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Laufberichte

Grenzenlos

 

Marathonlaufen hat viel mit Grenzen zu tun. In der Regel sind es die eigenen physischen wie psychischen Grenzen, die man sucht, nicht selten findet und manchmal auch überschreitet, wenn man 42,2 km im Laufschritt am Stück abspult. Eher selten hat man dabei aber die Gelegenheit, äußere Grenzen zu überwinden.

Der Drei-Länder-Marathon macht´s möglich. Wie der Name schon andeutet: Die Veranstaltung ist ein staatenübergreifendes Projekt. Angelpunkte sind Lindau, Bregenz und St. Margarethen, beherrschendes Element des Streckenkurses ist allerdings etwas anderes: der Bodensee. Die Strippen der Veranstaltung werden in Österreich gezogen und auch der überwiegende Streckenanteil – über 75 % - entfällt auf die Alpenrepublik. Die Startnummer gilt als „Ausweis“ und so dürfen sich die Läufer selbst beim Grenzübertritt in und aus der Schweiz wie im Schengen-Raum fühlen. Das volle Länderprogramm erlebt allerdings nur, wer sich an den Marathon wagt. Knapp 1.300 Meldungen liegen in diesem Jahr vor. Die Attraktivität auch der anderen Distanzen belegt die Zahl der Gesamtmeldungen von etwa 6.000,  und das aus 51 Ländern. Dass allein 120 Isländer anreisen, ist besonders bemerkenswert.

Vor fünf Jahren habe ich dieses besondere Grenzerlebnis erstmals austesten dürfen, damals nach dem Motto „feuchtfröhlich durch die Sintflut“. Zumindest in diesem Punkt hoffte ich, dass mir ein halbes Jahrzehnt später ein Déjà-vu erspart bleibt. Die Wetterfrösche machen mir da aber zunächst wenig Hoffnung: Goldener Oktober noch für Samstag, ein Wetter mit dringender Couch-Empfehlung jedoch für den (Lauf-)Sonntag ist vorhergesagt.

 

Bregenzer Lauf-Festspiele

 

Anders als vor fünf Jahren ist nicht die Inselhalle von Lindau erster Anlaufpunkt vor dem Start. „Baustelle – betreten verboten“ heißt es dort im Moment noch. 2018 soll die Halle, runderneuert und aufgepeppt, in neuem Glanz erstrahlen und dann auch wieder dem 3 Länder Marathon als Pre-Race-Location zur Verfügung stehen. Zumindest heuer dient daher noch das Festspielhaus von Bregenz, gleich hinter der berühmten Seebühne, als repräsentatives Ausweichquartier.

Am Rande der auf zwei Geschosse verteilten „Sport-Aktiv-Messe“ bekomme ich hier meine Startnummer und kann mich gleich auch noch pastamäßig aufpäppeln lassen. Zugegeben: Mit der „MS Vorarlberg“, anno 2012 an der Lindauer Seepromenade ankernd, als Veranstaltungsort der Pastaparty, kann das nicht ganz mithalten. Aber ich will nicht meckern. Statt Hafen- habe ich beim Pastafassen dank Panoramaverglasung dafür Bühnenblick. Und überhaupt: Von Operngesang aus der Konserve berieselt kann ich bei freier Platzwahl auf der Tribüne ganz entspannt und vor allem solange ich will in Augenschein nehmen, was ich morgen im Laufschritt quasi nur en passant erleben darf: Die mit 7.000 Plätzen weltweit größte Seebühne und natürlich und vor allem das aktuelle Bühnenbild.

 

 

Das Bühnenbild ist das besondere Markenzeichen und stets vieldiskutierte Aushängeschild aller Inszenierungen auf der Seebühne im Rahmen der allsommerlichen Bregenzer Festspiele: Stets ausgefallen, stets monumental,und stets auch technisch aufwändig ist es gestaltet. George Bizets Oper „Carmen“ steht auf dem Spielplan 2017/2018. Die britische Künstlerin Es Devlin hat hierfür vor dem Hintergrund des Sees eine 24 x 43 Meter messende Installation fliegender Spielkarten zwischen zwei aus dem Wasser ragenden Frauenhänden entworfen. Wiedergegeben wird damit eine Schlüsselszene der Oper, in der Carmen durch das Legen von Spielkarten einen Blick in die Zukunft werfen will. Jede der Karten misst allein 30 qm. Während der Vorstellung werden die Karten zu Projektionsflächen für Videos. Diese Installation nächtens live im Rahmen einer Vorführung zu erleben, ist ohne Zweifel ein unvergessliches Erlebnis. Möglich ist das aber nur im Juli und August. Festspielmäßig ist jetzt zehn Monate lang Winterschlaf angesagt. Vor fünf Jahren waren wegen des Spielplan- und damit verbundenen Bühnenwechsels nurmehr die traurigen Reste eines Gerüsttorsos zu sehen. Wer nächstes Jahr hier an den Start geht, sollte daher emotional gewappnet sein.

 

Leinen los in Lindau

 

Ohne Zweifel eines der Highlights des Streckenkurses ist schon der Startpunkt: Die Seepromenade von Lindau. Auf der einen Seite die pittoresken Fassaden der Altstadt, hoch überragt vom trutzigen, mittelalterlichen Mangturm, auf der anderen Seite der Hafen, umrahmt von der Mole, auf der der monumentale bayerische Löwe und ein ritterburgtauglicher Leuchtturm die Einfahrt bewachen. Im Schutz der Mole klimpern leise die Masten einer Armada von Yachten im Wind, schleichen die Fährschiffe in den Hafen und wieder davon. Gestern noch durfte ich dies alles bei traumhafter Oktobersonne und grandiosem Fernblick auf die umliegenden Berge genießen. Als hätte jemand über Nacht einen Schalter umgelegt, rieselt heute Morgen jedoch nur noch kaltes Nass aus trübem Himmelsgrau.

 

 

Vor dieser Kulisse strömen aus allen Himmelsrichtungen die Läufer herbei, sei es besonders stimmungsvoll per Schiff-Shuttle von Bregenz aus, besonders körpernah per Schnellbahn über den hafennahen Hauptbahnhof oder besonders praktisch einfach zu Fuß durch die winkeligen Gassen der Altstadt. Das Gewühl ist übersichtlicher als in meiner Erinnerung, was insbesondere daran liegen dürfte, dass die Läufer des Viertel- und Halbmarathons anders als damals nicht mehr gemeinsam mit den Marathonis starten, sondern eine Dreiviertelstunde später.

Orientierungsschilder weisen uns den rechten Weg. Dem Dosensardinen-Feeling in der S-Bahn entronnen, führt er mich durch die schmalen Gassen parallel zur Promenade bis zum Reichsplatz. Vor der überbordend verzierten rückwärtigen Fassade des Alten Rathauses warten schon die LKWs zur Gepäckabgabe. Einen roten Regenponcho erhält jeder zur Belohnung, der sich angesichts der nass kühlen Witterung überwindet, sich von seinem Kleidersack zu trennen. Kein Wunder, dass sich die Seepromenade alsbald in ein rotes Läufermeer verwandelt.

Nur ein paar Schritte sind es von hier zur Seepromenade und dort zum Eingang in den Startkanal mit den sechs Startblöcken. So ungemütlich der Wetterrahmen ist: Der Stimmung tut dies keinerlei Abbruch. Ein riesiger knallgelber US-Truck beherrscht die Szenerie in Richtung Startbogen. Von der Bühne in dessen Bauch rocken live die „Monroes“, zudem heizt ein Startmoderator ein. „Hands up“ heißt es ein ums andere Mal. Wer dabei nicht warm läuft, dem ist auch nicht zu helfen.

Um 10:30 Uhr ist es endlich so weit. Im Kollektiv wird der Countdown herunter gezählt. Und dann heißt es „Leinen los“. In dichten Reihen gestaffelt verabschieden uns auf dem Bahnhofplatz harrend lautstark Hunderte von Zuschauern - das ist Emotion pur. Und diese Emotion wirkt auch auf dem mir noch aus 2012 sehr präsenten ersten Kilometer nach. Heute wie damals komme ich mir als Teil einer großen Herde vor, die aufgepuscht mit Tempo durch bzw. um die Altstadt galoppiert. Vorbei am spitzdachigen Diebsturm geht es entlang der Stadtmauer, die auf der Inselrückseite die Altstadt abschirmt. Einen schnellen Blick dürfen wir auf das schicke neue Outfit der bereits erwähnten Inselhalle werfen, schon sind wir im Stadtgarten und passieren die Spielbank. Spätestens mit Erreichen der fahnengesäumten Seebrücke, die die Lindauer Altstadtinsel mit der Reststadt verbindet, beruhigt sich das Ganze. Und erst hier realisiere ich: Es regnet gar nicht mehr.

 

Auf dem Festland angekommen,


 werden wir von der Hauptstraße alsbald auf ein unauffälliges Nebensträßlein dirigiert. Ladestraße heißt es, und so wundert es nicht, dass es zunächst an ein paar rampengesäumten Hallen vorbei geht. Im weiteren Verlauf tauchen wir immer mehr ein in dichtes Grün. Dass wir uns in unmittelbarer Ufernähe befinden, merkt man angesichts der „grünen Wand“, die die Reutiner Bucht abschirmt, nur sporadisch. Allenfalls ab und an lässt sich die Nähe des Sees durch dichtes Schilf erahnen. Weiter auf der Eichwaldstraße ab km 3 geht es am Strandbad und dem Campingplatz vorbei gen Süden. Parallel der Bahngleise passieren wir fast unmerklich nach 5,5 km die deutsch-österreichische Grenze.

 

 

 

Auf Uferkurs nach Bregenz

 

Erst jetzt, nach etwa 6 km, weichen Büsche und Bäume, wird der Bodensee in voller Größe präsent. Mit Lochau erreichen wir den ersten Vorboten von Bregenz, wobei wir mit dem Yachtclub und dem exponiert am Ortsrand liegenden Seehotel Am Kaiserstrand nur ein paar Außenposten des Ortes kennenlernen. Der Uferlinie folgend reicht der Blick jetzt weit über den See. Herrlich ist es, auf dem Uferweg, durch die erhöhte Bahntrasse von der Durchgangsstraße abgeschirmt, nur ein paar Meter vom Wasser entfernt dahin zu traben. Langsam rückt am Horizont die Bregenzer City näher.

 

 

Wer Bregenz nur aus der Durchgangsstraßenperspektive, etwa auf dem Weg in die Schweiz, erlebt, wird der Stadt eher wenig Liebreizendes abgewinnen können. Wer sich jedoch etwas Zeit für die Erkundung der Vorarlberger Landeshauptstadt nimmt, wird so manche Überraschung erleben, etwa bei einem Bummel durch die mittelalterliche Oberstadt. Oder auch, wenn er einfach nur die Seepromenade entlang spaziert oder joggt. Denn hier erwartet den Besucher ein richtig hübscher, mit Kunst aufgepeppter Uferpark. So auch uns. Nachdem wir dudelsackbegleitetet den Bregenzer Hafen hinter uns gelassen haben, führt unser Laufparcours direkt am Wasser unter den herbstlich eingefärbten Bäumen hindurch. Wunderschön.

Wenig später, bei km 10, öffnet sich die Parklandschaft und ein modernistisches Konstrukt aus Beton, Glas und Stahl tut sich vor uns auf. Hier ist es also wieder, schon gestern ausgiebig beäugt, aber nun aus der bewegten Läuferperspektive: Das Festspielhaus mit der Seebühne. Zahlreich sind hier die Zuschauer, die an der Strecke harren und auch ein Verpflegungsstand bietet die Möglichkeit zum Verschnaufen. Doch für Muße ist keine Zeit, fast alle treibt es voran, hinein in den seitlichen Schlund, den Zugang, der mitten hinein führt in den Bühnenbereich.

 

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Informationen: Sparkasse 3-Länder-Marathon
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