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Laufberichte

Von der versunkenen Stadt und fürstlicher Jagd

28.08.11

Fotos: Kay Spamer

Wo verläuft die feine Grenze zwischen Urzeit und Geschichte? Am geheimnisvollsten Ort im Kreis Offenbach. Das Gelände mit seinen hohen alten Bäumen heißt noch heute „Koberstadt“. Es wird berichtet, von der versunkenen Stadt und fürstlicher Jagd. Auch jetzt ist die Koberstadt wieder versunken unter einem Unwetter und gejagt wird hier seit 33 Jahren -  nach Vereinskollegen oder den eigenen Rekorden.

Nach einer Sage erregte der Lebensstil der Bewohner der Koberstadt den Unwillen Gottes. Er schickte sie deshalb in den Untergang. Schickte er auch deshalb vergangenen Mittwochnachmittag Sturm, Hagel und Gewitter über die Region? Die Vorbereitungen zum Waldlauf mit der Schnapszahl 33. waren abgeschlossen, die Organisatoren hatten wieder mal alles im Griff –  bis ein Gewitter den Koberstädter Wald gebeutelt hat. In Langen wurden über 60 Häuser abgedeckt und Bäume entwurzelt. „Teilweise wüst“ sieht es in den Wäldern rund um Langen und Egelsbach aus, sagt der Leiter der Forstbehörde.

Etliche Wege sind durch umgestürzte Bäume blockiert.

 „Es sei am sichersten, den Wald ganz zu meiden“ sagt er. Die Darmstädter Forstbehörde hat die Genehmigung für den diesjährigen Lauf zurückgezogen. Die Verantwortlichen reagierten schnell -  mit einer Streckenänderung.  Alle Teilnehmer werden über die veränderte Laufstrecke per Regionalpresse, E-Mail und Internet informiert.

Völlig unaufgeregt fällt um 8:00 Uhr am Rande des Sportzentrums am Berliner Platz der Startschuss auf die veränderte Laufstrecke. 2222 -  mit dieser Startnummer als Schnapszahl um meine Hüfte, laufen wir mit 130 Läufern und 23 Läuferinnen zur  sagenumwobenen Koberstadt.  Die Regionalpresse ist auch am Start, aber nur um Fotos zu schießen. Wir reihen uns wie immer hinten ein und treffen viele Freunde und Bekannte. Wenn alles gut läuft, dann sind wir so um die +/- vier Stunden wieder hier zurück im Stadion. Mal sehen,  was uns in den nächsten Stunden erwartet. Den ersten Kilometer laufen wir durch Egelsbach. Eine Kollegin winkt von ihrem Balkon.

 In der Überlieferung wird behauptet, dass die rote Färbung des Erdreiches rund um Langen vom Blut der Bewohner der Koberstadt herrühre. Heute weisen in dem Waldstück keine sichtbaren Spuren mehr auf die Existenz einer Stadt hin. Trotzdem wollen wir mal die Augen offen halten, vielleicht finden wir ja was, was Kay fotografisch festhalten kann. Der Ort liegt im Rhein-Main-Gebiet südlich des Mains zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt. Die 10.000-Seelen-Gemeinde hat den verkehrsreichsten Verkehrslandeplatz in der Bundesrepublik Deutschland und entlastet damit den nur 20 Kilometer entfernt liegenden Frankfurter Flughafen.  Aber ganz in der Nähe des Frankfurter Kreuzes, der Autobahn 661 und der A5 steht man bereits in diesem Wald.

Wir laufen an Kleingärten vorbei, über die langgezogene Autobahnbrücke der 661. Leider sehr wenig im Wald. Die UN hat das Jahr 2011 zum „Jahr der Wälder“ auserkoren, so sollte man doch wenigstens einen Marathon im Wald gelaufen sein.

Oha, ein erster kleiner Anstieg. Ich freue mich, wie gut das geht. Bei Kilometer 4 würden wir auf der Originalstrecke am  "Weißen Tempel" am Ernst-Ludwig-Platz vorbeikommen.  Es ist logischerweise nach seinem Erbauer, Großherzog Ludwig III benannt. Der Vorgängerbau wurde um 1850 errichtet. Der markante, unverwechselbare Pavillon gibt normalerweise eine Orientierung im weitläufigen Wald und ist ein beliebtes Ausflugsziel. Heute jedoch orientieren wir uns auf die Pfeile an den Bäumen oder auf dem Boden.

Nun geht es leicht abwärts.  Ein Streckenabschnitt  in dem wir wieder Zeit gutmachen können, die wir hinter den Büschen „vertrödelt“ haben. Erster Verpflegungspunkt. Viele Helfer mit Bechern in der Hand rufen: „Iso, Wasser, Apfelsaftschorle, Bananen“. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst zugreifen soll.
Kilometer 6.  Wie wäre es erst gewesen, wenn im 16. Jahrhundert das durch Graf Wolfgang von Ysenburg-Ronneborg projektierte Schloss anstelle in Kelsterbach am Main doch unweit von hier gebaut worden wäre? Sicherlich haben sich die damaligen Fensterputzer ein lukratives Geschäft erhofft, denn es sollte ein Schloss werden mit 365 Fenstern - für jeden Tag des Jahres ein Fenster.

Der Sage nach stand hier eine Stadt, die vom Meer verschlungen wurde.

Ein paar Pfützen auf der Strecke können gar nicht glauben machen, das hier vor ein paar Tagen dies heftige Gewitter runter kam und wer weiß, vielleicht wäre die Koberstadt ein zweites Mal verschlungen worden.  Rechts von uns ist eine Pferdekoppel, die Pferde laufen soweit es geht ein Stück mit uns. Vor uns, etwa bei KM 10 findet Kay endlich ein Fotomotiv.  Leider keine Wallanlage oder eins der vielen Hügelgräber, dafür aber die Kläranlage von Offenthal, von der uns aber kein übler Geruch in die Nase zog.

Nun befinden wir uns unweit vom Naturschutzgebiet Mörsbacher Grund.  Wieder ein Verpflegungspunkt wieder unglaublich viele Helfer. Jetzt bekommen wir von einem Helfer den ersten Strich auf die Startnummer, um uns in der zweiten Runde von den Halbmarathonläufer zu unterscheiden. Schön eigentlich, dass die Helfer die Unterscheidung  nicht an den verzerrten Gesichtern oder der gebeugten Körperhaltung festmachen. 

Es herrscht die optimalste Lauftemperatur - ich schätze so an die 20 Grad.  Zwei kurze, kleine Steigungen nehmen wir  noch immer ganz locker. Das ausgedehnte Waldgebiet ist einer der Ausläufer des Odenwaldes. Daher ist die Strecke leicht hügelig. In unserer Gegend hier wird dieser Lauf sogar als „Berglauf“ beschrieben – aber dies ist doch ein wenig übertrieben bei ca. 250 Höhenmetern. Jetzt befinden wir uns auf einem  asphaltierten Streckenabschnitt. Ich sehe einen Wegweiser:  „6 KM zur Grube Messel“. Leider führt er nicht in unsere Richtung. 

Die Grube Messel ist UNESCO-Weltnaturerbe-Denkmal.

Im Gedanken tauche ich ein in eine Zeit vor Jahrmillionen. Die  Gegend hier sah noch ganz anders aus als heute, lag sie doch noch auf dem Breitengrad Sardiniens. Wie in heutigen Regenwäldern, war auch der Messeler Urwald diejenige Region, in der die größte Artenvielfalt herrschte. Hier wurde u. a. auch das rund 47 Millionen Jahre alte Affen-Fossil „Ida“ gefunden das laut Experten bahnbrechende neue Informationen über die Evolution des Menschen bietet. Man denke nur an die Laufvögel. Ich meine jetzt nicht meine Mitläufer hier auf der Strecke, sondern den „Palaeotis weigelti“ - der Urstrauß. Hierbei handelt es sich zweifellos um eine flugunfähige Art, die mit zu den Seltenheiten in Messel zählt. Nirgendwo sonst in Deutschland sind Tiere der Urzeit als Ganzes so anschaulich und in so großer Vielfalt erhalten wie in der Grube Messel.

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Informationen: Koberstädter Wald-Marathon
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