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Laufberichte

Der Kaiser lebt

08.04.06
Autor: Klaus Duwe

Landschaft, Sagen und Geschichten 

 

Kaiser Friedrich I., besser bekannt als Kaiser Rotbart „Barbarossa“, der auf dem dritten Kreuzzug 1190 auf dem Weg in das Heilige Land im Taurusgebirge starb, ist nicht tot - er schläft zusammen mit seinem Hofstaat in der mächtigen Höhle des Kyffhäusergebirges, bereit, zu einem geeigneten Zeitpunkt ein neues, goldenes Zeitalter zu begründen. Manchmal wacht er auf und schaut nach, ob noch die schwarzen Vögel um den 81 Meter hohen Denkmalsturm kreisen. Falls ja, muss er weitere 100  Jahre schlafen. Soweit die Legende, die man sich schon seit dem 14. Jahrhundert erzählt.

 

Am Südrand des mit 60 qkm kleinsten Mittelgebirges Deutschlands, dem Kyffhäuser, liegt das 9.000–Einwohner-Städtchen Bad Frankenhausen. Es hat eine bewegte und lange Geschichte. Ausgrabungen weisen eine Besiedlung des Gebietes schon vor über 12.000 Jahren nach. Seit 1282 hat man die Stadtrechte, ab 998 wird eine Solquelle zu Heilzwecken genutzt und bereits 1818 wurde das erste Kurhaus gebaut.

 

In der jüngsten Geschichte ging es mit Bad Frankenhausen nicht nur bergauf. Wichtigster Arbeitgeber in der Region sind der Bundeswehrstandort und die  Kurbetriebe. Viele Einwohner sind abgewandert und die Bevölkerungsstatistik weist wie in anderen Regionen in den neuen Bundesländern eine negative Tendenz aus.

 

Dabei sind die Menschen in dem thüringischen Städtchen herzlich und offen, fühlen sich dem Brauchtum verpflichtet und wissen zu feiern. Sportlich ist man auch. Seit 29 Jahren bereits gibt es den Kyffhäuser Berglauf, zu dem man sich vom benachbarten Rennsteiglauf inspirieren ließ. Aus dem einstmals maximal 36 Kilometer langen Rennen wurden 2002 „zeitgemäße“ 42,195 Kilometer. Das Angebot des Kyffhäuser Berglauf-Vereins richtet sich auch an Montain-Biker, Wanderer und Walker und natürlich gibt es auch einen (kostenlosen) Kinderlauf.

 

Auf dem großen Platz vor Stadtschloß (1340-1918 im Besitz der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt), ist eine richtige Zeltstadt mit der gesamten Infrastruktur für das Rennen aufgebaut. In dem dazu gehörenden Festzelt, wo auch ein paar Verkaufs- und Infostände untergebracht sind, findet am Freitag das Nudelessen statt und am Samstagabend der Sportlerball. Waldemar Cierpinski, der zweifache Marathon-Olympiasieger, ist auch in diesem Jahr wieder vor Ort, wirbt für seine Veranstaltungen in Bitterfeld (1. Goitzsche Marathon am 29.04.) und Halle (Mitteldeutscher Marathon Halle – Leipzig am 03.09.) und ist ein aufgeschlossener Gesprächspartner.

 

Am Samstag gibt es ab 6.30 Uhr Frühstück. Es bleiben keine Wünsche offen: Brot mit verschiedenen hausgemachten  Marmeladen und gehaltvollen Aufstrichen nach „geheimen“ Hausrezepten, jede Mengen Kuchen und Kaffee. Und das alles zu Preisen, dass ich zweimal fragen muss. Die nette Dame am Kuchenstand verspricht mir, ein kleines Sortiment für mich zu reservieren, wenn ich heute Mittag ins Ziel komme.

 

Langsam füllt sich der Platz und das Personal an den Nachmeldeschaltern haben gut zu tun. Das tolle Wetter motiviert viele, kurz entschlossen wenigstens auf den kürzeren Distanzen mit dabei zu sein. Als erstes gehen die Montainbiker auf die Marathon-Strecke, später die Walker und Wanderer. Als der bunte Haufen gut gelaunt auf die Strecke geht, erinnere ich mich an meine Zeit als IVV-Marschierer.

 

Dann versammeln sich die annähernd 300 Marathonis zum Start und um 9.00 Uhr geht es los. Vorbei am Schloss, auf den teilweise gepflasterten Straßen durch den Ort und dann auf der Verkehrsstraße Richtung Rottleben. Links sehen wir flache Getreide- und Ackerflächen mit den drei alten Mühlen, Wippermühle, Lohmühle und Falkenmühle. Links schauen wir auf die teilweise kahlen Hänge des Kyffhäuser und das triste Grau-Braun der Bäume und Sträucher wirkt im Licht der Morgensonne und vor dem Hintergrund des strahlend blauen Himmels gar nicht mal so unfreundlich.

 

Es ist kalt. Mehr als 5 Grad hat es nicht. Weil ich spüre, dass bei mir eine Erkältung im Anzug ist, habe ich mich für lange Hosen und Jacke entschieden. Damit falle ich schon etwas auf. Viele laufen in „kurz“ und wer eine Jacke dabei hat, bindet sie jetzt um die Hüfte. Sowie Claudia Reh und Regina Autenried, deren Gespräch und Klagen über das Zuviel an Klamotten ich beim Vorbeilaufen gerade mit bekomme. Das Feld hat sich längst auseinander gezogen. Jeder läuft sein Tempo. Alle Kilometer sind angeschrieben, allerdings wird hier rückwärts gezählt.

 

Die ersten Kilometer sind fast flach und ideal zum Einlaufen. Nach 5 Kilometer verlassen wir die Teerstraße nach rechts und kommen auf den Barbarossaweg, einen holprigen Wirtschaftsweg, der uns nach einem weiteren Kilometer zur schon erwähnten Barbarossahöhle mit dem kaiserlichen Schlafplatz führt. Busparkplätze, Kioske und Gaststätten weisen darauf hin, dass hier in der Saison reger Ausflugsverkehr herrscht. Für uns hat man hier die erste Getränkestelle mit Wasser eingerichtet.

 

Wir sind jetzt auf der leicht ansteigenden Straße nach Steinthaleben (ca. 9 Kilometer), wo die erste komplette Verpflegungsstelle mit Tee, Wasser, Äpfel, Bananen und Butterbroten eingerichtet ist. Eine Läuferin kommt locker und ziemlich schnell angetrabt. Mit dem Tempo müsste sie viel weiter vorne sein. „Hast Du den Start verschlafen?“ frage ich nach. „Nein, ich bin eine extreme langsame Starterin. Ich komme einfach nicht in die Gänge, erst jetzt läuft es,“ erzählt mir Gudrun Kurtz, die aus Reutlingen kommt. Wenn mir das nur auch mal gelingen würde. Ich lasse mich immer wieder zu einem (für mich) schnellen Beginn verführen. Wenn es kalt ist, wie heute, erst recht. Wir erzählen uns aus unseren „süchtigen“ Vorleben und müssen wieder einmal verwundert feststellen, wie sehr sich viele Läuferbiographien gleichen.

 

Gudrun macht heute ihren 165. Marathon und strahlt eine auch unter Sportlern bemerkenswerte Lebensfreude aus. Ich könnte ihr noch lange zuhören. Aber sie drängt es weiter nach vorne. „Tschüss“, und weg ist sie.

 

Die Teerstraße steigt weiterhin leicht an, aber nach ungefähr 12 Kilometern geht es nach rechts und wir laufen auf einem Feldweg Richtung Wald hinauf zum Kulpenberg, mit 473 Metern der höchste Punkt der Strecke. Links unten sehen wir auf den Stausee  und den Ort Kelbra, der sich zu einem beliebtes Freizeit- und Naherholungsgebiet entwickelt hat. Teilweise geht es recht steil bergan und strenge mich gar nicht erst groß an und werde wie alle anderen in Sichtweite zum Marschierer, bis nach einem guten Kilometer die erste Anhöhe und die Verpflegungsstelle erreicht wird.

 

Zunächst geht es abschüssig weiter, dann immer abwechselnd, rauf und runter, wobei die Anstiege überwiegen, denn der Kulpenberg ist noch lange nicht erreicht. Links unten sieht man durch die kahlen Buchen und Eichen eine paar kleine Ortschaften und vor uns den Fernsehturm. Es geht ein frischer Wind und besonders im Schatten bin mit meiner Garderobe sehr zufrieden. Auch die weniger steilen Stücke gehe ich jetzt, ich habe Zeit und will mich nicht allzu sehr anstrengen. Ich habe zwar keine Probleme, spüre aber, dass ich einfach nicht fit bin. Umso mehr genieße ich die herrliche Landschaft und das prachtvolle Wetter.

 

Bei km 17 ist dann endlich der höchste Punkt erreicht, wir biegen links in einen schmalen Waldweg ein, der wenig später nur noch ein schmaler Pfad ist, der am Bergrücken entlang führt. Es ist herrlich zu laufen, allerdings ist wegen der vielen Wurzeln Vorsicht geboten.Von links kommt eine enge, kurvenreiche Straße von Kelbra herauf, wir überqueren sie (km 18) unter Polizeischutz und laufen auf die Ruine Rothenburg zu. Kurz vor dem imposanten Bauwerk geht es rechts weiter in Richtung der Sittendorfer Köpfe.

 

Gleich ist die Halbdistanz erreicht und  man hat zum ersten Mal einen Blick auf das Kyffhäuser-Denkmal. Wir erreichen die Verkehrsstraße mit den  Ausflugslokalen (km 22) und laufen jetzt links, ziemlich steil zum Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal (km 23) hoch. 1890-96 ließ man zum Gedenken an den Reichsgründer auf dem gut 400 Meter hohen Bergrücken diesen imposanten Denkmalsturm an der Stelle errichten, wo einst die Reichsburg Kyffhäuser, eine der mächtigsten Festungen der Stauferzeit, stand. Auch Barbarossa residierte zeitweise hier, was zu der bereits geschilderten Legende beitrug. Von der Burg sind heute außer den Ruinen noch der 176 Meter tiefe Burgbrunnen zu sehen.

 

Auf das riesige Denkmal, mit dessen Steinen man eine Stadt für 5.000 Einwohner hätte bauen können, führen 247 Stufen und von ganz oben soll man einen sehr schönen Ausblick auf die Goldenen und Diamantenen Auen haben. Das glaub ich gerne und begnüge mich mit dem Ausblick vom Vorplatz aus. Dort bekommt man an der Verpflegungsstelle einen Kontrollstempel und endlich auch den groß angekündigten Schleim. Mein erster. Bisher habe ich von dieser speziellen Sportlernahrung nur gerüchteweise  gehört. Wobei die Meinungen durchaus geteilt sind. Ich gehe mutig an die Sache dran, denn ich habe Hunger. Na ja, ein Geschmackswunder ist es nicht, schlecht wird mir auch nicht, also noch ein Becher. Es gibt allerdings auch Tee, Wasser, Cola, Bier (!), Obst und Brote.

 

Während ich ein paar Bilder mache, kommen auch Claudia und Regina an. Nach nur kurzem Aufenthalt sind sie wieder weg. Die nächsten zwei Kilometer geht es abwärts, an der Burgruine vorbei und dann bei den Ausflugslokalen links auf einem schmalen Pfad. Dann der Anstieg zum Dreiforststein, von dem es ungefähr 4 Kilometer auf dem Rennweg fast eben zum Seebersbrunnen geht. So imposant das Kyffhäuser-Denkmal auch aus der Nähe ist, von hier, praktisch dem Berg gegenüber, überschaut man erst das ganze Ausmaß der Anlage. Es ist wie im Leben: wenn man in einer Sache tief drin steckt, verliert man schon mal den Überblick. Macht man etwas Pause und gewinnt so etwas Abstand, wird der Fall gleich klarer, man sieht Zusammenhänge und findet Lösungen. Für mich gehört dieser Abschnitt zum schönsten Teil der ganzen Strecke.

 

Ich habe Claudia und Regina wieder eingeholt und bin richtig stolz auf das Foto mit ihnen und dem gegenüber liegenden Denkmal. Wir kommen ins Gespräch und Regina entpuppt sich als routinierte Ultraläuferin, die unter anderem auch beim ersten IsarRun erfolgreich war. Jetzt hat sie sich zusammen mit Claudia den Davoser K 78 vorgenommen. Dort sehen wir uns dann spätestens wieder.

 

Drei Kilometer geht es jetzt bergab nach Udersleben (km 35). Der schwerste Abschnitt der Strecke, für mich jedenfalls, kommt gleich anschließend. Etwas mehr als 4 Kilometer geht es über freies Gelände bergauf zum Flugplatz. Es ist nicht steil. Aber der Wind ist hier so heftig, dass ich es aufgebe, den leichten Anstieg im Laufschritt  bewältigen zu wollen. Zeitweise muss ich mich voll dagegen stemmen. Wahnsinn. Einen Moment denke ich daran, wie das wohl ist, wenn zu dem Wind noch Regen kommt. Schnell weg mit solchen Gedanken, die Sonne scheint und außerdem habe ich noch meine winddichte Jacke. Weiter oben säumen meterhohe Hecken den Weg und bremsen den Wind und gleich darauf sind wir auch wieder im Wald und die Sache ist überstanden.

 

Ab km 39 geht es dann nur noch bergab. Rechts sehen wir das „Panorama“, den zylindrischen Bau, in dem Werner Tübke’s 123 Meter langes und 14 Meter hohes Monumentalgemälde zu sehen ist, das mit über 3.000 Figuren an die verheerende Niederlage des Bauernführers, Theologen und Luther-Widersachers Thomas Müntzer 1525 erinnert. Im Volksmund wird der runde Bau auch „Elefantenklo“ genannt.

 

Gleich fällt eine weitere Bad Frankenhausener Besonderheit ins Auge. Der Turm der 1382 erbauten Oberkirche ist mittlerweile über 4 Metern aus dem Lot und damit Deutschlands „Schiefster Turm.“ Ursache für die noch nicht zum Stillstand gekommene Schrägstellung sind Verwerfungen im Untergrund durch Gips- und Salzauslaugungen. Nicht weit von der Oberkirche der Hausmannsturm der Teil der Stadtbefestigung war und bereits 998 erwähnt wird. Zusammen mit der Oberkirche gehört er zum alten Siedlungskern von Bad Frankenhausen.

 

In einer großen Schleife geht es hinunter in die Stadt und über die teilweise gepflasterten Straßen zum Schlossplatz, wo wir eine halbe Runde auf dem eingezäunten Weg ins Ziel laufen. Hier warten der gut gelaunte Sprecher, freundliche Helferinnen und Helfer mit Getränken und die Zeremonienmeisterin mit der Medaille.

 

Meine freundliche Kuchenverkäuferin musste nichts zur Seite schaffen. Es ist noch reichlich Auswahl da für meine liebste Zielverpflegung. „ Probier doch mal den Papageienkuchen,“  werde ich auf ein lecker aussehendes Teil mit Schokoladenüberzug aufmerksam gemacht. „Hä, wieso Papageienkuchen?“ „Na, wegen der Farben,“ klärt mich die Dame auf und verweist auf die verschiedenfarbigen Teigschichten. Ich kann nicht widerstehen. Schließlich hab ich schon den Schleim überlebt.

 

Bei der tollten Strecke, dem ganzen Drum und Dran, der Freundlichkeit der Leute und, nicht zu vergessen, bei Preisen (Startgeld, Essen, Getränke, Unterkunft), wo ich  mir manchmal  die Augen reibe, frage ich mich jetzt nur noch eins: warum sind hier nicht mehr Teilnehmer? Nicht dass die Veranstalter sich beklagen würden. Sie machen ihre Arbeit richtig gut und sind zufrieden. Nein, ich frage mich deshalb, weil ich oft die Klagen höre: „Zu teuer, unverschämt, wo wollen die mit ihren Preisen noch hin?“ Es geht auch so.

 

Streckenbeschreibung:

Landschaftslich sehr schöner und abwechslungsreicher Rundkurs, allerdings mit ca. 800 HM auch anspruchsvoll. Jeder Kilometer ist markiert.

 

Logistik:

Alles kein Problem, Parkplätze in der Nähe des Schlossplatzes

 

Weitere Veranstaltungen:

Wandern, Nordic-Walking, Mountainbike-Rennen,

Laufen 21, 14 und 6 Kilometer

 

Verpflegung: 

Ausreichend Getränke- und Verpflegungsstellen. Meist mit Wasser, Tee, später auch Cola und Bier, Broten und Obst, am Denkmal gibt es den berühmten Schleim.

 

Auszeichnung:

Medaille und Urkunde

 

Rahmenprogramm:

Nudelessen am Freitag, Sportlerball am Samstagabend. Kleine Verkaufsausstellung im Festzelt. 

 

Informationen: Kyffhäuser Bergmarathon
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