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Laufberichte

Kämpfa, kämpfa, chum!

23.06.12

 

Scharmoin, Aufstieg

 

Der Happa-Happa-Tisch ist reich gedeckt. Ich ziehe mein Langarm-Shirt an, denn es ist jetzt schon kühl, zumal die Sonne sich nicht blicken lässt. Um bei der Verpflegungsaufnahme Zeit zu gewinnen, tauche ich die Brotstücke gleich in die Bouillon ein und kann diese schneller schlucken. Auch wenn es nicht gerade ästhetisch ausschaut. Das ist mir wurscht.

Auf der guten Bergautobahn läuft mir Patric wieder voraus. Mann, ist der stark. Mit gehörigem Abstand, aber noch in Sichtweite, kann ich folgen. An der Alp Scharmoin springt der Hofhund mit einem Holzscheit im Maul umher. Wenigstens lässt er mich in Ruhe. Kilometerschild 36 folgt an einem üblen Steilstück, Marschieren ist angesagt. Nur einen sehe ich im Galopp. Ihr vermutet schon richtig. Ich bin es nicht!

Gegenüber auf der Westseite der Lenzerheide reißt die Wolkendecke auf, der blaue Himmel kommt zum Vorschein. Ein gutes Zeichen, auch wenn sich das Rothorn noch in der Nebelsuppe versteckt. Der Speichersee, da kann ich wenigstens ein paar Meter im Laufschritt unterwegs sein, auch wenn die Steigung sofort wieder zunimmt. Der Almwiesenwuchs wird immer spärlicher, der Schnee muss erst vor kurzer Zeit abgetaut sein. Aber es ist erstaunlich, wie wenig Zeit die Natur braucht, um auszutreiben und Blüten zu setzen. Oberhalb ist die Bergstation des Weisshornliftes zu sehen. Unser Weg wird immer liderlicher und holperiger.

Am Weisshornlift (2170 Meter, Kilometer 38) erhalten wir wieder Getränke. Teilweise tauchen wir in die Nebeldecke ein. Die Sicht sinkt dramatisch. Die Muskeln maulen, die Lunge rasselt. Ich muss kämpfen!

 

„I muass auffi aufs Rothorn“

 

Kilometer 39, eigentlich ein Katzensprung, auch beim Marathon. Aber hier ist ein Kilometer unendlich. Ich will es gar nicht wissen, wie lange dafür  unterwegs ist. 15, 20 Minuten? Das würden unsere Väter im gemächlichen Sonntagsspazierschritt ohne Schweißperlen auf der Stirn zuhause locker schaffen. Und nicht mal außer Atem kommen. Aber hier! Du schnaufst wie ein Ochs vorm eingespannten Pflug, das Herz hämmert, der Schweiß fließt in Strömen.

Aber Wahnsinn, was die Natur hier noch imstande ist. Zwischen den Steinen, wo nur einige Gramm Humus vorhanden sind, blühen mikrokleine Blumen in verschiedenen Farben. Wenn ich Zeit hätte, würde ich Fotomaterial sammeln. Aber ich weiß nicht, ob Patric noch meine Hilfe braucht. Ich kann ihn in der Nebelwüste nicht mal erahnen. An der Traverse können wir schon einzelne Altschneefelder aus nächster Nähe begutachten.

Am Foil Cotschen (Kilometer 39,9; 2470 Meter), noch eine Trinkstelle mit reicher Auswahl, ist Patric wieder da. Er hat auf mich alten Sack gewartet. Aber während ich einen Trank schnell hinunterstürze und mir fast davon schlecht wird, ist er schon wieder fünf Meter voraus. Kilometer 40 ist weiter als 100 Meter von Foil Cotschen entfernt. Da stimmt was mit der Messung nicht. Aber egal, mit jeden Schritt kommt das Ziel näher. Wo ist eigentlich Daniel? Den habe ich seit Chur nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich hockt der schon am Gipfel im Wirtshaus bei einer halben Bier.

Ich höre Klänge aus einem Alphorn. Der Musiker steht auf einem Vorsprung und ist schon von der Ferne zu sehen. Er lässt bei jedem Hochgebirgswanderer eine Weise erklingen. Der Nebel liegt jetzt hinter uns.

Noch einen Kilometer, die letzte Henkersmahlzeit, bestehend aus einem Becher Iso, wird zugereicht. Und dann wartet wieder Patric auf mich. Wie ein Hund, der sein Herrchen sehen will und dann wieder davonzieht. Nur, der Hund bin ich, mir hängt nämlich die Zunge raus. 2660 Meter, die letzten 1,2 Kilometer sind noch mit 205 Höhenmetern gespickt. Ist da die Spitze gelaufen?

Serpentinen! Als ob die Steigung nicht schon reichen würde, jetzt geht es Kurve um Kurve nach oben. Patric nimmt Rücksicht auf mich und verlangsamt. Aber soweit mein Beobachtungssinn noch funktioniert, muss ich drei Schritte machen, während er zwei braucht. Wenn die Sicht klar wäre, könnten wir unzählige Gipfel sehen.

Dann sehen wir Zuschauer von oben sitzen. Die hocken sprichwörtlich wie die Hühner am Stangerl. Kann da nicht mal ein Fuchs wildern? Dann gäbe es für die nichts mehr zu lachen! Wo ist denn der Zielbogen? Der verbirgt sich fast bis zuletzt. Ich weiß, es geht nur noch um die Bergecke, dann sehen wir das Ziel. Es kommt noch eine Stelle, wo Patric meine Hand braucht. Dann marschieren und laufen wir in das Ziel am 2865 Meter hohen Rothorn. Die Plagerei hat sich gelohnt. Jetzt sind wir dem Himmel näher, auch wenn meine Beine Höllenqualen erleiden mussten.

Der Rennarzt hat einen ruhigen Job, schaut nur kurz auf die Läufer, nickt den einen oder anderen aufmunternd zu und lobt später in einem Gespräch die gute Vorbereitung der Läufer. Kinder nehmen mir den Zeitmesschip ab und überreichen die Ansteckmedaille. Mittlerweile lässt sich die Sonne blicken. Es wird sogleich warm, dass man die Kleidung kaum wechseln muss.

Nach meiner kurzen Erholung am Verpflegungsstand sehe ich Daniel oben im Zielbereich. Er grinst wie ein Honigkuchenpferd über beide Backen. Gerade hat er gefinished. Nach weiterer Erholung schnappen wir unsere Rucksäcke und gondeln mit der Bahn ins Tal, wo wir unser hart verdientes, schmackhaftes Nudelmahl vertilgen. Patric will sogleich weitere Vorschläge, welche Berge er in Zukunft anpacken kann. Nun, Liechtenstein oder der Marathon vom Silbertal nach St. Anton dürften schon gehen, vielleicht auch der C42 in Davos. Schaun mer mal. Ja, und seine Befürchtung, dass er ein zu großer Angsthase sein könnte, war überflüssig. Er arbeitete sich eher furchtlos und wie eine Katze nach oben.

Fazit:
Ein schwerer Berglauf, der aber mit gründlicher Vorbereitung machbar ist. Ein, zwei Bergläufe im Vorfeld, vielleicht auch gemütliche Stadtmarathons oder mal etwas Außergewöhnliches, wie den Koasamarsch, dann bist du gut präpariert für das Rothorn. Ohne Vorbereitung wäre das ein Höllenfahrtskommando! Wer es richtig macht, der darf dann im Himmel schweben, zumindest im Traum.

  

Marathonsieger

Männer

1. Cox Martin, Anzère 3:50.12,6
2. Barz Michael, D-Durach 3:52.00,8
3. Heuberger Bruno, St. Margarethen TG 3:55.53,8

Frauen

1. Zimmermann Denise, Mels 4:25.15,6
2. Dalcolmo-Jegen Jeanette, Dürnten 4:47.40,0
3. Hegner Simone, Rüti ZH 4:53.04,1

369 Finisher

 
 

Informationen: Graubünden Marathon
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