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Laufberichte

Wenn die Nacht zum Tag wird

 

Treffpunkt Freitag um 19 Uhr vor der Lux-Expo in Kirchberg. Ingrid L. Featherstone und Brent Weigner warten auf Lichu Sloan und mich für das obligate Gruppenfoto der beim morgigen Nachtmarathon startenden Mitglieder des Country Marathon Club. Mit bisher 105 Ländern liegt Brent an dritter Stelle der Sammlerwertung, Luxemburg wird mein 40. Land, in dem ich einen Marathon gelaufen bin.

 

 


Treffpunkt LUX-EXPO


Im von leidenschaftlichen Ländersammlern angeführten Club unter dem Vorsitz von John Wallace habe ich laut meinem Ranking bestenfalls den Status eines Rookies, der seine Marathonreisetätigkeit dringend ausbauen müsste, um zu reüssieren. Es gibt einen Kollegen im Club, der hat kaum mehr Marathons als bisher bereiste Länder, nämlich an die 70. Trotz meiner über 260 Marathons plus einigen Ultras kann ich da nur anerkennend nach oben blicken.

Brent hat sein Startpaket schon am Vormittag abgeholt. Heute bis 20 Uhr und morgen bis auf den letzten Drücker können die Läuferinnen und Läufer die orange Tragetasche mit zahlreichen Goodies entgegen nehmen. Da Lichu nicht kommt, begeben wir uns zu dritt in die Expo. Schon während der ca. 15-minütigen Busfahrt vom Bahnhofsviertel hierher auf den Kirchberg ist mir aufgefallen, dass das öffentliche Busnetz in der Stadt Luxemburg bestens ausgebaut und die Tageskarte um 4 Euro auch noch günstig ist. Man hat mir im Informationsbüro mitgeteilt, dass am Samstag die Busse gratis benutzt werden dürfen – und dass zudem Shuttlebusse bis spät in die Nacht verkehren werden, wird in der mit der Post zugeschickten Broschüre kundgemacht.

Irritiert bin ich zunächst über die lange Warteschlange, bis ich drauf komme, dass es sich um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für den Halbmarathon handelt. Dann geht alles schnell, im Nu habe ich meinen Kleiderbeutel, den ich mir aufheben werde, weil er schick aussieht. Ich erblicke Brent und Ingrid, die gerade dabei sind, ihren Bon für eine Portion Pasta und ein Getränk abzuholen. Wir suchen uns einen freien Platz im gut besuchten Pasta-Party-Eck. Lichu hat uns mittlerweile gesichtet, das gesellige Beisammensein kann beginnen. Ingrid zeigt uns stolz das offizielle, aber kostenpflichtige Funktionshirt.

 

 

Brent ist mit seinen 66 Jahren (wie einst Udo) gut in Schuss  – zumindest beim Laufen, wie er berichtet. Beim 5.Silk-Road-Marathon in Kirgistan vor zwei Wochen hat er mit 4:39 Stunden seine Altersgruppe gewonnen. Er erwähnt, dass der Kurs hier beim Nachtmarathon in Luxemburg auf und ab geht. Dem kann ich folgen, denn die Busfahrt mit der Linie 18 führte über die fast 50 Meter hohe Adolphe-Brücke, die das Petrusse-Tal überspannt. Zugeben muss ich an dieser Stelle auch, dass ich trotz meiner 62 Lenze bisher noch nie im Großherzogtum Luxemburg war. Das Marathon-Länder-Sammeln hat so eine weitere gute Seite. Ingrid erwähnt süffisant, dass Brent ein verkannter ehemaliger Geographielehrer sei, der jetzt in der Pension all das nachholt, was er einst seinen Schülern nie aus erster Hand berichten konnte. Lichu hat sich jung gestylt, dürfte aber in einer Altersgruppe für reifere Damen starten.

Man merkt bei der Expo, dass die Veranstalter sich nicht lumpen lassen, wie man so zu sagen pflegt. In Luxemburg wird man mit dem Leistungsprinzip konfrontiert, wie ich es von der Schweiz her kenne. Die Qualität dominiert, hat aber ihren (etwas höheren) Preis. Man kann über die nachfolgende Zeile drüber lesen, denn ich behaupte nach zwei Stunden Anwesenheit, dass die Organisation hier auf der Marathon-Expo in Luxemburg jeden Vergleich mit der bei viel größeren Marathons standhält. Ein gewisser Herr Wolfgang sollte hier einmal hospitieren. Das ist wohl auch ein Grund, dass der Luxemburg-Marathon rasch ausgebucht ist. Letztes Jahr beim 10-Jahres-Jubiläum habe ich den Termin verpasst, mich daher für heuer bereits im Dezember 2015 angemeldet.

Als wir gegen 20 Uhr 30 nach draußen gehen, hat es zu regnen begonnen. Im nahen Saarland und Trier soll es wegen starker Gewitter zu Überflutungen gekommen sein und beträchtliche Sachschäden in den vergangenen Tagen gegeben haben. Doch für den morgigen Renntag sind wir alle zuversichtlich, schließlich habe ich mir vorgenommen, mich vormittags auf Sightseeing-Pirsch zu begeben.


Sightseeing vor dem Marathon

 

Im Grey-Hotel, das ich für zwei Nächte gebucht habe, ist das Frühstück eher nicht zur Magenfüllung ausgerichtet, sondern für den Schmalspur-Businessman, der es eilig hat, bald zu seinem Termin zu kommen. Aber mit 80,- Euro pro Nacht ist es für Luxemburg preiswert, denn in den Nobelherbergen zahlt man das Doppelte. Daher sitze ich länger als gewohnt und stehe oft auf, um die Miniportionen einzusammeln. Die im Zweitjob dem Auftreten nach vielleicht als Bardame tätige junge Frau hat einen fragenden Blick, als sie mir zusieht, wie ich ein zweites Joghurt (fürs Zimmer gedacht) wegtrage.

 

 

Man sollte sich vor einem Marathon nicht beim Sightseeing überstrapazieren. Doch das Zentrum der Altstadt von Luxemburg ist von meinem Hotel in der Rue Joseph Junck am Place de la Gare nur ca. 700 Meter entfernt. Da kann man nicht von Anstrengung sprechen, es wird ein Spaziergang werden. Die Welt ist aber doch klein – mir kommt der Franz Lang entgegen. Franz ist ein erfahrener Marathonläufer aus der Steiermark und erfolgreicher Pacemaker.

Die Avenue de la Gare führt über die ebenfalls das Petrussetal überspannende Passerelle, auch „alte Brücke“ genannt. Ich bleibe stehen und schaue in die Tiefe. Selbstmörder hätten es hier einfach, Sicherungen gibt es keine. Aber die Luxemburger haben den höchsten Lebensstandard unter den 28 EU-Staaten, bei einem guten Einkommen vergeht auch so mancher Herz-Schmerz schneller. Für Basejumper könnten 45 Meter nicht ausreichen, da bieten die Berge bei uns in Österreich mehr Freiraum. Menschen mit Höhenangst sollten lieber dem Brückengeländer fernbleiben, denke ich mir.

In meiner Jugend hörte ich gerne Radio Luxemburg über die Mittel- und Kurzwelle. Ich habe mich aber nie gefragt, wo das zugehörige Land eigentlich genau liegt. Irgendwo im Westen Deutschlands nahe den anderen Benelux-Ländern Holland und Belgien, hörten wir dann in der Schule. Die Angaben im Mitmach-Lexikon Wikipedia sind da genauer: Auf einer Fläche von 2.586,4 km² leben mit Stand 1. Januar 2016 576.249 Einwohner in Luxemburg (Lëtzebuerg).

Luxemburgisch wurde 1984 zur eigenständigen Nationalsprache und ist inzwischen neben Französisch und Deutsch Co-Amtssprache des Landes. Staatsform ist eine konstitutionelle Monarchie mit Großherzog Henri aus der Dynastie Luxemburg-Nassau an der Spitze. Das Regierungssystem baut auf parlamentarischen Strukturen auf. Ähnlich wie z.B. in Dubai leben in Luxemburg Stadt und Umland bald mehr Ausländer (fast 50%) als Einheimische. Die Zahl der Grenzgänger, die in einer der EU-Institutionen vor allem im Stadtteil Kirchberg arbeiten, wird mit 160.000 beziffert. Dank des hohen BNP sind auch die Lebenshaltungskosten etwas höher als bei uns.

Ich nehme mir vor, das Zentrum von Luxemburg-Stadt (Stad Lëtzebuerg), wo laut Statistik ca. 115.000 Einwohner leben, in den kommenden zwei, drei Stunden zu inspizieren – denn der Marathonkurs wird heute Abend mehrfach durch die engen Gassen und vorbei an den touristischen Fixpunkten führen. Schon gestern bei der Ankunft ist mir an der Place de la Gare eine Sambagruppe aufgefallen, deren Mitglieder im Brasilo-Look eifrig getrommelt haben. Heute am Marathontag werden sich diese und weitere musikalische Gruppen formieren und für die Zuschauer an der Strecke, viele davon mitgereiste Angehörige der Läufer wie bei bedeutenden Städtemarathons üblich, für Unterhaltung sorgen.

Hier in der Altstadt sind alle touristischen Fixpunkte ausgeschildert, man kann sich praktisch nicht verirren und kommt ohne Stadtplan aus. Man spürt das Marathonfieber. Es sind viele Läufer unterwegs, die sich in einem der zahlreichen Gaststätten und Lokale jetzt um die Mittagszeit noch einen Drink, Kaffee oder einen Imbiss gönnen. Ich checke die Digicam, sie macht mir seit geraumer Zeit Probleme. Auch heute ist das so, was bedeutet, dass ich nur eingeschränkt fotografieren kann.

 

Aber unser Chef ist ja noch da.
Hier sind seine Bilder

 

Ich komme an den wichtigen Sightseeing-Plätzen vorbei: Am Place d’Armes mit dem Denkmal für die tapferen Helden der Marneschlachten im 1. Weltkrieg, über die rue Notre Dame in die spätgotische Kirche, die Anfang des 17. Jahrhundert zur Kathedrale ausgebaut wurde. Vorbei am Informationsbüro mit dem Samstagmarkt für landwirtschaftliche Produkte hinüber zum Palais Grand Ducal mit seiner Renaissancefassade, Sitz des Großherzogs. Doch wie es scheint, wollen alle zu den Kasematten der Stadt Luxemburg. Es handelt sich um in die Felsen gehauene Höhlen und Gänge, die ab dem 17. Jahrhundert zu Verteidigungszwecken angelegt wurden und ursprünglich ein Teil der Festungsanlage der Stadt Luxemburg waren. Für 4 Euro Eintritt kommt man rein, der Besuch lohnt sich – allerdings könnte man Stunden in den verschachtelten Gängen verbringen, was als Marathonvorbereitung nicht sinnvoll wäre.

Ich verlasse die Altstadt und spaziere in das Quartier Gare zurück. Beim nahen Italiener in der rue Junck bestelle ich eine Pizza und trinke ein Bier. Es ist 15 Uhr 30, der Start des Marathons wird um 19 Uhr in Blöcken bis zum Buchstaben G bei der Lux-Epo erfolgen. Es ist schwül, Regen liegt in der Luft. Als ich um 16 Uhr 30 in Laufdress mit Extra-Kleidung im Beutel für den Abend das Hotel verlassen will, bemerke ich erst im Foyer, dass es draußen schüttet. Einen Knirps habe ich immer im Gepäck, also zurück ins Zimmer. Im Bus Nr. 7 bin ich dann der einzige, der mit einem Schirm daherkommt.

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Informationen: ING Night Marathon Luxemburg
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