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Laufberichte

Läufer und Seewolf

25.02.12
Autor: Joe Kelbel

Düsternbrook wurde geprägt durch die Romanik des 19.Jahrhunderts. Wo wir jetzt langlaufen, war damals ein wunderschöner sandiger Strandweg unter hohen Kiefern. Oben, auf der Seitenmoräne, wo jetzt das Hotel Maritim  aus den 70er Jahren steht, war das Ausflugslokal Bellevue (schöner Ausblick), wo sich die Könige und Kaiser trafen. 1920 wurde die Uferstrasse gebaut, seit 1933 Hindenburgufer. Der kaiserliche Yachtclub und das Kruppsche Logierhaus beherbergen heute das Institut für Weltwirtschaft. Vom Olympiahafen (1936) zeugt nur noch der kleine Pavillon mit den olympischen Ringen. Die Badeanstalt mit ihren Steegen aus der damaligen Zeit wird noch genutzt, es finden hier Winterbadetage für die ganz Harten  statt. Vielleicht sollte ich jetzt und hier für den Braveheartbattle trainieren.

Wunderbare, teure Häuser, mit großen Glasfronten liegen an der Laufstrecke. Die Mädchengruppe, die hier sonst die Jahre Stimmung machte, ist wohl im Mutterschutzurlaub.

Vor uns der Tirpitzhafen. 1865 wurde die preussische Marine von Danzig nach Kiel verlegt. Der Flottenadmiral Alfred von Tirpitz liess die Militäranlagen zur Sicherung der strategisch wichtigen Stellung am Nord-Ostsee-Kanal bauen. Der Nord-Ostsee-Kanal wurde schon von den Wikingern geplant, denn die mussten ihre Schiffe damals die 16 km von Haithabu (heute Kreis Flensburg) von Ochsen ziehen lassen.

Hier im Tirpitzhafen ist der Liegeplatz der Gorch Fock,  bis Juni zur Rreparatur in der Werft. Im Bundeswehrjargon wird  ein Buchstabe des Namens ausgetauscht.

Der Name geht auf den Schriftsteller Johann Kinau zurück, der um 1900 mit seinen Gedichten und Erzählungen unter dem Pseudonym Gorch Fock und Giorgio Focco ein ganze Seefahrergeneration prägte. In Norddeutschland kam kein lesender Junge an seinen Büchern vorbei. Gorch ist eine lokaltypische Abwandlung von Georg und Fock war der Nachname seiner Großeltern. Johann Kinau starb 1916 in der Seeschlacht am Skagerrak, seine Leiche wurde nördlich von Göteburg an Land getrieben und dort begraben.

Die Schlacht am Skagerrak war der Höhepunkt des jahrelangen Wettrüstens zwischen England und Deutschland. Auf englischer Seite war es der Oberste Befehlshaber der Royal Navy, Fisher, der die „Dreadnought“  („Fürchtenichts“) Klasse in Auftrag gab, auf deutscher der damalige Staatssekretär und  Großadmiral Tirpitz mit der Nassau-Klasse, die in der Germaniawerft in Kiel gebaut wurde. Aber ansonsten trafen die gewaltigen  englischen und deutschen Schlachtschiffe im ersten Weltkrieg nicht aufeinander, zu groß wären die Verluste auf beiden Seiten gewesen.

Frank fragt mich wegen der vielen alten, militärischen Namen. Namen und Denkmäler, die vor der Machtübernahme des Zampanos bestanden, dürfen weiterhin bestehen bleiben. Viermächteabkommen.

Am 24.Oktober 1918 wurde der Flottenbefehl ausgegeben, dass die Kaiserliche Marine in einer letzten großen Schlacht („ehrenvoller Untergang“) gegen die Royal Navy anzutreten habe. Doch es war absehbar, daß der Krieg durch einen Opfergang nicht mehr gewonnen werden kann. Die einfachen Seeleute an Bord der Großkampfschiffe im Tirpitzhafen  meuterten, richteten die Bordkanonen auf die Häuser der Offiziere, die oben rings um das Bellvue in Düsternbrook standen und verbündeten sich mit der Arbeiterbewegung. Dies war der Anfang der November-Revolution und das Ende des ersten Weltkriegs. 

Im Moment ist die Hauptaufgabe der Kieler Marinesoldaten die Sicherung des Handelsverkehrs am afrikanischen Horn. Die „Berlin“, ein Truppenversorger, der neben Proviant und Treibstofftanks mit seiner Wasserentsaltzungsanlage sämtliche Schiffe in diesem Gebiet mit Trinkwasser versorgen kann, hat kaum die „Lübeck“ abgelöst, da enterten gestern, am Freitag, acht, mit Schnellfeuergewehren bewaffnete  Piraten die „North Sea“, einen 244 Meter langen Tanker. Ein privates Sicherheitsteam versuchte noch die Piraten abzuwehren, sendete einen Notruf. Die zwei Hubschrauber des Marinefliegergeschwaders  5 aus Kiel , mit dem Hubschraubertyp „Sea King“ stellten wenig später die Piraten, brachten sie an Bord der „Berlin“, wo sich nun die Rechtsabteilung um die Räuber kümmert.

Im Vordergrund, mit der Bezeichnung A 513 ist der Tender „Rhein“, auch ein Versorgungsschiff mit kleiner Bewaffnung und zwei Hubschraubern. Weiter draußen A 1425 Treibstoffversorger Ammersee.  Ein Ölbekämpfungsboot und die Haithabu, ein Boot des Umweltamtes liegen noch im Vordergrund. Rechts davon mit der Bezeichnung A 1441 ist die „Langeoog“ ein Minenwurfboot, dient den Minentaucher und Kampfschwimmern, Einheit der KSK.

Markant ist der Flandernbunker (1942) , der auf einer Verkehrsinsel stehend uns den nördlichen Wendepunkt der Laufstrecke ankündigt.  Er bot 750 Soldaten Platz und war die Notfall-Kommandozentrale der Reichsmarine, ist jetzt Mahnmal.

Der alte Wilhelm auf einem Schild verkündet,  dass wir Vorfahrt haben und große grüne Evakuierungsschilder zeigen uns den Notausstieg aus diesem Lauf. Ein Tsunami wäre in dieser Bucht verheerend.

Wäre der Kielmarathon keine Pendelstrecke, würde dieser Bericht ewig lang werden. So jedoch geht es dieselbe Strecke zurück zum Startbereich, wo nicht nur die auf ihren Start wartenden Halbmarthonis (grüne Nummer) die Laufstrecke blockieren, sondern auch noch einige versprengte Athleten der 10km-Walking-Disziplin heroenhaft  um letzte Platzierungen kämpfen. Zwei  Kilometer weiter, vorbei am Satoriuskai, den alten Lagerhäusern, dem alten Gebäude des Fischmarktes wo „Schiffahrtsmuseum“ ohne drei „f“ steht und sich einige Engländer über das Wort „Fahrt“ kranklachen. Jerzt verstehe ich auch, warum die auf deutschen Autobahnen vor jeder „Ausfahrt“ abbremsen.

Weiter bis zum Schwedenkai, wo gerade die „Stenia Germanica“ (Fähre nach Göteborg) liegt,  zum südlichen Wendepunkt und zurück wieder vorbei am Ostseekai und wieder hinauf zum Tirpitzhafen, vier Mal.

Als es in der letzten Runde ruhiger wird, lassen Möwen Miesmuscheln auf den Weg fallen, um sie zu öffnen. Ich frage mich, wieso mein Italiener nicht auch so fette Muscheln findet. Wahrscheinlich isst er die selber.

Ansonsten ist es ein halbwegs sonniger, angenehmer Tag, wie es ihn selten beim Kiel Marathon gibt. Kurze Zeit erscheinen die Kieler mit ihren Sprotten  in  dicken Wintermäntel an der Kieler Linie, wie die autofreie Uferpromenade genannt wird.  Die Handbiker müssen  mächtig kurven und die Seehundefütterung führt zum Menschenauflauf.  Aber  der Wind ist wie üblich: er schafft es immer, von vorne zu kommen. Aber wen kümmert das? Ein guter Läufer ist auch ein guter Seewolf.

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Informationen: Kiel-Marathon
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