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Laufberichte

Mein erster Ultralauf

20.05.06

„Diesen Weg auf den Höh'n bin ich oft gegangen…“

 

Es gibt Laufveranstaltungen, die muss man mitgemacht haben. So liest man es jedenfalls in den Fachzeitschriften. Namen wie Biel oder Davos  tauchen dort immer wieder auf, genauso wie „der lange Kanten,“  der Supermarathon beim Rennsteiglauf. Mein Dad hatte mir immer erzählt, wie schön diese Highlights sind und noch vor ein paar Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich überhaupt mal 42 km laufen könnte. Nun, nach 6 absolvierten Läufen auf der klassischen Distanz, wollte ich einen dieser Highlights abhaken. So machte ich mich drei Wochen nach dem Duisburg Marathon auf den Weg nach Thüringen, um beim Rennsteiglauf mitzumachen.

 

So viel vorab: Es sollte der schönste Lauf meiner bisherigen „Karriere“ werden.

 

Als wir, das sind meine Freundin Corinna, meine Eltern, sowie ein weiterer Trainingsfreund mit Frau, am Freitag Richtung Eisenach aufbrachen, wussten wir, dass die Meteorologen es nicht gut mit uns meinten. Die ersten 200 km Fahrt hatten wir noch trocknes Wetter, dann machte sich Regen breit. Nach 400 km Autofahrt und einem kleinen Stau erreichten wir gegen 20:15 Uhr unser Ziel: Marktplatz Eisenach. Man konnte schon das Starttor und das Festzelt für die bei allen Läufern bekannte Kloßparty sehen.

 

Doch erstmal hieß es Startnummern vom Bürgeramt abholen. Von hier aus ging es dann durch immer stärker werdenden Regen zum Festzelt. Ein Diskjockey legte gerade das Rennsteiglied auf, welches im Verlauf des Rennens am nächsten Tag des Öfteren erklingen sollte. Hier konnte ich den Unterschied zu großen modernen Stadtmarathonveranstaltungen sehen, wo Traditionen nicht so gepflegt werden wie bei dieser alten, legendären Veranstaltung. Die Teller bogen sich förmlich unter dem Gewicht von 3 echten Thüringer Klößen, Rotkohl und Gulasch. Die „alten Hasen“, die teilweise alle Rennsteigläufe bewältigt haben, zeigten dies mit T-Shirtaufdrücken wie „23 mal dabei“ und mit Textsicherheit beim Rennsteiglied. Die Stimmung war trotz des schlechten Wetters im Zelt einmalig: kein hektisches herumlaufen oder wibbelige Angehörige, sondern Läufer, die alle ein Ziel hatten: Morgen um 6 Uhr die 72,7 km lange Strecke abzulaufen. Wir machten uns nach dem Essen auf den Weg zu unserer Unterkunft, die wir gegen 22:30 Uhr erreichten.

 

Nach einer kurzen Nacht, die für mich gegen 3:45 Uhr beendet war und 1 Stunde Fahrt erreichten wir den Marktplatz am Samstag um 05:30 Uhr. Das Wetter war überraschend gut, als der Helikopter über uns kreiste. Man konnte am Start die unterschiedlichsten Läufertypen beobachten. Die einen, die sich selbst vor so einer langen Strecke noch warm liefen, die anderen, die sich über die letzten Teilnahmen am Rennsteiglauf unterhielten und wieder andere, mich eingeschlossen, die im eigenem Zweifel, ob sie die Strecke schaffen, still konzentriert wirkten.

 

Der Moderator schallerte ein weiteres Mal „Diesen Weg auf den Höh'n bin ich oft gegangen…“ und erklärte uns, dass die Strecke bis auf wenige Abschnitte keine Beeinträchtigungen vom Regen in der Nacht hätte. Der Start musste auf Grund von technischen Problemen bei der Versenkung von Straßenabsperrrungen, die durch den Bürgermeister selbst gelöst wurden, ein paar Minuten verschoben werden. Zur Musik von „Time to say goodbye“ rollte es dann los. Meine Nervosität legte sich schnell, als nach einer kurzer Passage durch die Eisenacher Innenstadt der Anstieg Richtung „Hohe Sonne“ über glattes Kopfsteinpflaster begann. Es ging in Serpentinen den Weg hoch, bis man schlussendlich nach 7,4 km die Einmündung zum Rennsteig erreichte. Hier wurde vor ein paar Jahren der Rennsteiglauf regelmäßig gestartet, bis man sich zur Belebung der Stadt Eisenach die Startverlegung überlegte.

 

An der Hohen Sonne begrüßten uns trotz der frühen Uhrzeit Zuschauer und die erste Verpflegungsstelle sorgte für Freude. Das Wetter wurde nicht, wie es prognostiziert wurde, regnerisch, sondern die Sonne strahlte vom blauen Himmel. Ich wollte konstant ein Tempo zwischen 6:00 min und 6:15 min laufen und stellte bei der ersten Kilometer-Angabe ( alle 5 km zeigten große Schilder die gelaufene Strecke an) fest, dass ich zu langsam war. Es ging aber wohl allen so und die Läufer waren sich schnell einig, dass die Schildplatzierung nicht ganz korrekt war.

 

Die Wegbeschaffenheit war trotz der nächtlichen, starken Regengüsse erfreulich gut und bald konnte man auch schon das erste „R“, das Erkennungszeichen des Rennsteigweges, sehen. Der Weg verlief auf und ab, obwohl die Anstiege eindeutig in der Überzahl waren. Man sollte schließlich von 210m in Eisenach seinen ersten „Höhepunkt“ von 910 m bei KM 25,5 erreichen. Die letzten Teilstücke dieses Anstiegs zum zweithöchsten Gipfel des Rennsteiglaufs konnte ich, sowie alle Teilnehmer in meiner „Gewichtsklasse“, auf Grund des steilen Weges nur wandernd erklimmen.

 

Auf dem Inselsberg angekommen, verlief der Weg extrem steil bergab. So sollten wir in einem Kilometer 200 Höhenmeter hinunter laufen und das auf Asphalt mit einer rutschigen Laubschicht. Zum Glück hatte ich meine Crosslaufschuhe an und nicht die leichten Wettkampf-Marathonschuhe. Unten angekommen, begrüßte uns auf der Grenzwiese bei KM 26,8 eine riesige Verpflegungsstelle. Dachte ich noch, dass die Verpflegungsstellen bei Stadtmarathonläufern schon perfekt ausgestattet sind, wurde hier noch eines drauf gesetzt.  Von Schmalzstullen über belegte Brötchen zu Obst, Tee, Energieriegeln, Mineralwasser und Isotonischen Getränken wurde alles gereicht und es blieb wahrhaftig kein Wunsch unerfüllt. Dazu kamen die überaus freundlichen Helfer, die mit Musik im Hintergrund für grandiose Stimmung sorgten.

 

Das war es, was ich vorher nur gelesen hatte und von meinem Dad erzählt bekam. Und jetzt war ich mittendrin. Eine weitere, für mich vorher unbekannte Tatsache war, dass es keinen Läufer gab, der hektisch an den Versorgungsstellen vorbei lief. Alle nahmen in Ruhe Verpflegung auf und liefen danach voller Elan weiter. Überhaupt kann man die Stimmung unter den Läufern nicht mit normalen Straßenläufen vergleichen. So wurde viel untereinander geredet und der Ehrgeiz, jede Sekunde für sich rauszuholen, schien hier unwichtig.

 

Die Strecke verlief nun über Wurzelpassagen und kleineren Schlammpfützen eher flach und ich freute mich schon auf KM 40,8, wo meine mitgereiste Fangemeinde mich empfangen wollte. Doch zuerst wurde ich bei einer erneut perfekt ausgestatteten Verpflegungsstelle überrascht. So stand bei KM 37,4 ein großes Schild „Halbzeit“. Hatte ich die Ausschreibung nicht richtig gelesen? Konnte ich schon jetzt nicht mehr richtig rechnen? Der Rennsteiglauf sollte doch 72,7 km und nicht etwa 74,8 km lang sein. Eine kurze Rückfrage bei einem erfahrenen Rennsteigläufer überzeugte mich, dass die Angabe nicht korrekt war.

 

Meine Beine waren noch frei und ich lief weiter bis zur „Neuen Auspanne“, wo meine Freundin ein Foto machte und mich überzeugte, dass ich für die absolvierte Strecke noch richtig gut aussah. Die Stimmung hier war richtig gut, da die Zuschauer über eine Straße die Möglichkeit hatten, direkt an die Strecke zu kommen. Das Wetter meinte es bis hier sehr gut für uns Läufern und ich machte mir keine Sorgen, dass ich nicht ankommen würde. So wie fast nach jeder großen Verpflegungsstelle wurde der Weg auch hier steil. Diese Anstiege konnte man nur in einem etwas schnelleren Gehtempo bewältigen, wusste man doch, dass es noch über 30 KM bis zum Ziel waren.

 

Ich dachte daran, dass meine Trainingsstrecke zu Hause 30 km lang war und wusste, dass ich meine Kräfte noch schonen musste. Zugleich meldete sich kurz nach km 50 mein rechtes Knie, welches wohl doch noch vom Duisburg Marathon leicht angeschlagen war. Ich dachte jedoch kein einziges Mal daran, diese wunderschöne Veranstaltung vor dem Ziel zu beenden. Vielmehr wickelte mir ein netter Mensch der Bergwacht eine elastische Binde zur Unterstützung ums lädierte Knie und weiter ging es auf der Thüringer Höh´.

 

Besonders erwähnenswert waren die 2 urigen Thüringer, die mitten im Wald mit Blasinstrumenten das für mich nun schon eingängige „Rennsteiglied“ spielten. Über die Gustav-Freytag-Steine verlief die Strecke nun geradewegs zum Grenzadler bei KM 54,2. Das Wetter hatte sich leider zum Schlechteren gedreht und der Regen setzte ein. Für Zuschauer und Begleiter widrigste Bedingungen, die durch kreative Einfälle gemeistert wurden. So stand am Grenzadler ein Van mit offenem Kofferraum und aus diesem, eingemurmelt in Schlafsäcken, applaudierten zwei Zuschauer.

 

Ich persönlich empfand den Regen zwar nicht als schöne Abwechslung, aber geschützt durch die Bäume am Wegesrand wurde er nicht, wie sonst auf der Straße, zur Qual. Lediglich der weiche Boden veränderte sich in zum Teil rutschiges Geläuf. Nach kurzen welligen Streckenabschnitten über das Rondell begann auch schon der letzte lange Anstieg, der zum höchsten Punkt der Strecke führte: dem Großen Beerberg. Der Regen wurde leider im Verlauf des Anstieges heftiger und Nebelfelder zogen über den Weg. Doch für mich war klar: noch einmal beißen und Schmiedefeld war fast vor meinen Augen.

 

Die letzten Meter gingen im Schneckentempo und da war es: das Schild, welches den höchsten Punkt der Strecke markierte. Ich wusste, nun hatte ich es geschafft. Noch knappe 10 km und fast nur bergab. Auch die Beine und mein gesamter Zustand waren nicht zu vergleichen mit dem „toten Punkt“ beim Marathon. Anscheinend sollte sich der alte Läuferspruch „nicht die Strecke, sondern das Tempo tötet“ bewahrheiten und meine anfänglichen Zweifel, diese Ultrastrecke zu absolvieren, ausgeräumt sein.

 

Die letzten 4 km vom letzten Verpflegungspunkt, wo zusätzlich Bier gereicht wurde, verliefen nur noch bergab. Ich konnte die letzten Kilometer somit noch mal im Tempo um die 4:30 min laufen und nach einem letzten kleinen Huckel die Ziellinie sehen. Ich finishte mit einer Zeit von 07:44:25 Stunden. Das Gefühl, über diese Linie zu laufen, kann ich leider nicht in Worte fassen. Ich werde es wohl genauso wenig vergessen, wie es damals war, den ersten Marathon gelaufen zu sein.

 

Leider wurde meine euphorische Stimmung durch das anhaltend schlechte Wetter etwas gedrückt. Doch ich konnte meine Gefühle nicht mehr bei mir halten und ließ mich stolz von meiner Begleitung feiern. Mit der Medaille um den Hals, das Finishershirt übergestreift, ließ ich mich dann im großen Massagezelt durchkneten, bevor wir auf Grund der Wetterverhältnisse Richtung Unterkunft fuhren.

 

Ich kann über diese Veranstaltung weder zum organisatotischen Ablauf noch zum Verlauf der Strecke ein schlechtes Wort sagen. Es war einfach eine perfekte Laufveranstaltung, die ohne Schnörkel auskommt und uns allen die alte Tradition vermittelt. Jetzt weiß ich, warum jeder Läufer zumindest einmal (ich werde auf alle Fälle nächstes Jahr wieder kommen) den Rennsteiglauf mitmachen sollte und gehöre nun zu der Gruppe Läufer, die sich Ultraläufer nennen dürfen. Für die, die nichts mit dem Laufsport zu tun haben, belächelt, für die, die mitgemacht haben, ein Wahnsinns Gefühl.

 

Wie heißt es in dem Rennsteiglied: „Diesen Weg auf den Höh'n bin ich oft gegangen, Vöglein sangen Lieder. Bin ich weit in der Welt, habe ich Verlangen, Thüringer Wald, nur nach dir.“

 

Streckenbeschreibung:

72,7 km Punkt zu Punkt Kurs über den Rennsteigwanderweg. Nicht umsonst ist der Rennsteig mit 1490 Höhenmetern Europas größter Crosslauf. Der Slogan der Veranstalter „einmaliger Landschaftslauf im romantischen Thüringer Wald“ ist nicht nur daher gesagt.

 

Auszeichnung:

Funktions-Finisher Shirt, Medaille und Urkunde

 

Verpflegung:

Grandios, hervorragend, überwältigend … die Anzahl der Attribute ließ sich hier unendlich ausführen. Suppe, Obst, Brötchen, Energieriegel, der obligatorische Schleim ……..

 

Zuschauer:

An der Strecke in erreichbaren Teilstrecken herzliche Atmosphäre mit Thüringer Tradition.  Im Zielbereich Stimmung auf dem Siedepunkt, trotz Dauerregens.

 

Informationen: GutsMuths-Rennsteiglauf
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