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Laufberichte

„Difficile“

15.04.07
Autor: Klaus Duwe

Im Land der Roten Berge

  

Man weiß es: andere Länder, andere Sitten. Trotzdem ist man hin und wieder überrascht, wenn man landesspezifische Eigenheiten entdeckt, besonders wenn es sich um den Nachbarn handelt.

 

In Deutschland haben Citymarathons den mit Abstand größten Zuspruch. Die anspruchsvolleren Landschaftsläufe werden eher als Geheimtipp gehandelt und von denen bevorzugt, die den Rummel nicht so mögen. Bei unserem Nachbarn im Westen, den Franzosen, ist das umgekehrt. Allerdings kann man deren bevorzugte Laufkategorie schon nicht mehr als Landschaftslauf bezeichnen. So ein „Trail“ geht schon entschieden weiter. Man kann auch sagen: dort, wo der Rennsteig aufhört, fängt das Trailrunning an. Mehr als 400 solcher „extremer Landschaftsläufe“, viele davon mit Marathon- und Ultradistanzen, gibt es in Frankreich.

 

So betrachtet ist es kein Zufall, dass 2000 Startplätze für den mörderischen Ultra-Trail du Mont Blanc (163 km, 9000 HM) innerhalb von 12 Stunden vergeben waren. Wenig später waren auch die 1500 Plätze für die „Kurzdistanz“ (86 km, 4500 HM) weg. Die Teilnahme an dieser Veranstaltung ist genau wie der Grand Raid auf Reunion der Traum und die Krönung für den Franzosen.

 

Weil man seine Karriere als Trailrunner aber nicht damit beginnt, hier einmal als Vorgeschmack der Bericht vom Trail du Grand défi des Vosges (51 km, 1200 HM) am 15. April in Niederbronn les Bains.

 

Niederbronn liegt in den Nordvogesen, gut zu erreichen über die A 5, Abfahrt Baden-Baden, dann auf der B 500 nach Frankreich und dort  auf der A 35 (noch mautfrei) Richtung Strasbourg, Abfahrt Haguenau. Von dort Richtung Bitche. Oder man fährt gleich auf der französischen Seite auf der A 35. Bekannt ist Bad Niederbronn für seine Heilquellen (helfen bei degenerativen sowie rheumatischen Erkrankungen), die bereits die Römer entdeckten und für sein Spielcasino.

 

Start und Ziel ist in der Sporthalle des Gymnasiums Mont-Rouge. Am Samstag gibt es eine Pastaparty. Und weil das Essen in Frankreich einen ganz besonderen Stellenwert hat, darf man auch etwas mehr als einen Teller mit Nudeln erwarten. Also wird im „Casino Barriere“ für 13 € ein komplettes Menü serviert.

 

Am Sonntag heißt es dann früh aufstehen, denn der Start ist bereits um 7.30 Uhr. Da in diesem Jahr das Frühjahr im Januar und der Sommer im April beginnt, ist das auch witterungsbedingt ganz praktisch.

 

Bereits in der Ausschreibung findet sich der Hinweis, dass es auf der gesamten Strecke nur 3 Verpflegungsstellen gibt, die Verpflegung ist also weitgehend Sache der Teilnehmer. Entsprechend ist die Ausrüstung der eintreffenden Akteure: fast alle haben einen Trinkrucksack oder zumindest –gürtel dabei, manche auch Stöcke, Trailschuhe scheinen ebenso obligatorisch.

 

Vor dem Start sind alle etwas mehr als 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer (ca. 250 gehen eine Stunde später auf einen 24 km langen Rundkurs) auf der kleinen Tribüne der Sporthalle versammelt, um von Präsident Didier Ament noch einmal etwas über die Strecke und die Regeln zu erfahren. Er hält seine Ansprache auf französisch, die ungefähr 20 Deutschen lassen sich das Wichtigste von einem Einheimischen erklären.

 

Dann versammelt man sich vor der Halle und folgt einem Polizeiauto mit Blaulicht etwa 10 Minuten durch den Ort bis zum offiziellen Startplatz am Waldrand. Wenn der letzte Läufer eingetroffen ist, wird gestartet und es geht gleich richtig zur Sache.

 

Ein schmaler Weg führt uns durch einen herrlichen Buchenwald, der jetzt mit seinen leuchtend grünen, jungen Blättern ganz besonders schön ist. Im Nu hat sich das Feld sortiert und in die Länge gezogen. Auf 432 Meter Höhe auf einem Ausläufer des Reisberges erreichen wir die Wasenburg. Eine Hinweistafel erinnert daran, dass Goethe 1770 die Burg besucht hat. Zur Zeit der Römer stand hier ein Merkur-Heiligtum.

 

Kilometerangaben sucht man hier vergebens. Ich habe daher nur wage Vorstellungen von den  Entfernungen. 5 oder 6 Kilometer mögen es bis zum Wasenköpfel sein, an dessen Fuss der Ort Oberbronn liegt, der für seine Spezialität Blutwurst mit Kastanien bekannt ist. Der schöne Aussichtsturm wurde 1887 vom Vogesen-Verein (Club Vosgien) errichtet. Er wurde nach dem Vorbild des Schwarzwaldvereins auf deutsche Initiative 1880 gegründet und betreut heute ein Wegenetz von ca. 17. 000 Kilometern. 

 

Nach dem Wasenköpfel geht es steil abwärts bis zu einer Lichtung mit einem frisch gepflügten Acker. Ich bin mir nicht sicher: war das der Bauer oder doch die Wildschweine?


Als ich eben von einem Läufer überholt werde, sehe ich, wie er eine Streckenmarkierung vom Baum abmacht. Erst denke ich, er nimmt es sich als Souvenir mit. Dann macht er aber auch die nächsten ab und ich will mich schon empören. Die Selbstverständlichkeit aber, mit der er vorgeht, macht mich nachdenklich. Kann es sein, dass ich der Letzte bin, und hinter mir bereits die Strecke „abgeräumt“ wird?

 

Ich bin noch nie Letzter geworden und werde es auch heute nicht, da bin ich mir sicher. Trotzdem mache ich auf dem Partisanenweg, einem breiten, sandigen Weg mit nur mäßigem Gefälle Dampf und genieße zumindest einmal für ein kurzes Stück einen lockeren Lauf.  Dann geht links ab und in Serpentinen über Steine und Wurzeln steil nach unten bis wir ins kühle, weil jetzt noch schattige Zinseltal kommen. Weiter südlich gibt es noch einmal ein Flüsschen mit diesem Namen, deshalb nennt man das hier Zinsel du Nord.

 

Wir folgen den Flüsschen eine ganze Weile, immer leicht abwärts, teils durch tiefes Laub, teils auf steinigen Pfaden. Nach einem längeren kräftigen Anstieg kommt plötzlich Leben auf die Strecke. Von Links kommen jede Menge Leute, alle im flotten Marschtempo. Dann sehe ich auch mir sehr vertraute Flatterbänder und Hinweistafeln mit der Aufschrift IVV. Das sind die üblichen Markierungen bei einem Marche populaire. An solchen Volksmärschen ohne Sollzeiten habe ich viele Jahre teilgenommen und dabei an die 1000 Mal 42 oder mehr Kilometer absolviert. Viele Erinnerungen werden wach, unter anderem an einen 100er im Bitcher Land, der auch in diese Region führte. Schließlich erreichen wir (ich bin jetzt über 2 Stunden unterwegs) den Eselsplatz, wo für beide Veranstaltungen die Verpflegungsstelle eingerichtet ist.

 

Danach trennt sich unser Weg, wir nehmen den schmalen Pfad, der wieder steil nach unten führt und uns auf einen sehr aussichtsreichen, bequemen Panoramaweg führt. Hier wachsen vornehmlich Kiefern und Fichten, nur vereinzelt heben sich ein paar Buchen mit ihren hellgrünen Blättern ab, dazwischen stehen auch ein paar Eichen und Lärchen. Von weitem sieht man die Burgruine Lichtenberg aus dem 13. Jahrhundert, die einmal eine der wichtigsten Wehranlagen in den Nordvogesen war und noch im deutsch-französischen Krieg eine wichtige Rolle spielte.

 

Nach annähernd 3 Stunden Marsch und Lauf  hole ich jetzt den einen oder anderen Kollegen ein, Letzter bin ich ohnehin schon lange nicht mehr. Die Wege wechseln ständig, allerdings sind auf dem Abschnitt durch den Hanauer Wald nach Bärenthal keine langen und extreme Steigungen. Dennoch braucht man für die anspruchsvollen Wege viel Kraft und volle Konzentration. Richtig zum Genießen sind die letzten Kilometer bis zu dem beliebten Ferienort. Der Weg geht an einem sumpfigen Bach entlang, rechts stehen einige der für die Nordvogesen typischen, bizarren Sandsteinformationen. Am Bärenthaler Weiher ist dann die zweite Verpflegungsstelle eingerichtet.

 

Etliche Läufer legen hier eine längere Pause ein oder beenden ihr Trailrunning für heute. Die Ausfallquote liegt am Ende bei 20 %. Ist es die Hitze? Tatsächlich werden annähernd 30 Grad erreicht. Die Angler am Weiher stört es wenig. Sie machen Jagd auf Hechte, die hier nicht nur zahlreich,   sondern auch noch von stattlicher Größe sind. Das Angeln ist hier im Elsass ein sehr beliebtes Sonntagsvergnügen und heute bei dem schönen Wetter ist die ganze Familie dabei und wartet mit der Pfanne auf die Beute.

 

32 Kilometer sind hier erreicht, mehr als 4 Stunden bin ich unterwegs, 3 werde ich wohl noch brauchen. Ich fülle meine Trinkflasche auf und mache mich auf den Weg. Die nächsten  Kilometer nach Philippsburg sind nicht besonders schwer. Wir überqueren die gut gesicherte Verkehrsstraße und haben jetzt den schwersten Streckenabschnitt vor uns. 6 Kilometer zieht sich der Weg bis zum Wintersberg hin. Dabei geht es keineswegs auf einem Rutsch nach oben, viele flache Passagen und breite Wegen gaukeln einem vor, jetzt ist die höchste Stelle erreicht. Dann kommt der nächste Anstieg auf schmalen, steinigen Pfaden …

 

Die Hitze macht jetzt jedem sehr zu schaffen. An einem Bach sitzt ein müder Läufer. Ich frage, was ihm fehlt. „Difficile“, antwortet er nur. Und noch einmal „difficile“, dabei schüttelt er den Kopf. Meine Flasche ist bereits leer und fülle sie am Bach wieder auf. Ich kann jedem nur den Rat geben, bei solchen Läufen ausreichend zum Trinken mitzunehmen. Mehr als die 3 Verpflegungsstellen hier sind nämlich überall nicht üblich. Es wird auch klar, dass Kilometerangaben mehr irritieren als nützen können. Was willst du damit anfangen, wenn es heißt: noch 5 Kilometer. Geht es bergab, bist du in 30 Minuten da. Geht es wie hier steil nach oben, brauchst du mehr als eine Stunde. Von der Anstrengung gar nicht zu reden.

 

In engen Serpentinen und sehr steil geht es auf den letzten Stück aufwärts, dann wird der höchste Punkt der Strecke, der 581 Meter hohe Große Wintersberg und die dritte Verpflegungsstelle erreicht. Man empfiehlt mir (sehe ich noch so gut aus?), den 25 hohen Turm zu besteigen, was ich aber dankend ablehne. Tatsächlich bin ich nämlich ziemlich fertig mit der Welt. Dass es jetzt nur noch abwärts gehen soll, kann mich nicht trösten, denn auch das ist mir schmerzfrei nicht mehr möglich. Und immerhin sind noch 8 Kilometer zu laufen.

 

Trotzdem heißt es nicht „Augen zu und durch“ sondern „Augen auf und genießen“, denn auch dieser Streckenabschnitt ist mit seinen vielen Ausblicken einfach herrlich – aber nicht einfach zu laufen. Erst ganz am Schluss kommt ein kurzes Stück Teerstraße, und man kann bis zum Zieleinlauf auf dem roten Teppich den lockeren Ultraläufer geben.

 

Siegerliste 50 km
Männer

1 LENNARTZ Burkhard - LLG St Augustin 04:04:58
2 VON WITSCH Felix - Team TV 1 - 04:13:25
3 HAUMANN Eric - Ac chatenois les forge - 04:20:00

 

Frauen

1 AUDIBERT Renée – Pontarlier - 05:02:04
2 ALTER Julia - TV Rheinau Mannheim - 05:09:06
3 MILLET Carole - Cca Rouffach - 05:17:53

 

Streckenbeschreibung

Anspruchsvoller Rundkurs mit 1200 Höhenmetern, meist auf schmalen, steinigen, wurzligen Pfaden. Vergiss deine Zeit vom Rennsteig, hier gelten andere Gesetze.

 

Logistik

Zufahrt zum Start und Ziel in der Sporthalle des Gymnasiums Mont-Rouge ist ausgeschildert. Parkplätze in unmittelbarer Nähe.

 

Verpflegung

3 Verpflegungsstellen mit Wasser, Cola, Trockenobst, Orangen, Bananen, Kuchen, Schokolade

 

Auskunft

Die Website des Veranstalters ist teilweise in deutsch. Bleiben Fragen offen, ist Luc Kautzmann gerne behilflich. Er spricht fließend deutsch und ist selbst begeisterter Läufer (Marathon-Bestzeit 2:56). Am liebsten läuft er aber Trails. Seine Mail-Adresse: vosgirunner@aol.com

 

Informationen: Grand Défi des Vosges
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