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Laufberichte

Wie das Singen der Blauwale im Südpazifik

30.04.05

Am späten Freitagnachmittag beobachtet misstrauisch meine Schäferhündin Cora meine . Aktivitäten bezüglich Herrichten und Einpacken von Sportutensilien. Keine Frage, sie weiß genau, es wird wieder eine räumliche Veränderung stattfinden. Nur kann sie sich nicht sicher sein, daran teilhaben zu können. In Ihrem Gesicht ist die Anspannung erkennbar; und als ich ihr sage, dass sie mit darf, springt sie freudig erregt an mir hoch und lässt ein lautes Heulen erschallen.

 

Stunden später stecken wir in Waldhessen im Stau und nur zögerlich kommen wir in Richtung Göttingen voran. Kurz vor Göttingen verlasse ich die Autobahn und befahre jetzt die Landstraße Richtung Nordhausen. Es ist bereits dunkel geworden. Den Namen dieser Stadt habe ich schon mal vor langer Zeit auf einem Etikett von etwas Hochprozentigem gesehen. Erwähnenswerte Besonderheiten von diesem Ort nehme ich nicht wahr, denn das städtebauliche Einheitsgesicht des ehemals real existierenden Sozialismus ist noch allgegenwärtig.

 

Jetzt quere ich als Autofahrer den Harz in Süd-Nord-Richtung und fahre über viele kurvenreiche An- und Abstiege durch die Gemeinde Elend dem Ziel meiner Autoreise Wernigerode entgegen, wo ich dann zu mitternächtlicher Stunde auch wohlbehalten ankomme. Nach einigem Suchen finde ich dann die Straße „unter den Zindeln“, um dann Sekunden später die Übernachtungsturnhalle zu erspähen. Ich drücke die Türklinke; die Tür ist verschlossen, jedoch in Minutenschnelle wird sie von einem schlaftrunkenem Rennhelfer geöffnet.

 

Es geht über einen Flur, wo mir von links äußerst unangenehme Gerüche entgegen stinken. Ich kann mich erinnern, dass es in den frühen und mittleren 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Bahnhof in meiner Heimatgemeinde Bexbach an einer bestimmten Stelle auch so roch, dort war dann auch ein Emailleschild „zu den Aborten“ angebracht.

 

Das Hotel Turnhalle ist gut besucht und ich suche mir im Halbdunkel einen Platz, wobei ich trotz Bemühens leise zu sein, starke knarrende Geräusche auf dem Hallenboden verursache.

Nun liege ich auf meiner Isomatte, angenehm eingemummt in meinem Schlafsack und bin sehr müde… und kann nicht einschlafen. Ich habe meine Ohrenstöpsel vergessen. Denn Arbeitsge- räusche von Sägewerken sind nicht die passenden Schlaflieder. Jetzt bemerke ich einen ganz besonderen Schnarcher – so etwas habe ich noch nie gehört – es hört sich so an, wie das Singen der Blauwale im Südpazifik, die damit Paarungsbereitschaft im Ultrabereich auf mehrere 100 km aussenden. Ich hoffe, dass jetzt keine Wale an der Nord- oder Ostseeküste stranden…

 

Irgendwann muss ich dann trotzdem eingeschlafen sein und werde so gegen 6.00 Uhr wach. Viele mir bekannte Gesichter aus der Szene sind anwesend, Steppenhühner und Steppenhähnchen und viele Mitglieder vom 100 MC. Die Teilnehmer strahlen ganz im Gegensatz zu den Stadtmarathons Ruhe und Gelassenheit aus.


Der Start erfolgt direkt an einem steilen Berg und nur meine liebe Cora ist nervös wie immer und bellt und jault. Ganz am Schluss starte ich deshalb und lasse das Läuferpulk schnell Abstand gewinnen, damit ich sie entleinen kann.

 

Uli Schulte, Harald Feldmann, Sigrid Eichner, Heide Heike und Elisabeth Herms-Lübbe laufen auf gleicher Ebene. Nach wenigen 100 m kommt dann noch Dr. Hans Drexler dazu, ein großer Rechtschreibreformer und –Harmonisierer, hat er sich doch unter anderem zur Aufgabe gemacht, in seinen witzigen Kolumnen die „ck`s“ durch „gg`s“ zu ersetzen. Denn Schnegge klingt in meinen Ohren jedenfalls anheimelnder und gemütlicher als Schnecke…

 

Mir fällt jetzt auf, dass die Jahreszeit hier oben doch um mindestens 14 Tage gegenüber dem Moselgebiet hinterherhinkt. Es geht jetzt ständig über cross-artige Wurzelwege durch dichten Fichtenwald hoch und runter, und ich überhole Ulrich Etzold, verkleidet als Hexerich mit Besen. Er ist enthusiastisch und gutlaunig wie immer. Nach ca. 10 km kommt nun die erste Verpflegungsstation, wo es Wasser, Tee, Waldmeister und rosarote isotonische Getränke gibt. Zum Essen gibt es Kuchen, Butter und Schmalzbrote. Vom letzteren macht Uli Schulte ausgiebig Gebrauch, und mir wird ganz flau im Magen, als ich das sehe…

 

Weiter geht’s wie gehabt, hauptsächlich durch Fichtenwald ab und zu durch Wiesen. Einmal sieht man in der Ferne den Brocken, die höchste Erhebung des Harzes. Die Gegend gleicht etwas der des Rennsteigs, ist aber meines Erachtens noch schöner. Bei km 20 gibt es auf einer Wiese einen Verpflegungsstand und dann noch mal bei km 31 in einem kleinen Dorf. Es müssen ständig steile Auf-und Abstiege, teilweise auf glitschigen Pfaden bewältigt werden, bis es auf einem guten Forstwirtschaftsweg dann zur höchsten Stelle, dem Poppenberg hinaufgeht. Oben gibt es wieder einen Versorgungspunkt und einen viele zig Meter hohen Stahlturm, auf den sogar einige Läufer, es sind wahrscheinlich 25-km-Läufer, hoch kraxeln.

 

Jetzt geht es stellenweise so steil wieder runter, dass die Talfahrt durch Bremsen und die dadurch hervorgerufenen Kniebelastungsaktivitäten schwieriger erscheint als das Bergaufgehen. Cora ist immer noch guter Dinge und kein bisschen müde, ganz im Gegensatz zu den Läufen kurz zuvor im Spreewald. Ich laufe heute die meiste Zeit allein und kann dadurch die erwachende Natur richtig genießen.

 

Viele Wanderer mit schweren Rucksäcken werden jetzt überholt. Unter anderem ziehe ich jetzt an einem Bieler 100er Veteranen, was ich seinem T-Shirt entnehmen kann (wahrscheinlich in der M 60), vorbei. Er geht gerade und raucht eine Zigarette….

 

Irgendwann ist dann der dunkle Tann zu Ende und wir erreichen landwirtschaftlich genutztes Gebiet, Wiesen nämlich. Dann können wir sogar ein paar km auf einer Teerstraße laufen, was mir große Freude bereitet, kann ich doch jetzt die Seele baumeln lassen und muss nicht auf Schritt und Tritt aufpassen wo ich hintrete. Leider biegen wir bald wieder nach links ab, wo sich die letzte Verpflegungsstelle befindet. Das Cola ist alle, jetzt hätte ich richtig Lust auf dieses normalerweise von mir verschmähte Getränk. Der Hund, obwohl noch topfit, wird von den anwesenden Helferinnen bedauert. Warum?...


Noch einmal ist über einen kurvenreichen Feldweg eine Anhöhe zu bewältigen und nun sehe ich in der Ferne nach km-weiten blühenden Rapsfeldern Nordhausen mit seinen Plattenbauten. Obwohl mir diese Architektur überhaupt nicht zusagt, finde ich sie in meiner gegenwärtigen Stimmung anheimelnd. Ja, ich bin mal wieder im Runner’s High?

 

Durch einen Pfad inmitten dieses gigantischen Rapsfeldes führt nun das Rennen die letzten 2 km und ich überhole Wanderer und in der Ferne sehe ich 2 Läufer, denen ich zwar näher komme, sie aber nicht mehr überholen kann.

 

Bald geht der Pfad in einen Hohlweg über und wir gelangen auf eine befestigte Straße, wo mir dann auch ein mittlerweile gut bekannter Berufsphotograph zuruft, dass es nur noch 300 m seien. Und wirklich, hinter einer Kurve geht’s nach links, „Hurra“ ist mit weißem Material auf dem Weg angebracht und ich gebe es laut akustisch von mir. Noch 100 m und ich laufe mit Cora neben mir mit angenehmsten Gefühlen ins Ziel…

 

Die Harzquerung ist gut organisiert, die Leute sind nett und freundlich und wenn im Wernigerode-Rückfahrt-Bus mehr Platz gewesen wäre, gäbe es nichts zu tadeln.

 

In der Nacht erreiche ich nach dem Genuss von Cola und Red-Bull problemlos mit meiner treuen Gefährtin Cora, der es auch sehr gut geht, unser Zuhause.

 

Informationen: Harzquerung
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