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Laufberichte

Es ist mein Tag

 
Autor: Joe Kelbel

Erinnert sich noch jemand an Henry Kosgei Cherono? Er gewann den Frankfurt Marathon 2000. Mein Name erscheint seit diesem denkwürdigen Tag in 258 Marathon- und Ultra-Ergebnislisten, von ihm hört man nichts mehr.

2002:  Stürmische Premiere von  Jo Schindler, dem Super-Renndirektor. Das Radio warnte, wegen des Orkans ja nicht vor die Haustür zu gehen. Klaus D., unser Chef, hielt sich dran und verpasste seinen zweiten Marathon. Ich lief mit anderen um unser Leben, dann erwischte mich eine Absperrung bei km 39, riss mir eine lange Wunde am Oberschenkel. Der  Hauptsponsor hiess LifeTime. Mein Name ist Joe Kelbel. 

Erinnert sich jemand an den Tatort „Das letzte Rennen“?  Der wurde 2005 während des Marathons gedreht.  Ich war der Polizist, der die Wumme fallen ließ. Mein Name ist Joe Kelbel.

Ich erinnere mich an jeden meiner Frankfurt Marathons, an jeden! Denn jeder war einzigartig. Im Laufe der Woche fragten mich mindestens 40 Heimsportler: „Läufst du mit?“ Meine  Nachbarin erzählte, dass ihr 6jähriger Enkel Marathon läuft. Der Bekannten fragte, wieviel Kilometer ein Marathon hat. Es brodelt, jeder will mitreden.

Es ist Frankfurt Marathon!

Viel zu spät komme ich zum Start. Die ersten Blöcke sind mit hohen Gittern abgesperrt. Auf Augenhöhe hängen die Banner und unten …  naja, es wird durchgestrullt. Hässliche Dinger. Zuschauerinnen rennen weg, halbnasse, weggeworfene Kleidungsstücke werden eingesammelt. Wie entwürdigend ist doch ein Marathon!

Ich lasse mich einpferchen, wie ein Stück Vieh. Herdentrieb. Die Blöcke hinten haben zwar nur hüfthohe Gitter, aber es ist schwer, drüber zu kommen. Nun bin ich Letzter in der Gruppe, die um 10 Uhr startet. Zehn Minuten später startet das Hauptfeld. Vorteil: Ich habe viel Platz, kann sofort frei laufen.

 

Es geht rasant los!

 

Rechts das alte Polizeipräsidium (1913). Ich war oft da. Untergroundparty. Gott, was habe ich da geknutscht. Deswegen haben die jetzt alles verbarrikadiert. Zwar darf hinter der denkmalgeschützten Fassade gebaut werden, doch darunter kommt die U-Bahn.

Links rum, in die Mainzer Landstrasse. Gegenüber kommen schon die schnellen Läufer entgegen, ich habe Platz wie ein Weltmeister, so drehe ich auch auf. Taunusanlage. Beim nächsten Marathon stehen hier zwei neue Wolkenkratzer. Hochhausschlucht, dann zurück zum Messegelände. Oh Gott, wie luftraubend.

Gerade startet das Hauptfeld. Die Musik wummert. Die ersten Zuschauer laufen hinüber auf meine Seite. Links Schutthaufen. Der alte Turm, der im Frühjahr spektakulär gesprengt wurde. Gesprengt wurde dort eigentlich immer -  und zwar die Seminare von  „Antiautoritären“.  Dabei war es überhaupt nicht einfach, in die Seminare zu gelangen, denn die Aufzüge waren immer defekt.

Den großen Dino vor dem Senkenbergmuseum lässt mein schneller Lauf kalt. Letzte Woche wurde aus einer Vitrine ein Saurierschädel gestohlen. Wer also einen angeboten bekommt, möge sich bei mir melden.

Wir laufen auf der Bockenheimer Landstraße auf die Alte Oper zu.Vor dem  legendären Cafe Laumer, wo ein Aussenminister sich mit dem Professor Adorno eine Tortenschlacht lieferte, ist die erste Verpflegungsstation. Beidseitig. Genial, es ist soviel Platz. Ich hab eine gute Startzeit erwischt.

Rechts war mal der Frankfurter Zoo, er reichte bis zur Unterlindau. Die Haltung „wilder Tiere in geeigneten Behältern“ wurde aber nur für Pflanzenfresser erlaubt. Bin keiner. Bin Gepard, schneller als eine Rakete, fresse meiner Beute nicht das Futter weg. Und geeignete Behälter  für mich gibt’s nicht!

Km 6 Alte Oper. Noch wenig los, Frankfurt wird spät wach. Die Quadriga fand man 1973 auf einem Autofriedhof. Der Pegasus und der Apoll  sind im Bombenfeuer zerflossen. Der Brunnen wurde vom Architekten Lucae entworfen, aber erst 100 Jahre nach seinem Tod realisiert. Im Winter ein Märchen aus LED Leuchten.

Die Goethestrasse wurde 1894 angelegt, dafür mussten 40 Häuser weichen. Wir weichen dieses Jahr auf die Neue Mainzer Landstrasse aus, biegen dann in der Kaiserstrasse ab.

Traditionell werden am Marathonwochenende die Huren umgestellt. Svetlana steht sonst immer am Kaiserplatz, aber da ist jetzt die Sambatruppe „BlocoX“,  die sind besser! Gang Bang vom Feinsten!

Schacklin steht heute auch nicht vorm Frankfurter Hof, wo ich einst mit dem König der Malediven („Didi“ hiess der) meine Tauchschule gründete. Katharina hat es nicht bis zum König geschafft, wurde auch nicht umgestellt. Es ist schön, sie an der Strecke  zu sehen.  

In der Hauptwache war das Gefängnis, wo der Schinderhannes im Keller saß. Im  Mansardenzimmer ließ der Frankfurter Rat „zweifelhafte Personen“ festsetzen, so auch einen Ratsherrn, der nach 26 Jahren Untersuchungshaft dort verstarb. Zweifelhaft sind wir alle, festgesetzt bin ich nicht, das Hauptfeld holt mich nie ein! 

Hinterm Erschersheimer Turm geht’s in die Hochstrasse. Der Verpflegungspunkt ist für später, die Becher noch nicht gefüllt, trotzdem betteln einige Läufer nach Flüssigem.

Fressgass und wieder Alte Oper. „Dem Wahren Schönen Guten“ steht auf dem Fries. Ihr wisst, wem das gilt!

Rothschildpark. Hier stand  das Palais der Rothschilds, ein „Landhaus“ als das Frankfurter Westend noch aus Feldern bestand. Gelegenheit, sich der Getränke in würdevoller Weise zu entledigen. Ein blonder Frauenkopf erhebt sich aus meinem Busch.

Bei km 10 an der Uni ist ein Wendepunkt. Alex, oder Atze und Pumuckel machen Pause, ich lege Speed zu, jetzt geht es abwärts. Ich weiß nicht, was los ist: Alles stimmt, alles! Es ist Klasse heute!

Vorbei an der Konstabler Wache („Konsti“). Früher gab es hier noch einen persönlichen Fanclub, aber wer interessiert sich heute noch für einen Marathonläufer, der jede Woche läuft. „Nein, bei diesem Wetter gehen wir nicht raus!“

Im Englischen (Constable) bezieht sich das Wort noch auf den Polizisten. Das Polizeipräsidium zog 1903 in erwähntes Gebäude im Startbereich. Underground-Party. Heute steht hier das älteste Hochhaus, das Bienenkorbhaus (1950). Ich habe es heute mit den Polizisten. Morgen früh stellen die mir einen barfüssigen Rothaarigen vor die Tür. Frankfurt ist so geil!

Auf der alten Brücke, die über die Franken-Furt führt, mache ich wirklich gute Fotos mit Läufern im Vorder- und Baustelle und Skyline im Hintergrund. Hab aber keine Zeit.

Die alten Patrizierhäuser am Mainufer wurden in den 80er Jahren systematisch zu Museen umgebaut. Ende August kann man die Museen die ganze Nacht besuchen. 2,5 Millionen Besucher kommen zu der Riesenparty, die in einem gewaltigen Feuerwerk endet. Gegenüber liegt „das Nizza“, vor 100 Jahren beliebter Badestrand mit unzähligen Palmen.

Mit Heidenspeed biege ich in die Schweizer Strasse ein. Sachsenhausen. Der Läufer sollte mal den Rauscher probieren, den jungen Apfelwein, der macht rasend! Ein heißer Äppler mit Nelken und Zimt vertreibt Ebola. Der Brezelbubb, eine von den Wirten gedultete Institution, verkauft den Haddekuche, eine Spezialität, dessen Muster den Halt zwischen Sattel und Pferderücken garantiert. Also auch geeignet für die Läufer-Arschtasche.

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Informationen: Mainova Frankfurt Marathon
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