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Laufberichte

Quadratisch. Praktisch. Mannheim

09.05.15

Außer den Söhnen kannte ich mit Ausnahme des Namens bisher praktisch noch nichts von und wusste so gut wie nichts über Mannheim. Ich nehme also nicht nur das erste Mal am Marathon in Mannheim teil, sondern bin überhaupt das erste Mal in der drittgrößten Stadt Baden-Württembergs, welche vor acht Jahren ihr 400. Stadtjubiläum feierte.

Im Vorfeld grase ich das Netz ab und stelle fest, dass die Stadt im Cyberspace sehr präsent ist und sich publikumswirksam präsentiert. Auf tourist-mannheim.de finde ich folgende Anpreisung:

„Wer bei allen Vorteilen einer Mega-City gerne auf komplizierte Anfahrtswege, lange Staus oder überfüllte Straßen verzichtet, ist in Mannheim genau richtig. Das Verhältnis zwischen Größe, Vielfalt und Erreichbarkeit stimmt und sorgt für einen stressfreien Aufenthalt in der Quadratestadt. Für zusätzliche Entspannung sorgen die Grünflächen der Stadt, die nicht nur in den attraktiven Stadtparks zu finden sind. Eine der schönsten Jugendstilanlagen Europas rund um Mannheims Wahrzeichen, den Wasserturm, befindet sich in der Innenstadt und lädt das ganze Jahr zum Sonne tanken ein.  Die Aufgeschlossenheit der Mannheimerinnen und Mannheimer tut ihr Übriges: Mannheim bedeutet Kontrastprogramm auf ganz besondere Art, für jede Besucherin und jeden Besucher. Entdecken Sie selbst, wie wir Mannheimer Freude zum Leben erwecken, unserer Wirtschaft Kraft verleihen und unserer Stadt Inspiration schenken - unter www.das-gibt-dir-mannheim.de“

Die Sache mit fehlenden Staus, nicht überfüllten Straßen und Erreichbarkeit nehme ich unter dem Streikdiktat der Lokführer nicht für bare Münze, daran denkt man beim Verfassen eines Werbetextes lieber nicht. Trotzdem erreiche ich mein Hotel beim Hauptbahnhof innert nützlicher Frist. Da der Anspruch der Mannheimer zutrifft, ein Marathon der kurzen Wege ihr Eigen zu nennen, bin ich in wenigen Minuten bei der Startnummernausgabe im Rosengarten. Dieser ist kein lauschiges Plätzchen mit der Königin der Blumen, sondern ein Tagungs- und Kongresszentrum. Am Anfang des vergangenen Jahrhunderts errichtet, beherbergte das Gebäude mit dem 6000 Leute fassenden Nibelungensaal einen der größten Säle Deutschlands. Im Zweiten Weltkrieg gehörte der zu den 50% der Stadt, welche  zerstört wurden.  

Platz für die Ausgabe der Unterlagen an die 11‘000 Teilnehmer der verschiedenen Bewerbe im Rahmen des SAP Arena Marathons Mannheim/Ludwigshafen und eine Marathon-Messe gibt es also genügend.

Die Zeit bis zum Start verbringe ich mit einem kleinen Stadtrundgang und kann mich davon überzeugen, dass in Mannheim nicht nur in Sachen Marathon etwas läuft.

Das Missgeschick des vergangenen Jahres (Läufer wurden fehlgeleitet) wurde zum Anlass genommen, an verschiedenen Details zu arbeiten. Die Streckenführung wurde geändert und auch die Organisation im Startbereich angepasst. Man reiht sich in der Augusta-Anlage in die Startblöcke ein und wird von dort zur Startlinie hingeführt. Das geht gut auf, zumindest in meinem Bereich kann die Zeitmessmatte bereits trabend überquert werden. Trotz den beiden rechtwinkligen Kurven um den Wasserturm herum kann ich mich auf meine vorläufige Pace gut einstellen.
Dass schon nach 200 Metern mein Knie zwickt, gefällt mir nicht und will ich nicht zulassen, also konzentriere ich mich darauf mich umzusehen und zu fotografieren, ohne andere Läufer zu stören, und lenke mich ab.

Auf der Augusta-Anlage, welche andernorts in den Rang eines Boulevards erhoben würde, geht es stadtauswärts. Die Läufermenge verteilt sich gut auf der breiten Straße und die hinten gestarteten Team-Marathonis können sich problemlos nach vorne kämpfen.  In der Theodor-Heuss-Anlage – eine weitere Untertreibung - ist das Grün noch intensiver, denn es setzt sich beidseits fort. Auf der linken Seite ist der Luisenpark, den und seinen chinesischen Garten mit dem größten original chinesischen Teehaus Europas zu besuchen von nun an auf meiner to-do-Liste steht. Rechts steht das zweite Kilometerschild. „Logger laafe“ steht darauf. Ich nehme es mir zu Herzen und bin gespannt, welche Botschaften in Mannemerisch auf den kommenden Tafeln stehen werden.

Ein paar Himmelrichtungswechsel später, umgeben von viel Grün, kommt der Hinweis, es ruhig zu nehmen und nicht zu „überpacen“.  Wenig später kommt die SAP Arena in Sicht, Titelsponsor des Marathons und Multifunktionsarena. Vergangenes Jahr führte die Strecke durch die Arena durch. Heute ist das nicht möglich. Am kommenden Donnerstag kürt Königin Quitsch-Heidi in der Heimarena des Deutschen Eishockeymeisters ihre nächste Model-Prinzessin, auf die ganz Deutschland wartet, und in der Arena wird bereits die technische Schminke aufgetragen. Was dem einen die Adler, sind dem anderen die Küken…

Mir steht der Sinn nach etwas Flüssigem. Wenn es wärmer wäre, hätte ich etwas Mühe mit der Tatsache, dass der erste Verpflegungsposten erst nach dem siebten Kilometer in Erscheinung tritt. Mit den heutigen Wetterverhältnissen geht das in Ordnung. Und wäre es richtig heiß, dann hätte ich vorgesorgt und mir einen Wasserkolben auf die ersten Kilometer mitgenommen. Wer das ausführliche Programmheft studiert hat, ist im Besitz der relevanten Informationen und kann sich darauf einstellen.  Für alle weiteren Kilometer ist die Verpflegung bestens organisiert.

Überfüttert werden kann der zukünftige Häuslebauer gleich nebenan auf dem Maimarktgelände, wo das Deutsche Fertighaus Center eine Auswahl von 40 solcher Häuser zur Besichtigung anbietet. Mir steht der Sinn mehr nach Outdoor und komme wieder auf meine Kosten. Es geht übers Feld und dann auf einer kurzen Begegnungsstrecke unter der A6 durch. Ich bewundere die Entgegenkommenden für ihre Geschwindigkeit.

Am westlichen Ende von Seckenheim werden wir erst ums Dorf herum und dann hinein geführt. Die wollen es aber wissen. Hinz und Kunz, Groß und Klein, alle sind draußen, feuern die Meute an und nehmen den Marathon zum Anlass, die Festbänke rauszustellen und es sich gut gehen zu lassen.

Nach einer weiteren flüssigen Versorgung geht es zurück nach Mannheim. Die Seckenheimer Landstraße ist eine ziemlich gerade Angelegenheit, aber wir werden von vorne von der Abendsonne geküsst und es ist so viel los, dass deswegen kein Platz für mentale Tieferlegung ist.

Zwischen der Nordseite des Luisenparks und dem Neckar geht es weiter stadteinwärts. Immer im Blickfeld ist der vor vierzig Jahren fertiggestellte Fernmeldeturm mit seinem Drehrestaurant in 125 Metern Höhe. Einmal an ihm vorbei, geht es  links und wieder rechts und damit an der Südseite des unteren Luisenparks hinein ins Zentrum auf den Friedrichsring, einem Teil der Ringstraße, welche die Quadrate hufeisenförmig einschließt.  Mit den Quadraten ist die Innenstadt gemeint, welche als Planstadt rechtwinklig gebaut wurde. Strikt geometrisch gesehen, sind die Häuserblocks nicht quadratisch angelegt und manch ein Schüler wäre froh, wenn sein Lehrer seine Konstruktionen mit der gleichen Nachsicht als Quadrate betrachten würde.

Kurz vor dem Wasserturm biegt die Strecke dann in die Quadrate selbst ein. Vor der unübersehbaren Streckenteilung kommen wir an einer Großbaustelle vorbei. Im Projekt Q6 Q7 entsteht ein  modernes Stadtquartier mit exklusiven Wohnungen, Hotel, Einkaufstempel und anderem mehr. Wenig später kommt die Botschaft in Mannemerisch, dass fast schon die Hälfe geschafft ist. Danach dreht der Kurs in Richtung Rhein und führt am Museum Zeughaus vorbei. Die Lichtinstallation LUX von Elisabeth Brockmann in den Fenstern hinter dem unverstellten Raum des ehemaligen Exerzierplatzes fesselt meine Aufmerksamkeit. Auf der Website der Reiss-Engelhorn-Museen kann dazu folgende Information gefunden werden:

Aktuelle Kunst präsentiert sich in ästhetischer Korrespondenz zu barocker Architekturtradition. 50 einzelne Lichtinstallationen sind auf knapp 1000 Quadratmetern in die Fensternischen der frisch sanierten Fassade des Museums Zeughaus eingebettet und lassen das Haus von innen leuchten. Jedes einzelne Element ist malerisches Detail eines Blickes aus den Augen einer Schaufensterfigur.

Erst aus der Ferne fügen sich die strahlenden Bildtafeln zu einem magischen Blick, der bei Tag und bei Nacht über den ehemaligen Exerzierplatz vor dem Zeughaus schweift. Den Passanten begegnet und folgt er, als sei er nicht Kunst, sondern Teil ihres Lebens. Der barocken Fassade gibt er im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht.

Das leuchtende Idealbild von heute in Gestalt der Schaufensterfigur geht hier mit der Vorliebe des Kurfürsten Carl Theodor und seiner Zeit für Vorgetäuschtes und Idealfiguren eine ironisch geglückte Verbindung ein. Was uns Heutigen das makellose Mannequin-Gesicht, das waren für Carl Theodor und seine Zeit die Frankenthaler Porzellanfiguren, die den Besucher schon im Eingangsbereich des Museums Zeughaus empfangen, so der konzeptionelle Gedanke der Künstlerin

Kurz danach komme ich an der Alten Sternwarte vorbei. Ausgerechnet heute wird die abgeschlossene Außensanierung gefeiert. Von den Lesungen und musikalischen Darbietungen habe ich nichts, den Höhepunkt des Abends, eine Lichtinstallation, die an den „Mannheimer Meridian“ erinnern soll, kann ich aber mitverfolgen. Was es mit diesem Meridian auf sich hat, kann man z.B. auf der Website der Rhein-Neckar-Industriekultur nachlesen:

Die Sternwarte markierte als trigonometrischer Punkt das Zentrum der Triangulierung in kurfürstlicher Zeit und von 1820 bis 1884 den Nullpunkt des Mannheimer Meridians und Mannheimer Perpendikels. Sie stand somit im 19. Jahrhundert im Großherzogtum Baden im Fadenkreuz des Null-Längengrads und Null-Breitengrads, bis eine internationale Konferenz Greenwich für den Längengrad Null bestimmte.

Eine Horizonterweiterung  im nicht übertragenen Sinn gibt es auf der Konrad-Adenauer-Brücke: Blick auf den Rhein und die Skyline stromabwärts.  Die Befürchtung, dass es auf der zweiten Streckenhälfte einsam wird, bewahrheitet sich nicht. Es sind so viele Staffelläufer dabei, dass immer Leute im Blickfeld sind.  Auf einer Fußgänger- und Fahrradbrücke geht es über den Luitpoldhafen. Den Zugang zur Brücke bezeichnet eine Staffelläuferin am Handy folgendermaßen: „Ich bin jetzt auf dem Schnecken-Spiral-Dings zur Brücke…“

Es geht an edlen neuen Häusern vorbei, wo eher der elegante Weinkelch auf dem Tischchen steht als die Bierpulle. An Zuschauern und damit auch an mehr oder weniger fachmännischen Kommentaren fehlt es nicht. Ein solcher kommt von einer Dame, welche mich gehen sieht. „Schau der geht, das ist aber gar nicht gut!“ Wenn sie den Grund für mein Gehen wüsste, würde sie mich vielleicht in ihr Haus hereinbitten. In meinem Bauch geht es zu und her wie vorhin beim Aufgang zur Brücke; es dreht sich alles. Sinnigerweise steht auf dem Kilometerschild 25, dass man jetzt die Zähne zusammenbeißen solle. Ich kämpfe darum, etwas anderes zusammenzuklemmen…

Gut zwei Kilometer weiter in Mundenheim gehe ich ins Bistro Palanga, erkläre meine Notsituation und darf einen rettenden Boxenstopp einlegen. Der Gerantin an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön!

Weitaus entspannter geht es nun auf der langen Geraden nach Rheingönheim zum Wendepunkt. Dem Mannheimer Morgen gegenüber versicherte der Ludwigshafener Bürgermeister, dass auch in Rheingönheim wieder Schaulustige zu erwarten sind, die für Stimmung sorgen – mit „Pfälzer isotonischen Getränken“.  Damit hat er nicht zu viel versprochen. Einige haben schon die Menge Iso für mindestens fünf ganze Marthons intus und machen unermüdlich aber nicht mehr ganz so koordiniert die Welle.

Vom Wendepunkt an sind es noch zwölf Kilometer bis ins Ziel. Auch wenn auf der Gegenseite immer weniger Teilnehmer entgegenkommen, es etwas ruhiger und einsamer wird, ist immer noch genug Abwechslung da. Auf der Parkinsel geht es auf dem Rückweg dem Ufer entlang. Ich meine Bugwellen zu hören, nehme aber kein Motorengeräusch wahr und sehe nichts. Erst nach intensivem Suchen kann ich die Positionslichter eines vorbeiziehenden Frachters erkennen, der fast lautlos dem Meer entgegenschippert.

Zurück auf der Mannheimer Seite geht es in einer Schlaufe um einen Teil des Schlosses herum, eine der größten Barockresidenzen Europas, welche seit über 60 Jahren mehrheitlich von der Universität genutzt wird. Durch den Torbogen geht es hinein in den mit Lichtskulpturen geschmückten Ehrenhof und durch den Bogen des gegenüberliegenden Flügels  hinaus durch den Friedrichspark in Richtung Sternwarte. Danach biegen wir wieder in die Quadrate ein. Rechter Hand ist die Jesuitenkirche, nebst dem Schloss der wichtigste erhaltene Barockbau des 18. Jahrhunderts in Mannheim.

41, „enner noch“ steht auf dem nächsten Schild. Mit Medaillen behangene Finishers und Nachtschwärmer kommen entgegen und applaudieren. Wenig später ist der Wasserturm wieder im Blickfeld. Jetzt geht es nur noch einmal um den Friedrichsplatz auf die andere Seite zum Rosengarten, wo die Lichtschau für die richtige Dramaturgie beim Zieleinlauf sorgt. Nach dem Umhängen der Medaille geht es weiter in den weiträumigen Zielbereich mit verschiedenen Angeboten an Verpflegung. Der Hopfen-Iso Tisch ist zwar bereits leergeschossen, sonst gibt es nichts zu meckern.

Statt zu den nahen Umkleiden und Duschen gehe ich zum, wie erwähnt, auch nicht weit entfernten Hotel. Unterwegs bekomme ich einen Eindruck davon, dass in Mannheim die Bürgersteige nicht schon um 20.00 Uhr hochgeklappt werden. Um Mitternacht kann ich auf dem Rückweg noch ein leckeres Thai-Gericht kaufen und mit passender Tranksame nach einer heißen Dusche im Hotel genießen.

Das Konzept, in die Dämmerung hinein zu laufen, die Infrastruktur und die kurzen Wege, dies alles überzeug mich an dieser Veranstaltung. Dazu kommen die Zuschauer, welche sich nicht in Zurückhaltung üben, sondern voll dabei sind und für gute Stimmung sorgen.   

 

Marathonsieger

 

Männer

1     Waweru, Benson (KEN)             02:21:29     
2     Cheserek, Edwin Kibowen (KEN)         02:31:32     
3     Herrmann, Carsten (GER)         02:41:41

Frauen

1     Ostermann, Miriam (GER)          03:11:26     
2     Winkler, Birgit (GER)     TSG Wiesloch     03:17:48     
3     Borchers, Sylvia (GER)             03:21:43

689 Finisher

 

 

Informationen: Dämmer Marathon
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