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Laufberichte

Hinter Gittern

25.04.10
Autor: Joe Kelbel

Nur die Knasties laufen sich warm, darunter auch jener, der seine Frau umgebracht hat.  Einige „Jungs“ sitzen im Unterhemd auf einer Bank, sie sind Helfer und lassen sich gerne fotografieren.

Start 10 Uhr. Locker geht es los. Schnell setzen sich die Spitzenläufer ab. Auf den zahlreichen Begegnungsstellen sieht man sie aber immer wieder. Hinter den Fenstern gröhlen Gefangene gegen die Musik an, man kann sie nicht sehen, zu dicht sind die Gitter vor den Fenstern. An den Regenrinnen glitzert Stacheldraht.

Eine große Gruppe Gefangene sitzt auf dem Gras unter den Kiefern und gröhlt, aber nicht unangenehm. Nur die wenigen weiblichen Läufer bekommen eine andere Art Beifall, aber das bleibt im nett gemeinten Bereich. Die Atmosphäre ist irgendwie sympathiegeladen, alles sehr diszipliniert.

Nicht symphatisch ist die Sonne. Es wird schnell brüllend heiß, die Kiefern spenden keinen Schatten. An den stacheldrahtbewehrten, mächtigen  Mauern wird die Wärme reflektiert, auf der anderen Seite heizt der Sportplatz oder der sandige Boden, unter uns der knallharte Asphalt. Oh, es wird nicht einfach sein!

Die harten Jungs im Haus Nr 3 sind nochmals extra per Zaun gesichert. Die vergangenen  Jahre schepperten sie mit Metallgegenständen gegen die Gitter, doch dieses Jahr steht hier eine Sambaband und heizt uns lautstark  ein. Dagegen kommen die Jungs nicht an, sie hängen am Zaun, viel Abwechslung gibt es hier ja nicht.

Ich schaue hoch zur Mauer.  Ich denke darüber nach, wie ich hier rauskommen könnte. Ein Film  war prägend: Runaway Train  (Express in die Hölle), 1985, bei dem Manny und Buck aus dem Hochsicherheitsgefängnis  im verschneiten Alaska  durch ein Abflussrohr fliehen. Sie springen dann auf einen Zug, dessen Lokführer einen Herzinfarkt erlitten hatte. Ähnliches war 2007 passiert, als hier  ein Häftling in einem Karton auf der Ladefläche eines Lastwagen floh, und nie wieder auftauchte. Ob Pappillon hieraus hätte fliehen können?

Hier und dort sitzt ein Wärter auf einem Campingstuhl, ich darf sie nicht fotografieren. Ich beobachte, wie ihr Aufenthaltsort mit dem spärlichen Schatten der Baumstämme wandert.

Runde um Runde wird es wärmer. Einige Gefangene schleppen in fürsorgliche Weise unermüdlich Eimer mit kaltem Waser zu den zahlreichen Schwammstationen. Die werden dringend benötigt. Andere sammeln die Schwämme auf, oder spritzen uns mit den Händen nass. Ein kleiner (freier) Junge reicht unermüdlich die Schwämme an. Das Wasser in den Bottichen bleibt sauber und kalt. Danke Jungs!

Im Start/Zielbereich, also alle 1,7 km gibt es zu trinken, Bananen, Äpfel, Müsliriegel. Frubiase SPORT ist der Hauptsponsor und teilt kühle Getränke aus, nach 2 Stunden auch Cola. Auch hier sehr fürsorglicher, schon liebevoller Service der Gefangenen und Freien. Absolut sympathisch, danke Jungs!

Hier im Start/Zielbereich  halten sich auch die „freien“ Zuschauer auf, viele gutaussehende weibliche Personen, die sich dann auch mit zunehmender Gewöhnung in entfernte Bereiche der Anstalt wagen, dort aber umgehend vom Wachpersonal wieder zurückbeordert werden.

Runde um Runde vergeht, viele Kurven und 24mal die  Spitzkehre bremsen den Lauf, der zusehens schmerzhafter wird. Doch dafür holt man sich den Sonnenbrand auf allen Körperseiten. Man erkennt die „unfreien“ Läufer am fehlenden grellen Armband, sie haben schwer zu kämpfen gegen die Hitze und die Schmerzen dieses Laufes. Welch hartes Laufrevier für eine Marathonpremiere!

Franco hat ein bewegtes Leben mit Heroin-und Kokainkonsum und verschiedenen Straftaten hinter sich. 46 Jahre alt, vor 10 Monaten zum Nichtraucher geworden, nutze er den Hofgang fürs Training. Doch wie hart ist dieses Trainingsgelände! Wenig abwechslungsreich, in diesem Winter gab es nur die Möglichkeit in der Sporthalle zu laufen. Er will einmal in seinem Leben eine Sache wirklich zu Ende bringen, er wird es heute schaffen. Doch immer mehr der laufenden Häftlinge bekommen nun Probleme in der Gluthitze. Betreuer motivieren, helfen, bringen Schwämme, sprechen Mut zu. Ich bin selbst genug mit der Hitze beschäftigt, ich kann ihnen nicht helfen.

Wieder andere Häftlinge werden nun rausgelassen, spielen Karten, Schach, quatschen, rauchen oder feuern uns an.

Mein Lauf ist langssamer geworden, und ich schaue in die Reihen der Insassen. Manche in weissem oder bordeauxfarbenen T-shirts, manche mit nacktem Oberkörper und in Shorts. Auffallend die Gruppen der Zahnlosen, aber es gibt auch Gruppen der besser Aussehenden, viele tätowierte und viele mit Migrationshintergrund, wie es so schön heisst. Alle sehr blass doch es fallen die gestählten, muskelbepackten Körper auf. Einige hängen über den (eher symbolischen) Absperrgittern und brüllen mit gebrochenem Deutsch  gegen die laute Musik an.  Sport verbindet, es entsteht absolut kein unwohles Gefühl. Der Läufer mit dem Barcelona-Messi-Trikot wird permanet auf spanisch angefeuert, aber er kann kaum noch die Hand zum Dank heben. Thomas, der tätowierte Andenkenverkäufer, war gestern noch bei der Harzquerung, ist aber dennoch schneller als ich.

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