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Laufberichte

AC/DC im Karwendel

27.08.16

 

Knapp eine Gehstunde oberhalb von Scharnitz, am alten Weg ins Karwendeltal in Richtung Karwendelhaus, steht einsam und versteckt im Wald die der Muttergottes geweihte Birzelkapelle. Das erste Mal 1809 erwähnt, wurde die baufällige ursprüngliche Kapelle 1956 durch einen Neubau ersetzt. Aufgrund der Fürsprache der Gottesmutter soll sie uns vor Unwetter und Blitzschlag, der im Hochgebirge besonders gefährlich ist, schützen. Das finden wir prima, denn bei unserer Kombination aus (beabsichtigter) Notfallausrüstung und Muttergottes sollte doch nichts schieflaufen. Wie heißt es so schön und für uns absolut treffend in dem berühmten Marienlied des Innsbrucker Musikverlegers Michael Wagner von 1640, das wir erst am Sonntag beim Patronatsfest in unserer Pfarrkirche Maria Himmelfahrt schmetterten?

„Maria, breit‘ den Mantel aus,
mach‘ Schirm und Schild für uns daraus;
lass‘ uns darunter sicher steh‘n,
bis alle Stürm vorüber geh‘n.
Patronin voller Güte,
uns allezeit behüte.“

Mittlerweile ist es hell geworden und wir können, noch fast vollständig im Flachen, die morgendliche Bergwelt bewundern. Gut zu belaufen ist der geschotterte Weg, die Gespräche sind nett und die Welt ist schön. Noch. Au Backe. Gut, dass ich noch keine Ahnung von dem habe, was mich insbesondere auf der zweiten Hälfte erwarten wird. Dann erfolgt ein grandioses Naturschauspiel, denn die ersten Sonnenstrahlen bescheinen einige Bergspitzen. Das hat wirklich etwas von „Im Frühtau zu Berge wir zieh'n...“ Einfach herrlich. Dann, kurz vor der ersten Labestation, wie die Ösis zu sagen pflegen, ein Bild für die Götter: Vor uns steht der Dunst in den Wiesen wie ein weicher Watteteppich, gleich reihenweise bleiben die Leute stehen und versuchen dies mit iPhone & Co. einzufangen und für die Ewigkeit zu bewahren. Wunderschön.

Auf dem Schafstallboden (1.173 m) bei 9,58 km an der Larchetalm bekommen wir dann zum ersten Mal zu essen und trinken, die Schützengilde Scharnitz hat jetzt schon aufgefahren, als hätten wir bereits richtig etwas geleistet. Immer noch flach im Dunst geht es zügig auf gutem Weg voran,  mittlerweile hat die Sonne die Hälfte der Berge in ihren Glanz gehüllt. Wir, also zumindest ich, sind froh, dass sie uns noch nicht erreicht, denn was heute temperaturtechnisch auf uns zukommen wird, können wir uns leicht ausmalen. Dann geht’s aufwärts, Klaus packt die Stöcke aus und tut es damit gefühlt der Hälfte der Teilnehmer gleich. Ich werde auf den restlichen knapp 40 km ausreichend Gelegenheit haben, mir für meine Person darüber so meine Gedanken zu machen. Mit Stockeinsatz laufen und dabei ständig die Kamera ein- und auspacken? Bisher habe ich diese bei jedem Lauf immer in der Hand gehalten, allzeit bereit, sozusagen. Mal nachdenken. Der erste von vielen noch folgenden Wasserbottichen steht am Weg, die ersten nutzen ihn bereits zur Abkühlung.

 

 

Der erste Rückblick ins Tal, aus dem wir gekommen sind, ist so phantastisch, dass ich die Kamera direkt wieder zücken muss. Auf immer noch ordentlichem Weg, aber bereits deutlich ansteigend, nähern wir uns dem Karwendelhaus (1.771 m) bei 18,19 km, ein Schutzhaus des Deutschen Alpenvereins unweit des Hochalmsattels mit Blick ins tiefer gelegene Karwendeltal. Das 1908 erbaute Karwendelhaus liegt inmitten des Karwendels in Tirol, nicht weit entfernt von der Grenze zu Bayern und wegen der zentralen Lage und den zahlreichen Tourenmöglichkeiten für Bergsteiger ein wichtiger Stützpunkt bei mehrtägigen Wanderungen. A propos Grenze zu Bayern: Vier Fünftel des Karwendels gehört zu Deutschland, unser Lauf führt aber ausschließlich durch Tirol. Heutzutage spielt das Gott sei Dank ja keine Rolle mehr. Eine Rolle spielt ab sofort die Sonne, die uns nach exakt 17 km zum ersten Mal voll im Griff hat. Höhepunkt der hiesigen Verpflegung ist die in Trinkbechern ausgeschenkte Kartoffelsuppe, in die ich mich hineinlegen könnte, so gut schmeckt sie mir. Die Masse der bereitliegenden Brote mit Käse und mehreren Wurstsorten erschlägt einen allein schon vom Anblick, aber leider kann ich nicht alles probieren. Denn noch warten die meisten Höhenmeter des Karwendelgebirges auf mich und so viel will ich auch nicht hinaufschleppen.

Weiter führt der Weg bergan. Gegen 1550 begannen im Karwendel die ersten großflächigen Rodungen zur Schaffung von Almen, einige Zeugnisse sind heute noch erhalten: So ist der große Ahornboden, dessen kleinen Bruder wir bald besichtigen werden, entgegen der landläufigen Meinung ein künstlich geschaffener Ort. Darüber hinaus zwang der Beginn des 30jährigen Krieges viele Bauern dazu, mit ihrem Vieh zum Schutz vor Plünderungen in abgelegene Gebiete abzuwandern. Heute findet man diese Gebiete z.B. unterhalb der Talelespitze, in der Faulen Eng oder am Plumsjoch. Im Rahmen der Rodungen wurde auch das erste Mal die Holzdrift auf der Isar praktiziert. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde so das Holz aus den Karwendeltälern nach Scharnitz und Mittenwald geschafft. Experten können die Folgen der langandauernden Übernutzung heute noch ausmachen.

Über Serpentinen geht es dann bergab zum kleinen Ahornboden auf 1.399 m. Er befindet sich bei km 24,23 am südlichen Ende des Johannestals direkt unterhalb der steil abfallenden Nordwände der Hinterautal-Vomper-Kette und beherbergt, wie sein großer Bruder, alte Berg-Ahornbestände. Beide zusammen bilden seit 1928 ein tirolerisch-bayrisches Landschafts- und Naturschutzgebiet. Zahlreiche der 300 bis 600 Jahre alten und sehr knorrigen Ahornbäume haben ihre natürliche Altersgrenze erreicht, die Leichen lässt man jedoch stehen, wie mir scheint. Da die natürliche Verjüngung aufgrund veränderter Boden- und Wasserverhältnisse und durch die Beweidung von Vieh und Wild nicht funktioniert, so habe ich gelernt, werden abgestorbene Bäume durch Neupflanzungen ersetzt.

Der vor allem als Erschließer des Karwendels bekannte Rechtsreferendar Hermann Freiherr von Barth bestieg im Sommer 1870 fünfundzwanzigjährig als Alleingänger 88 Gipfel (zwölf davon erstmals). Zahlreiche nach ihm benannte geographische Objekte belegen seine Verdienste um die Erschließung der Nördlichen Kalkalpen. Ein Denkmal hat man ihm am Kleinen Ahornboden gewidmet. Vielleicht kommt ja irgendwann einmal auch eines für die Geschäftsführer  der beiden Veranstalterregionen, Martin Tschoner (TVB Achensee), und Markus Tschoner (Olympiaregion Seefeld), die uns den heutigen Tag ermöglichen, dazu. Verdient hätten sie es.

 

 

Leider muss ich mich von diesem Anblick schon bald wieder loseisen, ein schwierig zu durchquerendes Geröllfeld ist die nächste Herausforderung. Grober Schotter auf mal schmaleren, mal breiteren Wegen bildet den weiteren Untergrund. Und wieder müssen wir hoch hinaus, die anfänglichen vielstimmigen Gespräche sind mittlerweile vollständig verstummt, jeder ist mit sich alleine ausreichend beschäftigt. Immer schwieriger wird der Untergrund, von einem Weg kann schon lange nicht mehr gesprochen werden. Jeder Schritt in den Felsen will wohlüberlegt sein, zumindest bei mir. Schwer hoch geht es in praller Sonne zu unserem nächsten Ziel, der Falkenhütte. Zwischen 1921 und 1923 erbaut und seit diesem Jahr unter Denkmalschutz stehend, ist die attraktive Hütte auf 1.848 m bei km 30,23 eine Alpenvereinshütte des Deutschen Alpenvereins direkt nördlich über dem Spielissjoch (1.773 m). Sie befindet sich in der Falkengruppe gegenüber den Nordabstürzen der Laliderer Spitze und zwischen Kleinem und Großem Ahornboden. Insbesondere bei Bergsteigern ist sie wegen ihrer Lage und den umfangreichen Tourenmöglichkeiten hochbeliebt. Auch hier ist die Verpflegung reichlich und alles biologisch produziert.

 

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Informationen: Karwendelmarsch
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