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Laufberichte

Bleibt der Trolli was er ist?

25.05.08
Autor: Klaus Duwe

Genuss auf neue Art

„Fahr doch mal Rad, das ist ein guter Ausgleich.“
„Mit Radfahren trainierst du deine Grundlagenausdauer, ohne deine Gelenke zu belasten.“
„Radfahren ist eine schöne Abwechslung zum Laufen.“

Auf solche gut gemeinten Ratschläge habe ich immer die gleich Antwort parat:
„Radfahren tu ich erst, wenn ich nicht mehr laufen kann.“ Auch der Orthopäde, der meine Verletzung behandelt, muss sich meinen Einwand anhören. Der aber meint ganz unbeeindruckt: „Der Fall ist eingetreten, Sie können nicht laufen.“

Mir fällt der Unterkiefer runter – ich bekomme keinen Ton raus und muss zweimal trocken schlucken. Ich meine doch später, 1000 Marathons später,  mit 89 und aus freien Stücken. Aber nicht jetzt.

Jeder Schritt, mit Schmerzen verbunden, bestätigt die Aussage des Arztes. Ich kann kaum gehen, geschweige denn laufen. Der Fall ist eingetreten und ich habe keinen Plan B. Frust kommt auf. Ich humple vom Schreibtisch zum Kühlschrank, vom Kühlschrank zur Keksdose, von dort zu den Gummibärchen. Statt mich vom Winterspeck zu verabschieden, nehme ich zu. Keine Bewegung und erhöhte Kalorienzufuhr – wen wundert’s. Aber vielleicht werden ja demnächst beim Marathon statt der Altersklassen die Gewichtsklassen gewertet. Endlich Chancen für mich, im Schwergewicht.

Informationen: Heilbronner Trollinger Marathon
Veranstalter-WebsiteE-MailFotodienst HotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

Ich muss mir was einfallen lassen. Doch Radfahren? Mein erstes Fahrrad habe ich mir mit Heidelbeerpflücken verdient. Ich bin damit viele Jahre in die Schule gefahren, über 3 Kilometer morgens hin, mittags zurück, im Sommer und im Winter. Ein Bus fuhr nicht. Der Rückweg war eher ein Fußmarsch, mit der 3-Gang-Schaltung war der Berg nicht zu bezwingen. Dann die Lehre, mein erstes Auto.

Niemals danach saß ich noch einmal auf einem Fahrrad, 40 Jahre nicht. Am Samstag vor Pfingsten bin ich im Fachgeschäft und schau’ mich um: Mountainbikes, Triathlonlenker, Rennräder. „Ein ganz normales Rad“, antworte ich auf die Frage, was ich suche. Zum Glück gibt es auch so was.

„Einfach mal draufsetzen und Probe fahren“, meint die Verkäuferin. Danke für das Vertrauen.  Ich kläre sie über die besondere Schwere meines Falles auf und sehe es ihr an -  sie hofft, dass ich gut versichert bin.

Kurz und gut, ich hab’s überstanden, außer dass die Kette einmal runtergesprungen ist, passiert nichts. Mit einem schicken Fahrrad im Kofferraum, Helm, Radlerhosen und Handschuhen geht’s heimwärts. Pfingsten kann kommen.

Ich geb’s nicht gerne zu. Es hat richtig Spaß gemacht. Ich könnte, wie schon einmal in einem anderen Zusammenhang, auch sagen: ich bin ein Depp, das hätte ich schon früher haben können.

Was das mit dem Trollinger Marathon zu tun hat? Könnt ihr es euch nicht denken? Laufen kann ich nicht, Radfahren habe ich gerade wieder gelernt – richtig, ich bin mit dem Fahrrad über die Weinberge gesaust. Na ja, ihr glaubt es ja sowieso nicht. Also, ich bin geradelt und bergauf (meist) gegangen.


Weil mich als Läufer die Fahrradbegleiter oft nerven, hole ich mir die ausdrückliche Genehmigung vom Veranstalter und trage diese auch gut sichtbar am Gefährt. Am Lenker habe ich eine Tasche montiert – letzter Stand der Technik, abschließbar und wasserdicht – für meine Kamera und Notverpflegung, falls man mir unterwegs von den Leckereien für die Läufer nichts abgeben will.

Schon lange vor dem Start fahre ich nach Flein, um das Läuferfeld zu erwarten. Dort ist die erste Verpflegungsstelle und auch die Kirche ist ein schönes Fotomotiv. „Viel Glück Marco“, rufe ich Marco Diehl zu, der überraschend in Führung liegt. Der Pole Jaroslaw Janicki  ist auf Tuchfühlung, die drei Afrikaner folgen mit einigem Abstand. Der Marco ist ein echtes Phänomen. Es gibt Läufer, die sind schneller und es gibt Läufer, die laufen mehr. Aber, das behaupte ich mal, es gibt keinen, der so viele Marathons so schnell läuft wie der Banker aus Hessen. 14 waren es im letzten Jahr, eine Zeit um 2:30 ist immer drin. Letztes Jahr hat er hier gewonnen, heute wird er Zweiter. Nächste Woche läuft er beim Mittelrhein-Marathon, wo er letztes Jahr den zweiten Platz belegte. Bei den „Deutschen“ in Mainz vor drei Wochen wurde er 14. in 2:31:12.

Ich bin überrascht, wie viele Zuschauer an der Strecke sind – und vor allem, wie begeistert sie die Läuferinnen und Läufer anfeuern. Wo die Schwaben zwar die Maultaschen und die Kehrwoche, nicht aber das Feiern erfunden haben. „Der Trollinger macht’s“, meint ein Läufer, mit dem ich mich über das Phänomen unterhalte. Deutlich hörbar ist er aber kein Schwabe und daher nicht kompetent. Als diesbezüglich ebenfalls unterschätzter badischer Nachbar weiß ich nämlich, dass man nichts mehr misstrauen sollte, als Vorurteilen.

So denken zum Beispiel nur ausgesprochene Weinkenner an den Rebensaft, wenn von Württemberger Spezialitäten die Rede ist. Die anderen bringen damit eher noble Autos, schicke Mode und Bausparkassen in Verbindung. Dabei liegt gerade hier in Heilbronn das größte Rotweinanbaugebiet Deutschlands. Die Hauptrebsorte ist der - richtig, der Trollinger. Das ist kein Zufall. Der Trollinger reift spät und deshalb braucht er gute Lagen - und das sind Hanglagen. Und Hänge gibt es hier. Noch eine Eigenschaft des Trollinger kommt den immer wirtschaftlich denkenden Schwaben (Auswärtige nennen das „Geiz“) entgegen: er braucht nur eine geringe Lagerzeit und ist deshalb schon bald nach der Lese zu vermarkten.


Was für den Wein gut ist, die besagten Hanglagen nämlich, macht den Läuferinnen und Läufer neben der Hitze am meisten zu schaffen. In der Früh hat es geregnet und angenehm abgekühlt, pünktlich zum Start kommt die Sonne raus und jetzt strahlt sie vom fast wolkenlosen Himmel. So ist das meistens, beim Trollinger Marathon. Und die Berge sind auch immer die gleichen. Flach ist die Strecke ja nie. Aber am meisten werden wohl die Anstiege bei Haigern und Neipperg in Erinnerung bleiben. Besonders der Neipperg gehört mit seinem herrlichen Blick auf die Burg und später auf die Ortschaft zu den schönsten Punkten des ganzen Laufes. Und über genau den denkt man nun auf Organisatorenseite nach. Er soll nämlich gestrichen werden. Von Brackenheim kommt man nämlich auch ohne den Umweg über den Berg nach Nordhausen.

Man glaubt nämlich, dass der Teilnehmerschwund etwas mit der Schwierigkeit der Strecke zu tun hat. Zur Erläuterung: zu Beginn registrierte man über 1100 Läuferinnen und Läufer auf der Marathondistanz, jetzt pendelt sich die Zahl bei gut 600 ein. Ich frage einfach mal zurück: „Wenn der Neipperg fehlt, ist die Strecke dann flach?“ Ganz und gar nicht. Der Trollinger ist keine „schnelle Strecke“ und wird es nie werden. Marco Diehl war ganze 5 Minuten länger unterwegs als in Mainz, Eberhard brauchte 4:40 und blieb damit vielleicht gut 10 Minuten über der Zeit, die ihm auf einem flachen Kurs möglich gewesen wäre. Glaubt den wirklich jemand allen Ernstes, es kommen 100 oder 200 Leute mehr, wenn die Strecke 3 oder 5 Minuten „schneller“ wird? Wer Bestzeit laufen will, sucht sich einen flachen Citykurs, wie man ihn zum Beispiel am Vortag in Mannheim findet. 

Da liegt nämlich die Ursache der rückläufigen Zahlen. Zwei Marathonläufe an einem Wochenende, keine 100 Kilometer voneinander entfernt. Eine Woche davor ist der Rennsteiglauf und eine Woche später der Mittelrheinmarathon, die die gleiche Zielgruppe ansprechen. Und nächstes Jahr wird es nicht besser, denn in Mannheim denkt man zusätzlich über einen Halbmarathon nach.

Mit einer „Anpassung“ oder „Entschärfung“ der Laufstrecke erreicht man also gar nichts, höchstens das Gegenteil des Gewünschten. Ich spreche unterwegs etliche Läuferinnen und Läufer an, frage wie es gefällt. Man kann die Antworten in einem Satz zusammen fassen: „Der Trolli ist schwer, aber schön.“ Was hilft, wenn man den Termin und die Strecke nicht ändern kann und will? 

Ich kann und will mich da nicht hinein vertiefen. Aber Karl Dall ging nicht zum Schönheitschirurgen, um sich glatt bügeln zu lassen, sondern hat aus dem was er hat das Beste gemacht. Er hat seinen vermeintlichen „Nachteil“ kultiviert statt kaschiert. Wohl wissend, nie eine Schönheit zu werden, höchstens Durchschnitt. Da war und ist es ihm lieber, der Einzige mit Glubschauge zu sein. Der Erfolg gibt ihm Recht. Mut und Ausdauer gehören dazu, das stimmt. Aber das braucht jeder Marathoni auch.

 


Neben der überaus schönen Strecke mit den herrlichen Weinorten und tollen Aussichtspunkten gehören die schon erwähnten phantastischen Zuschauer zu den wichtigsten Posten auf der Habenseite des Trollinger Marathons. Nicht nur in den Ortschaften sorgen sie für eine Stimmung auf Citymarathon-Niveau, auch in den Weinbergen wird gefeiert, was das Zeug hält. Mit Gartenschlauch und Spritzpistole werden die Trollis erfrischt, Wasser ausgeschenkt, und Trollinger sowieso. Wer droht schlapp zu machen, wird aufgemuntert und mit Komplimenten überhäuft, bis ihm gar nichts anderes übrig bleibt, als weiter zu laufen. Sogar ich als Radfahrer kriege viel Applaus, was mich echt verlegen macht.

In Klingenberg kommen die „Halben“ auf die Strecke. Ich bin auf der Höhe der 4:30-Läufer und spätestens jetzt ist keiner mehr auf der Strecke, der die Sache ernst nimmt. „Gesund ins Ziel kommen“, „Spaß haben“, lautet die Devise. Publikum und Aktive sind sich einig: „Heute wird gefeiert.“

Auf der Böckinger Brücke steige ich vom Rad und verlasse die Laufstrecke. Es ist mir zu peinlich, am Applaus und Jubel der vielen Zuschauer rechts und links teilzuhaben. Die Läuferinnen und Läufer genießen es, umjubelt ins Frankenstadion einzulaufen - verdienter Lohn für eine tolle Leistung.

Für mich war der Trollinger Marathon 2008 ein Genuss der neuen Art. Trotzdem, nächstes Jahr will ich wieder mit Laufschuhen unterwegs sein. Hoffentlich auf der Original-Strecke.

Die Marathonsieger

Männer

1  Janicki, Jaroslaw (POL) Hermes Gryfino  02:33:13
2  Diehl, Marco (DEU) TSV Friedberg-Feuerbach  02:36:35
3 Sitienei, Andrew (KEN) SSV Ulm 1846  02:40:03

Frauen

1  Meiniger, Simone (DEU) LTG Kämpfelbach  03:05:38
2  Alter, Julia (DEU) TV Rheinau 1893  03:12:47
3  Weiblen, Iris (DEU) Sindelfingen  03:18:12

 

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