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Laufberichte

Entspannter Spätsommergenuss

 

Im Kraichgau, auch als Land der tausend Hügel bezeichnet, gibt es keine hohen Berge, aber viele kleinere Erhebungen. Daher kann man auch bei einem Lauf, dessen höchster Punkt gerade mal auf 300 m liegt, auf 44 km 750 Höhenmeter sammeln.

Eigentlich habe ich heute überhaupt keine Zeit, zu einem Wettkampf zu fahren, da momentan eine von zwei Perioden ist, in denen ich 30 bis 40 % meines Jahreseinkommens erarbeiten muss. Aber die Wetterprognosen sind spitze und ich brauche dringend ein paar Stunden Abstand zum Stress der letzten Tage. Einige Vereinskameraden, die schon mehrfach beim Kraichgau Lauf starteten, schwärmten von der Strecke und boten mir eine Mitfahrt an. Also lasse ich die Arbeit liegen und komme mit.

Sinsheim hat kein für Touristen ansprechendes Stadtbild. Dennoch gibt es hier zwei Sehenswürdigkeiten, die man in Kombination mit einem Start beim Kraichgau-Lauf anschauen könnte. Im sehr sehenswerten Auto- und Technik-Museum direkt neben der Autobahn A6 (zwischen Mannheim und Heilbronn) kann man unter anderem das Überschall-Flugzeug Concorde, eine russische Tupolev, 300 Oldtimer, 200 Motorräder, 40 Sportwagen, 60 Flugzeuge, 20 Lokomotiven und vieles mehr besichtigen.

In unmittelbarer Nähe, direkt neben der Rhein-Neckar-Arena des 1899 Hoffenheim, liegt das mit weitem Abstand größte Badezentrum, das ich kenne. Mehr als 400 echte Palmen und ein äußerst kreativ gestalteter Sauna-Bereich, u.a. mit der größten Sauna der Welt, laden zum Besuch der Badewelt Sinsheim ein. Ich war schon mehrmals mit Begeisterung dort, allerdings ist es am Wochenende meist zu voll.

Bereits zum 16. Mal lockt der Kraichgau-Lauf mit einer großen Auswahl an Distanzen: 44,2 km, 33,3 km, 21,4 km, 10,6 km, 5 km, Schülerlauf sowie Walking. Die Startgebühren sind sehr niedrig, z.B. 18 Euro bei frühzeitiger Anmeldung für die 44 km. Nachmeldungen sind offiziell bis eine Stunde vor Start möglich, tatsächlich klappt es sogar noch später.  Der Lauf startet im Ortsteil Sinsheim-Rohrbach. Rohrbach wurde zwar schon im Jahr 1099 erstmals urkundlich erwähnt, aber die Gegend war schon viel früher besiedelt, wie mehrere Hügelgräber aus der jüngeren Steinzeit (2500-2000 v.Chr.) zeigen.

Ein nettes, leider bei Laufveranstaltungen seltenes Angebot ist die kostenlose Kinderbetreuung. Ausgebildete Kindererzieherinnen betreuen die Kleinen, während die Eltern sich voll auf ihren Lauf konzentrieren können.

Für jeden gelaufenen Kilometer je Teilnehmer spendiert der Veranstalter 0,05 € an eine soziale Einrichtung. 2013 kamen hier Spenden im Gesamtwert von 1.500,- Euro zusammen.

Fünf Minuten vor dem Start stehen noch fast alle gemütlich am Straßenrand. Nur mit der Ruhe! In Berlin drängen sich jetzt gerade 40.000 Leute. Wir dagegen kommen heute völlig ohne jubelnde Zuschauer und touristische Sehenswürdigkeiten aus. Sonne, Wald und Obstgärten reichen zu unserem Glück. Die Seele baumeln lassen statt Massen-Event heißt die Parole. Das soll aber nicht bedeuten, dass ich etwas gegen Berlin hätte!

Pünktlich um 9 Uhr starte ich auf der Ultra-Distanz von 44 km, die 33 km Läufer, die bis km 31 dieselbe Strecke laufen, kommen auch gleich mit. Dann folgen nach und nach die Kurzstreckenläufer. Schon nach weniger als drei Minuten haben wir die Stadt verlassen und laufen nun bis zur Rückkehr nur noch durch Natur. Eine Trommelgruppe sorgt für gute Stimmung. 

Die Strecke führt fast ausnahmslos über breite Forst- und Feldwege, gelegentlich auch auf Asphalt. Seit Jahren meide ich Asphalt fast komplett, doch nachdem ich dieses Jahr fast ausschließlich auf anspruchsvollen Trails trainiert habe und viele schwere Trail-Wettkämpfe gelaufen bin, freue ich mich heute tatsächlich darüber, zur Abwechslung mal wieder einige Kilometer recht schnell laufen zu können, ohne ständig einen Blick auf unebenen Boden werfen zu müssen. 

Heute! Zur Abwechslung! Auf Dauer zieht es mich eher sogar zu noch krasseren Trail-Abenteuern als bisher.

Die ersten Kilometer führen meist durch sonnigen Laubwald. Unterwegs kommen wir an einer Trommlerin vorbei, der wir später noch zwei Mal begegnen werden. Bisher liegen nur recht sanfte Steigungen und Gefälle hinter uns. Inzwischen überholen uns viele der schnellen Halbmarathonis, was auf den breiten Wegen kein Problem ist. Dann geht es auf einem Asphaltweg vorbei an Obstplantagen bergab. Kurz darauf folgt der einzige Abschnitt, den man etwa zwei, drei Minuten lang als Trail bezeichnen könnte.  

Nach einer Verpflegungsstelle folgt ein längerer Aufstieg. Hier kommen uns die 10 km Läufer entgegen. Seltsam - bei den Langdistanzlern sehe ich nur fröhliche Gesichter, manche Zehner blicken dagegen schon recht gequält, obwohl sie im Gegensatz zu uns abwärts laufen und auch 20 Minuten weniger gelaufen sind.

Ich fühle mich heute sehr gut. In den vier Wochen nach dem Ultratrail du Mont-Blanc, wo  ich nonstop 168 km mit 9600 Höhenmetern gelaufen bin, lag mein Trainingspensum bei knapp über einer Stunde. Heute scheint meine Batterie wieder voll zu sein. Nach all den alpinen Trails in diesem Jahr kommen mir diese 44 km mit 750 Höhenmetern eher flach und leicht vor. Ich verstehe es aber, dass mir andere Läufer unterwegs sagen, dass sie manche Hügel als steil oder anstrengend empfinden. 

Zwölf Mal kommen wir an Getränkestationen vorbei. Daher kann ich heute auf meine Laufrucksack verzichten - ein ungewohntes Gefühl. Ich bin kurz vor km 20, als mir der schnellste 44 km-Läufer entgegen kommt. Er hat inzwischen schon 26 km hinter sich. Ein paar Streckenabschnitte laufen wir heute mehrmals, aber das macht mir nichts aus. Schöner Laubwald wechselt mit Feldern und Obstbäumen, alles sieht ohnehin meist gleich hübsch aus, da macht es keinen großen Unterschied, ob wir viele verschiedene Wege erkunden oder einige Passagen doppelt oder sogar zum dritten Mal laufen.

Als ich mich vorgestern entschied, mit den Kameraden nach Sinsheim zu fahren, wollte ich hier eigentlich nur in regenerativem Tempo laufen. Doch der relativ einfache Kurs lockt mich, endlich mal wieder schneller als bei den Ultratrails zu laufen. Daher lege ich die ersten 22 km im 6er Schnitt zurück.

Dann erreichen wir saftig gelbe Rapsfelder. Wie froh bin ich, den Arbeitsstress heute ignoriert zu haben und nun diesen herrlichen Spätsommertag genießen zu dürfen! Nach einer Schleife über weitere Hügel kommen wir erneut an den Rapsfeldern vorbei. 

Bisher war die Strecke hervorragend markiert. Doch nun sehe ich im Wald nur noch die Zeichen für die 21 und die 33 km. Als erfahrener Trailrunner weiß ich, dass ich normalerweise umkehren soll, wenn ich keine für mich gültige Markierung mehr sehe. Zum Glück habe ich den Streckenplan vor dem Start genau angeschaut und weiß, dass ich bis km 31 der 33er Route folgen muss, sonst hätte ich hier viel Zeit verloren.

Dann erreiche ich km 31. Hier ist vier Stunden nach dem Start Cut Off. Wer zu spät kommt, wird auf die 33 km Strecke geleitet. Keine Gefahr für mich, ich bin eine dreiviertel Stunde „zu früh“. Bis hier laufen die Teilnehmer der 33 km und der 44 km gemeinsam, nun biegt die große Mehrheit der Leute vor und hinter mir rechts in Richtung Sinsheim ab, wogegen vor mir nun noch eine längere Schleife durch den Wald liegt, überwiegend auf Wegen, denen ich heute Morgen schon einmal folgte.

Schließlich geht es hinab nach Sinsheim. Vor dem Ziel werde ich mit einer La Ola Welle begrüßt, ein Moderator kündigt mich mit Name und Verein an, dann erreiche ich nach 4:56 das Ziel. Ich habe Platz 29 von nur 34 Finishern (+9 DNF), bei den 33 km gibt es 87 Finisher und beim Halbmarathon 112. 

Im Gegensatz zu den Vorjahren ist die Zielverpflegung heute verbesserungswürdig. Obwohl ich eine Stunde vor Zeitlimit ankomme, gibt es schon eine Weile keine Würstchen mehr, Spaghetti Bolognaise ist auch schon weg. Reichhaltig ist nur noch das Kuchen-Angebot. Wenn sich so wenige Läufer voranmelden, hat es der Veranstalter mit der Kalkulation der Verpflegung nicht leicht. Dass es da einmal zu Engpässen kommt, kann ich verstehen.

Insgesamt war dies ein wunderschöner Sonntag. Besonders für die Landschaftsläufer, die nicht auf unebenen Pfaden stolpern wollen, ist es eine ideale Strecke. Für Trailrunner bietet sie eine entspannte, ausnahmsweise trailfreie Abwechslung. Ich empfehle den Lauf gerne weiter. 

 

 

 

Informationen: Kraichgau-Lauf
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