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Laufberichte

Wettlauf gegen die Gewitterfront

25.06.05

Allegra auf dem Rothorn

Chur - Lenzerheide - Rothorn

42,195 Kilometer/+2.682/-402 Höhenmeter


Laufen zwischen 590 Meter und 2.865 Meter Seehöhe: Das weckt nicht nur bei mir Interesse, sondern auch bei über 400 Langstrecklern, die sich die lange und beschwerliche Reise beim härtesten Marathon der Welt antun wollen.
Gruezi aus der Schweiz vom 3. Graubünden Marathon.

 

Wie war der sportlich Verlauf? Wie die Wettkampfverhältnisse? Vom Dauersieger, von der Stampede in Balzers, vom Flitzer auf der Lenzerheide und warum manchmal den Letzten die Hunde beissen und nicht zuletzt von meinen Eindrücken. Dieses und vieles mehr erfahrt Ihr in meinen Elaborat.

Wo liegt eigentlich Chur? Zu finden ist Chur in der Schweiz, es liegt am Rhein und ist etwa 70 Kilometer südlich vom Dreiländereck Schweiz, Österreich und Deutschland zu finden. Hier leben etwa 35.000 Menschen, wobei sehr viele in der Touristikbranche beschäftigt sind. Die Hauptstadt des Kantons Graubünden ist auch Ausgangspunkt der Rhätischen Bahn und des Bernina Expresses. St. Moritz, Davos, Arosa, Bad Ragaz und die Viamala Schlucht sind innerhalb kurzer Wege schnell erreichbar.

 

Ist Euch auch bekannt, dass Chur die älteste Stadt der Schweiz ist? Vor 5.000 Jahren wurde die Gegend erstmals besiedelt. Im Stadtwappen sehen wir ein dreigezinntes rotes Stadttor, wobei im Tor ein aufrechter schwarzer Steinbock steht.


Sodala, dann haben wir in Sachen Allgemeinbildung wieder was glernt. Aber jetzt folgt dann wieder Interessantes zum Bewerb. Ich reise  mit meinem Vereinskollegen Stephan Nojack bereits am Vortag an. Mein letztjähriger Begleiter und diesjähriger Bayerischer Marathonmeister Michael Sailer muss leider kurzfristig absagen. Bereits eine Woche zuvor reserviere ich eine Unterkunft im Rapperswiler Ferienhaus. Das liegt dann in Fussweite zum Wettkampfbüro (hier nennt man das Race Office) und zum Festzelt, wo dann tags darauf die Siegerehrung stattfindet. Die Übernachtung kostet ohne Frühstück 30 CHF und ist für Schweizer Verhältnisse ganz günstig.


Etwas Lustiges erleben wir auf der Anreise in Balzers im Fürstentum Liechtenstein. Radfahrer kommen uns mitten auf der Strasse entgegen und winken uns zur Seite. Im nächsten Moment galoppieren uns rund 150 Kühe wie bei einer Stampede entgegen. Wir fragen uns, warum die Tiere so schnell laufen müssen. Vielleicht dauert dann die Butterherstellung nicht so lange. Auf alle Fälle erkennen wir dann später an der Sch...spur auf der Strasse, wo die Rindviecher hergekommen sind.


Weil es dann auf der Lenzerheide noch nicht ganz zu spät ist, holen wir uns noch die Startunterlagen im Race Office, was bis 22.00 Uhr möglich ist. Für die Startgebühr von 95 CHF (Nachmeldung plus 20 CHF) erhalten wir nicht nur ein unvergessliches Laufabenteuer, sondern auch ein schönes Funktionsshirt, ein Diplom (via Internet), Gutscheine für die Nudelparty, freie Postbusbenutzung Chur - Lenzerheide, eine Medaille, den Rücktransport vom Rothorn mit der Bahn und natürlich Vollpension während des Rennens.

 

Ausgesetzte Preisgelder (je 4.000 CHF für die Sieger, weitere Schecks bis Platz fünf) sorgen dann auch für internationale Beteiligung. Später gehen wir noch in den Schweizerhof, ein Vier-Sterne-Hotel, wo wir im Stübli noch eine Calzone, die so gross wie eine U-Boot ist, verdrücken. Die Pizza war letztes Jahr schon so gross. Ein dunkles Bier dazu, so schön kann die Welt sein.


Da es dann doch schon recht spät ist, schleichen wir uns wieder in die Unterkunft und merken, dass die anderen Bewohner, das sind Jungfischer im Alter von ca. sechs bis vierzehn Jahren, noch keine Ruhe geben, obwohl für 22.00 Uhr bereits Nachtruhe und Zapfenstreich angeordnet ist. Die geistern noch eine Zeitlang herum, in der wir noch eine Presshalbe Schwarzbier abdrücken. Das dunkl Pir bringt uns für morgen Kraft. Gute Nacht.


Am nächsten Tag sind wir im Vergleich zu den Jungfischern Langschläfer, denn für diese beginnt um 04.30 Uhr die Tagwache. Alle zehn Sekunden rummst die Eingangstür ins Schloss. Autoanlassen und die Jungen sind fort beim Fischen am Heidsee. Um 05.30 Uhr stehen wir schließlich auf und richten unsere Sachen für den Wettkampf her. Radlerhose und halblanges Funktions-T-Shirt reichen als Bekleidung. Fotoapparat und Powerriegel werden in die Hüfttasche gesteckt. Der gepackte Rucksack mit Wechselbekleidung kommt ebenfalls mit.

 

Das Frühstück ist eher karg, denn von der Pizza ist nicht nur bei mir noch der Ranzen gespannt. Wir marschieren dann bei klarem Himmel in die Ortsmitte zur Bushaltestelle an der Post und fahren dann mit dem Postbus (Abfahrt genau um 7.00 Uhr) hinunter nach Chur zum Busbahnhof. Ein kurzer Fussmarsch zur Quaderwiese folgt. Dort geben wir den Rucksack ab, der zum Ziel transportiert wird.

 

Wir können uns noch am Getränkeausschank mit Isogetränken in zwei Geschmacksrichtungen bedienen. Dort läuft mir noch der Thomas (Schmidtkonz) über den Weg und wir lassen unsere Geschichten vom letzten Jahr Revue passieren. Martin Linek und Jürgen (Lauf-)Teichert sind ebenfalls am Start.


Doch dann rückt die Startzeit, 09.15 Uhr immer näher. Wir stellen uns auf die Strasse bei der Quaderwiese an den Startfahnen auf. Gleich geht's los. Auffällig viele Athleten tragen ihre Funktionsshirts von Bergläufen spazieren. Finisher von Interlaken, Liechtenstein, Davos und natürlich auch vom Graubünden Marathon sind zu sehen. Ernst Bromeis, Erfinder und Initiator des Bündner Marathons, schickt uns auf den beschwerlichen und langen Weg.

 

Beim Startschuss setzt sich das Läuferfeld ohne Hektik bei angenehmen Temperaturen und blauem Himmel in Bewegung. Wir durchlaufen die schöne Altstadt Chur, mehr Zuschauer als im Vorjahr sind auf dem Beinen. Sehr schnell verlassen wir aber Chur und bewältigen bereits die ersten Höhenmeter auf asphaltierter Strasse neben den Gleisen der Rhätischen Bahn. Nicht nur ich suche bereits den ersten Schatten, sofern es einen gibt.

 

Nach drei Kilometer biegen wir rechts ab und die Steigung wird stärker. Der Stephan gibt Gas und langsam und stetig wird mein Abstand zu ihm größer.

 

Bei Kilometer 4,6 finden wir am Kurhaus Passugg (765 m) die erste Verpflegung mit Riegel, Iso und Wasser. Ich lasse mit etwas Zeit mit dem Trinken. Eine stärkere Steigung im Wald folgt, wo schon die ersten Geher zu sehen sind. Ich versuche aber durchzulaufen. Die Steigung wird dann wieder erträglicher.


Später laufen wir aus dem Wald und es geht an abgemähten Almwiesen entlang. Vor der nächsten Tankstelle Helltobel Gadastatt (8,1 Kilometer; 1030m) bietet mir ein Mitstreiter einen halb abgebissenen Müsliriegel an. Nun ja, angefressen war der nicht, sondern der Lauffreund hat natürlich einen Teil abgerissen. An der Futterstelle finden wir schon eine reichliche Auswahl. Wasser und Iso genügen mir hier. Weiter. Auf steiler Asphaltstrecke erreichen wir mit Kilometer 12 Churwalden (1237 m).

 

Ein ambitionierter Quetschnspieler bearbeitet eifrig sein Instrument. Im Ort laufen wir dann auf dem Trottoir weiter ansteigend. Später führt uns der Weg wieder in den Wald und auf Almwiesen. Immer noch ansteigend, aber laufbar.
An einer Alm stehen drei Buben und klatschen uns mit Freude ab. Bei der Trinkstelle Foppa (17,6 Kilometer) endet dann die erste langgezogene Steigung von Chur (590 m) herauf. Hier sind wir bereits auf 1754 Meter Seehöhe. Eingesetzte Kinder sind beim Getränkeverteilen und Becher sammeln eifrig dabei.


Auf den folgenden Kilometern verlieren wir gut 200 Höhenmeter, zuerst auf asphaltierter Bergstrasse mit entsprechend schnellem Galopp, doch dann geht es scharf rechts auf einen holprigen Grasweg mit entsprechenden unebenen Stellen. Im anschließenden Wald geht es über Steine und Wurzeln weiter bergab. Vorsicht, sonst braucht's die A...-Backenbremse. Bei Kilometer 22 erreichen wir langsam das Hochtal der Lenzerheide. Ab hier folgt das zweite Streckendrittel, das ich gern als kupierte Strecke mit kurzen Steigungen und Gefällen beschreibe.


In Parpan (Kilometer 24; 1509 m) laufen wir neben der Kirche durch ein modernes Tor eines der Sponsoren. Da werden wir auch über Lautsprecher namentlich angekündigt. In Valbella (heißt das wohl das schöne Tal?) laufen wir an den Igl Lai (Heidsee), wo wir einige Jungfischer sehen. Ein Jugendlicher hantiert mit einer Schere bei einem Fisch im Maul herum.

 

Mittlerweile sind wir im rätoromanischen Teil der Schweiz angelangt. Ob hier noch jemand diese Sprache versteht, weiss ich natürlich nicht. Und am Himmel sind schon die ersten dickeren Quellwolken zu sehen. In der Folge werden sich meine Beobachtungen auch nach oben erstrecken.


Durch eine Unterführung verlassen wir das Wasser und laufen auch unter der Hauptstrasse durch. Eine kurzer Anstieg und dann gleich ein Gefälle und wir laufen nach Lenzerheide (1458 m) hinein. Eine Extraschleife um das Schulgelände mit einer Zwischenzeitnahme folgt. Bei Kilometer 30,7 werden wir von einem Moderator angekündigt und dann ist der Verpflegungstisch reichlich gedeckt. Da der zweite Streckenteil hier endet, lasse ich mir Zeit mit Happahappa.


Es folgt das letzte Drittel, der Anstieg zum Rothorn. Auf gut elf Kilometer Weg sind noch rund 1400 Höhenmeter verteilt. Da freuen sich die inneren Schweinehunde. Kurz noch an der Voa Principala entlang und dann nach einer Linkskurve stehen viele Zuschauer und wir am Berg. Den Adabeis gebe ich einen Wink auf meine selbst gestaltete Rückennummer. Da steht mein Lieblingsspruch drauf: QUÄL DICH DU SAU. Entsprechendes Gelächter und Beifall kommt auf. Später marschiere ich wie ein fröhlicher Wandersmann Richtung V-Stelle Wasserfall, wo wir bereits auf 1800 Meter Seehöhe angekommen sind.


Hier saufe ich wie ein Kamel. Im letzten Jahr hatte ich bereits hier große Probleme. Doch heute ist das ganze noch machbar. Auf dem folgenden, fast zwei Kilometer langen Stück ohne nennenswerte Steigung, dafür mit Wurzeln und Steinen gespickt, verfolgt mich ein Schwabe. Höflich fragt er mich, ob er sich anhängen darf. Kurz vor der Mittelstation spielt wieder ein Musikant.


Bei der Mittelstation (1883 m) bei Kilometer 35,4 km greife ich eine Cola. Kurz danach bejubeln  viele Zuschauer die Läufer und rufen jeden mit seinem Vornamen. Im ersten Jahr ging es hier in der Diretissima weiter, sprich mit extremer Steigung. Heuer geht's auf guter Bergautobahn weiter, auch Laufeinlagen sind möglich. Ein neuer blauer Speichersee erscheint, wo wir vorbeilaufen. Zunächst sehen wir grüne Skipisten, dann wird das ganze steiniger. Am Weishornlift (2170 m) erhalten wir wieder Getränke. Mittlerweile wird die Sicht immer diesiger. Am Wegesrand sitzt eine Geheimfavoritin und heult. Sie hat sich wohl übernommen. Zuschauerinnen werden darauf aufmerksam und trösten.


Dann endet der Fahrweg kurz nach Kilometer 38. Danach kommen wir zum Steingroßhandel, im letzten Jahr wurde hier alles vom Schnee freigeschaufelt. Wir laufen unterhalb der Seilbahn. Das Herz hämmert, die Luft ist knapp. Wer seine maximale Herzfrequenz sucht, kann hier sicher fündig werden. Wenn wir zur Aussichtsterrasse der Bergstation schauen, könnten wir erkennen, wie uns einige Touristen den Vogel zeigen. Ein Bergwanderer sagt, das ist doch wahnsinnig, worauf ich entgegne, dass das nur Wahnsinnige machen. Nein, nein, das hat er nicht so gemeint, so die Reaktion des Wandersmannes.


Am Foil Cotschen (39,9 km; 2470 m Seehöhe) gibt's noch Mal reichliche Auswahl auf der Speisekarte. Bei Kilometer 40 kann man immer noch einige wenige Meter laufen. Mittlerweile ist der Himmel ganz zugezogen und eine dunklere Wolke kann das Wasser nicht mehr halten. An der letzen Verpflegung bei Kilometer 41 (2660 m) greife ich mir schnell noch ein Getränk. Weiter, weil zum Schiffen hört's auch nicht auf. Na servus. Dann stoppt doch der Regen. Mittlerweile haben wir den Gipfel halb umrundet. Jetzt sehen wir Schilder, noch 1000 Meter, noch 800 Meter .... und das meiste in Serpentinen. Wie lange können doch 200 Meter sein. Hier sind sie ewig lang.

 

Dann an einer Kurve ziehe ich wieder meine Kamera heraus und schicke einen Zuschauer zum Fotografieren nach vorne. Seiner Frau/Freundin erkläre ich, dass er heute sich noch nicht sportlich betätigt hat. Dann geht es auf dem Grat, Km-Schild 42, ich reiss mich noch mal zusammen und laufe die Meter ins Ziel auf 2865 Meter Höhe. Dort wird mir per Handschlag gratuliert.


Allegra auf dem Rothorn. Kinder überreichen die hart verdiente Medaille. Eine Treppe hinab, und ich finde meine Austragsbank und genieße das Szenario. Der Stephan kommt auch hinzu. Später hole ich mir von der Verpflegungsstation alles, was die Küche zu bieten hat. Das schmeckt lecker. Auch lassen wir uns fotografieren, damit unser Gipfelsturm auch bewiesen werden kann.

 

Ich ziehe eine Fleecejacke an und frage den Stephan, ob wir nicht noch an das Gipfelkreuz gehen wollen. Gesagt, getan - laufen, nein, gehen wir dorthin, wo wir einen Rosenheimer treffen. Mittlerweile kommen immer wieder größere Nebelfelder auf. In Richtung Südwest ist schon alles grau in grau. Nach rund 15 Minuten hören wir schon ersten Donner. Zeit zum Abhauen. Die nächste Luftseilbahn kann alle Läufer aufnehmen und innerhalb 30 Minuten sind wir wohl an der Talstation.

 

Dort fängt's dann zu schütten und zu gewittern an. Sofort wird es kalt. Nach wenigen Minuten kommt dann der Bus. Eingestiegen und Abfahrt. Und dann sehen wir den Flitzer. Das ist X. Y. aus Z., der sich ausgezogen und eingeseift hat und sich vom Regen abduschen lässt. Hoffentlich kommt nicht die Sittenpolizei.


Ja, und mit unseren Zeiten sind wir auch zufrieden, denn Stephan macht seinen ersten Bergmarathon in 4:44:18 Stunden (Platz 33), bei mir sind's 5:10:06 (Rang 87), ich kann meine Vorjahresleistung um 20 Minuten und gut 70 Gesamtplätze verbessern. Nach dem Duschen und der guten Massage gehen wir ins Festzelt, und der zweite Marathon beginnt. Denn die Riesenportion an Nudeln ist nur mit Ausdauer und drei Bierchen zu bezwingen.


Es siegt wie im Vorjahr Jonathan Wyatt (3:24:54) vor Karl Jöhl (3:37:17). Bei den Damen gewinnt Jasmin Nunige (4:21:22) vor der Vorjahressiegerin Carolina Reiber (4:34:12). Besonderheit am Rande: der Sieger und die Siegerin vom LGT-Alpin Marathon in Liechtenstein werden jeweils Zweite. 

 

Informationen: Graubünden Marathon
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