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Laufberichte

Lebensfreude und 4000 Jahre Geschichte

 

 

Mir kommt es wie ein kleines Wunder vor, dass diese Veranstaltung überhaupt stattfinden kann. In Jerusalem staut sich normalerweise der Verkehr von Kreuzung zu Kreuzung, die Hupe ist ebenso wichtig wie die Bremse. Für den Marathon sind sehr viele wichtige Straßen gesperrt und manche Bereiche ab 5:30 Uhr nicht mehr mit dem Auto erreichbar. Auch die Busse und Straßenbahnen fahren während dieser Zeit nicht. Schulen und Firmen, ja sogar der Markt bleiben geschlossen.

Nun laufen wir durch die schöne Jaffa Straße, die bis 1930 die Verbindung zu Israels einzigem Hafen in Jaffa war. Wo früher die Pilgerscharen in die Heilige Stadt reisten, ist heute eine mediterrane Flaniermeile. Hinter einer Verpflegungsstelle im russischen Stadtteil, den der Zar Ende des 19. Jahrhunderts für russische Pilger bauen ließ, darunter ein Haus speziell für Mitglieder der Zarenfamilie, sehe ich die Dreifaltigkeitskirche. Wir erreichen den Rand der Altstadt.

 

 

Vor uns ragt die gewaltige, zur ottomanischen Zeit zwischen 1535 und 1538 erbaute und durchschnittlich 12 m hohe Stadtmauer auf. Sie umgibt auch heute noch komplett die Altstadt. Der Anblick erinnert mich an die vielen Geschichten über die Kreuzzüge, die ich gelesen habe.  Eines der dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte ist,  als 1099 Kreuzritter 40.000 Einwohner töteten.

Von den Spannungen, die in Deutschland der Bild von Jerusalem beeinflussen, merkt man als Läufer nichts. Im Bereich der Altstadt stehen zwar ein paar Grüppchen schwer bewaffneter Soldaten, an manchen anderen Stellen sieht man vereinzelt auch Militär, aber alles in allem ist erlebe ich einen diesbezüglich völlig normalen, harmonischen Lauf, bei dem man sich höchstens um seine Kondition sorgen muss.

Links von uns steht Notre Dame de France, ein prunkvolles Gebäude, das dem Vatikan gehört. Rechts ist das Neue Tor, das erst nachträglich in die Stadtmauer eingefügt wurde, um christlichen Pilgern eine eigenen Zugang zur Altstadt zu ermöglichen, damit sie nicht durch den moslemischen Bereich müssen.

Bald verlassen wir die Stadtmauer und laufen durch modernere Stadtteile nach Norden. Zwischen Altstadt und Berg Skopus geht es hin und zurück auf derselben, breiten Straße. Nun beginnt der Aufstieg zum Skopus. Etwa auf halber Höhe ist eine Verpflegungsstelle, bei der auch ein DJ mit Musik für Partystimmung sorgt. Jubelnde Zuschauermassen wie in europäischen Metropolen findet man hier nicht, aber ab dem Skopus sorgen nun immer wieder Livebands, DJs und Animateure für Stimmung.

Oberhalb der Strecke liegt ein großer Friedhof für gefallene israelische Soldaten. Auf dem Skopus umrunden wir den Campus der Hebräischen Universität. Bis zum Sechstagekrieg wurde dieses Gebiet zwar von israelischen Soldaten gehalten, war aber komplett von jordanisch besetztem Land umschlossen.  Inzwischen liegen 15 km hinter mir.  

 


Von hier betrachtet, liegt die gesamte Altstadt wie in einem Bilderbuch ausgebreitet vor mir. Auf dem Tempelberg glänzt die Kuppel des Felsendom in der Sonne. Gegenüber der Altstadt erhebt sich der Ölberg, darunter ein sehr alter jüdischer Friedhof. Nachdem die Straße links abbiegt, ändert sich unser Ausblick. Nun schauen wir in die Judäische Wüste. Hier oben ist es auf 800 m Höhe nach einigen Regenfällen im Winter noch einigermaßen grün, aber schon wenige Kilometer weiter östlich beginnt in tieferen Bereichen die Wüstenlandschaft mit herrlichen Wadis (Felsschluchten), durch die Wanderwege führen. In der Ferne erheben sich die Berge Jordaniens.

Deutlich erkenne ich auch die gewaltige Mauer, mit der seit einigen Jahren die Grenze zum Westjordanland abgeriegelt wird. Nach der nächsten Kurve sehe ich am gegenüber liegenden Hang einen der arabischen Stadtteile. Den Unterschied zum jüdischen Jerusalem erkennt man auf den ersten Blick, denn zwischen den tristen Wohnblocks gibt es keine Parkanlagen.

Dann endet die Umrundung der Universität und ich laufe einige Zeit auf der bereits bekannten Strecke zur Altstadt zurück. Hier kommen mir nun die langsamsten Marathonläufer entgegen. Unterwegs sehe ich ein kleines Haus, das bis 1967 an der nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 entstandene Grenze zu Jordanien als Militärposten diente und heute als Museum an diese Zeit erinnert.

Wir laufen durch eine langen Tunnel unter der Altstadt hindurch und sehen nahe des Jaffa Tors wieder Tageslicht. Hier stehen große Lautsprechertürme, damit uns die Partymusik schon im Tunnel beflügelt. Vor mir sehe ich die Stadtmauer, im Hintergrund die  Dormitio Abtei.  

Recht häufig werden uns an der Strecke kleine Wasserflaschen gereicht, ab und zu gibt es auch Becher mit Iso, zu Essen aber nur selten Obst, Gebäck und eine dickflüssig klebrige Sorte Gel. Wir laufen direkt an der Mauer unterhalb der Zitadelle mit dem markanten, erst 130 Jahre nach der Stadtmauer erbauten, Davidsturm genannten, Minarett entlang. Schon zu Zeiten von Jesus und Moses stand hier eine Festung.  

Von 1948-67 verlief hier die Grenze zwischen Israel und der in dieser Zeit zu Jordanien zählenden Altstadt. Damals hatten die Juden keinen Zugang zu ihren Heiligtümern. Heute steht die gesamte Altstadt wieder allen Religionen offen, der zum islamischen Teil zählende Tempelberg kann aber nur zu bestimmten Stunden von anderen Religionen betreten werden. 1948 hatte Jerusalem 286.000 Einwohner, heute 815.000, davon sind 63 % Juden, 34 % Moslems und 3 % Christen.  

Durch das Jaffa Tor laufen wir in die Altstadt. Früher war es ein ganz normales Stadttor. Vor dem Besuch von Kaiser Wilhelm wurde es 1898 es aber verbreitert, damit Majestät mit seiner Kutsche in die Altstadt fahren konnte.  

Die Altstadt ist in vier Bereiche gegliedert. Wir laufen einen kurzen, wunderschönen Streckenabschnitt im armenischen Viertel. Warum gibt es neben jüdischem, moslemischen und christlichen Viertel auch ein armenisches? Weil dieses Volk als erstes das Christentum zur Staatsreligion erhoben hat.

Durch das ganz kleine Zionstor geht es dann hinaus. Über mir ist der Zionsberg mit dem Rundbau der 1910 erbauten Dormitio-Abtei.  An dieser Stelle soll laut Überlieferung Marias Seele in den Himmel aufgestiegen sein. Die erst Anfang des 20. Jahrhunderts anstelle früherer Kirchen von Kaiser Wilhelm II im Stil des Aachener Doms erbaute Kirche wurde 1948 und 1967 von israelischen Soldaten als Außenposten genutzt und im Krieg stark beschossen. Neben der Kirche befinden sich in einem Gebäude das Davidsgrab, eine der heiligsten jüdischen Stätten, der von Kreuzfahrern im gotischen Stil erbaute „Saal des letzten Abendmahl“.  Da das Gebäude zeitweise auch von den Moslems genutzt wurde, gibt es auch ein Minarett.   


 Kurz blicke ich hinüber zum Ölberg, dann laufe ich unterhalb der Stadtmauer wieder in Richtung Jaffa Tor. Neben mir liegen Parkanlagen, wo im Sommer oft Konzerte, Festivals usw. stattfinden. Weiter  geht es in Richtung des Stadtbezirks Yemin Moshe, dem ersten Wohnbezirk, der außerhalb der Stadtmauer erbaut wurde und heute vorwiegend von sehr reichen Juden bewohnt wird. Oberhalb eines schönen Parks sehen wir die Windmühle, die 1857 von Moses Montefiore gestiftet wurde und auch unsere Finishermedaille ziert.

Ein DJ heizt uns mit guter arabischer Dancemusik ein, kurz darauf spielen ein paar Musiker am Straßenrand jüdische Klezmer Musik. Dann komme ich wieder an einer jungen Rockband vorbei. Diese zweite Streckenhälfte bietet viel mehr Party als die erste.

Vor dem alten Bahnhof, der heute als Kulturzentrum genutzt wird, spielt eine Band. Hier werde ich bald noch einmal vorbei laufen, ebenso am Khan Theater, das zur ottomanischen Zeit als Fabrik, später als Pilgerhospiz und heute als Theater genutzt wird. Ich komme zum deutschen Stadtteil, in dem es sich bestimmt gut leben lässt. Ich sehe den schönen, vom ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog gespendeten Brunnen, dann das 1971 gegründete Jerusalem Theatre, das größten Kunst- und Kulturzentrum der Stadt. Jerusalem ruht sich nicht auf seiner Geschichte aus. Die Stadt erlebte vor allem in den letzten Jahren einen enormen wirtschaftlichen, technologischen und kulturellen Aufschwung.  

 

 

 

Ein Stück weit laufen wir entlang der ehemaligen Bahnstrecke Jaffa-Jerusalem, die inzwischen zur beliebten Lauf- und Radfahrroute ausgebaut wurde. Nächstes Jahr wird eine mit großem Aufwand neu erbaute Bahnstrecke eröffnet, die die Fahrzeit von Tel Aviv nach Jerusalem auf nur noch eine halbe Stunde verkürzen soll.

Etwas später kommt es zur Begegnung mit den 10km-Läufern, die zahlenmäßig am stärksten bei diesem Event vertreten sind. Dann beginnt der Aufstieg zur Haas-Promenade am zweiten großen Aussichtsberg, wieder mal eine Wendepunktstrecke, an der man vielen Läufern begegnet. Ich bin froh, dass ich heute die Anstiege so gut schaffe. Ich habe in den letzten Tagen sehr  gut und sehr viel gegessen, denn, denn auch kulinarisch hat mich Israel überrascht. Auch heute Abend beim Sabbat-Dinner im Hotel werde ich mir beim genussvollen Schlemmen mehr Kalorien anfuttern, als ich jetzt beim Marathon verbrauche. Egal, so eine Reise und so einen Lauf macht man nicht alle Tage!  

Oben vor dem UN Headquarter liegt mal wieder halb Jerusalem vor uns ausgebreitet. Danach folgt ein Streckenabschnitt, der Läufer, die wie ich sonst eher auf Trails unterwegs sind, ungewohnt und eine harte Prüfung ist. Auf der relativ flachen, kerzengeraden Hebron Straße geht es nämlich lange Zeit hin und dann wieder zurück.  

Noch sieben Kilometer bis zum Ziel! Endlich darf ich nach links wieder in einen schönen Stadtteil abwärts laufen und gleich sorgt ein Actionpoint für gute Laune.  Eine Weile geht es durch moderne, mit viel Grün sehr ansprechend gestaltete Wohnbezirke. Es macht einfach nur Spaß, hier zu laufen.  

Kurz vor km 39 fordert uns die wohl schärfste Steigung des Tages, ähnlich steil geht es wieder bergab. Als ich den Rand des Sacher Park erreiche, liegt das Ziel schon zum Greifen nahe, aber zuerst laufen wir entlang des Parks in eine andere Richtung. Erst später führt uns eine Kehre in den Park und durch schöne Grünanlagen wieder am Kloster vorbei.  



Auf der Wiese in Zielgelände laufe ich durch ein Spalier jubelnder Zuschauer und erreiche nach 4:51 Stunden mit einem breiten Grinsen im Gesicht und rundum zufrieden das Ziel. Hier bekomme ich zunächst die Medaille und eine kleine Flasche Wasser, weitere Verpflegung kann man ein Stück weiter oben in Park kaufen. Im Park herrscht bei jetzt sonnigem und warmem Wetter, Livemusik und kleine Gastronomiebuden Volksfeststimmung.

 Insgesamt erreichen 193 Frauen und 1070 Männer das Marathon-Ziel. Bei der Marathon-Siegerehrung steigen mal wieder nur Afrikaner auf die Treppchen. Der Halbmarathon hat 4076 Finisher, der Zehner 7364, 5 km schafften 2629.
Ich bin überglücklich und sehr froh, diese Reise gemacht zu haben. Es hält es mich am Mittag nicht lange im Hotel und ich gehe noch eine Stunde in Richtung Altstadt spazieren.



Einen Besuch Jerusalems kann man mit vielen anderen sehenswerten und nicht weit entfernten Reisezielen kombinieren. Am Tag nach dem Marathon fahre ich durch die Judäische Wüste zum Toten Meer, mit 400 m unter Null der tiefste Punkt der Erde. Das Wasser ist so extrem salz- und mineralstoffhaltig, so dass man ganz bequem auf der Oberfläche treiben kann - eine wunderbare Entspannung. Die Salzablagerungen an manchen Bereichen des Ufers bieten außergewöhnliche Fotomotive.

Zurück geht es unter anderem ein Stück durch die Wüste Negev und vier Stunden, nachdem ich im Toten Meer badete, laufe ich einige Kilometer auf dem weichen Sandstrand des Mittelmeers bei Tel Aviv. Diese vor Lebensfreude sprühende, moderne Großstadt (600.000 Einwohner) hat sich auch bei jungen Europäern in letzter Zeit zu einem beliebten Ziel für Nightlife und Kultur entwickelt.

In Tel Aviv gibt es übrigens mehr Häuser aus der Bauhaus Zeit, als an jedem anderen Ort der Welt. Dies wurde inzwischen als UNESCO Weltkulturerbe anerkannt. Aber auch der  eklektische Stil ist zu finden, natürlich auch sehr viele Hochhäuser, darunter auch architektonisch interessante. Nur wenige Kilometer entfernt bildet das alte Jaffa einen schönen Kontrast zur modernen Großstadt.  

Nachdem ich nun ein realistischeres Bild von Israel habe und Lust darauf, mehr von dem Land kennenzulernen, bin ich sicher, ich komme wieder. Die Region ist ja auch lauftechnisch gut erschlossen.   

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Informationen: Jerusalem Marathon
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