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Laufberichte

Boston, here I come

 

Nach sieben Stunden Flug müssen wir die Uhren verstellen. Um 13h sind wir in Frankfurt gestartet, um 14h landen wir in Boston. Die B 747-8 ist mehrheitlich mit Leuten gefüllt, die wegen des Marathons anreisen. Dem trägt der Pilot Rechnung. Nach der Landung wünscht er den Marathonis alles Gute für ihr Rennen. Dann eine erfreuliche Erfahrung: der Einwanderungsbeamte ist tatsächlich freundlich, fast charmant. Man kann sich normal unterhalten mit ihm. Zum Schluss wünscht er mir noch ein gutes Rennen, und „Have fun!“

Fast auf die Minute genau sind drei Jahre vergangen, als zwei feige Geisteskranke im Zielbereich vom Boston-Marathon Sprengfallen zündeten und drei Menschen töteten, viele verstümmelten und verletzten. Dieses Ereignis wird uns unser ganzes Marathon-Wochenende begleiten. 

Manuela und Günther sowie Evi und Herbert. In dieser Besetzung waren wir vor vier Jahren schon beim BigSur-Marathon, dem Marathon am Highway No. 1, mehrheitlich der Pazifikküste entlang. B2B steht für Boston nach BigSur. Diese zwei Marathons kann man auch binnen 6 Tagen machen, von Küste zu Küste. Wobei man eingestehen muss, dass die Ziellinie vom Boston-Marathon bereits drei km vor der Atlantikküste liegt.

 

 

Mit Evi war ich schon vor 25 Jahren hier, als wir New England bereisten. Wir wissen, dass uns die Stadt gefällt und wir haben seitdem eine ganz gute Grundorientierung in Boston, die wir noch am Tag der Anreise für einen ausgedehnten Spaziergang durch die Innenstadt nutzen. Ein kalter, scharfer Wind weht, Winterkleidung ist empfohlen. Die Vegetation liegt gegenüber hierzulande um ein paar Wochen zurück, fast alle Bäume sind noch kahl. Da und dort ein blühender Strauch, null Pollenbelastung für mich.

Im John B. Hynes Convention Center bekommen wir unsere Startnummern, dazu müssen wir von unserem Hotel aus nicht einmal ins Freie. In den EURO 380,- Startgeld ist ein passendes Funktionsshirt mit dem begehrten Einhornlogo bereits enthalten. Die Leute kaufen fast alles und um jeden Preis, Hauptsache dieses Logo ist drauf. Man ist darauf eingestellt, das Abkassieren funktioniert schnellstens und reibungslos.

Zwei weitere Tage mit Sightseeing per pedes, U-Bahn und Taxi. Das Erklimmen des Bunker Hill Monument (1843), ein Obelisk mit 294 Stufen in seinem Inneren, erspare ich mir dann aber in Hinblick auf den Marathon. Man muss nicht alles übertreiben. Mittagessen in Cambridge am Harvard Square. Die abendliche Pasta-Party wird im TV übertragen. Der Schauspieler Jake Gyllenhaal ist da zu sehen, gemeinsam mit Bombenopfern von 2013. Einige davon werden den Marathon laufen, ohne Beine!

 

Dann der Renntag.

 

18. April. 1775 machte Paul Revere seinen legendären Ritt, um Samuel Adams und John Hancock vor den herannahenden britischen Truppen zu warnen. Die Namen dieser drei Patrioten sind in Massachusetts allgegenwärtig. Denen haben wir den Patriot’s Day zu verdanken, der Brauerei Sam Adams ein 26.2-beer (Marathonbier) und John Hancock ist nun Hauptsponsor des Boston-Marathons der heute, 241 Jahre später, zum 120. Mal über die Bühne geht. Den gibt es also seit Ende des 19. Jahrhunderts, das ist Rekord.

Wecker brauche ich keinen, ich liege schon seit Stunden wach, bevor ich etwas frühstücke. Wir gehen zu den Schulbussen, welche uns zum Startareal in Hopkinton bringen. Am Weg zu den Bussen begegnen uns Jogger oder Spaziergänger. So gut wie jeder wünscht uns alles Gute und findet es super, dass wir da mitmachen und ist überzeugt davon, dass wir es schaffen werden.

 

 

Die Fahrt auf der Autobahn dauert lange. Wieder einmal bekomme ich einen Eindruck davon, wie weit 42,2km = 26.2 miles eigentlich sind. Ziemlich weit.
Die Kleiderbeutel muss man schon in Zielnähe abgeben, noch bevor man in die Busse einsteigt. Alles, was man in Hopkinton bei sich hat und nicht auf die Strecke mitnimmt, wird eingesammelt und an Bedürftige abgegeben. Wer in Hopkinton noch ein warmes, eventuell sogar teures Laufgewand im Beutel hat, hat Pech gehabt. Hunderte Freiwillige sind hinterher alleine mit dem Aufsammeln der Kleider beschäftigt.

Im Startareal lagern tausende Läufer, viele davon im Schatten eines riesigen Zeltes, denn es ist schon recht warm. Über 30.400 Anmeldungen hat man registriert, 27.487 Läuferinnen und Läufer werden starten. Es ist der wärmste Tag seit langem. Es gibt Frühstück für alle, Wasser, Gatorade, Äpfel, Bananen, Energiebeutel von Clif und Bagels. Die Hubschrauber der Coast Guard fliegen, die vom Fernsehen ebenso und Musik wird gespielt. Dazu ein Sprecher der verkündet, welche Läufer mit welcher Startnummernfarbe sich nun zur Startlinie begeben sollten. Und zwar etwas vor der Startzeit, denn vom Lager bis zur Startlinie ist es ein 2km langer Fußmarsch.

Wir, die sich um viel Geld weil ohne Qualifikationszeit über ein Reisebüro eingekauft haben, starten ganz zuletzt vom 8. und letzten Corral der 4. Wave. Als wir Hintergrundstarter uns Richtung Startlinie in Bewegung setzen, komme ich mir vor, wie auf einem Gefangenenmarsch. Beiderseits der eingezäunten Straße und auf Dächern bewaffnete Polizisten, die Querstraßen sind mit Bussen, LKW, Schneepflügen und sonstigem schwerem Gerät verbarrikadiert. Da kommt kein Irrer mit was auch immer durch.

Anwohner sitzen auf ihrer Veranda und sehen dem Marsch zu. Zum Teil gelangweilt – kein Wunder, das Prozedere dauert schon anderthalb Stunden – zum Teil aber auch unter großer Anteilnahme. „Have fun!“ wünschen sie uns. 

84min, nachdem die Schnellsten gestartet sind, ist es für mich so weit. Ein paar sind noch hinter mir. Umgerechnet 22°C hat es bereits. Obwohl alle 5min ein Start erfolgt, ist das Gedränge auf der Strecke groß. Einmal steige ich sogar Günther von hinten auf den Schuh, sorry.

 

 

Erstmal geht es bergab. Viele sind äußerst langsam unterwegs, auf 6 Stunden vielleicht. Ständig bin ich am Überholen, auch als es wieder einmal rauf geht. Bei km2 dann die Stylianos Kyriakides-Statue. Dieser Stylianos war 1946 zum Boston-Marathon gekommen, um für seine nach dem 2. Weltkrieg verarmten, hungernden griechischen Landsleute Spenden aufzutreiben.

Viele Leute am Straßenrand, die Anfeuerungen der  „Cheers“ hier sind ja legendär. Immer  wieder aber auch große Streckenabschnitte ohne Zuseher. Durch die wellige Strecke sieht man immer wieder weit nach vorne, die Straße ist voll mit Läufern. Viele Gedenken mit ihren „Martin Richard 8“–Laufshirts dem 8jährigen Martin, der vor  drei Jahren ums Leben gekommen ist. Polizisten laufen für ihren Kollegen, der auf der Jagd nach den Attentätern  erschossen worden ist.

Zwei Freunde von uns waren 2013 hier, Franz kam ein paar Minuten vor dem Anschlag ins Ziel, Norbert wurde 1 Meile vorher abgefangen. Wir haben damals nie über die Strecke an sich gesprochen. Die erweist sich als durchaus herausfordernd, geht es doch beständig auf und ab. Nie lange und nie steil, aber richtig flach ist es kaum einmal. Kurz gesagt: Kräfte raubend!

Zu Beginn wird jeder km angezeigt, zudem jede Meile und alle 5km gibt es eine Zwischenzeit. Diese wird sofort an Manuelas Handy gemailt, sodass unsere Frauen ständig informiert sind, in welchem Streckenabschnitt wir uns gerade aufhalten.

Vor den Häusern haben die Leute Partyzelte aufgestellt, es wird Bier getrunken und vielfach gegrillt. Danach riecht es auch. Die Texte auf den Schildern sind zum Teil recht originell.

„Pain is temporary, posting on facebook is forever“, oder, übersetzt: „Mutti beeil’ dich, wir wollen unser Mittagessen“.

Bei jeder vollen Meile gibt es beiderseits der Straße hilfreiche Labestellen mit Gatorade und Wasser. Das heißt für mich, ich habe ausnahmsweise keine Getränke-Flasche dabei. Wir sind kurz vor Mittag gestartet und die Tageserwärmung ist schon ganz beträchtlich. 

Viele Läufer aus der Gegend sind dabei. Immer wieder biegt eine(r) unvermutet im rechten Winkel ab, um einem Nachbarn oder den Eltern um den Hals zu fallen. Ein Läufer wird begrüßt: Endlich bist du da, ich bin vom Anfeuern schon ganz fertig.

Viele lassen ihre „Cheers“ wirklich in vollem Enthusiasmus raus, das ist anstrengend, kein Zweifel. Auf einigen Pick-up trucks sind Musikanlagen installiert und beschallen uns und die weitere Nachbarschaft. Stellenweise wird schon begonnen, die Becher zusammen zu kehren. Vor uns sind hier bereits etwa 25.000 durstige Läufer vorbei gekommen und dementsprechend sieht es aus.

Immer wieder faszinierend, wie hier die Kabel verlegt werden. Nämlich gar nicht, die hängen alle kreuz und quer in der Luft.

50 Blinde Läufer sind mit Guides unterwegs, sie alle werden ins Ziel kommen. Die Beinamputierten haben jede(r) zwei Guides an der Seite. Firmen wünschen in ihren Einfahrten den runners auf Schildern „Good luck“, die Gegend ist voll und ganz auf Marathon eingestellt.

 

 

In Natick sind rechts der Strecke etwa 25 Trampoline aufgestellt, auf jedem ein hüpfendes Kind. Die Schülerinnen aus Wellesley bei km20 finden allerlei Gründe, warum man sie küssen sollte: Beispielsweise: „Kiss me, or I’ll vote Trump“ – Wenn das kein Argument ist!

Seit km10 haben wir Wind, der weht von der Küste ins Land, kommt als von vorne. Was jetzt schon absehbar ist: Meine Zeit heute wird furchtbar werden: 2h19 schon bei Halbdistanz. Ich bin hier, um mir einen Traum zu erfüllen, mir die Medaille vom Boston-Marathon zu verdienen. Da muss ich nun durch. 

Auffällig ist, verglichen mit europäischen Marathons, der mit 45,7% hohe Frauenanteil im Starterfeld. Viele der Frauen sind noch keine 30.

Bei Meile 16 überqueren wir die I-59 und den Charles River, der in Boston kurz vor der Mündung in den Atlantik zu einem See aufgestaut wird. Gestern waren darauf viele Segelboote unterwegs.

Von da an geht es in vier etwas steileren Anstiegen rauf. Bei der Newton Fire Station   macht die Strecke einen Knick nach rechts. Ab jetzt haben wir richtig Gegenwind, das bisher war noch gar nichts.  Die Feuerwehrleute haben einen Kühltunnel installiert, darin wird das Wasser fein versprüht. Viele haben ihre Freude mit dieser willkommenen Abkühlung.

Der letzte dieser vier Anstiege ist der berüchtigte Heartbreak Hill. STRONG TOUGH BOSTON, ist auf den Shirts der Trommler zu lesen, die an dessen Beginn ihre Instrumente bearbeiten. Ein Ehepaar in den Vierzigern hat einen eigenartigen Stab dabei. Am Start haben Günther und ich gerätselt, wozu der gut sein soll. Jetzt sehe ich es. Sie massiert ihm damit unterwegs den Nacken. Was für ein Service!

 

 

Andi vom Reisebüro weiß, dass Günther in der Nähe ist. Wenig später treffe ich auf ihn. Ab nun machen wir gemeinsame Sache. Schön langsam nähern wir uns der Stadt. Ich versuche in der Straßenmitte zu laufen. Die Anfeuerungsrufe vom Straßenrand sind derartig laut, so etwas habe ich noch nicht erlebt.

Nun geht es vermehrt runter, dann über Straßenbahnschienen und der Trasse entlang. Vor uns sehen wir am Horizont den John Hancock Tower, dort ist das Ziel. Mit 60 Stockwerken ist dieser Turm einer Versicherung das höchste Gebäude Bostons.

Bei km40 geht es noch einmal über eine Autobahn, dann endlich das Schild „1 mile to go“.  Die Cheers der Zuseher sind überwältigend und lassen nicht nach. Es geht in eine Unterführung und bald rechts in die Hereford Street, hier im Schatten ist es richtig kühl. Ein leichter Anstieg, nach links in die Boylston Street, die Zielgerade.

Das Ziel meiner Träume liegt vor uns in der Abendsonne, noch 600m.

Rechts kann ich unseren Frauen zuwinken, die nun nicht mehr warten müssen. Ein Fotostopp vor der Ziellinie geht sich noch aus. Darauf kommt es auch nicht mehr an.

Dann bekommen wir lächelnd, verbunden mit einer herzlichen Gratulation, die prachtvolle Medaillen um den Hals. Wir sind nun Boston-Marathon-Finisher! Wahrscheinlich die schönste meiner vielen Erinnerungsmedaillen, mit Sicherheit aber die teuerste.

Ich habe mir einen Traum erfüllt, das fühlt sich echt gut an. Fehlt mir zu meinem Glück nur mehr ein Weißbier, denn ich bin völlig ausgetrocknet.

Der Sieger Lemi Berhanu Hayle (ETH) siegte in 2:12:45, der war also zu Mittag schon im Ziel, bei unserem Zieleinlauf ist es fast halb 5. 

Eine schöne Geste der Siegerin Atsede Baysa (ETH) 2:29:19 - Bei ihrer Ehrung im Fairmont Copley Plaza Hotel überreichte sie der 73jährigen Bobbi Gibb den Pokal. Bobbi Gibb war die erste Frau, die am Boston-Marathon teilgenommen hatte. Es war am 19. April 1966, 50 Jahre sind seitdem vergangen.

 

26.639 Finisher

Startgeld 380,- EURO

prachtvolle Finishermedaille

Ab Meile 2 jede Meile eine Versorgungsstelle mit Wasser, Iso,  3x Clif (Gel)
 

Sieger

1 Lemi Berhanu Hayle 2:12:45 ETH
2 Lelisa Desisa 2:13:32 ETH
3 Yemane Adhane Tsegay 2:14:02 ETH


die schnellsten Damen:

1 Atsede Baysa 2:29:19 ETH
2 Tirfi Tsegaye 2:30:03 ETH
3 Joyce Chepkirui  2:30:50 KEN

 


 
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