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Laufberichte

Mit dem Matterhorn auf du und du

07.07.07

Wer Zermatt hört, denkt unwillkürlich an das Matterhorn – und umgekehrt ist es wohl dasselbe. Tief im Süden des Wallis, abgelegen inmitten der höchsten Gebirgszüge der Schweiz, führen sie ein fast schon symbiotisches Dasein. Und wer hierher gelangen will, muss auch heute noch einen gewissen zeitlichen Aufwand betreiben, zumindest wenn er - wie ich – aus München anreist. Aber beide Orte üben eine geradezu magische Anziehungskraft aus, und das anscheinend rund um den Erdball. Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass Heerscharen von Japanern gerade in diesen Winkel einfallen und diesem Berg fast schon wie ihrem Fuji huldigen. 

 

Aber es ist letztlich das Matterhorn, das auch mich und eine stetig wachsende Zahl von Läufern, vor allem auch aus Deutschland, motiviert, sich Anfang Juli den Torturen eines der schwersten Bergläufe der Alpen zu stellen – dem Zermatt-Marathon. Zermatt ist zwar weder Start noch Ziel des Spektakels, aber dennoch Angel- und - auch km-mäßig - Mittelpunkt des Laufs.

 

Als ich nach fast sieben Stunden Autofahrt und kurzer Zugfahrt am Freitag vor dem Lauf im autofreien Zermatt  ankomme, erwartet mich auf dem Bahnhofsplatz jedoch zunächst einmal  viel Stimmung und Lokalkolorit in Form lautstarker Guggenmusik. Der Platz ist fest in der Hand erwartungsfroher Marathonis, die in einem großen Zelt Kalorien in Form von Pasta „tanken“. 9,50 Franken kostet der Spaß – aber das mit Nachschlag. 

 

Mein Hotel, gerade mal 200 m entfernt, habe ich schnell gefunden. Die Wege sind nicht weit in Zermatt, alles ist zu Fuß erreichbar und wer doch nicht auf einen fahrbaren Untersatz verzichten will oder kann, kann auf eines der putzigen Elektro-Taxis zurückgreifen oder einen der kleinen E-Busse nehmen. Trotz der Nähe zur Hauptgeschäftsstraße ist die Umgebung des Hotels idyllisch und mich empfängt geradezu himmlische Ruhe. Auch das ist wohl bezeichnend für Zermatt: Trotz totaler Ausrichtung auf den Tourismus, trotz zahlloser Hotels, Pensionen u.ä. und gastronomischer Betriebe scheint den Zermattern der Spagat zwischen Kommerz und Authenzität gut gelungen. Dunkles Holz dominiert das homogene, von Bausünden weitestgehend verschonte Stadtbild, die vielen alten Häuser sind toprestauriert und die neueren stilmäßig angepasst, die Lokale bieten zumeist schweizerischer Küche. Ich fühle mich sofort wohl.

 

Der einzige Wermutstropfen: Die über Zermatt thronende Spitze des Matterhorns ist in Wolken gehüllt. Aber das ändert sich über Nacht: Schon am nächsten Morgen, gerade rechtzeitig zum Lauf, erwartet mich strahlender Sonnenschein bei wolkenlosem Himmel und so sehe ich beim Abmarsch vom Hotel zum Bahnhof am Horizont erstmals die berühmte, markant gebogene 4.478 m hohe Bergspitze, die von Schnee bedeckt in der Morgensonne geradezu leuchtet. Nicht schlecht als Einstimmung, denke ich mir.

 

Aus allen Himmelsrichtungen strömen die Läufer durch das noch morgendlich verschlafene Zermatt dem Bahnhof entgegen und füllen den Sonderzug der roten Matterhorn-Gotthard-Bahn, der um 7.15 Uhr einen Großteil der Läuferschar von Zermatt durch das Mattertal hinab zum Start nach St. Niklaus und damit von 1.606 m auf 1.058 m üNN bringt. Ich versuche mir schon vorzustellen, wie es sein wird, durch dieses Tal zu laufen, denn die erste Hälfte der Strecke wird uns durch das Mattertal erst einmal wieder nach Zermatt zurück führen, ehe es dann „richtig“ in die Berge geht. Bei jeder Station vor St. Niklaus drängen weitere Läufer in den Zug, sodass er schließlich so überfüllt wie eine S-Bahn zur rush hour ist.

 

In St. Niklaus angekommen ergießt sich ein wahrer Läuferschwall durch die engen Gassen der Altstadt. Schilder weisen uns den Weg bis zu der am Ort vorbeiführenden, nun aber für den Autoverkehr gesperrten Durchgangsstraße. Hier ist viel Platz und so verteilen sich die deutlich über 1.000 Starter zwischen der Gepäckabgabestelle und dem ein Stück entfernten Startareal. Ich genieße die wärmende Morgensonne und bin schon voller Vorfreude auf das bevorstehende Lauferlebnis.

 

Erst kurz vor dem Start sammelt sich das Feld vor dem Startbogen. Die recht zahlreichen Elite-Läufer werden über Lautsprecher einzeln vorgestellt und begrüßt und vor dem Rest des Feldes schon um 8.45 auf den Weg geschickt. Kleine Anekdote am Rande: Helmut Schiessl, Deutschlands derzeit wohl bester Bergläufer, „verratscht“ sich anscheinend im Hauptfeld, muss sich jedenfalls erst seinen Weg durch das Hauptfeld bahnen, ehe er etwa 200 Meter hinter dem Elite-Feld die Startlinie passiert. Der Schreck ist aber wohl nachhaltig gewesen – jedenfalls hat er später alle überholt. Fünf Minuten später folgt der Start der Staffelläufer, die die Strecke als Zweierteam mit Wechsel in Zermatt bewältigen. Um 8.57 Uhr ist es dann auch für mich so weit: Jetzt fällt der Startschuss für den großen Rest des Feldes.

 

Ein kurzes Stück geht es die breite Hauptstraße hinab, dann dreht die Strecke in einer scharfen Kurve talaufwärts und wir laufen ein weiteres Mal – nun unter den Anfeuerungsrufen zahlreicher Anwohner - durch die schmalen Gassen des Ortszentrums von St. Niklaus.

 

Die ersten Kilometer traben wir über den Asphalt eines schmalen Bergssträßchen nur leicht bergan. Das Laufen fällt leicht. Vorbei an pittoresken Holzhäusern, durch Wiesen und Weiden geht es noch flott dahin. Links und rechts der Talsenke steigen recht steil die Bergwände - unten häufig noch bewaldet, oben aber schroff und felsig – an, lassen aus unserer Perspektive jedoch noch nicht erahnen, zu welche Höhen sie sich türmen.

 

Am Horizont vor uns locken verheißungsvoll die schneeweißen Gipfel des Kleinen Matterhorns und des Breithorns, immerhin 3000 m höher liegend als wir es noch sind. Wir passieren einen kleinen Stausee und schnell ist nach etwa 5 km der nächste Ort im Tal, Herbriggen, erreicht. Allerdings bekommen wir von dem Ort nicht viel mit. Aus dem Asphalt- wird ein Schotterweg, und dieser mutiert wenig später zum Naturpfad, der durch kleine Waldstücke und am milchig dahin rauschenden Gletscherflüsschen Vispa entlang führt. Kurz vor km 7 hält eine längere, kräftige Steigung eine erste konditionelle Herausforderung für uns bereit.

 

So sehr ich mich über den Sonnenschein und das Panorama freue, merke ich bereits die Kehrseite der Wärme – der Schweiß rinnt schon jetzt in Strömen. Zum Glück verlaufen Teile der Strecke im Schatten. Ab km 9 können wir uns auf einer langen, flachen Asphaltpassage wieder erholen. Rechts von mir sehe ich die gewaltige Gerölllawine, die ein Bergsturz vor etwa 15 Jahren hinterlassen hat.

 

Mit Randa kurz hinter der 10 km-Marke erreichen wir den nächsten Ort. Die hübschen Häuschen dieses idyllischen Weilers mit der kleinen Kirche mittendrin vor der nun schon  näher herangerückten Kulisse der 4000er im Hintergrund wirken wie ein Postkartenmotiv. 

 

Durch üppig grüne Wiesen und kleine Waldstücke folgt die Strecke zeitweise dem Verlauf der Hauptstraße durch das Tal. Ab und zu nähern wir uns der Bahntrasse an und ich entdecke die „Fahrende Tribüne“, einen langsam dahin zockelnden Sonderzug für Begleitpersonen, die aus den Fenstern heraus gelehnt den Läuferstrom beobachten und eifrig herüberwinken.

 

Täsch, der letzte mit dem Auto erreichbare Ort vor Zermatt bei km 15, ist unsere nächste Station. Von den großen Parkplätzen und dem modernen, gemessen an der Ortsgröße fast schon monumentalen Bahnterminal im Ortszentrum bekommen wir allerdings nichts mit. Wir durchlaufen nur den locker bebauten, beschaulichen Ortsrand. Gespannt bin ich schon auf den folgenden Streckenabschnitt, denn die Bahntrasse zwischen Täsch und Zermatt ist zum großen Teil eingehaust. Und tatsächlich hält dieser Streckenabschnitt Überraschungen bereit.

 

Bei km 17 wechseln wir plötzlich vom Asphalt auf einen schmalen Pfad, der uns in  waldiges, stark profiliertes Gelände und - eine Holzbrücke querend - über eine wunderschöne Schlucht führt, die die wild rauschende Vispa tief ins Gestein gegraben hat. In kurzen Serpentinen geht es durch dichte Natur recht steil bergauf und schließlich über einen wurzeligen Trail parallel und oberhalb der eingehausten Gleise der Matterhorn-Gotthard-Bahn die bewaldete Bergflanke entlang. Gar nicht mehr weit weg erspähen wir die ersten Ausläufer Zermatts und quasi durch die Hintertür führt uns der Pfad mitten in den Ort hinein, und zwar direkt ins Gelände des Güterbahnhofs.

 

Fast die Hälfte der Strecke ist geschafft, aber erst etwa 600 von knapp 2000 Höhenmetern. Ich spüre, dass selbst der steigungsmäßig noch vergleichsweise moderate erste Streckenteil durchaus Kraft gekostet hat. Ich gönne mir eine kurze Rast an der Verpflegungsstation, die hier besonders reichhaltig ausgestattet ist. Alle 5 km auf der ersten und alle 4 km bzw. zuletzt 3 km auf der zweiten Streckenhälfte werden wir bestens versorgt. Wasser und Iso-Getränke gibt es überall, Cola, Bananen und Energie-Riegel an den meisten Stationen, daneben auch Gels und Bouillon sowie – bei der zunehmenden Wärme sehr willkommen – wassergetränkte Schwämme. Die in leuchtend gelbem Shirt gewandeten Helfer stehen überall engagiert bereit und halten uns die Verpflegung entgegen.

 

Vom Bahnhofsgelände geht es direkt auf die Bahnhofsstraße, die Zermatt in voller Länge durchschneidende Hauptgeschäftsstraße. Am Bahnhofsplatz bei km 21 erwartet uns ein dichter Zuschauerauflauf mit Musik und viel Stimmung. Aber es dauert nur Sekunden, bis wir vorbei sind und schon hundert Meter erregt der Marathon nur noch wenig Aufsehen. Wir passieren einige der alterwürdigen, edlen Hotelpaläste Zermatts wie das Mont Cervin Palace und das Grand-Hotel Zermatterhof, kurz darauf eines der pittoresken alten Viertel mit seinen typisch dunklen, auf Pfeilern und Steinplatten gelagerten Holzhäuschen.

 

Wir erreichen wieder die Vispa, den uns schon bekannten Gletscherfluss, der Zermatt an seiner tiefsten Stelle durchströmt. Ein Wanderweg führt uns nahe der Vispa aus Zermatt heraus und erst hier – endlich und zum ersten Mal – entdecke ich auf unserer Laufstrecke das Matterhorn, von dessen Spitze uns von hier aus „nur“ noch weitere 2800 HM trennen. Von Zermatt verabschieden müssen wir uns allerdings noch nicht, denn der Weg führt uns nach einer etwa 2 km langen Schleife über Almen und durch schattige Wäldchen am Uferweg der Vispa entlang wieder nach Zermatt zurück. So lernen wir noch weitere Teile dieses schönen Bergdorfs kennen und ich genieße die letzten unbeschwerten flachen Meter – denn ich weiß: jetzt geht es gleich zur Sache.

 

Kurz vor km 25 ist es so weit. Zunächst noch über Asphalt und vorbei an zahlreichen in den Hang gebauten Hotels, alle mit unverbautem Marathon-Blick, dann auf einem breiten Schotterweg durch schattige Arvenwälder geht es vielen Kurven bergauf - gar nicht mal übermäßig steil, aber dafür permanent. Und das für die nächsten fünf Kilometer. Hier trennt sich recht schnell die Spreu vom Weizen – und ich ziehe es schon bald vor, mich der Spreu anzuschließen. Aber es ist mir einerlei, denn so bin ich viel mehr in der Lage, das Panorama, das sich vor meinen Augen eröffnet, aufzunehmen. Je höher ich komme, desto mehr weitet sich der Horizont, desto weiter reicht der Blick in die Bergwelt, hinüber auf die sich jenseits des Mattertales erstreckende, bis weit über 4.000 m ansteigende Bergkette, vor allem aber in Richtung des Matterhorn. Immer tiefer liegt Zermatt unter mir, und je höher ich komme, desto gewaltiger und majestätischer erscheint mir der über Zermatt thronende Zacken dieses Monolithen.

 

Bei km 30 enden die Serpentinen und der Weg mündet in eine lange, endlich wieder  flachere Gerade, die zunehmend in offenes Gelände und über blühende Almwiesen weg vom Mattertal und hinein ins Skigebiet Sunnegga führt. Einsame Gehöfte und romantische Berggasthöfe fügen sich harmonisch in die uns umgebende alpine Bilderbuchlandschaft ein.  Der lange schneebedeckte Kamm des Breithorns überragt in Laufrichtung den Horizont. Weitaus beeindruckender ist aber auch von hier aus das Matterhorn zu meiner Rechten. Auch wenn all die anderen Berge höhenmäßig in der gleichen „Liga“ und vereinzelt sogar höher als das Matterhorn sind – keiner von ihnen kommt an Imposanz an das Matterhon heran und keiner der schneebedeckten Gipfel hebt sich eindrucksvoller vom tiefblauen Himmel ab wie dieses steinerne Wahrzeichen der Schweiz. 

 

Bei km 32,5 erreichen wir eine felsige Passhöhe, wo wir in luftiger Höhe, knapp 2.300 m üNN, von einem Blasorchester vor Hochgebirgskulisse empfangen werden. Jenseits des Passes ändert sich das Umgebungsbild ebenso wie das Streckenprofil. Weite Wiesenteppiche überziehen die Berghänge, dazwischen ist nur noch spärlich Baumbewuchs auszumachen, die Laufstrecke führt über einen schmalen, aber gut zu belaufenden Bergpfad – und zwar bergab in Richtung eines kleinen türkisgrün schimmernden Sees. Bis nahe ans Ufer geht es im Sauseschritt hinab, endlich habe ich mal wieder das Gefühl von Tempo. Lange währt der Geschwindigkeitsrausch aber nicht und die nächste saftige Steigung lässt mich in den alten Trott verfallen – aber da bin ich nicht allein.

 

Es ist schon erstaunlich, wie so eine Horde den Hang herunterpreschender Dynamiker im kollektiven Einvernehmen plötzlich zur Schneckenparade mutiert. Das Steilstück währt aber gerade mal einen Kilometer – dann werden wir erlöst und wir dürfen wieder Gas geben und über Stock und Stein den Windungen des Pfades bergab folgen. Überrascht bin ich, nicht nur einmal japanischen Wandergruppen zu begegnen, die in Reih und Glied entlang des Weges Spalier stehen und freundlich lächelnd die Läufer wild beklatschen.

 

Wir nähern uns dem Talgrund und müssen vom Bergpfad, zum Glück nur für die nächsten 2 km, auf eine etwas weniger schöne Schotterstraße wechseln, die uns durch eine bisweilen mondlandschaftartige Umgebung führt. Erstaunt stelle ich fest, dass ausgerechnet in dieser Einsamkeit in größerem Stil Felsmaterial abgebaut wird. Kurz bevor wir die ersten Ausläufer des in dieses Tal fließenden Findelgletschers erreichen, queren wir die Talsohle, um auf der anderen Talseite wieder in Richtung Taleingang zurückzulaufen. Und erneut wechselt die Szenerie: Lichter, hoher Nadelwald und viel Geröll mit großen Felsbrocken prägen die unmittelbare Umgebung, entsprechend steinig ist der vielgewundene Pfad. Bäche kreuzen den Weg und wir müssen von Stein zu Stein springen. Immer wieder eröffnen sich weite Panoramablicke auf die vergleichsweise kahle gegenüber liegende Talseite, gekrönt von den schneebedeckten 4000ern im Hintergrund. Ich genieße dieses Streckenstück – hier erlebe ich wieder echtes Genusslaufen in wundervoller Umgebung, wozu natürlich auch beiträgt, dass es kaum und allenfalls kurze Steigungen gibt.  

 

Im Fluge vergehen so die Kilometer. Fast wie aus dem Nichts stehe ich auf einmal bei km 39 vor den Gleisen der Gornergratbahn, jener legendären wie traditionsreichen Zahnradbahn, die Zermatt mit dem 3.100 m hoch gelegenen Gornergrat verbindet. Wir müssen die Gleise überqueren und über eine Treppe zum Bahnsteig hochsteigen, wo uns der Applaus eines wartenden Zuschauerpulks empfängt. Nur noch 3 km! Ich rechne mir kurz aus, dass mir noch ein knappes halbes Stündchen verbleibt, wenn ich unter 5 Stunden bleiben will. Um es vorweg zu nehmen: Ich habe mich grob verschätzt.

 

Zunächst führt der Pfad durch dichten Wald weiter flach dahin. Bei km 39,7 passieren wir das auf 2.222 m üNN gelegene 5-Stern-Nobelhotel Riffelalp, wo die Hotelgäste entspannt von ihren Legestühlen vom penibel gepflegten Garten aus das Treiben beobachten. Erst hier verlässt die Laufstrecke den Wald, weitet sich der Horizont – und bietet sich ein wahrlich ernüchternder Blick über den weiteren Verlauf unserer Laufstrecke, die von hier zum großen Teil dem Verlauf der Bahnstrecke der Gornergratbahn bis zur nächsten Station folgt, die gleichzeitig unser Marathonziel ist: der Riffelberg auf 2.582 m üNN. Das bedeutet, dass wir zumindest 360 Höhenmeter auf den nächsten zwei Kilometern überwinden müssen. Und das in praller Sonne, denn das Gelände ist völlig offen.

 

Auch wenn es eigentlich eben nur zwei, an sich lächerliche Kilometerchen sind: Der Riffelberg scheint von der Riffelalp aus betrachtet noch eine kleine Ewigkeit entfernt zu sein. Nicht gerade dezent sind die massiven Einhausungen, die hoch oben auf dem letzten steilen Stück der Bahntrasse die Bahn vor Lawinen schützen, aber beeindruckend sind sie allemal.

 

Aber es hilft nichts: da muss ich hinauf und so füge ich mich in mein Schicksal. Die nächsten zwei Kilometer dürften dann wohl die langsamsten in meiner „Laufkarriere“ gewesen sein. Im Kriechtempo schleiche ich den staubigen Weg hinauf. Den anderen geht es aber auch nicht besser. So wenig attraktiv diese letzte Passage für sich betrachtet sein mag – so grandios ist der Ausblick, der sich auf die Umgebung bietet, und zwar umso mehr, je höher ich komme. Vor allem das Matterhorn zeigt sich wieder in seiner ganzen Größe und Pracht und ich nutze meinen Fotoapparat eifrig als Alibi für die eine oder andere Gehpause. Besonders unangenehm ist das Stück, das schließlich entlang der eingehausten Bahntrasse entlang führt. Nach einem finalen Steilstück über eine Rampe scheint das Ziel zum Greifen nah.

 

Über einen schmalen Pfad, der sogar wieder so etwas schnelleren Trab erlaubt, nähere ich mich dem menschenbevölkerten Zielareal und der angrenzenden großen Berghütte, kann schon den Lärm im Ziel und die Stimme des Zielsprechers hören. Aber da habe ich mich zu früh gefreut: Denn wir werden in gebührendem Abstand am Ziel vorbeigeleitet und wieder in die scheinbar endlose Weite der Bergwelt gelotst. Zum Glück habe ich schon vorher von der Existenz dieser „speziellen“ Abschlussschleife gehört, aber dass sie sich dann doch so in die Länge zieht, hätte ich nicht gedacht. Ich versuche diese Schleife, die immer wieder fiese kleine Anstiege bereit hält, mit möglichst viel Gleichmut – auch wenn es schwer fällt - über mich ergehen zu lassen. Und nach einer kleinen Ewigkeit ist es dann soweit – im Galopp geht es auf den letzten Metern ins Ziel hinab.

 

Nur wenige Meter hinter dem Ziel gibt ist es die erste „Belohnung“ – kühles alkoholfreies Weißbier. Welch ein Genuss! Davon mache ich erst einmal reichlich  Gebrauch, ehe ich mir die Finisher-Medaille umhängen das wirklich schöne Finisher-Shirt aushändigen lasse. Während der Besucherandrang vor dem Ziel eher bescheiden ist, ist der Rummel vor der Berghütte und auf der vorgelagerten großen Wiese um so größer. Zahllose Läufer strecken hier Ihre müden Beine aus und ziehen es vor, ganz in Ruhe nochmals das großartige Panorama, insbesondere in Richtung Matterhorn, zu genießen. 

 

Ich komme gerade recht, um die Siegerehrung der Männer mitzuerleben. Helmut Schiessl hat mit einer Zeit von 3:06:32 noch alle überholt und abgehängt und freut sich über seinen Sieg. Der Südtiroler Gerd Frick und der Engländer Tim Short folgen mit 3:08:38 und 3:12:38 auf den nächsten Plätzen. Bei den Frauen holt sich der weibliche Shooting Star der Berglaufszene, die Britin Lizzy Hawker, mit 3:32:49 den Titel. Ich selbst habe zwar meine insgeheim angepeilte 5-Stundenmarke letztlich nicht nur knapp verfehlt, aber was soll es: Ich freue mich, dass ich bei absolut optimalen Wetterbedingungen einen unvergesslichen Lauf auf einer harten, aber wunderschönen Strecke erleben durfte, und weiß: Dies ist es, was mir letztlich in der Erinnerung bleiben wird.   

 

Viel los ist auch am angrenzenden Bahnhof Riffelberg. Hier kann man sich entscheiden, mit der Gornergrat-Bahn nach Zermatt zurückzufahren, oder sich noch zwei Stationen weiter nach oben, bis zum Endpunkt, dem Gornergrat auf 3.089 m üNN, befördern zu lassen. Für mich ist es keine Frage, auch noch das Highlight des Gornergrats mitzunehmen. Und tatsächlich: Das, was sich dort oben von den diversen Aussichtsplattformen an Ausblicken bietet, ist atemberaubend. Wo kann man schon auf einen Blick fünf Gletscher sehen, die zwischen den zahlreichen 4000ern, darunter dem Monte Rosa Massiv mit dem höchsten Schweizer Berg, der Dufourspitze (4.634 müNN), heraus quellen?  Für mich ist dies ein besonderer Abschluss eines besonderen Laufes. 

 

Zurück in Zermatt, in der Talstation der Gornergrat-Bahn, wartet auf die Läufer eine letzte kleine Überraschung: Jeder erhält kostenlos ein von ihm unterwegs vor der Kulisse des Matterhorn aufgenommenes Foto – ein Geschenk, das für wohl jeden einen besonderen Erinnerungswert haben wird.  

 


 
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