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Laufberichte

Town, Country & Mountain

23.06.12

In der Schweizer Ausgabe des Familienspiels  Monopoly ist Chur, die Kantonshauptort des Kantons Graubünden, das billigste Feld. Chur Kornplatz kostet gerade mal 1200 Franken. Ist Chur mit seiner sehenswerten, intakten Altstadt nicht mehr wert? Liegt es daran, dass man auf der Fahrt in die Skigebiete oder in Richtung Tessin von der Autobahn aus nur die Siedlungsgebiete mit Hochhäusern zu Gesicht bekommt, nicht aber die einladenden Plätze und Gässchen?

Auch unter dem Aspekt, dass Antiquitäten teuer sind, müsste Chur auf der Preisskala des Monopoly-Spiels höher angesiedelt sein. Immerhin kann sie sich älteste Stadt der Schweiz nennen. 

Heute gibt es kein Familienspiel und keine Geschichtsstunde, heute gibt es Marathon. Und was für einer. Stadt-, Landschafts- und Gebirgsmarathon – alles ist dabei. Es gibt die volle Packung. 2500 Höhenmeter, davon 1500 auf den letzten Kilometern. Alles klar?

Ich nehme zu nachtschlafener Zeit den Zug in Schaffhausen – beim Monopoly Feldnachbar von Chur –  um kurz vor 8.00 Uhr dort anzukommen. Dank Schweizer Pünktlichkeit bleibt mir so nach dem kurzen Fußmarsch zur Schulanlage Quader  gerade noch Zeit, ohne Hetze die Startunterlagen entgegenzunehmen, das Gepäck abzugeben und links und rechts Hallo zu sagen.

Die Roten, die Gelben und die Blauen nehmen unter den Bäumen der Gasse Aufstellung zum Start. In diesen Farben sind die Startnummern zur besseren Unterscheidung gehalten. Marathonis, die ersten von je drei Staffelmarathonis und die 20 Milers starten in Chur, für den Halbmarathon und den Rothorn-Run sind die Ausgangspunkte Churwalden und Lenzerheide. Nach wenigen Metern und der zweiten rechtwinkligen Kurve haben alle der rund 500 Läuferinnen und Läufer, davon fast 400 für den Klassiker, Platz in Hülle und Fülle, um ihr bevorzugtes Tempo zu finden.

In der Stadt geht es recht ruhig zu, es ist kein Rambazamba zu vermerken, vielmehr diskrete, anerkennende Aufmerksamkeit von den kleinen Zuschauergruppen. Nach eineinhalb Kilometern ist der Stadtanteil auch schon vorbei. Die Straße entlang der Plessur, dem Fluss des Schanfigg, gehört uns allein. Sonst müssen sie sich die Rhätische Bahn und der Individualverkehr teilen. Auf der  einstündigen Zugreise von Chur nach Arosa mutiert die Arosa Bahn von einer Straßen- zu einer Gebirgsbahn, wie sie sich auf jeder Modellanlage gut machen würde. Auf 26 Kilometern überwindet sie 1000 Höhenmeter – auf uns warten fast 2700 positive Höhenmeter auf der Marathondistanz, garniert von 400 negativen. Da kann es nicht mehr lange flach bleiben.

So ist es auch. Es gibt kein Wenn und Aber, doch ein Äber. So  heißt der Weiler vor Passugg, dem Ort, den fast alle Schweizer kennen, ohne jemals dort gewesen zu sein.  Das Mineralwasser dieser Quelle trägt den Namen ins ganze Land. Auch im Ausland bekannt ist die Swiss School of Tourism and Hospitality, vor welcher die erste Verpflegungsstation aufgebaut ist. Schweizweit einmalig ist die Bildungsstätte für Gehörlose in der Pension Fontana.

Nach Asphalt und Forststraße kommt gleich danach ein Wechsel auf rustikalere Wege. Im Wald oder in unmittelbarer Nähe dazu steigt die Strecke gleichmäßig der rechten Talflanke über der Rabiosa (auf der offiziellen Landeskarte als Rabiusa bezeichnet, auf Deutsch Landwasser) entlang in Richtung Churwalden mit zwischenzeitlichem Blick hinüber nach Malix, wo die Straße von Chur nach Lenzerheide durchführt. Noch sind keine 9 Kilometer absolviert, steht die zweite Verpflegungsstelle bereit. Mit dem mir nicht bekannten isotonischen Getränk kann ich mich nicht so recht anfreunden, doch mehr als Wasser brauche ich eigentlich auch noch nicht.

Auf einer Weide schauen ein paar stattliche, imposant behörnte Ziegen dem ungewohnten Geschehen auf dem Weg zu. Eine will es ganz genau wissen und hat einen Platz in der ersten Reihe am Zaun  eingenommen. So viel Aufmerksamkeit seiner Schüler für etwas Neues wäre für  jeden Lehrer ein wahrer Segen. Und es bleibt nicht beim Zuschauen. Ich laufe weiter und höre wenig später hinter mir den typischen Klang einer Geißenglocke. Ich drehe mich um und sehe die eben von mir fotografierte Schönheit locker neben dem Feld traben und - einen nach dem anderen - Teilnehmer überholen. Ich hoffe, dass nicht meine Fotografiererei die Einladung zum Ausbüxen war  und überlege mir, wie ich beim Erreichen von Churwalden diese Spontanläuferin den Streckenposten übergeben soll.

Nach einiger Zeit kommen wir an einem großen Gehöft vorbei, bei welchem zwei Männer draußen arbeiten. Mein Hinweis auf die Ausreißerin löst bei ihnen zuerst ungläubige Blicke aus. Aber sie erkennen unsere vierbeinige Begleitung als zu ihrer Herde gehörend und, kaum steuern sie auf sie zu, bricht sie ihren Lauf ab. Eigentlich hätte ich gern gewusst, wie es mit der Ausdauerleistung capriner Sportler bestellt ist.

Nach gut einem Viertel der Strecke erwarten uns Zuschauer und Streckenposten in Churwalden. Durch das Dorf folgen wir der Hauptstraße, die von den Verkehrskadetten gewissenhaft gesichert wird. Ausgangs Dorf gibt es wieder einen Verpflegungsposten, an welchem vorzugsweise der Flüssigkeitsspeicher genügend aufgefüllt wird, denn trotz immer noch bedecktem Himmel wird dieser beansprucht, wenn auf den folgenden fünf Kilometern gut und gerne 500 Höhenmeter gefressen werden. Die Steigung, vorwiegend auf asphaltierter Straße, ist gleichmäßig und erlaubt mir weitgehend einen Laufschritt.

Auf der anderen Talseite sind die beeindruckenden Serpentinen der Rodelbahn Pradaschier zu sehen, die sich auf einer Länge von drei Kilometern den Hang herunterwinden. Statt einer rasantenTalfahrt widmen wir uns auf dieser Talseite dem Anstieg und dem Anblick der Blütenpracht auf den Magerwiesen, welche den Weg säumen und sich über den ganzen Hang zu erstrecken scheinen. Typische Landschaft in Bergnähe eben – so, wie es mir gefällt. Mir gefällt auch, dass an wärmeres Wetter gedacht und bis zum vorläufigen Kulminationspunkt zwei weitere Versorgungsstellen eingerichtet sind. Mit leichtem Gefälle wird dann der Abbau der Höhenmeter vorgenommen. Links und rechts ein Meer von Wiesenblumen und am ganzen Hang verstreut heimelige Ferienhäuschen.

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Informationen: Graubünden Marathon
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