilweise auf die Gegengerade ausweichen, bis uns die Polizeiordner - höflich, aber doch sehr bestimmt - wieder richtig einweisen.

Es geht Richtung Stadtteil Belem, die portugiesische Bezeichnung für Bethlehem. Unter der gigantischen Hängebrücke Ponte 25 de Abril, einst längste Hängebrücke Europas – die haben jetzt die Franzosen - wird hindurchgelaufen. Das beigefarbene, monumentale Seefahrerdenkmal, Padrao dos Descobrimentos, ein Prestigebauwerk aus der Ära des Diktators Salazar, ist erkennbar. Dort hinten muss auch der Torre de Belem sein, das eigentliche Wahrzeichen der Stadt. Hier ist Columbus nach Amerika aufgebrochen. Wohl bei ähnlichem Wind. Geschichtsträchtiger Boden unter meinen Gummisohlen.

Dann der Wendepunkt ca. bei Kilometer 27. Wieder zurück. Links Stadt, rechts Tejo.  Kilometer 30. Getränkeaufnahme. Im allgemeinen Gewimmel verliere ich meinen persönlichen Betreuer, Schreck lass nach. Das Fähnchen 3:00 ist irgendwo vorne erkennbar, es sind aber schon gut und gerne 50 Meter Abstand. Ich werde auch langsamer. Die Stecke verläuft flach stromaufwärts Richtung Expo-Gelände. Ein kunterbuntes Durcheinander aller Bewerbsteilnehmer, vom Marathon über den „Halben“ bis zu den Staffelläufern. Von einem Hügel grüßt die Burg Castelo do San Jorge. Die möchte ich morgen erklimmen.

Die Ponte Vasco da Gama, die zweite große Brücke, die Lisboa mit dem Süden verbindet, dominiert den Blick nach vorne. Kilometer 34, 35, es wird schon sehr zäh, steil rauf auf eine Brücke und auch schon wieder runter, aber es wird noch dicker kommen. Brüchiger Asphalt, Hafenbereich, keine Zuseher mehr. Bei Kilometer 37 verlassen wir die „Strandpromenade“ und es wird wieder stadteinwärts gelaufen. Der letzte Abschnitt folgt und es geht stetig bergauf. Ich erkenne einen Athleten im grünen Shirt aus „meiner früheren Gruppe“, ein Spanier laut Vereinsaufdruck, der ist schon am Gehen. Vorbei am Jardim da Bela Vista. Nochmals Wohngegend. Plattenbauten. Wieder stark windiges Autobahnflair. Kämpfen ist angesagt. Der Vierziger wird angezeigt. Es geht wieder bergab und – wie wahnwitzig - ich spekuliere plötzlich mit einer Zeit noch knapp unter 3 Stunden, müsste dazu allerdings auf den letzten beiden Kilometern einen Schnitt von 4:00 laufen, erkenne jedoch den nächsten harten Anstieg – und begrabe meine Vision, unmöglich.

Noch einmal nach rechts in die Avenu Rio de Janeiro und dann Abbiegen ins kleine „Estadio de 1. Maio“. Eine halbe Runde auf der roten Tartanbahn. Ein paar Läufer kann ich noch überholen. Letzte Kontrollmatte. Stoppuhr drücken. 3: 00:57. Hauchdünn drüber. Bin trotzdem sehr zufrieden mit meiner Leistung, absolut keine Strecke für Bestzeiten. Platz 57, wie ich später erfahre. Meine Familie wartet schon. Leichtes Frösteln. Adeus.

Resümee: Stadtkurs mit sehr welligen Abschnitten im ersten und letzten Teil, kein Kurs für Bestzeiten, windanfällig, mäßig begeisterte Zuseher, Organisation leider etwas amateurhaft, aber tolle, hochinteressante Hauptstadt mit traumhaften Vierteln und viel Geschichte – zu genießen nach dem Marathon!  

Marathonsieger

Männer

1 VASCO AZEVEDO M BOAVISTA FC 02:20:42  
2 OLEKSIY RYBALCHENKO UKR/UCRANIA 02:22:16  
3 MARK DALKINS M ENG/INGLATERRA 02:30:25  

Frauen

1 YULIA MOCHALOVA RUS/RUSSIA 02:40:45  
2 MADINA BIKTAGIROVA RUS/RUSSIA 02:54:08  
3 ROELS WERNER F BEL/BELGICA 03:12:39  

1152 Finisher

 

Informationen: Maratona de Lisboa (Lissabon)
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