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Laufberichte

In Richtung ewiges Eis

07.07.07

Lange habe ich mir überlegt, woher meine Affinität zu Bergläufen kommen könnte. Bereits der erste Lauf, der mich weiter als über die ¼-Marathondistanz geführt hat, war ein Berglauf.

Zufälligerweise waren wir gerade im Urlaub in der Nähe des Austragungsortes, welcher zufälligerweise auch der Ort ist, in welchem sich unsere Familiengeschichte urkundlich belegt zurückverfolgen lässt. Vor wenigen Wochen wurde diese Ortschaft sogar in der europäischen Presse erwähnt, da sich dort das Nordportal des neuen 34 km langen Eisenbahnbasistunnels befindet, bei dessen Einweihung die Überwindung des Berges gefeiert wurde. An solche Szenarien haben meine Vorfahren wohl kaum jemals gedacht. Sie haben sich mit der Tatsache abgegeben, dass das Bewirtschaften des Landes gleichbedeutend mit der Überwindung unzähliger Höhenmeter war.

Es liegt also – in Ermangelung einer masochistischen Ader - der Schluss nahe, dass eine genetische Disposition vorhanden sein muss, die mich immer wieder zu Bergläufen treibt. Als das Training intensiver und die Distanzen länger wurden, dauerte es nicht lange, bis ich wieder an den Berg ging und, als zweiten Marathon überhaupt, gleich den Jungfrau-Marathon in Angriff nahm.

Meine Vorfahren, die Bergler, wussten noch nichts von Treibhausgasen und Klimawandel. Als fromme Leute – dank dem Eintrag im Kirchenregister kann man die Ahnenlinie bis 1769 zurückverfolgen – und verwurzelt in ihrer Bergwelt, war deshalb für sie die Bezeichnung der Gletscher als ewiges Eis nahe liegend.
Trotz dem Schmelzen der Gletscher wird diese Bezeichnung zwar immer noch gebraucht, und sogenannte aufgeklärte Zeitgenossen wollen dann gleich den Schluss ziehen, dass eben auch die christliche Vorstellung von Ewigkeit so überholt sei wie der Glaube unserer Vorfahren, das Gletschereis werde die Bergflanken ewig bedecken.

In Anbetracht der neusten Erkenntnisse zum Klimawandel muss eine neue Erklärung gesucht werden, warum wir immer noch vom ewigen Eis sprechen.
Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und meldete mich zum 6. Zermatt Marathon an, der dieses Jahr an einem besonderen Datum stattfinden sollte, am 07.07.07.

An diesem begehrten Hochzeitsdatum gab es in Zermatt für ein laufbegeistertes Paar sogar die Möglichkeit, das Heiraten und Laufen eines Marathons am selben Tag unter einen Hut zu bringen. Der Bräutigam lief das erste Teilstück des Staffelmarathons nach Zermatt, wo er mit seiner Braut aufs Standesamt ging. Seine mittlerweile angetraute Frau machte sich dann auf die zweite Streckenhälfte, hinauf zum Riffelberg, wo die kirchliche Trauung in der Bergkapelle stattfand, zu welcher sich ihr Mann gut ausgeruht mit der Zahnradbahn hinbringen ließ. Die Auswahl der Laufstrecke, dass er den harmlosen Teil laufen konnte, erfolgte, den Angaben des Hochzeitspaares zufolge, wegen eines verletzungsbedingten Trainingsrückstandes das Mannes so.

Nun aber zu mir, der ich glücklich verheiratet bin, den Hochzeitstag nicht vergesse und mir diesen Tag frei nehmen konnte, um mich in Richtung ewiges Eis aufzumachen. Eisen statt Eis wäre auch nicht schlecht gewesen, doch nachdem kürzlich bei mir ein totaler Eisenmangel festgestellt wurde, fühlte ich mich nach vier Wochen Eisenkapsel-Kur ziemlich fit. Meine persönlichen Ziele, die ich mir gesteckt hatte, waren: den Lauf genießen, heil im Ziel ankommen und am nächsten Tag normal gehen können. Und insgeheim hoffte ich, dass sich die 1900 Höhenmeter mit zusätzlich höchstens 90 Minuten auf meine PB im Flachmarathon auswirken würden.

Bei angenehm frischen Temperaturen ging es kurz vor 09.00 Uhr in St. Niklaus an den Start. Von dort aus zieht sich die Strecke durch das tiefste Tal der Schweiz bis nach Zermatt, wo mitten im Dorf zwar schon die Streckenhälfte ist, aber erst 500 Höhenmeter zurückgelegt sind. Die ersten Kilometer gingen ganz locker und ich war guter Dinge, dass dieser Lauf nicht nur wegen des grandiosen Wetters (schließlich hatte es in den vergangen vier Wochen keinen nur annähernd so schönen Tag gegeben) ein Erfolg wird.

Die Kilometertafeln zogen eine nach der anderen vorbei, als es nach einem Fünftel der Strecke plötzlich im Wadenansatz des rechten Beins zwickte und ich mich mit der Tatsache auseinandersetzen musste, dass ich den Rest des Marathons mit einer Zerrung laufen werde, denn aufgeben war keine Option, zumal sich das wirklich eindrückliche Panorama erst kurz vor Zermatt auftut und ich mir dieses nicht entgehen lassen wollte. Als dann die lange Schlaufe durch das Dorf absolviert war, begann der gleichmäßige Anstieg, dem die Zähne durch den einmaligen Ausblick auf die Viertausender, allen voran das Matterhorn, gezogen waren. Einfach traumhaft waren die fünf Kilometer durch den lichten Arvenwald, bevor dann der Schlussaufstieg folgte. Diese letzten zweieinhalb Kilometer waren die längsten, die ich je unter den Füssen hatte und die steilsten dazu. So jedenfalls kam es mir vor und es hätte mich nicht gewundert, wenn ich Steinböcke oder Gämsen mit Steigeisen getroffen hätte. Ob ich die überhaupt noch wahrgenommen hätte, bleibe dahingestellt, denn den Fotografen auf dem Schlusskilometer, der mich vor dem Matterhorn abgelichtet hat, habe ich auch übersehen. Sonst hätte ich mich um eine frischere Erscheinung bemüht. Die Zeit dazu hätte ich mir nehmen können, denn auch so hat es nicht ganz gereicht: in Anbetracht der Verletzung, die mich fast 34 Kilometer begleitet hat, bin ich mit der Schlusszeit von gut fünf Stunden alleweil zufrieden.

Nach einem erfrischenden (isotonischen) Erdinger alkoholfrei und einer angenehm warmen Dusche konnte ich mich auf 2580 Metern nochmals eingehend dem Ausblick widmen und fand dabei die Erklärung, wieso die weiße Pracht der Berge heute noch ewiges Eis genannt wird. Die Gletscher ziehen sich immer weiter zurück, wir müssen also immer höher hinaus, wenn wir zu ihnen vordringen wollen. Wenn es aber für einen Marathoni bis auf den Riffelberg so lange dauert, dann dauert es für einen untrainierten Normalo eine Ewigkeit, bis er es überhaupt bis zu einem Gletscher hoch schafft. Und deswegen wird der Begriff vom ewigen Eis trotz Klimaerwärmung Bestand haben.

Wenn ich die Garantie hätte, dass nächstes Jahr am Austragungstag des Zermatt Marathon die gleichen Wetterbedingungen herrschen, würde ich mich heute schon wieder anmelden. Wer von euch ist dabei?

 


 
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