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Laufberichte

Trollinger in der Blutbahn

05.05.13

„Der Berg ruft!“

 

… lese ich auf Kilometerschild 8, noch in Flein. Und da warten 75 Höhenmeter bis zum Gipfel auf der Haigerner Höhe. Am Ortsausgang spare ich mir fünf Laufmeter bei der Besteigung des Kreisverkehrs. Dafür gibt es ein paar Bilder mit Ente, Esel, Weinbauer und Blumen. Der Nebel löst jetzt rasend schnell auf. Ich habe meine Mühe, dass mir Stefan nicht davonläuft.

Wir verlassen die Landesstraße, die die Feuerwehr vorbildlich absperrt, nach rechts. Das steilste kurze Stück zum Haigern muss jetzt bezwungen werden. Stefan lässt sich zurückfallen. Ein einheimischer Lebensmitteldiscounter, der übrigens die meisten Sportler gemeldet haben, hat's erkannt, wandelt seinen Werbeslogan um und wirbt mit: „Laufen lohnt sich!“

Die Steigung lässt dann nach, wir hören Musik und Moderation von der höchsten Stelle. Bei der Guggenmusik-Kapelle sind schon die jüngsten mit Trommeln ins Musizieren eingebunden. Toll, so bekommt man kein Nachwuchsproblem.

So steil wie uns der asphaltierte Weg hinaufführt, so abschüssig rennen wir jetzt die Höhenmeter nach Talheim hinunter. 400 Einwohner leben in dem Ort, der von der Schozach, einem Nebenfluss des Neckar, durchzogen wird. Die evangelische Kilianskirche aus dem 11. Jahrhundert liegt auf einer Anhöhe und dominiert den Ort.

„Zur Steige“ nennt sich die Dorfwirtschaft. Warum die den Namen hat, merken wir auf den nächsten 300 Metern, bergauf! Etwa zwei Kilometer führt uns die Hauptstraße über Felder und Wiesen, dann biegen wir nach rechts ab auf eine Werkszufahrt. Schnurstracks mitten durch das Betriebsgelände der Zementfabrik wird gerannt, dann sind wir in Lauffen angelangt. Das schreibt sich übrigens mit zwei f.

 

Lauffen – Meimsheim

 

 

Am Ortseingang sehen wir auf der anderen Neckarseite die ehemalige Burg der Grafen von Lauffen auf einer Anhöhe. Heute ist dort das Rathaus untergebracht. Im Ortskern ist bei der Tankstelle mit Musik und  Trommeln wieder der Bär los. Wir überqueren den Neckar und ich finde wieder einen Ausschank: „Vinum Bonum“, so die Feststellung meiner Degustation. Alles klar? Wenn das in dieser Intensität weitergeht, dann werde ich Stefan den Autoschlüssel geben müssen. Wenn es soweit überhaupt kommt und ich nicht vorher sturztrunken im Straßengraben liege.

Unser Laufkurs führt unterhalb der evangelischen Regiswindiskirche entlang am Neckar weiter. Das Gotteshaus hat eine bis ins 8. Jahrhundert zurückführende Geschichte. Der Felsen, auf dem die Kirche steht, hat sprichwörtlich Löcher wie ein Käse. Denn nicht nur von den Vorgängerbauten gibt es noch Gewölbe, es sind auch noch ein Gebeinhaus und ein Luftschutzbunker vorhanden. Zwei, drei Minuten später verkündet ein Hinweisschild: „Trinken nicht vergessen.“ Eingekehrt wäre ich schon, aber bei den Roten gibt es keinen Roten, nur Wasser. Das lasse ich den anderen Durstigen! Kilometer 15 liegt hinter uns.

Ein längeres Wegstück führt nun entlang der Bahn durchs Industriegebiet von Lauffen. Rechterhand sehen wir Hänge mit Weinanbau. Halbzeit feiern wir in Meimsheim. Wie in allen Ortschaften stehen auch hier viele Anwohner an der Strecke und klatschen uns aus dem Ort hinaus. Eine Steigung wartet.

 

Durch die Weinberge (Kilometer 22 – 37)

 

Hausen an der Zaber (knapp 2000 Einwohner) erreichen wir nach einem kurzen Bergabstück. Die Zaber ist ein rund 20 Kilometer langes Gewässer, das in den Neckar fließt. Hier im Zabergäu wird intensiv Wein angebaut. Fast jeder Ort wirbt an den Einfahrten mit großen Tafeln um Touristen und Besucher. Der Jürgen von den Geno-Runners schleppt eine Riesenfahne über den Kurs. Seine Ablöse lässt auf sich warten, er schimpft. Ich gehe vorbei.

In Dürrenzimmern heißt es „Gönn dir doch n Drink“. Das nehme ich wörtlich, schütte den Wasserbecher aus und hebe mir den Durst auf, denn hier wird leckerer Roter ausgegeben. Gerhard Kremer lässt sich von mir anstecken und erhebt ebenfalls das Glas. Nicht nur hier, sondern auch in den anderen Orten haben die Kellereien an diesen Tag geöffnet, schenken aus oder verkaufen ihre Ware.

Die nächste der vielen Wellen bringt uns nach Neipperg (Kilometer 28). Kurz vor dem Ortseingang grüßt die Burg Neipperg herüber. Zwei massive, markante Türme, die obere und untere Burg, hüten ihr Rätsel, denn es soll sich um zwei verschiedene Burgen handeln. Das Akkordeonorchester Brackenheim unterhält die Zuschauer und Sportler mit schmissigen Melodien. Auf einem geteerten Wirtschaftsweg verlassen wir den Ort unterhalb der Weinberge. Die Rebstöcke sind gerade am Austreiben.

Mittlerweile hat sich das Feld weit auseinandergezogen. Nur wenige Staffeln kommen mit frischen Kräften von hinten angebraust, denn der letzte Staffelstab wurde gerade übergeben. Von den Marathonis kann ich einige überholen, die teilweise zu flott angegangen sind. Ein wenig Erfahrung über diese Distanz und ein sorgfältiger Umgang mit den Höhenmetern sind schon vorteilhaft.

Kilometer 30: Schmerzen vergehen, Finisher bestehen, ist auf dem Schild zu lesen. Fast schon der Punkt, an dem sich zeigt, ob man sich das Rennen gut eingeteilt hat. Ich muss heute keine schnelle Zeit laufen, das hebe ich mir für die späteren Bewerbe auf. Und wenn man langsam macht, macht auch ein anspruchsvoller Lauf gleich viel mehr Spaß.

In Nordhausen (Kilometer 32,5) laufen wir an der Waldenserkirche vorbei. „Eine Hütte Gottes bei den Menschen“, ist auf dem Schild oberhalb des Einganges zu lesen. 1721 wurde das Gotteshaus errichtet. Die Landesstraße nach Nordheim ist teilweise rechts für uns gesperrt. Autoverkehr ist kaum wahrzunehmen.

In Nordheim wird am Maibaum das Maibaumfest gefeiert. Bei uns in Bayern werden diese Festivitäten am 1. Mai mit viel Bier und fettem Schweinsbraten zelebriert. Hier wird musiziert und wieder mal Vinum ausgeschenkt. Aus meiner Heimat verleite ich Erich Bühler aus Kasing zur Weinprobe. Letztes Jahr hieß es auf einem Schild: „Hast du Trollinger in der Blutbahn, kommst du schneller in Heilbronn an!“ Ich werde den Erich beim nächsten Treffen dazu befragen.

Ein paar Meter weiter führt unser weiterer Kurs am Alten Rathaus (erbaut 1593, heute die Ortsbücherei) sowie an der Bartholomäuskirche (aus 1307) vorbei. Zwei Kilometer rennen wir dann weiterhin wellig Richtung Klingenberg. Die Kilometertafel 37 avisiert uns die Halbmarathonis.

 

Endspurt

 

Zum Zusammenschluss mit den Halbmarathonis kommt es nach einem fast einen Kilometer langen Gefälle, das zum Schluss so steil hinuntergeht, dass die vordere Oberschenkelmuskulatur mault. Die Helfer an der folgenden Tankstelle müssen ganz schön werkeln, damit jeder seinen Trank bekommt. Ruhiger geht es da auf der Weinverkostung zu, wo ich mir dieses Mal einen Rosé einschenken lasse. Ich glaube, dass von 100 Vorbeilaufenden höchstens einer oder zwei einen technischen Halt zur Weinbetankung machen. Leute, ihr verpasst da was. Fragt auch mal den Bernie oder Joe. Es läuft sich gleich besser.

Kilometer 39. Tausende erwarten dich im Ziel, steht auf dem Schild. Ja, an Tausenden von Zuschauern sind wir schon vorbei defiliert und es nimmt kein Ende. Fast an jedem Haus stehen die Bewohner an der Strecke, frühstücken oder lassen sich jetzt Pommes und Weißbier munden. Bei der Guggemusik Kuhberg-Echo drängeln sich die Leute um gute Aussichtsplätze auf Läufer und Strecke.

Vom Ziel träumt man nicht, sondern erreicht es, das ist die Weisheit bei Kilometer 40. Ja, wer bis hier gelaufen ist, schafft die letzten zwei auch noch. Und wenn es sein muss, auf der linken A...-Backe. Die letzte V-Stelle lasse ich links liegen. Die vorletzte kurze Steigung -  einige sind zum Wandern gezwungen, ein anderer geht barfuß, an der Ferse blut- und wasserbereift, aber kämpfend.

Die Stimmung steigt nochmal an und toppt das bisherige. Leute über Leute auf den Balkonen, Sambatrommeln, Musik. Ich bekomme Gänsehaut, und das als abgebrühter Marathoni.  Der letzte Kilometer: Durch die dunkle Bahnunterführung. Nur wenig Ruhe, da immer wieder einzelne lautstark lachen. Wieder im Hellen an einer Linkskurve hält eine ältere Frau ein Schild in die Luft: Ihr seid Spitze, lese ich. Wenn sie könnte, würde sie in die Luft springen wie einst Hans Rosenthal.

Mit der allerletzten Steigung überqueren wir auf der Badstraße den Neckar. Und dann höre und sehe ich meinen Kumpel Marcus, der mich mit einem „los, alter Mann, beweg die Hufe, kadappa, kadappa“ weitertreibt. Ein Schnellschuss mit der Kamera und ich laufe weiter. Hebe immer wieder meine Hand nach links, damit die Leute was zum Abklatschen haben. Dann, nicht vergessen, links geht es ins Frankenstadion hinein. 100 Meter auf der Tartanbahn, der Moderator ruft meinen Namen und einer der schönsten Marathons weit und breit ist gleich Geschichte.

Kurz hinter der Ziellinie sehe ich viele glückliche Gesichter, die entweder den ganzen oder den halben Marathon geschafft haben. Viele lassen sich von ihren Kindern begleiten oder haben sogar ihr Kleinkind auf den Arm. Ein anderer kämpft mit sich und einem Muskelkrampf gerade mal 20 Meter von der Ziellinie entfernt. Der nächste dreht auf der Ziellinie eine Pirouette. Und ein besonders Geschicklicher läuft im Handstand die letzten fünf Meter über das Ziel.

So bekomme ich nicht Stefans Zieleinlauf mit. Er steht plötzlich neben mir. Ob er wieder hierher kommen will, möchte ich wissen. „Jetzt muss ich erst schwimmen trainieren“, sagt er mit Hinweis auf sein nächstes Ziel. Ich glaube aber schon, dass er wieder Lust auf den Trolli hat. Spätestens, wenn der Autobauer, der mit den vier Ringen, wieder einlädt. Bei mir bin ich da ganz sicher.

Ergebnisse Männer:

1. Taiget Evans Kipkorir (KEN) 2.20.16
2. Bräutigam Marcel Guts Muts Rennsteiglaufverein 2.30.49
3. Müller Kay Uwe TSV Crailsheim 2.31.52

Ergebnisse Frauen:

1. Hoffmeister Gabi Läuferherz – TV Hergershausen 3.04.14
2. Schaller Grit Team AR Sport Asberg 3.09.41
3. Schürle Ursula EK Heilbronn 3.09.41

572 Finisher

 

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Informationen: Heilbronner Trollinger Marathon
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