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Laufberichte

Atem(be)raubend

02.08.09

Durch das Nanztal zur Saltinaschlucht

Hatte ich gedacht, dass der nun breitere, staubige Forstweg im Wald weniger steil weiterführen würde, so muss ich mich schnell eines Besseren belehren lassen. Meine Oberschenkelmuskeln sind gar nicht erfreut, dass ich ihnen einen weiteren steilen Abstieg hinunter ins Tal bis zum Ufer des wildromantisch durch urwaldartiges Gestrüpp sprudelnden Bergbaches zumuten muss. Entschädigt werde ich dann jedoch durch einen herrlichen, endlich mal wieder relativ flachen Pfad, der dem Bach durch die üppige Vegetation folgt.

Wildromantisch gelegen sind auch die Holzbrücken, über die wir die Gamsa zwei Mal queren. Aber diese Entspannung währt nur kurz. Dann wendet sich der Weg vom Bach ab und taucht ein in dichten, schattigen Wald. Und wieder geht es steil bergab, nur kommt zusätzlich erschwerend dazu, dass der schmale Pfad steinig und wurzelig ist. Zwischen den Bäumen kann ich erkennen, dass sich das Nanztal weitet und geradezu dramatisch in die Tiefe abfällt. Schon bald liegt der Talgrund tief unter uns liegt und wir folgen einem am dichtbewaldeten Hang entlang führenden Höhenweg.

Allmählich wird der Wald lichter und es eröffnen sich immer wieder wundervolle Ausblicke auf das Rhonetal und die Gipfel des Berner Oberlandes dahinter. Spannend wird es an einer Stelle, an der wir auf einen tiefen Seiteneinschnitt des Nanztales treffen. Eine Holzbrücke überspannt recht spektakulär die senkrecht abstürzenden Felswände dieses Einschnitts. Allerdings ist die Brücke für den Durchgang gesperrt, sodass wir am Hang entlang den Einschnitt umlaufen müssen. An der hintersten Stelle sprudelt ein kleiner Wasserfall durch das Geröll den Abhang hinab. Den von ihm gebildeten Bach queren wir vorsichtig von Stein zu Stein springend.

Auf einem breiter werdenden Naturweg geht es weiter durch den Wald, Kilometer um Kilometer, immer weiter hinab. Eine Verschnaufpause gönnt uns die schattige Verpflegungsstelle von Schratt bei km 35. Am liebsten hätte ich mich in den daneben plätschernden Brunnen gelegt. Denn es ist warm geworden.

Zunächst recht gemütlich geht es auf einem gut ausgebauten Weg weiter. Beim Ratsch mit Rudi aus Idar-Oberstein, der mit dem Fahrrad zum Gondo-Event angereist ist, vergeht die Zeit angenehm schnell. Fast übersehen wir die Streckenmarkierung, die uns auf einen plötzlich abzweigenden Trampelpfad leitet. Und wieder geht es richtig steil, Kehre um Kehre, durch den Wald hinab. So anstrengend der Lauf für mich geworden ist, so schön und abwechslungsreich sind dennoch die kleinen Pfade, über die wir geleitet werden. Weit unten im Tal sehe ich in der Ferne bereits Brig. Schnell rückt der Talgrund näher. Doch nicht Brig ist unser Ziel, sondern das noch nicht sichtbare, höher gelegene Ried-Brig, sodass ich mich nicht wundere, dass der Weg schließlich wieder verflacht und auch wieder einige kernige Gegenanstiege bereit hält.

Eine schmale Asphaltstraße lässt schließlich erkennen, dass wir der Zivilisation wieder nahe sind. Aber nur für kurze Zeit. Denn die letzte große Hürde des Tages steht noch bevor: Die Saltinaschlucht. Von der Schlucht ist zunächst noch nichts zu sehen. Erst als ich den Wegweiser zur Schlucht bei km 39 erreiche, kann ich von oben einen Blick in das beeindruckend tief in die Berge eingeschnittene Seitental werden.

Über die Saltina zum Schluss-„Spurt“ nach Brig

Der Weg in die Schlucht ist wieder etwas für Cross-Spezialisten. Ein staubiger, von Wurzeln und Steinen durchsetzter Pfad windet sich extrem steil durch dschungelartiges Dickicht hinab. Höchste Konzentration ist auf dem folgenden Kilometer angesagt. Das Rauschen des Wildbachs rückt immer näher, zu sehen ist die Saltina durch die dichte Natur aber kaum. Plötzlich ist der Talgrund erreicht. Ein letzter Versorgungsposten ist im Schatten der Bäume eingerichtet. Aber warum ist es so ruhig?

Eigentlich hatte ich erwartet, hier nun eine weitere „Spezialität“ des Gondo Events zu erleben. Die verheerenden Unwetter von 2000 hatten den Gebirgsbach seinerzeit so reißend werden lassen, dass die Fluten die Brücke über den Bach zerstörten. Die Brücke ist wieder aufgebaut – aber an sich tabu für die Läufer des Gondo Event. „In memoriam“ des Geschehenen mussten die Läufer die Saltina bislang stets ohne Brückenhilfe, allerdings durch Seile und die Briger Feuerwehr gesichert, queren, ein feuchtes Vergnügen, das wassertriefende Schuhe garantierte. Ein wenig enttäuscht bin ich schon, dass mit dieser Tradition heute gebrochen wird. Wie ich später höre, soll die Strömung der Saltina so stark gewesen sein, dass eine Querung im Wasser zu gefährlich gewesen wäre. Und tatsächlich ist nicht zu übersehen, dass die für einen Gebirgsbach breite Saltina viel Wasser führt.

Aber schade ist es trotzdem. Etwas demotiviert trabe ich über die Brücke. Der der Saltina auf der anderen Seite folgende Weg bringt mich aber schnell wieder auf andere Gedanken. Auf sanftweichem Waldboden führt er durch duftenden, lichten Lärchenwald dahin. Neben der rauschenden Saltina zu meiner Linken plätschert ein kleines Bächlein zu meiner Rechten. Einfach herrlich.

Umso herber fällt die Umstellung aus, als ein Wegweiser jäh einen Richtungswechsel verkündet. Ein im Licht geradezu gleißend heller, staubig-steiniger Pfad führt, zumindest gefühlsmäßig, senkrecht nach oben. Das wohl steilste Wegstück der gesamten Tour liegt vor mir – und das nach 40 Kilometern. Im Schneckentempo schleppe ich mich den sich über mir türmenden Pfad empor und denke mir nur: muss das jetzt sein! Und das auch noch in der prallen Sonne! Meine Beinmuskeln protestieren und der Rest meines Körpers schließt sich an. Der Schweiß läuft in Strömen. Aber es hilft nichts: Da muss ich durch. Schnell bedauere ich, mir nicht ein wenig mehr Zeit am kühlen Grund der Schlucht gelassen zu haben.

Endlich verflacht der Pfad wieder, spenden Büsche und Bäume Schatten. Dann verheißen die ersten Häuser von Ried-Brig Erlösung für heute. Die letzten 1.500 Meter werden angezeigt. Wie ausgestorben sind die Straßen und Gassen von Ried-Brig, selbst als ich in den Altstadtbezirk mit seinen hübschen alten Walliser Holzhäusern erreiche. Erst ganz zum Schluss, im Ziel auf dem Platz vor der Sporthalle wird es lebendiger. Per Lautsprecher werde ich wie alle Läufer persönlich begrüßt. Erschöpft, aber glücklich passiere ich das Zielbanner. So lange wie heute war ich auf der Marathondistanz noch nie in meinem Leben unterwegs – aber bei dieser von Anfang bis zum Ende traumhaft schönen Strecke ist die Zeit bestimmt das Letzte, was eine Rolle spielt.

 

Informationen: Gondo Marathon
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