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Laufberichte

Atem(be)raubend

02.08.09

... und weiter zum Bistinenpass

Wer an einen Gebirgspass denkt, für den ist logisch: auf der einen Seite geht es hinauf, auf der anderen wieder hinunter. Das mag für die den Simplon querenden Autofahrer gelten, nicht jedoch für die Läufer des Gondo Event. Für uns ist der Simplon lediglich Zwischenstop auf dem Weg zum nochmals über 400 Meter höher gelegenen Bistinenpass.

Wo dieser Pass konkret sein soll, kann ich wolkenbedingt zunächst noch gar nicht ausmachen. Zumindest soviel kann ich erkennen: Es geht weit hinauf, verdammt weit hinauf.

Ich folge dem markierten, schmalen Bergpfad, der in die karge, weite, nur durch Wolken am Horizont begrenzte Grassteppe führt. Recht schnell geht es nach oben, auch wenn es zwischendurch immer wieder Passagen gibt, die relativ eben oder gar leicht abwärts führen. Ständig wechsele ich zwischen schnellem Walking und ruhigem Traben. Je weiter ich komme, desto mehr reißen die Wolken auf und umso mehr hat die Sonne Gelegenheit, ihre Leuchtkraft zu entfalten. Vor allem hinter mir baut sich ein zunehmend grandioses Gebirgspanorama auf. Weit unten erblicke ich, einsam auf der Passhöhe thronend, den wuchtigen Gebäudeklotz des 200 Jahre alten Simploner Hospizes, der aber vor dem Hintergrund der sich aus dem Wolkendunst schälenden, über 3.400 Meter hohen Bergmassive von Breithorn und Monte Leone zu Zwergenformat schrumpft.

Aber auch in Laufrichtung hebt sich die Wolkendecke zusehends und gibt immer mehr von den Bergen, in der Höhe wie in der Ferne, frei. Den Weg zum Pass lässt dies aber dennoch nicht absehbarer erscheinen, was realistischerweise auch kein Wunder ist: Immerhin liegen 7 km Wegstrecke zwischen Simplon- und Bistinenpass. Immer tiefer tauchen wir in die in ihrer Kargheit schöne Berglandschaft ein. Bis weit am Horizont sehe ich die Bänder der Wegmarkierungen im Wind flattern. Als bunte Punkte erscheinen die vor und hinter mir vereinzelt den Hang empor schleichenden Läufer. Weite Abstände liegen zwischen ihnen. Immer wieder umgibt mich totale Stille, die absolute Bergeinsamkeit. Aber das ist hier für mich ein durchaus wohltuendes, geradezu erhabenes Gefühl.

In zumeist langen Geraden und Schleifen zieht sich unser Weg am Hang hinauf und immer tiefer in die abgeschiedene Bergwelt hinein. Nur selten macht der Pfad eine scharfe Wendung. Seine Beschaffenheit wechselt immer wieder. Mal ist er steinig und hart, dann wieder ausgetreten bequem, in der Nähe von Wasser wiederum sumpfig-weich. Mehrfach queren wir kleine Bäche, springen über Steine, müssen auch kleine felsige Stellen erklettern. Es gibt Stellen, an denen vor dem Lauf noch gar kein Pfad existierte und das Gras erst durch die Läufer niedergetrampelt wurde. Trotz der Sonne angenehm kühl und frisch ist die Luft, doch auch die Höhe macht mir konditionell ein wenig zu schaffen.

Immer weiter entfernt sich der Simplon hinter mir aus meinem Blickfeld, verschwinden die Berge jenseits des Passes im grellen Gegenlicht. Dafür erstrahlt der Himmel nun tiefblau über mir, hängen zwischen den Berggipfeln nur noch vereinzelte Wolkenfetzen. Die Hochgebirgsregion ist erreicht. Die Felsen werden immer kahler und schroffer, Schneefelder kommen ins Blickfeld. Eines dürfen wir durchqueren und nur mit Glück kann ich mehr rutschend als gehend verhindern, auf dem Hosenboden zu landen.

Der Weg nimmt an Steigung zu und ich werde immer langsamer. Aber gleichzeitig lässt sich nun auch das Ende des Aufstiegs erahnen, bekommt die Passhöhe allmählich ein Gesicht. Und dann ist es auf einmal so weit. Der Weg flacht ab und wenig später erwartet mich bei km 23 die Belohnung für die Mühen: die Verpflegungsstelle auf dem Pass, 2.417 m üNN. Diese ist so gut frequentiert wie keine zuvor. Hier lässt sich fast jeder Zeit, die Stimmung ist geradezu ausgelassen, wohl auch, weil jeder froh ist, den "Gipfel" des heutigen Tages erklommen zu haben.

Sturzflug ins Nanztal

Ging es seit dem Start bis zum Bistinenpass fast nur bergauf, so wendet sich ab der Passhöhe das Blatt: Denn von hier führt die Strecke bis zum Ziel (fast) nur noch hinab. Und wie. Fast übermütig stürzen die Läufer in endlos langen Serpentinen den kahlen Abhang auf der jenseitigen Passseite in Richtung Nanztal hinab. Manche scheinen geradezu fliegen zu wollen. Doch man muss aufpassen: Der Pfad ist steinig und ein Stolperer könnte böse Folgen haben. Ich versuche, erstmals in meinem Läuferleben, den langen Abstieg gelenkschonend mit Stöcken abzufedern, doch sie behindern mich mehr als sie nützen, fast stolpere ich über sie - sodass ich sie schon bald entnervt wieder in den Rucksack packe.

Herrliches Sommersonnenwetter erwartet uns auf der anderen Passseite. Ein fantastisches Panorama über die schier grenzenlose Bergwelt eröffnet sich, der Blick reicht bis zu den fernen, schneebedeckten 4000ern des Berner Oberlandes.

Weiter unten, wo das Grün der Almen wieder saftiger wird, versperrt eine Kuhherde den Weg und macht auch keine Anstalten, auszuweichen. Respektvoll umschleiche ich die wohlgenährten, spitzbehörten Tiere und merke genau, wie mein Tun argwöhnisch beobachtet wird. Aber ich werde trotz orangefarbenem Hemd anscheinend nicht als Feind eingestuft und darf ungeschoren passieren.

Der Abhang flacht ein wenig ab und geht in einen Wald über. Tief unten vom Grund des Nanztals tönt das Rauschen der Gamsa herauf. Kurz vor Erreichen des Waldes bin ein wenig irritiert. Kein Läufer und auch keine Wegmarkierung sind weit und breit zu sehen. Bin ich falsch abgebogen? Da wäre ich nicht der erste, dem das passiert. Ein wenig unschlüssig gehe ich auf und ab und wäge ab, weiterzulaufen oder umzukehren. Ein Gebirgsbauer sieht mich und meine Unentschlossenheit. Er deutet mir an, dass ich schon auf dem richtigen Weg sei. Und tatsächlich: wenig später erlöst mich ein Plastikband von der Ungewissheit.

 

Informationen: Gondo Marathon
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