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Laufberichte

In 10 Laufminuten von Asien nach Europa

 

Es geht nun aufwärts, die Steigung ist mühsam, wir haben die Sonnenstrahlen im Gesicht. Direkt an der Steigung ist eine Wasserstelle, das tut gut – ich leere mir die halbe Flasche über den Kopf. Die Uhr zeigt 1:59 Stunden bei 18,3 km, die angepeilten 2:15 für die Halbdistanz kann ich abschreiben. Sobald es dann abwärts geht, lege ich zu und überlaufe drei junge Italiener, die stolz ihr Leibchen von einem 50 km-Ultratrail in der Region Salsomaggiore tragen.

Lustig finde ich eine wohl zum Flughafen eilende Gruppe von afrikanischen Touristen, die auf der für den Verkehr gesperrten Straße ihre Rollkoffer ziehen. In Anlehnung an den viel kritisierten Film „Africa Addio“ aus dem Jahre 1966, der den schwarzen Kontinent in seiner Brutalität zeigte und die Dekolonisation persiflierte, besuchen 2015 elegant gekleidete Afrikaner die  Türkei als Touristen und bringen Devisen.

Bei 28 Kilometer, knapp vor der Wende an der Küstenstraße zurück in den Stadtteil Sultanahmet zeigt meine Garmin-Pulsuhr 3:09 Stunden an. Nun sehen wir auf den kommenden 7 Kilometern die hinter uns nachkommenden auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Franz Schwengler schreit rüber und schießt ein Foto von mir. Er liegt vielleicht 20 Minuten zurück, also rund drei  Kilometer. Viele Läufer kommen hinter ihm noch nach.

Eine Französin mit weißem Shirt und Käppchen und den Farben der Trikolore im Gesicht, nach dem verheerenden Attentaten in Paris vor einigen Tagen wohl ein Zeichen des Patriotismus, geht, läuft und geht dann wieder. Sobald ich wieder aufgerückt bin, legt sie erneut los. Sie hat einen Trailrucksack am Rücken mit Trinkblase -  bleibt daher bei den Labestellen nicht stehen. Logistisch kann auch ich von ihr was abschauen. Ich werde sie kaum in Schach halten können – bis Kilometer 35 geht es, dann ruft sie ihre Reserven ab und zieht davon.

Wieder andere stürmten bei Kilometer 15 davon, jetzt haben sie schlapp gemacht und ihrem Übereifer Tribut gezollt. Ich nehme das gelassen. Auch die, die  jetzt bei Kilometer 36 gehen, werden unter 5:30 finishen. Meine Uhr zeigt nach 40,38 Kilometern 4:42 Stunden an, 18 Minuten für zwei Kilometer sind eine Rückversicherung – wenn es nicht den Anstieg auf der Kennedy Caddesi und hinein in den Gülhane-Park gäbe. Hunderte Sonntagsausflügler sind im Park an der Blauen Moschee unterwegs, wir Läufer müssen ausweichen. 500 Meter vor dem Ziel zeigt meine Uhr 4:59 an, eine Zeit unter 5 Stunden geht sich nicht mehr aus. Aus technischen Gründen kommt es immer mehr in Mode, einfach die Einlaufzeiten zu werten, es werden 5:03:02 Stunden.

Ich bin im Ziel und eigentlich ganz zufrieden. Wie so oft habe ich nach einem Marathonfinish das Gefühl, dass ich weiterlaufen könnte und die Französin gerne auf einen Ultra begleiten würde. Nur ist sie verschwunden.

Die Medaille wird im Ziel nicht umgehängt, sondern befindet sich im Sack mit zahlreichen anderen Goodies. Den Chip können wir behalten. Ich setze mich auf den am Start ausgegebenen und eingepackten Kälteschutz und entspanne mich in der warmen Sonne wie Dutzende andere auch. Neben mir hat sich ein Kollege niedergelassen, den ich im Ziel noch überlaufen habe. Reden will er nicht.

Ich ziehe mich um, hätte mich auch massieren lassen können, doch ich will eigentlich ins Hotel zurück. Viele laufen hinter mir ein, darunter auch der Franz Schwengler mit einem Begleiter – beide  reizen bewusst die 5:30 Stunden Vorgabe aus und spulen den Marathon locker ab. Auch der Franz ist seit einigen Monaten beim Country Club, mit der Türkei sollte er nun 32 Länder haben – darunter auch schon China und Kuba, wo andere erst einmal hinkommen müssen.

 

Meine persönliche Bewertung des Marathons in Istanbul

 

Die Organisation könnte besser nicht sein. Auch das Preis-/Leistungsverhältnis ist Spitze. Wo gibt es neben einem Funktionsshirt noch ein zweites Leibchen und ein üppiges  Sackerl? Die schön designte Medaille dürfte einen hohen Kupferanteil haben, sie wirkt dunkel.

Der Marathonkurs ist dank der Überquerung der berühmten Bosporusbrücke, die man als Fußgänger nicht betreten darf, als spektakulär zu bezeichnen. Allerdings ist es sinnvoll und nötig, will man auch die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten kennenlernen, ein paar Tage dafür einzuplanen. Die Strecke führt an den vielen Moscheen nicht direkt vorbei, endet aber im Touristenviertel Sultanahmet, wo sich die Aya Sofia und die Blaue Moschee befinden.

Die überhöhte Präsenz der Polizei dient der Sicherheit der Läufer, Kontrollen von Taschen sind keine Schikane, sondern angesichts der Terroranschläge auch woanders bei Marathons bald  Selbstverständlichkeit. Man muss dem Himmel oder sonst wem danken, wenn man schöne Erlebnisse vor, bei und nach einem Marathon im Kopf und Herzen mit nach Hause nehmen darf. Ich kann Istanbul nur weiterempfehlen.

Sieger bei den Männern:
1. Eliaz Kemboi Chelimo (KEN): 2:11:17
2. Evans Kiplagat (KEN) 2:12:51
3. Silah Kipkemboi Limo (KEN) 2:14:02

Frauenwertung:
1. Amane Gobena Gemeda (ETH): 2:31:54
2. Zerfie Limeneh Tadese (ETH): 2:40:47
3. Meryem Erdogan (TUR): 2:46:37

Der Türke Beyazit Tür (M65-70) wurde mit 5:40:15 Letzter in der Gesamtwertung, es gab viele Ausfälle, wenn man das Klassement ansieht.

2782 Finisher (2309 bei den Herren, 473 bei den Damen)

 
 

Informationen: Istanbul Marathon
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