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Laufberichte

Mitten in Deutschland

01.10.06
Autor: Klaus Duwe

Ausflug in die jüngere Geschichte

 

Seit 1991 gibt es am 3. Oktober den Tag der Deutschen Einheit , der an den Beitritt der ostdeutschen Bundesländer zur damaligen Bundesrepublik ein Jahr zuvor erinnert. Als Datum für den nationalen Feiertag war auch der 9. November im Gespräch, weil an diesem Tag 1989 die Mauer fiel. Wegen des Bezugs zur Reichspogromnacht  (9. auf 10. November 1938) entschied man sich für den 3. Oktober.

 

Die Mitte des wiedervereinigten Deutschlands ist in Thüringen, genauer gesagt in Niederdorla. Davon nur ein paar Kilometer entfernt liegt Mühlhausen mit seinen ungefähr 37.000 Einwohnern. Wer hat nicht schon mal gerätselt, wo das Auto mit dem Kennzeichen UH herkommt? Unstrut-Hainich heißt der Kreis, und Mühlhausen ist die Kreisstadt. Unstrut ist ein 192 Kilometer langer Nebenfluß der Saale, Hainich ist ein kleines Mittelgebirge, seit 1997 Nationalpark, und das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet in Deutschland.

 

Mühlhausen ist genau der richtige Startplatz für einen Lauf der Deutschen Einheit, dachte sich Guido Kunze und setzte  2004 seine Idee in die Tat um. Allen, die Guido kennen, war klar, dass es kein 08/15-Lauf werden würde. Die Marathondistanz war für den Extremläufer (Trail du Verdon, Marathon des Sables, Tour du Mont Blanc, Badwater usw.) das Mindeste. Und so geriet bereits die als Marathon ausgeschriebene Premierenveranstaltung durch Überlänge zum Ultra. Schon bei der zweiten Auflage machte man dann Nägel mit Köpfen und schrieb die (korrekten) 51 Kilometer aus.

 

Eine Großveranstaltung ist daraus auch bei der 3. Auflage in diesem Jahr nicht geworden, was Guido und seine Lebensgefährtin Gaby Laupichler gar nicht beklagen. Die meiste Arbeit liegt nämlich bei ihnen, ihren Verwandten, Freunden und Bekannten. Trotzdem freuen sie sich natürlich über ständig wachsende Teilnehmerzahlen. In diesem Jahr sind knapp 400 Sportler nach Mühlhausen gekommen, um zu laufen (51 km, 27,5 km) zu walken  (51 km, 27,5 km und 12 km), oder mit dem Rad zu fahren (51 km).  103 Läufer hatten für die Ultra-Strecke gemeldet.

 

Das Start- und Zielgelände ist beim Stadion an der Aue in Mühlhausen. Parkplätze gibt es ausreichend in unmittelbarer Nähe, in einem großen Festzelt gibt es die Startunterlagen, die berühmte Thüringer Bratwurst und Kaffee und Kuchen. Gedränge gibt es nicht und lange Schlangen vor den Toilettenhäuschen auch nicht.

 

Die Biker gehen um 8.00 Uhr auf die Strecke, die Ultraläufer um 10.00 Uhr. Man hat eingesehen, dass das etwas spät ist und will im nächsten Jahr die Läufer gleich nach den Radlern auf die Strecke schicken.

 

Der Himmel ist ziemlich bedeckt, nur manchmal kommt die Sonne etwas raus, die Temperaturen liegen bei 15 Grad, mehr als 20 werden es auch im Tagesverlauf nicht. Optimal, sagen dazu die Experten.

 

Kaum merklich steigt der Weg auf den ersten Kilometern durch den Park und dann durch den Stadtwald an. Schon nach den ersten Fotostopps habe ich nur noch drei Biker mit grellgrünen Jacken hinter mir, ich bin Letzter. Aber schon bald entwickelt sich ein heißer Kampf um diese Position, bis Bernd Seitz und Elke Gill (Ihr kennt sie schon, die „Sandalenläufer“) sich vorübergehend erbarmen.

 

Bei km 5 kommt die erste Verpflegungsstelle mit Wasser, Tee, Iso, Riegeln, Bananen und Äpfel. Später gibt es dann immer auch noch Kola. Ungefähr bei km 9 wird der Chip, den es für eine Kaution von 10 Euro gibt (7 davon kriegt man bei Rückgabe zurück), elektronisch zur Zeitkontrolle eingelesen. Wir haben eine Höhe von 464 Metern erreicht, was einem Anstieg von 170 Metern entspricht, aber von den noch frischen Läuferinnen und Läufer problemlos weggesteckt wird.

 

Wir laufen ohne nennenswerte Steigungen durch das Oberdorlaer Holz, einem herrlichen Erlen- und Buchenwald, der schon leichte herbstliche Färbung bekommt.  Bei km 13 verlassen wir den Wald, kommen auf hügeliges Feld- und Wiesengelände und dann an den Ortsrand von Heyerode, von wo uns dann eine bequeme Teerstraße nach Diedorf (km 17) führt. Hier wartet bereits die dritte Verpflegungsstelle auf uns und dann der erste ernsthafte Anstieg auf einem ziemlich schlechten Wiesenweg.

 

Wir laufen jetzt praktisch in weitem Bogen um Wendehausen. Ein schöner Name für das 900-Einwohner-Örtchen unweit der ehemaligen Grenze. Aber er heißt schon seit dem 14. Jahrhundert so.

 

Die Streckenmarkierung, Bänder an Bäumen und Pfeile am Boden, könnte an manchen Stellen etwas deutlicher sein. So bleibt es nicht aus, dass uns an einer Stelle eine Gruppe Läufer aus der falschen Richtung entgegen kommt und uns so einen Umweg durch Verlaufen erspart. Ich wäre nämlich auch geradeaus gelaufen, statt links abzubiegen. Ab km 20 führt uns eine Teerstraße durch Felder und Wiesen, bis es auf einem schmalen Weg steil bergauf geht. Unterhalb der steilen Felsabstürze (km 24 - 380 m) liegt der Ort Treffurt, auf den wir einen herrlichen Blick haben, ebenso auf die Werra und die Werraauen.

 

Auf einen Schlag verlieren wir 160 Höhenmeter und kommen jetzt an die ehemalige deutsch-deutsche Grenze, oder „Staatsgrenze der DDR zur Bundesrepublik Deutschland“, wie es im offiziellen Sprachgebrauch der DDR hieß. Innerhalb einer fünf Kilometer breiten „Sperrzone“ gab es einen 500 Meter breiten mit Stacheldraht gesicherten „Schutzstreifen“ und einen zehn Meter breiten „Kontrollstreifen“, auf dem wir uns jetzt gerade befinden. Es ist ein Weg, dessen Fahrspuren mit dicken Betonplatten befestigt sind. Beidseitig sind große Weideflächen, links vor dem niedrigen Wald, der erkennbar nach der Wende angepflanzt wurde, ein schnurgerader Sperrgraben, dann erst der Hochwald. Obwohl es sich um einen markierten Wanderweg handelt (Wendehausener Rundweg), fehlen jegliche Hinweise oder Informationen, was ich überhaupt nicht verstehe. Es gibt Wein- und Waldlehrpfade und was sonst noch alles, warum hier nicht einen „Einheits“-Weg?

 

Nach der durch die Siegermächte des zweiten Weltkrieges vorgenommenen Teilung Deutschlands ging man in der DDR bereits ab 1952 daran, die Grenzanlagen zur Bundesrepublik auszubauen und zu verstärken. „Unzuverlässige“ Bürger wurden aus den Sperrzonen zwangsweise ausgesiedelt und die verbliebenen Bewohner wurden registriert und durften nur mit Genehmigung Besucher empfangen.


Um die immer größer werdenden Flüchtlingsströme von Ost nach West einzudämmen, wurde am 13. August 1961 in Berlin mit dem Bau der Mauer begonnen und die ganze deutsch-deutsche Grenze immer stärker ausgebaut. Offiziell sprachen die DDR-Verantworlichen freilich von einem „antifaschistische Schutzwall“ gegen Übergriffe aus dem Westen. Irgendwann existierten 870 km Grenzzaun (auf 440 km Selbstschussanlagen), 230 km Minenfelder, 602 km Kfz-Sperrgräben und 434 Beobachtungstürme, dazu der Schießbefehl. 916 Menschen kamen an der Grenze ums Leben (Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter), ehe die friedliche Revolution und der Fall der Mauer zur Wiedervereinigung Deutschlands führten.


Der Weg geht steil rauf und runter. Vom Sani bei den Mainzer Köpfen (430 m) lassen wir uns die Grenzanlage und die vorhin gesehene „Agentenschleuse“ erklären, über die unbemerkt „Fachkräfte“ in den Westen geschleust wurden. Ein kurzes Stück weiter erhebt sich bedrohlich einer dieser ehemals 434 Wachtürme. Unwillkürlich überkommt mich ein mulmiges Gefühl. 

 

Der schlimmste Teil der Strecke mit dem ständigen, steilen Rauf und Runter zwischen km 21 und 32 liegt hinter uns. Jetzt geht es abwärts nach Katharinenberg (km 35) und Diedorf (km 36), wo wir heute früh schon einmal südlich vorbei gekommen sind.


Auf einem langen, geraden Weg geht es durch den Wald leicht ansteigend weiter und wir erreichen dann endlich den Promenadenweg, den wir heute schon in umgekehrter Richtung gelaufen sind. Gleich darauf wird bei der Marathondistanz ein Kontroll- und Verpflegungsposten erreicht und uns versprochen, dass es nur noch abwärts geht.


Stimmt, und ich muss mich wundern, wie leicht wir heute Morgen den Weg aufwärts gelaufen sind. Es sind viele Spaziergänger und Ausflügler unterwegs und von den Walkern, die um 8.00 Uhr gestartet sind, kann ich auf dem letzten Stück auch noch einige überholen.


Schließlich wird das Stadion erreicht, jeder Finisher begrüßt, die Zeit genommen und die Medaille umgehängt. Erst als der letzte Läufer das Ziel erreicht (Bernd Seitz hat diese  Position bis zum Schluss erfolgreich verteidigt und erhält dafür eine Flasche Rotkäppchen-Sekt) , wird mit der Siegerehrung begonnen. 

 


Dazu will ich noch kurz etwas erzählen, denn Rotkäppchen ist eine echte Erfolgsgeschichte aus den Neuen Bundesländern. 1856 wurde das Unternehmen in Freyburg/Unstrut (Sachsen-Anhalt) gegründet, nannte seinen Sekt Champagner und eine der Marken hieß Monopol. Beides wurde dem Unternehmen untersagt und man entschied sich in Anlehnung an die rote  Verschlusshaube für den Markennamen Rotkäppchen.


In der DDR war Rotkäppchen Marktführer. Als sich nach der Wende allerdings alle DDR-Bürger auf Westprodukte stürzten, brach der Umsatz ein. Unter Führung der Treuhand wurde das Unternehmen in eine GmbH umgewandelt, 1993 privatisiert und Gunter Heise Geschäftsführer. Er konnte das Unternehmen nicht nur in die Erfolgsspur zurückführen, sondern Rotkäppchen mit über 100 Millionen verkaufter Flaschen zum Marktführer in ganz Deutschland machen. Statt selbst von einem Wettbewerber geschluckt zu werden, übernahm Rotkäppchen als erstes ostdeutsches Unternehmen mit Mumm ein namhaftes Westunternehmen.  

 

Ergebnisse

 

51 km Männer

1.  Morth, Andree Tri-Tiere Kassel 03:59:51
2.  Barf, Holger Ort:Lengenfeld/Stein 03:59:54

3.  Schäfer, Andreas SG Bickenriede 04:13:50

 

Frauen

1.  Steeger, Ulrike LG Bonn Troisdorf Niederkassel 04:38:53
2.  Dr. Heinze, Cornelia Hamburg 04:47:52

3.  Mogge, Christina BSG Finanzit 04:58:51


Streckenbeschreibung

Rundkurs, sehr schön, sehr anspruchsvoll (ca. 900 HM) und sehr interessant (ehemalige deutsch-deutsche Grenze)


Zeitnahme

Leihchip, unterwegs Zeitkontrollen


Verpflegung

Sehr gut, 9 Verpflegungsstellen mit Wasser, Iso, Tee, Bananen, Äpfel und Riegel, teilweise Kola.


Markierung

Bänder an Bäumen, Pfeile auf den Wegen, alle 5 Kilometer Entfernungsangaben


Andere Veranstaltungen

Laufen: 27,5 km
Walken: 12, 27,5 und 51 Kilometer
Rad: 51 km


Logistik

Parkmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe von Start und Ziel

 

Informationen: Lauf der Deutschen Einheit
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