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Laufberichte

Lauf eins nach Boston

21.04.13

Wir passieren die Landungsbrücken: zentral gelegener Verkehrsknotenpunkt von S-Bahn, U-Bahn und Schiffen. Der erste Schiffsanleger an dieser damals am Hafenrand gelegenen Stelle wurde 1839 errichtet. Er diente als Anlegestelle für Dampfer, die hier relativ einfach mit Kohle beladen werden konnten. Hier hat der NDR einen Hotspot eingerichtet, von dem live übertragen wird.

Es geht am Eingang des alten Elbtunnels vorbei. Er galt bei seiner Eröffnung 1911 als technische Sensation und steht seit 2003 unter Denkmalschutz. Der Tunnel verbindet mit seinen zwei Röhren die Innenstadt Hamburgs mit Steinwerder und war der erste Tunnel unter einem Fluss in Europa.
Im Hintergrund kann man kurz einen Blick auf die Museumsschiffe "Cap San Diego" und "Rickmer Rickmers" werfen.

Dann die Kirche "Sankt Katharinen", sie ist eine der fünf Hamburger Hauptkirchen. Ihr Turmschaft aus dem 13. Jahrhundert ist nach dem Leuchtturm von Neuwerk das zweitälteste aufrecht stehende Bauwerk Hamburgs und ist die Kirche der Seeleute (km 13).

Die Speicherstadt liegt uns gegenüber. Sie ist mit 26 ha der größte auf Eichenpfählen gegründete Lagerhauskomplex der Welt und steht seit 1991 unter Denkmalschutz. Erbaut ab 1883 als Teilstück des Hamburger Freihafens, gehörte ein Viertel der Fläche nicht dem deutschen Zollgebiet an. In der Enklave galt das Privileg der Hamburger Kaufleute: Sie durften Importgüter zollfrei lagern, veredeln und verarbeiten. Seit 2004 liegt das gesamte Gebiet der Speicherstadt außerhalb des Freihafens und ist somit - mit Ausnahme der zahlreichen Teppichlager - zollrechtlich Inland.

Kurz vor km 15 laufen wir links Richtung Innenstadt. Auf dem Steintorwall geht es im Wallringtunnel unter dem Hauptbahnhof hindurch.

Bei km 16 erreichen wir die Binnenalster und umrunden sie praktisch einmal. In der Mitte der 18 ha großen Wasserfläche befindet sich seit 1987 die Alsterfontäne, die zu einer deutlichen Verbesserung der Wasserqualität beigetragen hat. In der Weihnachtszeit wird die Fontäne durch einen Weihnachtsbaum ersetzt.

Auf dem Jungfernstieg ist die erste Wechselzone für die Staffelläufer (km17). Natürlich hat sich auch das Fernsehen diesen wunderbaren Standpunkt ausgesucht. Hier ist Deutschlands erste asphaltierte Straße (1838). Einst führten die Familien ihre unverheirateten Töchter, die Jungfern, auf der Flaniermeile sonntags spazieren. Heute ist hier die Hölle los.

Über die Lombardsbrücke geht es zurück. Diese schöne Stelle hat sich auch Klaus zum Fotografieren ausgesucht. Hinter der Brücke halten wir uns links, es geht am Ufer der Außenalster entlang. Der größere, nördliche Teil des Alstersees ist circa 164 Hektar groß und bis zu 4,5 Meter tief. Nach den Highlights der ersten 20 Kilometer ist nun ruhiger. Hier gibt es nicht mehr so viele Schaulustige, die den Läufern zujubeln. Ein Blick auf die Uhr holt mich aus meiner Träumen. Ich bin ja viel zu schnell! Entweder gibt das eine neue Marathonbestzeit oder ein ganz böses Erwachen.

Bei km 23 erreichen wir den Stadtpark. Hier ist reger Ausflugsverkehr zu beobachten. Auf Decken liegen Sonnenanbeter, die die warmen Strahlen der Sonne genießen und nebenher die Läufer anfeuern. Aber es ist auch perfektes Laufwetter. Vor dem Start war es eher kühl, jetzt ist es in der Sonne angenehm warm. Der Wind, der die letzten Tage noch ein Thema gewesen war, hält sich zurück. So freut man sich über eine Erfrischung. Alle 2,5 km sind Wasserstellen eingerichtet. Zusätzlich gibt es alle 5 km Iso, Gel und Bananen und ab km 25 Cola. Bei den Startunterlagen ist ein Schwamm gewesen, den ich dummerweise im Hotel gelassen habe. Er wäre durchaus nützlich gewesen. Andere Läufer haben ihn dabei.

Am Überseering (km 28), einer Straße im Hamburger Stadtteil Winterhude, die wie ein Rundbogen verläuft, ist die nächste Wechselzone und wieder ein NDR Hotspot. Da das Fernsehen live überträgt "steppt hier der Bär". Die Musik ist ohrenbetäubend laut. Wie kann das Publikum das aushalten? Für die Läufer dagegen ist das Klasse. Die Musik trägt einen: man wird automatisch schneller.
Natürlich gibt es auch an anderen Stellen Musikgruppen und Kapellen. Ich bewundere die Ausdauer, mit der hier agiert wird. Abgesehen von den Kochtöpfen, die viele der Fans malträtieren, wird hier oft richtig gute Musik gemacht. Nichts gegen ein aufgedrehtes Radio, es erfüllt auch seinen Zweck, aber selbstgemacht ist halt selbstgemacht.

3 Kilometer weiter steht schon wieder der NDR. Wir haben Ohlsdorf, den nördlichsten Teil des Laufs erreicht. Vorher an der Verpflegung bei km 30 gab es sogar Massagen,  richtige Massageliegen waren aufgebaut. Für mich ist das nichts, aber was ich so sehe, wird von dem Angebot rege Gebrauch gemacht.
Eben haben mich die 4:30 Pacer überholt. Wie bei allen größeren Laufveranstaltungen sollen sie helfen, den Läufern ihre Zielzeit zu erreichen. In Hamburg sind neben den Pacemakern für die Elite noch 11 weitere Pacer für verschiedene Zielzeiten im Einsatz.

Ich bin platt. Die viel zu schnell gelaufenen ersten Kilometer fordern ihren Tribut. Komischerweise geht es vielen, mit denen ich spreche, genauso. Aber es ist keine Zeit für Schwäche. Bei km 33, auf dem Maienweg, sind wieder Staffelwechsel und der NDR mit einer riesigen Fangemeinde. Da das Feld nicht mehr so dicht ist, werden wir vom augenscheinlich fachkundigen Publikum sogar namentlich angefeuert. Man kann hier unmöglich langsam laufen.

Ich erinnere mich in den Infos gelesen zu haben, dass es für Begleiter einfach ist, die Strecke an mehreren Orten hintereinander zu besuchen. Das umfangreiche Hamburger U-Bahn-Netz macht dies möglich.

Ich kann nicht mehr. Mühsam schleppe ich mich vorwärts. Viele andere müssen bereits gehen. Ich  versuche das zu vermeiden, bis ich bei km 36 einen Krampf im Oberschenkel bekomme. Gut, dass ich meinen Fotoapparat dabei habe: Ich tu einfach so, als ob ich unbedingt Bilder machen muss.

Es geht zurück, Richtung Klosterstern am "Hexenkessel" Eppendorfer Baum. 1140 erstmals als Eppenthorp erwähnt, ist Eppendorf Hamburgs ältestes Dorf. Im 19. Jahrhundert wurde es zum beliebten Vorort für wohlhabende Bürger aus Hamburg, die dort ihren Landsitz errichteten. 1894 wurde Eppendorf als Stadtteil in die Stadt Hamburg eingemeindet. Auch heute noch ist das Viertel besonders beim zahlungskräftigeren Publikum sehr beliebt. Das Straßenbild wird von vielen kleinen und ausgefallenen Geschäften und einer großen Auswahl an Cafés, Restaurants und Bars geprägt. Große Einzelhandelsketten findet man hier weniger. Ein echtes Highlight ist der Isemarkt in der Isestraße, einer der schönsten und beliebtesten Wochenmärkte Hamburgs.

Da hier wieder der NDR mit Fanpublikum steht, versuch ich mühsam wieder anzulaufen. Gerade wird der schwedische Eurovisionshit mit dem eingängigen Refrain Maia-hi, Maia-ho, Maia-haha in trommelfellgefährdender Lautstärke gespielt. Plötzlich läuft es bei mir wieder und zwar flott - ist halt alles Kopfsache.
Ab km 38 kommt die Außenalster in Sicht. Ich versuche den Laufschritt zu halten. Hier steht jetzt leider nicht mehr so viel Publikum. Ist ja klar, denn die meisten Läufer sind schon im Ziel.

Gewonnen hat, und das ist eine kleine Sensation, der Kenianer Eliod Kipchoge in neuer Streckenbestzeit von 2:05:30. Es war sein erster Marathon! Ab Kilometer 34 allein unterwegs, konnte er auf den Zweitplazierten 2 Minuten gut machen.
Lisa Hahner hatte Pech. Bei Kilometer 8 war sie über einen ihrer Pacer gestürzt. Tapfer hat sie das Rennen in bravourösen 2:31:49 als viertbeste Frau zu Ende gelaufen. Gewonnen hat hier die Litauerin Diana Lobacevske mit 2:29:17.

Bei km 39 verlassen wir die Außenalster. Der markante Heinrich Hertz Turm, wo ja das Ziel wartet, ist schon in Sicht. Es geht aber nochmal nach links (km 40). Wir laufen durch den Stadtteil Rotherbaum. Bei km 41 schiebt sich das 1973 als erstes Kongresszentrum Deutschlands eröffnete Congress-Center Hamburg (CCH) ins Bild. Etwas unscheinbar erscheint dagegen der Dammtor Bahnhof. Das Jugendstil-Gebäude wurde 1903 als Paradebahnhof für Staatsbesuche gebaut. Mist, wo ist der Heinrich-Hertz-Turm jetzt hin? Gott sei Dank, ich erkenne den Gorch Fock Wall wieder. Den müssen wir hinauf (kleiner Anstieg). Dann geht es rechts zum Ziel. Hier gehen die meisten.

Bei mir siegt das Adrenalin. Ich biege in die Karolinenstraße ein. Eine gefühlte Ewigkeit geht es noch geradeaus. Erst vereinzelt, dann immer häufiger stehen Schlachtenbummler an den Seiten. Das Ziel ist in Sicht. Ich lasse meinen Gefühlen auf den letzten Metern freien Lauf. Ich bin einfach nur glücklich über diesen super Lauf.

Dann kommt mir Boston in den Sinn. Was wäre, wenn jetzt genau in diesem unvergleichlichen Moment...?  Der Gedanke ist gleich verflogen und ich lasse mich auf einer Welle von Begeisterung ins Ziel tragen. Die Krönung dieses perfekten Moments ist Klaus, der im Ziel auf mich wartet. Danke für dieses tolle Geschenk.

Eine Helferin bringt mir Wasser. Die Medaille gibt es auch gleich. Total erledigt, aber mit einem dicken Grinsen im Gesicht, hole ich mir erst einmal etwas zum Trinken. Um mich herum sieht man nur strahlende Gesichter. Die schmerzenden Füße werden zur Trophäe, die alle vereint. Norbert zu finden, ist wider erwarten auch kein Problem. Er ist mal wieder genau eine Stunde vor mir im Ziel gewesen. Glückwunsch zum 50. Marathon.

Die Zielverpflegung ist ausgezeichnet; das Abholen der Wechselklamotten kein Problem. Als wir uns auf den Weg zur U-Bahn machen, sind immer noch Läufer auf der Strecke. Das großzügige Limit von 6:30 macht so etwas möglich.

Norbert und ich sind uns einig, dass wir wohl nicht zu City-Läufern mutieren werden. Trotzdem war dieser Marathon in Hamburg einer unsere schönsten Läufe. Die Streckenführung ist genial, das Publikum begeistert, die Organisation perfekt, die Infrastruktur super, die Helfer hingebungsvoll. Natürlich hatte das wunderbare Wetter auch seinen Anteil am unvergesslichen Lauferlebnis. Ich gebe zu, fetzige Musik und engagiertes Publikum auf der Strecke haben was!

 

Marathonsieger

Männer

1 Kipchoge, Eliud (KEN) 02:05:30
2 Getachew, Limenih (ETH) 02:07:35
3 Kimaiyo, Lawrence (KEN) 02:10:27

Frauen

1 Lobacevske, Diana (LTU) 02:29:17
2 Neuenschwander, Maja (SUI) 02:30:50
3 Lorchima, Priscilla (KEN) 02:31:23


11446 Finisher

12
 
 

Informationen: Haspa Marathon Hamburg
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